Ich selbst hab ja immer nicht so viel zu erzählen, deswegen erzähle ich so gern von anderen. Kann man machen, weil wegen Menschen sprechen halt so gern laut vor sich hin oder in ein Gegenüber hinein, dass sich entweder körperlich oder telefonisch materialisiert. Und da ja wohl bitte nicht von mir erwartet werden kann, dass ich den ganzen Tag mit so großen, gelben Baustellenkopfhörern herumflaniere, wegen Diskretion, ja, also, da muss sich dann wirklich hinterher keiner beschweren. Und ich bin wirklich zu schüchtern, um immer jedem, der weithin hörbar vor sich hin pontifiziert, auf die Schulter zu tippen und ihn darauf hin zu weisen, dass die Lügenpresse mitlauscht. Deswegen also weiß ich Sachen.
Zum Beispiel, dass der Lidltütenmann nicht so ganz arg richtig gern in Deutschland lebt, weil die da ihr Obst vergiften. Oder dass der Flaschenhandstandmann bis er Mitte 60 war noch auf drei Krügen balanciert hat, sich selbst zu dick findet, aber nicht einsieht, im Alter zu hungern (was ich sehr begrüße, ist hier doch ein leises Aufbegehren gegen das Diktat der Magerindustrie zu erkennen). Mit großem, jedoch selbstverständlich angemessen verhohlenem Interesse schwamme ich also gelegentlich Inhalte auf. Die gar nicht so richtig für mich bestimmt sind, schon klar, befinde mich aber sozusagen in einer hochnotpeinlichen Zwangssituation, was soll man da machen. Eine ähnliche Not widerfuhr mir neulich in einem Bus. Da war eine Dame, die konnte man mit ein bisschen Augenwischerei als „rüstig“ bezeichnen, mit ohne Augenwischerei als „Matrone“. Der saß ein Herr gegenüber, der so wirkte, als sei er schon sehr, sehr, sehrsehrsehr lange in der Eigenschaft als ihr angetrauter Ehemann verhaftet.
In bester Loriot-Manier („Ich möchte doch einfach nur hier sitzen!“) sprach die Dame in den Mann hinein. Unablässig. Laut. Er zuckte hier und da zusammen, ich weiß nicht, ob er aufwachte oder versuchsweise an möglich passenden Stellen Zustimmung simulierend nickte. Er erfuhr, was er alles vergessen / versäumt / falsch gemacht habe, warum man jetzt gänzlich umsonst in die Stadt, wo man doch eigentlich, und wieso er denn nicht endlich, dabei müsste er doch, aber sie sei ja schließlich immer, eine endlose Litanei an Harmoniebekundungen. Der ganze Bus sah sich zwangsbeseelt von so viel Lebensfreude, harmonische Blicke kreuzten den Frachtraum. Dann stieg ein Mädchen zu, das telefonierte, setzte sich auf den Platz hinter der Dame. Nach zehn Sekunden drehte die sich solcherart Belästigte empört um und sprach folgende weise Worte: „Also das ist wirklich eine Unsitte mit diesen Handys! Dauernd ist man gezwungen, die Gespräche Fremder mitanzuhören!“ Das möchte ich gerne einfach mal so stehen lassen.