Mama sagt, ich habe verschiedentlich überzogene Kindheitstraumata und müsse darüber endlich mal wegkommen. Ich sage: NEIN, vielmehr muss ich sie euch unter die Nase reiben bis zu dem Tag, an dem meine Kinderseele in ihrer tiefen Verletzung gesehen und in einem feierlichen Ritus mit Luftschlangen, Pumuckl-Torte und Topfschlagen geheilt wird. Zum Beispiel durfte ich nie eine Seekuh haben. Auch keinen ollen Hasen oder so. Unmöglich! Jeder, also wirklich JEDER hatte damals nebst pinkschreiender Barbie & Ken-Vollausstattung mindestens ein Haustier, mit dem er oder sie superpflichtbewusst morgens vor der Schule, mittags nach der Schule, nachmittags nach der Hausi und dann abends nach dem Sandmännchen ellenlange Runden bei Wind und Wetter an der Leine gedreht hat, ausgefeilte Röhrensysteme durchs ganze Haus konstruiert oder unter Einhaltung höchster hygienischer Vorschriften mehrfach täglich das Wasser gewechselt, ohne dass die Eltern da auch nur ein My an Arbeit gehabt hätten, ich schwör! Dieser Schwur stieß jedoch auf Ohren, die prophylaktisch mit Katzenstreu, Hirseknödeln und Leckerli verstopft und darob ausgesprochen taub waren. „Haustier“, donnerte es vom Vaterstuhl, „bedeutet Verantwortung und Unfreiheit, und damit haben wir ja mit dir bei Gott genug zu tun!“ Ich war maximal unverständig und mittelschlimm empört, spannte meinen kleinen Bruder an die Leine und führte ihn Gassi durch die Straßen des Speckgürtels, was er dankbar annahm und artig wieherte, wann immer ich ihn „Minipony“ rief. Randnotiz: Hier bislang noch keine Beschwerden über Kindheitstraumata, scheint also alles pädagogisch korrekt gewesen zu sein. Später, als ich Punker war und mir Mühe geben musste, meiner wohlgenährten Mittelschicht auch nur ansatzweise anarchistisch-benachteiligten Anschein zu verleihen, half ich nach, indem ich statt des Bruders eine gefährliche schwarze Bestie an die Leine spannte. Die Bestie hieß „Tobi“, war der Nachbarshund und süßeste Labrador der Welt, aber nachdem ich eine Lederleine samt extra-fiesem Nietenhalsband organisiert hatte und damit die superpeinliche rote Rückholleine ersetzte, wann immer wir auf Tour gingen, war meiner 14-jährigen Street Credibility beinah durch nichts mehr beizukommen, wenn man mal von der Zahnspange absah … Warum erzähl ich das gleich wieder? Ach ja richtig. Ich hab Froschlaich gefunden. In einem Rinnsal war ein Amphib dumm genug, eine Tonne Eier abzulegen, gleichwohl jeder Dussel sieht, dass das Rinnsal austrocknet, sobald es nicht mehr Sturzbäche regnet, also morgen. Das Kind in mir schreit: NIMM ES MIT! HOL ALLE GURKENGLÄSER, DIE DU HAST, UND NIMM SO VIELE EIER, WIE DU TRAGEN KANNST! UND BALD HABEN WIR DUTZENDE HAUSTIERE!! Ich finde das einen einleuchtenden und österlichen Gedanken: Kühlschrank, Regalbretter, TV-Möbel alles voller Eier. Der Mann wird sich freuen. Soll ich … ?
Freitag, 31. März 2023
Freitag, 24. März 2023
Forsüzie
Neulich musste ich rausgehen, weil es hat sich nicht vermeiden lassen, dabei hab ich’s daheim grad so schön gemütlich mit meiner Großbaustelle vor dem Fenster, und allein das Durchschreiten der Haustüre ist aufgrund auf dem darüberliegenden Sims nistender Tauben höchst gefährlich – wie soll also so ein Ausflug werden, wenn man ihn mit einem weißen Flatsch auf dem Scheitel zu beginnen droht? Aber ich hab’s geschafft, und draußen alle so „AUSZIEHEN!“ und Hormone und Knutschi und Cabrio und Übermut. Meine Güte, is‘ ja gut. Damit jedoch der ekelhaft-überbordend guten Laune Einhalt geboten wird, haben das Leben im Allgemeinen und die Natur im Speziellen gewisse Institutionen etabliert, die in dieser ganzen Frohsinnsinkontinenz launevergrätzend für Ordnung sorgen. Heuschnupfen, Reifenwechsel, Fensterputz und habt ihr schon diese Atommücken unten am See gesehen? Das kann ja heiter werden. Aber bevor ich mir eine mobile Umkleidekabine als portables Moskitonetz umbaue, muss ich dringend ein paar Wort verlieren über den mir von der Natur großzügig bereitgestellten Aggressor: die Forsythie. Es beginnt damit, dass ich den Namen nachschlagen und mir am schweren Brockhaus den Finger verstauchen muss. Ich meine, was soll denn das bitte sein? For-sü-zi-e. Das klingt schon wie Heinz-Eberhard, und genau so verhält sie sich auch, die alte Strebsau. Während die gesamte Welt so ganz langsam mit vom Winterschlaf schwerst verquollenem Gesicht in Erwägung zu ziehen beginnt, wieder aktiv am Leben teilzunehmen, hüpft ganz vorne in der ersten Reihe schon längst die Forsüzie auf einem Bein, hat die gelben Arme schnipsend nach oben gereckt und schreit „ICH! ICH! ICH!! Ich bin schon da, ich weiß es, ich hab extra Fleiß-Hausi gemacht und lass niemanden abschreiben!“ Die Forsüzie ist die Lisa Simpson der Frühblüher, eine knallgelbe Nervensäge, die einzig und allein dafür verantwortlich ist, dass jedes andere Lebewesen wie ein lahmer Faulpelz erscheint und dann vermutlich, wegen self-fulfilling prophecy, auch noch zu einem solchen wird, weil wer lässt sich schon nicht einschüchtern von diesen Überpflanzen, gegen die man eh von vornherein zu verlieren weiß? Wer will denn auch nur versuchen, Emily Dickinsons Satz „Hope is the thing with feathers“ auf Anhieb fehlerfrei auszusprechen, wenn sich vorn der Heinz-Eberhard räkelt und mit dem bereits in der Vorschule absolvierten Toefl-Test hämisch den Mittelscheitel kratzt? Genau, niemand außer den anderen Heinz-Eberharden und Lisa-Maries. Und deswegen betrachte ich jede einzelne Forsüzie als persönlichen Affront. So eine Magnolie, das hat halt Stil. Ein volles Jahr divenhaft herumkaspern, und dann macht’s BÄM und alle so „BOAHLECK!“ und nach drei Tagen sagt die Magnolie „So Leute, das war’s, ich hol mir jetzt erstmal ein Glas Schampus!“ Recht hatse! Wenn euch nachher Menschen sportiv entgegenjoggen, fragt sie, ob sie Heinz-Marie heißen und Forsüzien im Vorgarten kultivieren!
Freitag, 17. März 2023
Künstliche Unintelligenz
Ich führe mit meiner Mama ein wirklich ausgezeichnetes Mutter-Tochter-Verhältnis, das auf großem Respekt, gegenseitigem Verständnis und Interesse füreinander basiert und geprägt ist von regem Austausch und tiefen Gesprächen. Zum Beispiel so: (Mama) „Ich weiß wirklich überhaupt nicht, wie dir da jeden Freitag irgendwas einfällt, ich wüsste da ja immer nicht, was ich schreiben sollten.“ – (Ich): „Ja du, ich um ehrlich zu sein ja auch nicht.“ (Mama): „Sollen wir was kochen?“ (Ich): „Ja ok.“ Umso größer war selbstverständlich die Verlockung, diesen schlauen Textroboter auszutesten, über den sich momentan so viel gefreut, vor dem sich aber auch gefürchtet wird, weil wenn ein Roboter künftig Texte schreibt, haben Textmenschen auf lange Sicht bald außerplanmäßig viel Zeit für die schönen Dinge des Lebens. Morgens lang im Bett bleiben bis ungefähr am Nachmittag, dann ein paar Briefe von Ämtern ungeöffnet wegwerfen und Ravioli warmmachen. Auf kurze Sicht könnten sie aber auch viel Stress ersparen und wie in meinem Fall viel Geld, weil ich dann keine Praktikanten mehr dafür bezahlen müsste, sich Kolumnen aus den Fingern zu saugen, während ich lang im Bett liegen bleib und .. naja. Ich also: „Hallo lieber Chatroboter, schreibe lustige Glosse über Geburtstage im Sommer und im Winter.“ Es hat dann ein bisschen gedauert und gerattert, dann schrieb der Roboter eine dialektische Erörterung über das vorgegebene Thema von Qualität und Unterhaltungswert wie Durchschnitt 5. Klasse. Ich: „Das ist nicht lustig.“ Chat: „Tut mir furchtbar leid, ich versuch’s gleich nochmal.“ Drei Versuche später, in denen meine Anweisungen so konkret wurden, dass die Glosse eigentlich fertig war, und die exakt eine sinnvolle Roboter-Idee hervorgebracht hatte („Es gibt jedoch auch Menschen, die eine andere Lösung gefunden haben – sie feiern ihren Geburtstag einfach zweimal im Jahr! … So haben sie das Beste aus beiden Welten und auch doppelt so viele Geschenke.“) schrieb ich enttäuscht: „Du bist nicht lustig. Du kannst keine Glosse schreiben.“, was den Roboter in digitale Tränen ausbrechen und um Verzeihung betteln ließ – was ich zu gewähren gewillt gewesen wäre, hätte er mir zu Beginn unserer netten Unterhaltung nicht meine eigene Existenz verleugnet und einen Anruf bei der Chefredaktion erforderlich gemacht („Wer ist Katharina Wasmeier?“ – „Es gibt keine Katharina Wasmeier.“ – „Äh doch. Katharina Wasmeier lebt in Nürnberg, ist Journalistin und schreibt für die Nürnberger Nachrichten.“ – „Kann schon sein, dass das früher mal so war, jetzt jedenfalls nicht mehr.“). Bleibt die Frage: Wie komm ich an meine Ideen? An dieser Stelle möchte ich die sendungsbewusste Dame freundlich grüßen, die letzte Woche mit mir beim Frisör war und deren Gesichtsfarbe so nett gewechselt hat, als ich mit den Worten „Na, hast du jetzt genug gehört für deine nächste Kolumne?“ von der Chefin verabschiedet worden bin. Danke!
Freitag, 10. März 2023
Märzhasen
Ich mag so meine Fehler haben, doch eines ist mir gänzlich fremd: Neid. Ich freue mich ehrlich, wenn jemand hoch im Lotto gewinnt und weiß ja, dass mein Loskauf immerhin ein soziales Projekt unterstützt. Ich finde klasse, wenn jemand zur Einschulung ein Auto geschenkt bekommt, denn schließlich kann ich dann später vielleicht mal mitgenommen werden. Ich lächle sanft, wenn man mir den Parkplatz stiehlt und finde, ein bisschen Bewegung tut mir sicher gut. Und Menschen, die ihr mittleres Einkommen in der geerbten Villa mit Park und Pool an wohlgeformte Kinder, niedliche Hunde und beige Klamotten verschleudern, sind in Wahrheit immer einsam und supertraurig, wie ja wohl ein jeder weiß. Es gibt allerdings auf meiner weißen Tugendweste einen Fleck. Der ist gallig grün und glühend rot, der stinkt und funkt und leuchtet lodernd auf, wann immer es um ein bestimmtes Thema geht: Menschen, die im Sommer Geburtstag haben. Menschen, die im Sommer Geburtstag haben sagen „Ich hab da so ein kleines Grundstück bei Freunden mit einer offenen Scheune, da machen wir Lagerfeuer und Hannes bringt die Gitarre mit, das wird schön.“ Menschen, die im Sommer Geburtstag haben, sagen „Ich hab gedacht, wir treffen uns einfach alle oben auf der Mauer unter den Kastanien, jeder bringt bisschen Wein und Käse mit, das reicht doch?“ Sie sagen „Ich würd total gern einfach nur mit dem Rad rüber zum See fahren und dann mit euch abhängen bis es dunkel wird und vielleicht ja auch noch länger, hihi“ Sie labern von Picknick und Gärten, von Deckenlagern und Lichterketten. Menschen, die im Sommer Geburtstag haben, sagen „Ich besorg Getränke und einen Grill, ach nein zwei wegen Hannes und Jule, könnt ihr euch um Salate kümmern? Mama macht ihren Erdbeerkuchen“, „ich hab ab 16 Uhr drei Tische im Schönstenbiergartenderstadt reserviert“, „ich bin gegen 17 Uhr auf Straßenfest XY, kommt doch einfach“ und „wir fahren um 10 mit der Gräfenbergbahn nach Dings, da geht’s dann total schön durch so’nen Wald und auf der anderen Seite wartet der Kajak-Verleih, das wird witzig!“ Ich: sag das nicht. Ich sage: „Ääääh kein Plan?! Eisschnee oder Sonnenschein – alles ist möglich Anfang März, wissen tut man’s nie genau. Weil ich von diesem Umstand jedes Jahr aufs Neue überrascht werde, hab ich natürlich keine Partykneipe gemietet und auf daheim feiern hab ich keinen Bock, also machen wir’s doch wie immer: Ich kümmere mich um nichts, aber weil ihr mich so liebhabt, ist euch das genug, und deswegen stehen wir beim kleinsten Sonnenstrahl draußen im Park und feiern das Wunder meiner Geburt und der Blasenentzündung – einverstanden? Super!“ Shoutout an alle März-Geborenen: Was uns nicht umbringt, macht uns härter! Und wenn irgendeine Sommernase sagt, wie schlimm alles ist, weil immer alle im Urlaub sind oder auf so viele andere Veranstaltungen, dann nehmt sie feste in den Arm. Ganz neidlos!
Freitag, 3. März 2023
Wetterstreit
Wenn Leute nichts zu sagen haben, sprechen sie übers Wetter. Deswegen kommt dieses Hilfsmittel hier auch vergleichsweise oft zum Einsatz, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt. Ich finde aber, dass das Wetter völlig zu Unrecht verpönt ist als Einstieg in intellektuelle Abhandlungen, weil schließlich hängen am Wetter lebenswichtige Umstände und Entscheidungen ab, die mitunter uns alle betreffen: „Du, was hältst du eigentlich von der feudalgelenkten Außenpolitik der K.u.K.-Monarchie in Hinblick auf die republikanischen Bestrebungen bosnischer Ortsverbände unter Zuhilfenahme eines neuartigen Lederballs bei der paritätischen Verteilung von Kuttelsuppe in matriarchal gelenkten Familienkleinstunternehmen des späten 18. Jahrhunderts?“ – „Ähm … also, dazu müsste ich zuvorderst wissen: War’s da schon warm?“ Die soziale Spaltung beginnt beim Wetter! Enge Freunde entzweien sich, weil die einen finden, dass es selbstverständlich eine ausgezeichnete Idee ist, bei 12 Grad und Weinschorle im leichten Schurwolljäkchen die Straßencafésaison einzuweihen und die grauen Straßen mit grellem Flanking zu erhellen, während die anderen dick eingemummelt im Daunengewand drinnen mit dem Kanapee verschmelzen und am frischen Ingwerwasser nippen. Eltern überwerfen sich mit ihren Kindern, weil die einen finden, es sei nun wirklich nicht mehr die Zeit für Fleeceschals und Bommelmützen, derweil die anderen sich weigern, auch nur einen Fuß ins Freie zu setzen, so lange der nicht bis zum Knie hinauf in Lammfell fest verpackt ist („Mama, meinst du nicht, dass es besser wäre, die Jacke wenigstens zu zu machen?“ – „Ach so ein Schmarrn, ich bin doch nicht aus Zucker so wie du in deinem Polarkleid.“) Unter Geschwistern kommt es zum Handgemenge, weil die einen darauf bestehen, den Permafrostboden des gemeinsamen Schrebergartens mittels Handpflug „einmal ordentlich aufzulockern“, derweil die anderen starr vor Schreck und Eiswind stehen und bescheinen, „dass einzige, was hier locker wird, sind die Schrauben in deinem Kopf.“ Göttergatten verweigern die Gefolgschaft beim lang geplanten Ausflug, weil also ganz vielleicht war es doch keine so spezialgute Idee, zwei Stunden im horizontalen Eishagel auszuharren, um dem Ruhmreichen beim haushoch Verlieren beizustehen, und Freundinnen brechen den heiß ersehnten Ratsch nach zehn Minuten ab, weil sie feststellen müssen, dass es „von innen irgendwie draußen wärmer ausgesehen hat“ und legerer Strick und Ballerinasöckchen womöglich doch die falsche Wahl waren, und Brüder beschimpfen Schwestern als „Enttäuschung“, weil eine von zwei Teilnehmern einer spontanen Radltour beim Verlassen des Hauses spontan alle Finger und Zehen verliert und den kümmerlichen Rest an Extremitäten lieber im Wohnzimmer an den Ofen bindet, um das schöne, doch trügerische Sonnenwetter fortan lieber gemütlich von drinnen zu genießen. Also sag nochmal einer, „Wetter“ wäre kein wichtiges Thema!