Als wär der Alptraum letztens nicht genug gewesen für ein ganzes Leben, erwache ich seit Tagen schweißgebadet und mit Schluckauf. Noch im Halbschlaf springe ich aus dem Himmelbett, galoppiere über den Flur in den Nordflügel, wo ich mit Effet um eine Kurve schlittere, um dort punktgenau im beigen Saal Halt zu machen mein Handy gen Himmel richte. Dort, etwas über Kopfhöhe, befinden Hinweise zur Abholung des Persos, der ich angsterfüllt entgegenblicke. Denn zwar haben wir das mit dem Foto souverän gelöst, nicht jedoch das mit der Unterschrift. „Schrift“, da steckt schon der Fehler. Bei mir lautet die korrekte Bezeichnung „Unterschmier“, und das mag lustig klingen, ist jedoch problembehaftet. „Ähm Entschuldigung“, sagen manchmal pflichtbewusste Kassenmenschen, „da müsst ich jetzt vielleicht noch Ihren Perso dazu sehen, weil das ist jetzt nicht grad die selbe Unterschrift hier auf dem Zettel wie auf Ihrer Kreditkarte“, und ich seufze, denn ich weiß schon, was kommt: Statt den Beweis meiner selbst anzutreten, stifte ich noch mehr Verwirrung, indem ich eine dritte Variante spendiere und ein joviales „Suchen Sie sich die schönste aus!“ versuche. Ich sag mal so: Könnte besser klappen. Wie aber halt auch meine Unterschrift. Die es nicht gibt. Schon immer hab ich voller Sehnsucht und Bewunderung auf andere geschielt, die mit Dali’scher Eleganz oder Stoiber’scher Egaligkeit Bögen, Punkte, Schwünge auf Papier geworfen haben. Formatsprengender Größenwahn oder pedantische Klarheit beeindrucken mich ebenso wie meinethalben das Trump’sche EKG, und aus kinderkrakeligen Signaturen lese ich mit Hingabe Bildung, Alter, Status und ggfs. auch Sternzeichen heraus. Aus meiner: Unvermögen. Denn während ich bis heute elterliche Namenszüge täuschend echt imitieren kann, überrasche ich mich mit meinem eigenen jedes Mal selbst aufs neue. Was gut gelingt, ist stets der Anfang, hintnach wird’s schwammig, und zu Beginn der Karriere steht ein Führerschein, dessen Signaturzeile selbstbewusst beginnt und peinlich endet: K A T H A R I N AWasmr, was die Beamtin damals diabolisch grinsend und die ewige Schmach besiegelt hat. Seitdem Beschränkung auf den Nachnamen, und selbst das gelingt nur selten besser als Was__.__, was man an Supermarktkassen argumentieren kann, nicht aber an offiziellen Stellen. „Wie viele Versuche darf ich?“ hab ich also statt einer Begrüßung beim Antrag gefragt und direkt zu üben begonnen. Beim dritten Mal wurde mir heiß, beim zehnten schwarz vor Augen. „Jetzt zufrieden?“ wollte die Beamtin durch den Nebel freundlich wissen. Ich nickte schwach. Danach weiß ich nichts mehr. Auch nicht, wie ich jetzt eigentlich unterschrieben hab. Was___, Wsmir, W___i_r, __eier. Vielleicht auch mit „Dali“. Wär ja nicht das Schlechteste.
Freitag, 27. August 2021
Freitag, 20. August 2021
Coloraturi te salutant
Letzte Woche hatte ich einen Alptraum. Das war so: 7 Uhr: Eine Stimme schreit „Aufstehen, aufstehen, sofort aufstehen, alles was nach 11 Uhr stattfindet ist KEIN ganzer Tag im Freibad mehr!!“ Es ist meine eigene. 7.15: Eine minimalistische Tasche mit dem Nötigsten ist gepackt, ich brauche nichts außer Bikini, Handtuch, Wasser, Buch. Und was zu essen. 9.28: Käsebrot ist fertig. Drei weitere sowie Bulgursalat, aufgespelzte Paprika, Möhren und Äpfel, ein Liter Wasser mit Geschmack, drei ohne, Besteck für vier Personen (man kennt ja seine Pappenheimer), Kekse sowie eine servierfertig geschnitzte Wassermelone auch. Kann losgehen. 9.35: Wo ist die scheiß Kühltasche? 10.12: Mit leichtem Gepäck (Seesack, Wanderrucksack, Kühltasche, Necessaire) und lässig um den Hals gebundener Luftmatratze („Zum Drauflegen.“) geht es los. 10.55: Ankunft, Zeitplan eingehalten, Ticket schlau schon online gekauft, olé! 11.13: Wo ist das scheiß Ticket? 11.19: Einmarsch der Badiatoren! Salve Sole, Coloraturi te salutant! 11.20: ENDLICH Schatten! ENDLICH chillen! 11.22: Endlich Frühstück! 11.26: Mist, vergessen einzucremen! 12.17: Kann nichts mehr anfassen, erklimme schwer atmend, doch hübsch speckglänzend den Hügel hinauf zum Waschbecken; juhu, bergab kann ich auf meiner LSF-50-Spur sliden. 13.15: Nochmal zurück, vergessen aufs Klo zu gehen. 13.23: So, jetzt aber erstmal in Ruhe fr… Ins Wasser jetzt? Na gut. 13.50: Räkele mich sexy und neonweiß gleißend am Beckenrand, versuche entspannt zu lächeln und dabei nicht ins eisige Wasser zu glitschen. 13.53: Wo ich schonmal drin bin, kann ich auch gleich was für den Body tun. Zehn kraftvolle Bahnen Brust haben noch keinem geschadet, auch nicht der Frisur. 14.07: Kann nichts mehr sehen, dafür theoretisches Wissen zum Thema „die perfekte Arschbombe“ angeeignet. Bekommen. 14.09: Wenn schon nicht elegant durchs Wasser gleiten, dann eben aus diesem hinaus. 14.11: Humple mit blutigen Knien zum Platz, der Boden müsste auch mal neu gemacht werden. 15.03: Versuche gestresst, zu chillen. Treibender Beat aus kleinen Brüllwürfeln der Kids nebenan helfen. Nicht. 15.48: Habe mich auf dem Weg zum Klo in der Abzweigung vertan und jetzt eine doppelte Portion Pommes, naja. 15.55: Möchte jemand Käsebrot? 16.20: Juhu Ballspielen! Schon interessant, wie anders das Publikum ums Nichtschwimmerbecken herum ist. 16.23: Finde mich unvermittelt in süßlich duftender, grüner Wolke wieder. 16.46: Singe „Neeein sorg dich nicht um miiiich! Du weißt ich lieeeebe das Leeeeeböön!“ 16.48: Sexy Boys in blauen Shirts rütteln an meinem Hochstuhl und versuchen, mir das Megaphon zu entreißen. PAH! 17.18: Lehne vorm Eingang am Baum, von meiner Stirn tropft Bulgur … Bin aufgewacht und hab mich an meine Wärmflasche gekuschelt. Zum Glück ist endlich Herbst!
Montag, 16. August 2021
Nicenstein
Was passiert einmal jährlich zu den Hundstagen, versetzt Menschen und Medien gleichermaßen in Aufregung, sorgt für Gesprächsstoff, aber wenig Handfestes, tönt als lautes Wunschkonzert und die, um die es eigentlich geht, sind weitestgehend unbehelligt vom Bohei und machen halt einfach ihr Ding weiter? Sternschnuppenregen, richtig. Aber während zum Perseidenschauer zumindest die Romantiker („Ach Schatz, es ist so wundervoll, dass du mit mir hier raus gefahren bist, es ist so zauberhaft und kuschlig, nur wir zu zweit auf der Decke, ich liebe dich!“ – „Mir ist kalt.“), die Nüchternen („O Gott SCHAU MAL so viele Sternschnuppen hintereinander hab ich ja NOCH NIE gesehen das MUSS ein Zeichen sein!!“ – „Das heißt Starlink und sind Satelliten.“) und die Geduldigen („Papa du weißt, dass du auf dem Handy eine Astronomie-App hast?“ – „Ja, Sohn, doch glaube mir: Nichts geht über die heilige Präzision von Zirkel, Dierke Weltatlas und Lebenserfahrung.“) beschäftigt sind, ist man sich über Zielgruppe des zweiten Ereignisses eher uneinig. „Könnt ihr mir bitte diese Wörter erklären?“ hab ich vermeintliche Angehörige derselben befragt und die Antwort kam prompt, klug und erschütternd: „Äh nee?!“ Das ist schade, weil ich als Berufsjugendliche, die mit der sorgfältig in Gespräche eingestreuten Verwendung jugendlichen Idioms zu punkten, Vertrauen und Nähe herzustellen weiß („Ich hab das Schuljahr geschafft!“ – „Nicenstein!“ / „Kannst du bitte für mich anrufen und nachfragen?“ – „Kümmre dich selbst um deinen Shizzle!“), bin da auf zeitgemäße Sprache angewiesen. Weil ich denke, dass es noch vielen anderen so geht, versuche ich mich kraft meines linguistischen Genies hilfsbereit an Übersetzung zur Vereinfachung der später korrekten Verwendung. Als Jugendwort des Jahres 2021 stehen also zur Wahl: „sus“ (Abschiedsformel, vorzugsweise nach Genuss von ein, zwei Diskoschorlen), „akkurat“ (wohlmeinender Hinweis zur Schonung der Telefonbatterie, weshalb auf Groß- und Kleinschreibung verzichtet wird), „same“ (Angehöriger eines indigenen Volkes der nördlichen Hemisphäre, Ausdruck der Bewunderung für Resistenz gegen Kälte oder allgemein Anforderungen des Lebens, vgl. Müll runterbringen), „wild“ (fremd, verdächtig), „sheesh“ (erschöpfend, ermüdend, onomatopoetische Darstellung des Luftentweichens), „papatastisch“ (Ausdruck der Wertschätzung für reformatorische Bestrebungen innerhalb verkrustet-patriarchaler Strukturen, i.e. „pubertär“). „Digga“ (Ausdruck inniger Verbundenheit & Verständnis füreinander, nachdem man monatelang daheim gesessen und der Körper die Form des Kinderzimmersofas angenommen hat, vgl. „Schatz“), „Cringe“ (gefährliches Geräusch unsachgemäßen Gebrauchs von Zahnspangen & Kronkorken), „Geringverdiener“ (Angehöriger des kunstschaffenden Milieus; Sammelbegriff). Und „Mittwoch“.
Dienstag, 10. August 2021
Lehrkörper
„Wenn der Kultusspezl“, hab ich letzthin gesagt und dabei an meinen Notizen gekaut, die ich seit einigen Wochen mit mir herumtrage, um mittels grammatischer Gleichungen und komplizierter semantischer Berechnungen eine wichtige Frage zu ergründen, nämlich: DARF man „letzthin“, „neulich“ oder „kürzlich“ einfach gedankenlos verwenden, wann immer man einen vergangenen Zeitraum benennen möchte, oder gibt es hierzu Regeln, an die man sich zu halten hat und gefälligst „vorgestern“ sagt, wenn „vor gestern“ gemeint ist, kreuzdeifi? Bis das hinreichend geklärt ist, plädiere ich für die konkrete Verwendung eindeutiger Datumsangaben, um überflüssige Diskussionen zu vermeiden. Also: „Wenn der Kultusspezl“, hab ich am 3. August 2021 gegen 17.30 Uhr gesagt, „mich mal früher gefragt hätte, wie das mit dem Corona und dem Schule vielleicht geschmeidiger zu lösen sei, dann wäre das alles wesentlich geschmeidiger gelöst!“ und dann Limo und weiter kauend versucht zu erkennen, ob es sich bei dem Herrn auf dem Rennradl, der grad an mir vorbeigestelzt war, um einen sehr alten Herren in sehr spätjugendlichem Gewand (Turnschuh, Socken bis zum Knie, Fetzenjeansshorts, Sweatshirt) gehandelt haben könnte, oder ob sehr junge Herren mittlerweile sich die Schnurris weiß (!) färben, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich um einen sehr, naja, und ob es sich bei der knittrigen Netto-Plastiktüte, die leger am Lenker geschwungen ist, um ein It-Piece und neuestes Accessoire aus dem Fundus des ironischen Präprekariats (der sich neuerdings auch witziger ARGE-Schlappen befleißigt) handelt oder die alterslose Person wirklich nur die letzte Ration Schloss Edel zum Pfandautomaten bringen möchte, es ist alles wirklich sehr kompliziert. „Weil ich hatte ja nämlich“, hab ich weiter gesprochen und dabei mit der Plastikersatzmakkaroni die Limo aufgeschäumt, Bubbletea, das hat man jetzt so, „gefunden, dass ihr einfach die Schutzschilder, die der USK ja jetzt nicht mehr braucht weil keine FFF-Demos mehr, wie einen Bauchladen umhängen hättet können, dann ist vorne zu und hinten und sieht auch noch gut aus, Muttis hätten statt witziger Masken einfach die Gurte genäht und gut ist. Und dann seitlich noch so Plastikhandschuhärmel wie man’s aus dem Veterinär-TV kennt von der Rindsbesamung, da hättet ihr dann um den Schutzschild herum der Destiny den Kopf tätscheln können oder auch einmal draufklopfen, wegen Rüge. Oder halt wenn eh kein Kontakt wegen körperliche Züchtigung leider verboten, vielleicht auch nur kurze Handschuhe vom Biohazard-Labor. Da seht ihr dann zwar aus wie ein Plexiglas-T-Rex, aber ihr schreibt ja eh nicht mehr an Tafeln, sondern drückt nur noch Computerknöpfe.“ – „Ich bin so müde“, hat der Lehrkörper vor mir geseufzt. Verstehe. Ich auch.
Sonntag, 1. August 2021
Retusche
Manchmal muss man sich Sachen anhören, wo du sagst: Das glaubst du gar nicht. Zum Beispiel solche: „Dein Verhalten ist, um es mal mit den Worten des CvD zu sagen, produktionsgefährdend!“ – „Bitte was?“, hab ich ins Telefon gerufen und mich dabei sehr konzentrieren müssen, weil das Telefon ist an einer langen Schnur linksrechts, linksrechts um meinen Hals gebaumelt, der wiederum kopfüber an einer Schaukel gehangen ist, welche inmitten einer Kinderschar sich befunden hat, und wo viele Kinder sehr laut weinen, telefoniert es sich schlecht. Aber jetzt war halt ich auf der Schaukel, müssen die auch mal lernen. Und das kam so: Passfotoproblematik, wir erinnern uns. Ich also mit brennend schlechter Laune in diese Behördengasse, weder sexy noch in shape, dafür dank guter Zurede („Jetzt mach halt nicht so ein Theater!“) und früher Uhrzeit mit ordentlich Egaligkeit geschmückt, ich mein, wer macht schon gern Amtsbesuche, noch dazu in aller Herrgottsfrüh, wo beim Weckerschellen um achtuhrdreissig erst die Tränensäcke unterm Federbett hervorquellen und später dann die Beine, derweil das Hirn verweigert und an Ort und Stelle liegenbleibt. Dann wird dir der Grant auch noch vermiest, weil wegen Mundwinkel zwar ungefähr auf Schulterhöhe installiert, aber das sieht ja heutzutage keiner mehr, kreizdeifi. Auftritt Fotostudio, Passfotos, aber dalli!, blind vor Müdigkeit zum Wartstuhl tasten, einschlafen. Aufwachen. „Etz kann dann gleichamal des blonde Waggerla von vorn drankommen!“, hab ich gehört und Kompliment gewittert: Die meinen mich!, und schon war die Laune strahlend und verjüngt wie auch der Mensch auf dem Minibild, das mir wenig später ausgehändigt worden ist. Darauf: Ein mir gänzlich unbekannter, doch babyglatter Strahlemensch. Verliebt hab ich mich darin verloren, ganz offenkundig werd ich schöner anstatt älter, das Portrait umarmt, mich pirouettendrehend zum Ausgang begeben und auf dem Weg dorthin nur fastbeinahe einen Kinderwagen über den Haufen gerannt. Wo der plötzlich herkam, konnte nicht geklärt werden, wohl aber die Richtigkeit meines ersten Eindrucks: „Du siehst aus wie zwölf!“, sprach man salomonisch Urteil übers neue Foto, und ich geschmeichelt: Ja also (Blick zu Boden, bescheiden), ich mach mir ja jeden Morgen so einen probiotischen Joghurt mit Körnern, und die Sonne (niedlich lächeln) meide ich ja aus Gründen eh weitestgehend, und außerdem trink ich wirklich sehr diszipliniert (Augenaufschlag) mehrmals täglich große Gläser stilles Wass… „Warst du bei dem Fotostudio da unten?“, hat mich die Freundin da unterbrochen. „Ja.“ – „Haha ja geil, die haben mich damals auch total jung retuschiert!“ Seitdem schaukle ich. Wollen wir doch mal sehen, wer hier wie jung ist! Produktion?! Ich sag: Trotzphase!