Freitag, 27. September 2024

Inaktivurlaub

 

Hello from ze Urli! Ich sitze hier und denke angestrengt nach, der Kopf tut schon ein bisschen weh, und nein, das hat gewiss nichts mit einem Wein zu tun oder Spumante. Vermutlich auch nicht dem Aus- und Anblick, dessen ich einfach nicht überdrüssig werde, so sehr ich es auch versuche. Drohen mir die Augen zu schmerzen vom Blick auf Lago, Berge und feine Wolken, drehe ich mich geschwind herum und blicke auf eine pompöse Steilwand nebst moosbewachsenem Sträßchen durch Haine, die sich nicht entscheiden können, ob sie Olivenbäume, Weinreben oder doch nur Maronen und Pfirsiche hervorbringen sollen. Irgendwo hinter dem Massiv singt eine Kirchturmglocke ihr bezauberndes 12-Uhr-Lied, unter mir wirbeln Töpfe den betörenden Duft von Mittagsknoblauch herauf, unddddd ctu93ß4#1qld HUCH! Diese Babykatze, der kleine Tollpatsch … Pardon. So sinne ich also einem Wort hinterher, nämlich ob eigentlich das Gegenteil von Aktivurlaub der Inaktivurlaub ist oder wie man das sonst nennt, und wie mit der Suche nach dem Wort bin ich auch mit der Un- bzw. Tätigkeit an sich überfordert. Aktivurlaub easy: Im Morgengrauen aufstehen, in Wanderhose und Funktionsshirt gehaltvolles Frühstück reinwerken, um spätestens 10 Uhr am Berg aufschlagen, weil Strecke sowohl unwegsam als auch unbekannt, 9km bis zur ersten Einkehr, 17km zurück und zwar zackig, weil das Wetter am Berg und so, man kennt das. Schlammverschmiert irgendwo einkehren, schnelle Speisung unter Gleichgesinnten. Um 21 Uhr im Bett liegen und das spät nach Haus kommende Partyvolk verachten, diese faulen Lumpen. Koma, aufwachen same procedure. Das kann ich. Jetzt also Inaktivurlaub, zu dem ich mich selbst verdonnert habe – und große Ratlosigkeit seit einer Woche, beginnend mit der morgendlichen Klamottenwahl. Wenn ich nachher vielleicht mit einem Gondelchen vielleicht einen Berg hinauffahre, um dort vielleicht ein bisschen zu spazieren und zu laufen, im Anschluss vielleicht noch durch ein Städtchen schlendere und irgendwo ein Abendessen einzunehmen in Erwägung zöge, dann kann ich doch nur drei Wechseloutfits mit mir herumschleppen oder den ganzen Tag falsch gekleidet sein?! Und entweder im wehenden Boho-Chique oben auf dem Berg als übler Dilettant auftreten, der nur des Fotos und Crémants wegen mit der Seilbahn raufgefahren ist statt aus eigener Kraft sich fluchend hochzuschleppen, dafür später passend für Lido und Piazza. Oder oben verschwörerisch zwinkernd in Steigeisen, Kletterhelm und Seilschaft den anderen Aktivlingen Fitness, Aktion, Schweiß und Blut vorzugaukeln (hoffentlich sieht mich keiner beim Verlassen der Gondel!), dafür später am Lido riskieren, dass sich der Boho-Chique beim Aperitivo naserümpfend von mir wegdreht und das Spumanteglas zuhält aus Sorge, ich könnt versehentlich hineinschweißeln … Nein, man hat’s nicht leicht. Hoffentlich kann ich bald wieder nach Hause.

Freitag, 20. September 2024

Urlaubsvorbereitungen

 

Liebe Freundinnen und Freunde, wenn ihr das hier lest, bin ich nicht mehr da. Weil nämlich auf der Strada de Sol (vulgo: A9): pfeilgrad südwärts, Brennero, Pasta, Dolci! Weil wir haben uns gedacht: Hey, jetzt wo bei uns der Spät- und Altweibersommer mit Primatemperaturen und Sepialicht am Start ist, könnten wir doch auch einmal noch einen Urli machen und deswegen haben wir auch extralange gewartet mit der Planung, um sichergehen zu können, dass wir dann auch einen Teil der Welt erwischen, wo gefälligst anständiges Herbstwetter herrscht. Gestern Bestätigungstelefonat mit der sich in der Toskana befindlichen Vorhut: „Und, wie isses?“ – „Super. Seitdem wir in die FeWo umgezogen sind frieren wir nur noch wenig und die ganzen Campingsachen sind fast trocken.“ Frau von Welt (ich) geht natürlich nicht campen, sondern macht sich den Rücken lieber in einem schön weichen Hotelbett kaputt und freut sich auf den allmorgendlichen Thrill, das immer zu knapp bemessene Zeitfenster zum Frühstücksbuffet zu verpassen: täglich ab 6 Uhr hochschrecken, dann irgendwann in tiefen Schlaf verfallen, um 9.55 Uhr im Schlafanzug mit wilder Frisur die letzten Krümel und ein kaltes Ei von der Tafel wehen und mit verquollenem Augenaufschlag um einen Cappuccino betteln. Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt gilt es erst, die Devise „so wenig Gepäck wie möglich“ mit der Durchquerung dreier Klimazonen und der absoluten Unplanbarkeit des Zielortes zu vereinbaren sowie das Wichtigste einer jeden Reise akribisch vorzubereiten: den Reiseproviant. Weil ich als Kind gelernt habe, dass man auf einer Urlaubsautobahn ab 250 km Strecke nur im absoluten sanitären Notfall anhalten darf und es weit und breit nichts zu essen gibt und man nie weiß, in welchen Staus, Wintereinbrüchen oder sonstigen Unwägbarkeiten man über Stunden hilflos gefangen sein wird, dreht sich ein Großteil meiner Vorbereitungen um das Thema „Proviant“. Schinkensemmeln und solche mit Käse, trockene Teilchen als Backup, dazu was Frisches (Apfel-, Karotten- oder Gurkenschnitz), Getränke mit und ohne Geschmack, ausreichende Mengen Trinkwasser, eine feine Auswahl Süßkram aus der Kategorie „nicht schmelzend, nicht bröselnd“, bis man das Gefühl hat: Damit kommst du die nächsten 48 Stunden auf alle Fälle durch. Beruhigt und auch stolz (Herde gerettet!) schlichtet man dann Kühltaschen, Jutebeutel und Tupperware fein uns Auto. Um kurz hinter Hilpoltstein alles wieder hervorzuzerren, die Hälfte des Proviants auf einen Schlag aufzufressen, bis zum Übertreten aller Landesgrenzen pappsatt zu sein, sich am ersten Autogrill sogleich einen schönen landestypischen Urlaubssnack zu gönnen (Die Aussicht! Die gute Autobahnluft!) und die nächsten Tage latschige Semmeln und schrumpelnde Gemüseschnitze überall mit hin zu schleppen. So wird das sein. Ich freu mich sehr!

Freitag, 13. September 2024

Hühnersuppe und Föhn

 

„So hatte ich das mit dem ‚frei atmen können‘ eigentlich gar nicht gemeint“, hab ich gestern Abend geschimpft, und ich fürchte, es hat eher geklungen, als würde ich aus einer Gießkanne sprechen, nämlich so: „HUM PFOH BUI HUGHOH BFAMM I PMOOB“. „Frei atmen zu können“ war mein sehnlichster Wunsch gewesen in den ganzen vergangenen Wochen, in denen wann immer ich das Gesicht zu Tür oder Fenster hinaussteckte mich der dringende Eindruck befiel, es hielte mir jemand einen heißen Föhn direkt ins Gesicht. Das mag ein nettes Gefühl sein im sagen wir mal Januar, wenn es klirrt und kaltet und Menschen nach Ägypten fahren und nach Thailand und halt überall dorthin, wo eine Wärme herrscht, nur man selbst sitzt als einziger armer Wicht daheim und friert weil keine Gelder mehr übrig sind oder keine Urlaubstage. Dann kann man den Föhn holen und sich ins Gesicht föhnen, die Augen schließen und an Ägypten denken oder an Thailand oder halt an da, wo Wärme herrscht. Urlaub des kleinen Mannes, quasi. Es war eigentlich aber sogar eher so wie bei Kaufhof oder Karstadt, vielleicht auch Hertie, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls da, wo du eine Ladentür aufmachst und in dem Moment wirst du von einer heißen Luftfontäne gleichzeitig zu Boden und rückwärts aus dem Ladengeschäft wieder hinausgedrängt und es gelingt dir nur mit großer Kraft und sehr angehaltenem Atem, diese Wand der Willensprüfung zu durchbrechen, anstatt dass du einfach aufgibst und dich auf die Luftwelle legst und von ihr wieder dorthin tragen lässt, woher du mal gekommen bist, und dann liegst du da und denkst dir „war gar nicht so wichtig“ und transust wieder heim. Auf diese Weise habe ich den August und ein bisschen vom September verbracht: Große Pläne, ab zur Haustür, angeföhnt, kurz erstickt, schnell wieder in die Wohnung, erschöpft hinlegen. Nein richtig, ich hab in der Zeit nicht wirklich viel geschafft, eigentlich nichts außer bei jeder Gelegenheit um Atemluft zu bitten. Die hab ich jetzt. „HUM PFOH BUI HUGHOH BFAMM I PMOOB“ tönte also mein Klagen aus der Gießkanne, die in Wahrheit ein riesiges Inhalationsgerät war, in die ich meine Lungen steckte, um den bösen Geist zu vertreiben. Denn wie es sich gehört, bin ich in der Sekunde des Wetterumschwungs einer stattlichen Erkältung anheimgefallen – komisch, hat sich die Temperatur einfach halbiert. „DAS HAST DU JETZT VON DEINEM SCHEIßWUNSCH NACH SCHEIßWETTER!“ tröstet mich ein Freund, und ich kann nichts außer reuig dreinblicken mit blutunterlaufenen Basset-Augen und schuldig nicken. … HAAAAAAAAATSCHI! Oh pardon, jetzt hab ich euch auf die Zeitung genießt, das wollte ich nicht. Am besten ich geh gleich ins Bett. Einmal Hühnersuppe bitte! Und einen Föhn!

Donnerstag, 5. September 2024

Ewiger Sommer

Taufeuchte Schritte, das Gesicht glücksverschmiert. Endlose Flächen der Möglichkeiten. Tausend bunte Abenteuerstifte malen Erinnerungen aus emsigen Morgen und bräsigen Tagen, aus glitzerndem Staunen und kichernden Nächten. Wenn die Luft nach Freiheit riecht und nach Moorseen, nach Unendlichkeit und Schmierdichbitteein, nach Pommesfingern und Waldhöhlen, dann ist wahrscheinlich Sommer. Dann bist du Kind und in den längsten Ferien, die du jemals haben wirst, sechs Wochen Ewigkeit der größte denkbare Zeitraum, nach dem du im besten Fall auf Ameisenstraßen gesurft bist und Hitzewellen geritten hast. Und Erinnerungen gestrickt, die dich begleiten durch die Tage, in denen Sommer nur mehr heißer Asphalt sind und Überstunden, die Kita geschlossen und der Kopf vielleicht auch. Mein Sommer lebt für immer in einem parkgroßen Garten in Niederbayern, umgeben von Kornblumenfeldern ein klarer Blick auf die Berge. Eine Grenze, die zu passieren es ominöse, aber wichtige kleine Heftchen brauchte, nicht weit. Dahinter seepralle Tage mit einer lautbunten Großfamilie, die für immer meine Vorstellung perfekter Badeausflüge in Form gelacht und ohne Lichtschutzfaktor in mein Herz gebrannt haben (Ausführung folgt). Davor das Paradies. Mit einem Birkenwald, zwischen dessen drei Bäumen eine zeltgroße Hängematte zum ewigen Baumeln einlud. Mit Streifzügen durchs Schlaraffenland, das an jedem Zaun und jeder Häuserwand, hinter den Hecken und unter den Bänken dicke Brombeeren bereithielt und pausbäckige Johannisbeeren, die ich vor Omas Marmeladentopf direkt in den Mund hineinrettete. Mit der schönsten Pergolaschaukel, die mich hineinhob ins dichte Grün des Weines, unter dessen Laubdach die Erwachsenen saßen und Erwachsenendinge taten. Mit flackerndem Kaminfeuer und einem riesigen Kochtisch, um den man sitzen und unerhörte Mengen Spaghetti zubereiten konnte. Mit einem farbtriefenden Meer aus Blüten und Blumen, die der Großvater mit der gleichen Sorgfalt pflegte wie meinen blondgewaschenen Kinderkopf, den er mitnahm in die erstaunliche Welt der Salatfelder und Urwälder, zu denen sich Gurken und Bohnen, Tomaten und Zucchini rankend verdichteten. Mit Karl-Valentin-Gedichten zu jedem Anlass und ganz persönlichen nur für mich, die mir das Schlafengehen im geheimnisverstaubten Dachbodenzimmer versüßten, während unten die Erwachsenen die Nacht erhellten und melonengroßgrüne Weinflaschen leerten. Mit winzigen streichelweichen Hasenkindern und einem Stall voll Cousins und Cousinen und einer Luft, die morgens taufeuchte Füße bringt und abends staubige Sohlen, die vor dem Haus sitzend die letzte Wärme aus dem Asphalt saugen und die Sonne über aufgeschlagene Knie hineinschickt in die Seele, die in Erinnerung lächelt und sich feste in die Umarmung des Glücks schmiegt. So lebt mein Sommer. Für immer.