Weil wir öfter schon festgestellt haben, dass sich langsam aber gewiss die sichere Bank aller Verzweifelten, Schüchternen und Uninspirierten vom Stützbalken sozialer Interaktion (vgl. Smalltalk, der) zu einem Tretminenfeld der thematischen Fettnäpfe entwickelt („Buärgs ist das heiß!“ – „Das hast du jetzt von deiner Internetbestellerei!“ / „Fuckey ich krieg echt hart Depression wegen immer Regen.“ – „Tja, Hauptsache schön Schnitzel, ne!“), möchte ich heute eine Lanze brechen für: das Wetter. Später womöglich auch noch für Funktionskleidung, Wasserhosen und die modische Ästhetik von Müllsäcken, aber, ja, also: später. Das Wetter war dem Menschen nie geheuer, weswegen er sich zeitnah einer List bedient und Götter erfunden hat. Das war praktisch, wenngleich betreuungs- und kostenintensiv, weil wie das so üblich ist bei Mächtigen: von nix kommt nix, und wo wir heute mit Boni und Aufsichtsratsposten arbeiten, gab es früher eben Lamm, gelegentlich auch einmal ein kleines Menschlein zur Bestec… Beschwichtigung. Wetter nass: Opfer. Wetter heiß: Opfer. Wetter kalt: Opfer. Wetter irgendwie normal weil gefriert halt im Winter aber passt mir persönlich grad nicht so gut in den Kram: Opfer. Wir sehen: Das wird teuer, und nachdem sich auch der Ablasshandel als von zweifelhaftem meteorologischem Wert erwiesen hat, griff der Mensch blasphemisch-klug zur Naturwissenschaft. Fortan spazierten Frösche in Gläsern an Leitern auf und ab, zeigten Egel, Spinnen, Schwalben eine Richtung an, doch sehnte sich vornehmlich erstgenanntes Amphib weniger nach göttlichem Wirken als vielmehr irdischem: Fliegen. Und spätestens, als der Galli-Mainini-Test erfunden war, der Frosch nunmehr gleichzeitig Wetter vorhersagen sollte und Schwangerschaften auch, kam es in der Folge zu unklaren Handlungen, verwirrenden Aussagen, Burn-Out und Zwangspensionierung (vgl. Kachelmann, Jörg). Während der gelehrte Mensch also seit Jahrtausenden nach Methoden zur Wetterzähmung trachtet, sind andere einfach bauernschlau und leiten fleißig Regeln ab, die nicht nur orakulös verlässlich sind, sondern auch von poetischer Schönheit. Nämlich allgemein: Wenn im September viele Spinnen kriechen, sie einen harten Winter riechen. Oder: Donnert’s im September noch, wird der Schnee um Weihnacht hoch. Sowie konkret: Ist Regine warm und sonnig, bleibt das Wetter lange wonnig. (7.9.), Regnets am Sankt Gorgons Tag, geht dir Ernt‘ verlorn bis auf den Sack. (9.9.). Weil ich nicht gelehrt bin, wohl aber schlau, habe ich im August gesammelt und beantrage hiermit um Ergänzung der offiziellen Bauernregeln um norisspezifische: Schaust du Filme ohne Dache sitzt du meistens in 'ner Lache!, Tropft dir Wasser von der Hose stell dir vor es wäre Soße! und Trinkst du Biere an 'ner Pfütze trägst du dabei besser Mütze! Damit crasht ihr jede Party! Versprochen!
Freitag, 25. August 2023
Freitag, 18. August 2023
Augusturlauber
So ein Urlaub ist schon eine sehr schöne Sache, also zumindest wenn die anderen alle nicht da sind; vgl. August, der – weil der kluge Bayer ja schließlich dann verreist wenn der Rest vom deutschen Pöbel schon wieder in der Schule weilt oder meinethalben auch im Büro, Schreibtisch jedenfalls, und da ist nämlich dann der Rest vom Deutschland erfreulich leer. Freibad – weite Wiesen ganz für sich alleine, wenig Kindergeschrei, dafür hört man den Autolärm auf der Hauptstraße auch gleich viel besser. Hauptstraße auch gleich viel ruhiger, sprich weniger Huperei und Posing mit der Endstufe, dafür so viel mehr Entfaltungsmöglichkeiten für Baustellen aller Art, das muss man schon auch einmal wertschätzen, dass die Arbeiter da viel entspannter arbeiten können, und dann kommst du heim nach deinem Urlaub und denkst dir „Mei ach schau wie schön, immer noch alles wie vorher“ und saust direkt hinein in so einen spannenden Spätsommerbaustellenstau. Innenstadt leergefegt und somit gleich viel mehr Platz für alle Touristen, eilig mit der Flußkreuzfahrt, noch eiliger mit dem Chinesenbus (auch wenn’s die ja nach wie vor eher heimattreu unterwegs sind) oder herdenweise weißbeinig, aber mit Kappi und Ohrhörern die von Walmart-Reisen oder wie das dann halt heißt im Amerika. Jedenfalls alle die sich’s halt auch einmal anschauen wollen, das schöne Nürni, von dem immer alle reden, und das hat es ja auch verdient, weil der Einheimische selbst sieht ja da jetzt nicht immer überall mehr soo genau hin, und außerdem kann es uns nur recht sein, wenn die Stadt voller vor allem Italiener ist, weil die fehlen denn im Heimatort und nehmen dort nicht den Platz weg auf der Piazza und am Lido und auf der Strada del Sole, alles richtig gemacht also. Und dann kann ich ganz gönnerhaft ergänzen dass es ihnen grad recht bekommt, also den Urlaubstouristen, die Stadt jetzt zu erleben in ihrer olfaktorischen Blüte, diesem ganz besonderen Etwas, das Nürnberg im Hochsommer einzigartig macht und in mir sogleich die dringende Sehnsucht nach einer Fernreise erweckt, nämlich entweder tiefstes Südeuropa oder in den höchsten Norden, genauer: das lappländische Napapiiri, wo seit den 1950er Jahren der Weihnachtsmann wohnt. Weil genau so riecht es hier. Einerseits Sizilien, wo der Müll auf den Straßen verbrennt und die Parks und Wege diesen einzigartigen Geruch aus zu viele Menschen bei zu wenigen Sanitäranlagen ausströmt, ganz zauberhaft. Andererseits die weihnachtliche Geruchsbedrohnung zahlreicher Spezialitätenfabriken, die finden, ihre Produktion im Nürnberger Aushängeschildsegment – und ich mein jetzt nicht die Bratwurst – ausgerechnet in der allgrößten Hundestagehitze richtig anzukurbeln sei eine saugute Idee. Und dann radelst du gemütlich, also gemütlich es halt geht, von A nach B atmest frische Verkehrsluft und vielleicht auch ein bisschen frischen Odl, je nachdem halt wo du grad radelst, und BÄM kommt eine braunsüßklebrige Gewürzwolke und verstopft dir noch die letzte Nasenpore mit Lebkuchengeruch … Ich glaub ich muss auch in den Urli. Mal gucken wo noch Platz ist.
Freitag, 11. August 2023
Wandern oder Spaziergang?
Wie immer nimmt mich die Beschäftigung mit den großen Fragen unserer Zeit sehr in Anspruch. So auch dieser Tage, in denen ich in Lammfell gehüllt auf meinem Schaukelstuhl sitze und versuche, mich in einen Kokon einzustricken, um dereinst, nämlich in einem irgendwo weit vorausliegenden Frühling, der auf einen nicht enden wollenden Winter folgt, dem ein viermonatigen Herbst vorausging, als wunderschöner Schmetterling wieder aufzutauchen und euch allen das Hirn mit Zauberhaftigkeit zu vernebeln. So wüsste ich derzeit furchtbar gern, ob sich Seniorinnen und Senioren eigentlich von der Jugend modisch bedroht fühlen, weil sie sich der Farbe Beige beraubt sehen, und ob der Trend bei den Ü70-Jährigen dann ins Leberwurstfarbene gehen wird oder aber ob künftig alle Omis und Opis als Vanilla Girls und Vanilla Boys gemeinsam mit der Enkelgeneration ticktocken. Vielleicht kann mir das mal jemand sagen? Dann hätte ich mehr Zeit, über etwas nachzudenken, das mir schon so lange den Schlaf raubt und ich einfach keine gute Antwort auf diese eine Frage finden will: Was unterscheidet eine Wanderung vom Spaziergang? „DIE EINKEHR!“ hätte ich früher sofort geschrien, aber je älter ich werde, desto mehr Fehler entdecke ich in dieser Antwort. Denn es ist zwar überaus traurig, jedoch sehr wohl möglich, wandern zu gehen ohne am Ende oder zwischendrin eine feine Einkehr zu machen. Umgekehrt ist es ein bisschen peinlich, aber auch sehr wohl möglich, gemütlich um einen winzigkleinen See herumzuspazieren und sich dafür mit einem Mordswirtshausbesuch zu belohnen. Einkehr also kein Kriterium. „Zeit!“ schlug eine Freundin vor, doch auch dagegen muss ich mich erwehren, bin ich doch selbst an guten Lagen durchaus in der Lage, eine Stunde lang einen Berg hinaufzusprinten und an schlechten, zwei Stunden lahme Kreis im Stadtpark zu ziehen. Ergo … Tempo? Nein, abgelehnt, siehe oben. Auch die Kategorie „Klamotten und Schuhwerk“ scheint mir ungeeignet, schließlich ist es durchaus nicht unüblich, beim Bergwandern Menschen zu begegnen, die ganz offensichtlich leichtes Spaziergangsgewand tragen, während andere im vollen Trekking-Ornat durch den Stadtwald heixeln und dabei immer ein bisschen so schauen, als hätten sie Sorge, aus 4km² Grün nie mehr hinauszufinden. Zudem bin ich höchstselbst schon im festen Wanderschuh durch den Park gekreuzt, kann das aber, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist, schon aus olfaktorischen Gründen nicht empfehlen. Hochgebirgsprofilsohlen vertragen sich nicht so gut mit dem Hundedings, das hier allenthalben herumliegt. Was macht also den Spaziergang zur Wanderung? „Proviant!“, sagt die Freundin, und ich hätte ihr fast recht gegeben, bis mir einfiel, wie zwei dem Mann und mir verdächtig ähnlich sehende Menschen das Haus gelegentlich zum Spaziergang verlassen, bepackt mit Wechselklamotten, Wasser, Käsebroten und Müsliriegeln weil „man weiß ja nie“ … Ich bitte um Rat!
Freitag, 4. August 2023
DINGDONG!
Vorhin hat es bei mir geklingelt. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, schließlich lebe ich in einem sehr klingelintensiven Haus, und irgendwo steht geschrieben, dass jeder, der in ein Haus etwas bringen oder darin verrichten muss, möglichst zu der Zeit kommt, in der sich möglichst wenige Menschen darin aufhalten, so dass diejenigen, die sich tagsüber relativ viel darin aufhalten (ich, arbeitend), möglichst oft aufstehen und eine Tür öffnen müssen. Das hat ja auch was Gutes für sich, sitzen ist das neue Rauchen und so komme ich zu meiner kleinen Bewegungseinheit mehrfach pro Stunde. Briefträgerin: klingelt. DHL: klingelt. DPD: klingelt. Anderer Postzustellungsdienstleister: klingelt. Hermes: klingelt, rennt dann aber schnell wieder weg. Hausmeisterdienst: klingelt. „Werbung!“: klingelt. UPS: klingelt nicht, behauptet das aber hinterher … Ihr seht schon – mir wird’s nicht fad, und weil garantiert immer irgendwer was bestellt hat und dann aber lieber nicht daheim ist, um die Ware in Empfang zu nehmen, klingelt’s bei mir, Ihrem persönlichen Päckchenannahmecenter, noch ein bisschen häufiger. In den spezialseltenen Fälle, in denen ich selbst eine Sendung erwarte, klingelt es: nicht. Man hat am Vortag bereits eine Mail erhalten vom Zustelldienst über eine erfolgreiche Verladung ins Zustellfahrzeug und ergo Lieferung „zwischen 8.15 und 10.30 Uhr“, so wie man am Vorvortag bereits über eine Ankunft der Sendung beim Zustelldienst erhalten hat sowie am Vorvortag eine erfolgte Übergabe der Ware an denselben und so weiter und so fort, man kann also nicht sagen, man wär nicht vorbereitet auf den Erhalt. Am Lieferungstag stellt man sich also den Wecker auf 7 Uhr, denn man hat gelernt, dass es sich bei den Zeitangaben nur um ungefähre handelt. Dann wartet man. Und wartet. Und wartet. Es klingelt! Post für den Nachbarn. Man wartet und wartet und war… es klingelt! „Werbung!“ Es ist mittlerweile 10.15 Uhr, man hat weder geduscht noch gegessen geschweige denn sich auf die Toilette getraut, langsam wird es unangenehm, aber „Ihr Paket befindet sich im Zustellfahrzeug und wird innerhalb der kommenden 15 Minuten bei Ihnen eintreffen. Verfolgen Sie ihre Sendung jetzt live!“ Jetzt (Lifehack für alle): F5, F5, F5 … sitz ich da mit verknoteten Beinen, Fliegenschwärme umkreisen mich, ich habe nichts gegessen, kaum getrunken, aber bitte bitte lass mich das Paket nicht versäumen, kein Mensch weiß, wohin es dann gebracht wird und wann!! … Mit letzter Kraft schleppe ich mich auf die Toilette, denn jetzt habe ich so lange gewartet, es kann gar nicht sein, dass der DHL genau in dem Mom…DINGDONG!! Verdammt! In größter Eile verrichte ich meine Notdurft und sprinte mit aus dem Hosenbund wehendem Klopapier an die Tür, reiße sie auf und PLING erhalte eine Email: „Leider konnten wir Ihr DHL Paket nicht persönlich übergeben. Es wird für Sie in eine Filiale geliefert“ und zwar in die am weitesten entfernte auf der ganzen Welt, wo es dann morgen irgendwann abholbereit ist.