Freitag, 28. August 2015

Pseudologie

Neulich beim Reklamationsprozess in der Lingerie. Hatte ein Brustgeschirr dabei, das sich nach meinem Dafürhalten etwas zu frühzeitig aus dem Leim zu gehen anschickte. Reicht ja, wenn ich das tue. Jedenfalls ich so: „Blabla kaputt.“ Sie so: „ Blabla Waschmaschine?“ Ich so: „Selbstverständlich.“ Und wollte mir schon beim „Se…“ auf den Mund geschlagen haben. Denn freilich folgte eine streng gerunzelte Stirn mit der Belehrung, man sage seinen Kunden aber eigentlich immer, man dürfe nienienieemals … Zu meinem größten Bedauern kann ich einfach nicht besonders sehr arg gut lügen. Weder zu meinem eigenen Wohl noch dem meiner Mitmenschen. Dabei würde das das Leben so oft so viel einfacher gestalten. Mit Bewunderung und stechendem Neid beobachte ich seit jeher, wie sich um mich herum mit Elegance und ungezuckter Wimper durchs Leben gelogen wird. 

Unvergessen beispielsweise, als sich zwei Mitschülerinnen für das zu ihrem un-halt-ba-ren Bedauern verpasste Mathe-Extemporal wort- und fantasiereich damit entschuldigten, eine sehr, sehr enge Verwandte sei völlig überraschend dem Fährmann überstellt worden. Der Mathe-Mensch wand sich vor Mitgefühl, ich daneben mich vor Scham. Seinen Ursprung dürfte diese Eigenschaft bei einem jungen Mann, auf den ich hier nicht mehr anspielen darf, weil er mir mit Enterbung gedroht hat, und zwar mit dem Argument, es gehe sich nicht an, dass ich Gott und die Welt andauernd in den Irrglauben versetze, ich habe unter einer schweren Kindheit unter einem schweren … äh … strengen Rabenvater gelitten, haben. Als initiales Erlebnis hat sich da eine Episode im Gartencenter eingeschnitten: Der junge Mann und mein noch sehr viel jüngereres Ich waren dort zugange, um von Humus bis Rasenmäher alles zu kaufen, was so ein Balkon eben verkraftet. 

Als Lohn für stundenlanges Ausharren, Nebenherlatschen und mit kindlichem Großmut auf den Erwerb eines Haustiers Verzichten, hatte ich mir mit großem Erfolg ein Überraschungsei erquengelt. Nach Erledigung des Aufs-Fließband-Laden-und-Bezahl-Vorgangs und mit quietschend-sperrenden Einkaufswagenreifen zum Auto Wanderns griff ich mit diebischer Freude ins Kleinkörberl am Wagen, um dort mit irrsinnigem Sparerstolz zu präsentieren, was die Kassiererin übersehen hatte: das Ei. Eine wertvolle Mark gespart, so fand ich, die man direkt in Gummibären umwandeln könnte. Doch es kam anders. „Selbstverständlich, Kind“, hob der Mann an, „gehst du jetzt sofort wieder hinein und bezahlst dieses Ei!“ Ich war entsetzt, weinte, flehte, doch es half nichts. Für den Lapsus, pontifizierte es, würde die arme Frau zur Rechenschaft gezogen und das Fabergé-gleiche Ei von ihrem mageren Lohn abgezogen werden, und das sei moralisch nicht vertretbar. Klar wie Kloßbrühe: daher hab ich den Salat. Besten Dank! 

Freitag, 21. August 2015

Geschweiß

A propos Schwitzen: Auch hier stellt sich wieder einmal heraus, dass der Mensch mitnichten diejenige Krönung weder der Schöpfung noch der Evolutionsbiologie ist, als die er sich selbst gern mit nach Gutsherrenart stolz geschwellter Hühnerbrust hinstellt. Nach Gesichtspunkten vorgenannter Naturwissenschaft freilich ist die Wasserlasserei schon sinnvoll gewesen, brachte die doch einen Pluspunkt bei der Jagd: Während Mammut und Antilope längst japsend am Boden lagen, konnte der fröhlich vor sich hinschweißelnde Homo Erectus lässig zu seiner Beute latschen und die am Hax nach Hause schleifen. Jetzt hält sich das mit der Jagd in unseren Breiten aber zugegebenermaßen in überschaubaren Grenzen, und – nein, die Jagd nach dem besten oder einzigen Platz im Biergarten güldet nicht! Jag ich also mit dem Radl da hin und dann brauch ich eine Stunde zur Akklimatisierung, derweil der Schweiß die Kniekehle hinabrinnt und so unschöne wie verräterische Streifenmale auf dem Oberhemd hinterlässt.

Gut, so ein Pferd, das schwitzt freilich auch, hat aber den unbestreitbaren Vorteil, sich hernach mit Stroh abreiben zu können. Das sieht ja nicht aus, wenn man das so als Mensch macht, im Bus, nachdem man diesem hinterher gesprintet ist. Auch nicht so aussehen tut, den ganzen Sommer über mit den Ohren zu wedeln wie ein Elefant, obgleich das ein oder andere Menschlein durchaus die dazu erforderliche Waschl-Größe sein Eigen nennt. Fürderhin nicht gesellschaftlich akzeptiert ist, sich in jeder sich in den Weg werfenden Pfütze zu wälzen wie ein Vöglein – mal ganz abgesehen davon, dass es mit den Pfützen dieser Tage nicht weit her ist und man dann direkt in die Brunnen steigen müsste, was wiederum die SÖR mutmaßlich nicht nur mit der Augenbraue zucken ließe.

Im Übermaß vorhanden wären Staubfelder. Macht ja auch der Elefant so, oder Schweine. Stellen wir uns also in so einen Staubdreck und pudern uns sorgfältig ein mit dem Nebeneffekt, uns das Geziefer vom Leib zu klopfen. Haut nur nicht hin wenn man eh schon klatschnassgeschwitzt ist, weil dann gibt’s eine Emulsion und darob Razul für alle – das ist so eine orientalische Spezialsauna, in der man sich erst von Kopf bis Fuß mit Schlämmen einreibt und dann alles abschwitzt. Eine Bevölkerung in Camouflage. Nä! Neben dem raubtierartigen Schwitzen an den Fußballen, was der Mensch eh auch vorzüglich kann, bliebe also nur, bestet zu hecheln. Das wiederum stelle ich mir nicht minder ästhetisch vor als das Ohrenwedeln, hat aber den Nachteil, dass das zu großer Mundtrockenheit und Durst führen dürfte. Wie man’s dreht und wendet: Schwitzen nervt. Zum Glück macht das grad kurz Pause, aber bald gilt wieder: drölfmal am Tag duschen und uns vorsorglich an den Winter erinnern, wo wir uns dann wünschen, doch mal wieder so richtig schwitzen zu dürfen.

Freitag, 14. August 2015

Körpermaschine

Ich sitze am Schreibtisch und versuche, diese Glosse zu schreiben. Daran ist jetzt nichts ungewöhnlich. Jedoch stellt sich als schwierig heraus, irgendwas zu Papier zu bringen, während ich alle Extremitäten weit von mir spreize und außerdem im Schwebesitz á la Raststätten-WC einen Kontakt mit dem Stuhl weitgehend zu vermeiden suche. Unter gar keinen Umständen darf irgendwas mit mir in Berührung kommen, auch nicht ich selbst. Nichtsdestotrotz bin ich schweißgebadet, was sich durch einen kurzen Blick aufs Thermometer und den darauf blinkenden 31,8 Grad leicht erklären lässt. Mitnichten käme es mir in den Sinn, mich über diese Zahl zu beschweren – find ich super, bin ja kein Bauer, und dass demnächst „Low Carb für alle“ ansteht, kann ich prinzipiell und aus rein egoistischen Gründen nur begrüßen. 

Was mich sakrisch stört, ist die Tatsache, dass ich grade eben geduscht habe und keine zwei Minuten später schon wieder klebe wie so ein Fliegenfängerdings, das man aus urigen Landgasthöfen kennt. Einzig den listig am Fenster drapierten Geziefernetzen ist es zu verdanken, dass ich nicht ebenso paniert aussehe. Ich finde Wissenschaft blöd! Man muss sich das mal vorstellen: Da fliegen sie zum Mond, transplantieren alles vom Augapfel bis zum primären Geschlechtsorgan und kennen die Tiefsee bald besser als ihre eigene Mundhöhle, aber was noch kein Mensch erfunden hat, ist eine Körperpflegemaschine. Was mir völlig schleierhaft ist. Ich meine, was da alles an Zeit draufgeht! Den ganzen Tag ist man damit beschäftigt, Körperfunktionen in Schuss und Zaum zu halten. Ein sisyphosales Unterfangen, will doch so ein Körper einfach nicht einsehen, dass er gefälligst nicht schwitzen soll, von wegen! Kaum hat man sich gereinigt, pappt schon wieder alles. Und dann der ganze Rest! 

Besonders im Sommer ist man gerne mal die eine Hälfte des Tages damit beschäftigt, Flüssigkeit in sich hineinzutun, und die andere Hälfte damit, selbige wieder aus sich heraus zu lassen. Ansonsten verbringt man übers laufende Jahr hinweg Stunden und Wochen damit, zum Frisör zu gehen, zu pedi- und zu maniküren, Make-Up, Make-Off, duschenanziehenzähneputzen, duschenausziehenzähneputzen, ein steter Reigen, den man rein aus Gesellschaftskonvention freilich tunlichst zu tanzen hat. Mein Wunsch ans Universum ist eine Maschine wie sie Wallace, der zweibeinige Freund von Gromit, längst hat: Während ich noch selig schlummere, soll die sich über mich drüber stülpen und alle sanitären Vorrichtungen erledigen. Wache ich auf, bin ich onduliert, geschminkt und epiliert. Abends geht das dann retour: hinlegen, einschlafen. Rest macht die Maschine. Dafür sollte man Fördergelder und Preise ausloben! Ich biete mich dann auch als Schirmherrin an. Und schon bleibt mehr Zeit für die wichtigen Dinge: alles, was draußen ist.

Aus Ende Äpfel. Nee: RAUS Ende Äpfel! Und Sternschnuppen gucken!! 

Freitag, 7. August 2015

Patholotät

Neulich war ich, ausnahmsweise mal auf einer Vernissage. Bumberlvoll war’s da, und alle so yeah und wow und hip und yolo und hastenochnemate und alterisdaskrassgeilerscheißhier. Inmitten dieser gesammelten Sachverständigkeit entdeckte ich ein Störelement. Nämlich eine Dame auf so einem Rindenmulchbeetbegrenzungspfostendingsi. Die war gar nicht mal so yolo, und swag auch nicht, sondern eher so doppelt so alt wie die meisten anderen Anwesenden. Das allein zog bereits mein Augenmerk auf sich. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die Pfahlsitzerin bebte, bei noch näherer, dass es sie schier schüttelte, bei allernächster, dass das nicht vor Lachen geschah. Bitterlich schluchzte die Frau inmitten all der Happihappiness, die sich nicht weiter um das Störelement scherte. Ich hab da allerdings so eine Krankheit, die macht, dass ich unter keinen Umständen an einem akuten Elend vorbeigehen kann, ohne mich irgendwie als Helfer anzubiedern, was kurz zuvor erst zu einer unfreiwilligen mehrstündigen seelsorgerischen Streetworker-Sitzung auf offener Straße mit einem mir unbekannten Alkoholikerpärchen geführt hatte. 

Höre ich mich also „Geht’s dir gut? Kann ich dir helfen?“ sagen und will mich gleichzeitig dafür ohrfeigen, weil dem rationalen Teil meines Gehirns sofort ein weiterer Abend Seelsorge statt Kultur schwante. Meinen Begleitern übrigens auch, weswegen die alsgleich augenverdrehend weitereilten. Ich derweil befürchtete schlimmstes: Vater verstorben, Hamster auch, unheilbare Krankheit, Scheidung, WLAN defekt. Solcherart gewappnet erfrug mein Helfersyndrom also gegen meinen Willen roboterartig den herzerreißenden Umstand. „Ich bin …“, schluchzte es hinter der Brille hervor, „also ich habe ... (beb) … ich meine … (schluchz) …“ Jöi, dachte ich mir, den Abend kannste knicken, und schickte mich an, es mir im Rindenmulch bequem zu machen. „Ich bin 47 Jahre alt und eine gestandene Frau, die ihr Leben im Griff hat“, schnäuzte die Dame ins dargebotene Tempo. „Und … jetzt … ist meine … Tochter … verrückt geworden!“ 

Au weh, nicht gut. Es folgte ein von Tränenschauern durchwobener Rapport, der sich sinngemäß um nächtliches Fernbleiben, Unwahrheiten, Alkohol, Nichtabmelden und ähnliches drehte, und so langsam lichtete sich ein Nebel. Während allerlei weitere Beweise für den desolaten Geisteszustand der Tochter erbracht worden, formulierte ich eine listige Frage. Nämlich: „Du, wie alt isn deine Tochter?“ – „FÜNFZEEEEEHEHEHEEEEN!“ Da hätt ich fast gelacht. Reichte der Dame die Tempopackung und einen Schulterklaps und versicherte ihr, es bestünde keinerlei Anlass zu ernsthafter Sorge, das mit der Psychose würde sich so in den kommenden zwei bis vier Jahren legen – grad dass ich ihr nicht die Nummer meiner Frau Mama gegeben hab – und entließ mich in den Abend. Mit diesem Gleichnis möchte ich allen Eigentümern Schwerpubertierender zauberhafte Sommerferien wünschen und diskret das Stichwort „Jugendfreizeit“ ins Feld führen.