Freitag, 10. November 2023

Mehr Pepp

 „Komm schon Schatz, du musst mal ein bisschen Farbe an dich bringen!“ Was für ein magischer Satz, den eine gute Freundin da unlängst lapidar in meine Richtung warf – und mich damit nachhaltig aus der Bahn. Wir hielten uns in einem Geschäft auf, das ich nie zuvor betreten hatte. Und während die Freundin mit großen Augen ein kreischbuntes Teil nach dem anderen aus den Regalen zog und sich begeistert in die absurdesten psychedelischen Muster und Pullover mit aufgestickten Teekannen und Kuchenbuffets kleidete, blätterte ich mit spitzen Fingern durch die Klamottenreihen und fragte mich, wer in Dreiteufelsnamen derart quietschendes Gewand freiwillig anziehen würde. Ich blickte an mir herunter und fühlte mich ungerecht behandelt: dunkelblauer Mantel, gedeckter Leopardenschal, schwarze Hose, schwarze Schuhe – was sollte daran plötzlich falsch sein? „Nee mal im Ernst, das braucht alles mal bisschen mehr Pepp!“, rief die Freundin und wedelte mit einer stoffgewordenen Katastrophe aus Froschgrün und Pink, um mir sodann eine knallblaue Mütze aufzusetzen, mit der ich ausgezeichnet gut einer Gruppe Erstklässler beim Überqueren einer Straße hätte assistieren können … Seitdem bin ich leicht verunsichert. Mein Kleiderschrank ist mehr als gut bestückt, in der Tat befindet sich auf den Stapeln der Klamotten, die ich wirklich trage, jedoch eine sich wiederholende Farbpalette: freches Weiß, fröhliches Schwarz und lebensbejahendes Grau. In diesem Spektrum gibt es alles vom dicken Winterstrickpullover bis zum leichten Sommerkleidchen, und ich fand bislang, mit dem farblichen Zugeständnis roter Fingernägel sei der Buntheit meiner Outfits Genüge getan. Zumal ich letztes Jahr bereits einen ausgesprochen forschen Schritt in Richtung „Farbe ins Wintergrau“ gemacht und mir eine sehr gelbe Mütze zugelegt habe, die über schwarzem Schal und grauem Mantel vergnügt vor sich hin leuchtet. Und das soll jetzt nicht mehr reichen? „Ich hab beschlossen, es braucht mehr Farbe im Leben“ hatte eine andere Freundin schon vor Wochen verkündet und sich binnen kürzester Zeit von der gedeckten Eleganz, die wir gemeinsam kultiviert haben, verabschiedet und sich in einen strahlenden Paradiesvogel verwandelt, der das Haus nicht mehr verlässt ohne roten Lippenstift. Ich hingegen bin völlig aufgeschmissen und habe Sorge, mich auf der Suche nach dem Pepp in eine stereotype Dame mittleren Alters zu verwandeln, die mit peppigen Klamotten, Frisur und Accessoires versucht, Pepp in ihr Leben zu bringen und vom mittleren Alter abzulenken. Immerhin: Gestern war ich mutig – und habe mir einen strahlblauen Pullover zugelegt, mit dem ich mich schon sehr peppig fühle. Mal sehen, wo die Reise hingeht. Grau ist es ja draußen echt genug.

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