Freitag, 18. November 2016

Smalltalk

Der Brudermensch war sommers einmal auf einem Geburtstag eingeladen. An sich nichts besonderes, wär’s nicht der Jubeltag des Vorgesetzten gewesen, und zwar jetzt nicht mit einem solchen, wo man dauernd sagt, eh Schorsch, servus, karteln später?, grüßt mir die Uschi, gell! Deswegen also Unsicherheit, Kollegenangst, Etikettensorge. Also beim Small Talk, hab ich ihm in den auf der schwesterlichen Schulter weinenden Schädel getröstet, ist eh am einfachsten, wenn du dich an simple Regeln hältst. Politik ist immer gut, gern auch mit ein bisschen Lokalkolorit und aktuellen Ereignissen der Szene, Hauptsache positionieren! Wosd jetzt auch kaum was falsch machen kannst, ist freilich Religion, weißt schon, Abendland versus Atheismus, Aufnahme der Apokryphen in den Kanon, fünfmal täglich beten nach Westen, da hat eh jeder eine Meinung, kriegst das Gespräch easy zum Laufen. Ansonsten halt auch Krankheiten, weil jetzt ist man eh in einem Alter, wo da auch ein jeder was beizumtragen hat, und dann ein Prost aufs baldige Ableben und dann noch ein JetztistehschonegalSchnaperl und juheissa! „Echt?“ blickten mich tränennasse Augen dankbar an. „Echt“, hab ich ihm den Rotz der Verzweiflung liebevoll aus dem Gesicht gewischt. „Alles ist erlaubt. Hauptsache, du stellst nie, also wirklich nienieniemals die eine, die schreckliche, die verbotenste Small-Talk-Frage der Welt.“ – „Und welche ist das?“ – „Wie geht’s.“ Diese Frage, hab ich dann nämlich weiters ausführen müssen, zieht Situationen von größtmöglicher Unsäglichkeit nach sich und bugsiert den solcherart Angesprochenen in einen Stress. Und in Folge dessen je nach Ausgang den Ansprecher. Weil was sollst denn antworten auf so eine Frage, die man vielleicht am besten noch von einem entfernten Bekannten auf der Ubahnrolltreppe gestellt bekommt? Man kann a) Lügen, knapp das eigene natürlich beste Wohlergehen kundtun, die Frage zurückgeben und hoffen, dass der Mensch auch lügt, um sich dann unter dem Vorwand eines im Ofen vergessenen Kuchens oder spontanen Todesfalls in der Familie aus der Misere schummeln. Wenn man Pech hat, hat der andere Mensch ein Redebedürfnis und berichtet in epischer Länge von allen Zipperlein und Wohlstandssorgen, die ihn so umtreiben. Oder man antwortet b) ehrlich, aber in dem Wissen, dass das Gegenüber es so genau eigentlich gar nicht hören wollte. Oder aber man hält’s amerikanisch und betrachtet das „Wie geht’s?“ als Synonym für „Hallo“, lächelt und geht weiter. Hat auch den Vorteil, dass wenn das Gegenüber nichts von dieser Unsitte weiß, man dessen verstörtes Gesicht nicht mehr anschauen muss. Mit einem Klaps hab ich den Brudermenschen in die große Welt entlassen, zum Erproben des Erlernten. Am Samstag eignet sich als Smalltalkthema ganz hervorragend die Impertinenz des Stillen Feiertages, eine damiteinhergehende Einschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten, und ob man im Zuge der Abschaffung derselben nicht auch eh alle Feiertage ausradieren und stattdessen sich in der Arbeit frei entfalten möchte.

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