Freitag, 31. Januar 2025

Winterinspiration

 Eine treue Leserin rief mich kürzlich zur Räson. Ich war grad in einem schönen Schwung angekommen, in dem ich über das Weh und Ach des Winters im Allgemeinen so wie im Speziellen vor mich hin lamentierte, da unterbrach sie mich. „Ach komm schon!“, rief sie aus. „Du brauchst doch den Winter!“ Ich hielt verdutzt inne und blickte sie fragend an: „Böh?“ Was das bedeuten solle, wollte ich gerne wissen, denn ich fühlte rein gar keinen Funken Wahrheit in dieser ehrenlosen Anschuldigung. „Du brauchst den Winter für deine Kolumne!“ – „Äh wieso jetzt das?“ – „Weil du sonst keine braunen Batzen auf der Straße finden würdest, nicht frieren würdest, keinen Zwiebellook bräuchtest und quasi keinen Stoff hättest!“, sprach sie und schenkte mir ein triumphierendes Augenblitzen. Ich schwieg. Angemessen beleidigt, wie ich fand, doch nach und nach schlich sich ein anderes kleines grünes Gefühl in die Empörung: ertappt. Ich war ertappt. „Du hast mich ertappt“, gestand ich, und schon gesellte sich eine ganz neue Empfindung zu den beiden anderen hinzu: Der blanke Stolz des Märtyrers. Ich, Katharina Wasmeier, stelle mich Tag für Tag heroisch den Herausforderungen der schrecklichsten aller Saisonse, um euch, liebe Leserinnen und Leser, zu unterhalten. Ich sehne mich nach Leid und Qual, die mich befällt, nach dem so grausigen Zustand vollständiger Lähmung des kompletten Körpers, sobald ich mit einem Hauch eisiger Luft konfrontiert werde. Ich suhle mich im Elend der schwärzesten aller Depressionen, die einen mangels Licht und Wärme befallen kann. Ich verehre den Verdruss, der die Menschheit zumal im Januar und Februar befällt, wenn sie erkennen, dass mit Silvester zwar das schöne Lichterglitzerfeierzeug vorbei ist, der Winter jedoch in Wahrheit noch nicht einmal richtig angefangen hat. Ich opfere dem Gott der Häme und Schadenfreude, der die Menschheit mit kurzen Sonnenblitzen beschießt um sie in den Glauben eines nahenden Frühlings zu versetzen, nur um kurz darauf mit vernehmlichem Schnalzen die sibirische Eispeitsche in die gerade noch lächelnden Gesichter zucken zu lassen. Ich empfinde nichts als reine Poesie und Lyrik, die wunderbarsten Farben und Kompositionen durchströmen mein Innerstes. Ganz in der Tradition eines van Gogh, eines Beethoven stehe ich und ziehe mein Glück aus der Seelenpein des Wintervolkes, vor allem aber aus meiner eigenen. Morgen für Morgen erwache ich voller Sorge, der Winter könnte vorbei und an seiner Stelle der Frühling getreten sein mit seinem ekelhaften Frohsinn, den Farben und wohlfeilen Blütendüften. Zeigt das Fenster mir dann nichts als tristes Grau, einen schönen Sprühregen und dick eingefrorene Autos, so werfe ich mich zurück aufs Bett, jaule einmal kurz auf und rufe „JUHU!“, ruf ich, „wieder eine Kolumne sicher! Bitte lieber Gott, lass den Winter noch ewig dauern!“ Ach, wie herrlich! 

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