Freitag, 28. März 2025

Gamechanger

 

Seit einiger Zeit hat sich in meinem Umfeld ein Wort etabliert, das mein Herz erwärmt: Gamechanger. Natürlich haben sich noch weitere Wörter und Ausdrücke etabliert, die mich weit weniger froh machen. Beispielsweise die grauenhafte Unsitte, Sätze mit „tatsächlich“ zu beginnen, so als lebten die Sprecher in der steten Sorge, ihre Meinung, Erfahrung etc. pp. würde sowieso angezweifelt und es sei es deswegen vonnöten, direkt von vornherein in Verteidigungsstellung zu gehen. „Und was hast du gestern Abend gegessen?“ – „Tatsächlich nur ein Schokomüsli.“ Oder „Was hast du am Wochenende so vor?“ – „Tatsächlich noch nichts weiter.“ Oder „Wie fandest du den letzten Franken-Tatort?“ – „Tatsächlich ganz gut.“ Das arme kleine Adverb weiß gar nicht, wie ihm geschieht und ist so überfordert von der inflationären Falschnutzung, dass es sich hilfesuchend an seinen Schicksalsgenossen „ehrlicherweise“ wendet und um Hilfe bittet, denn diesem widerfährt ebenfalls schon seit langem eine traurige Falschnutzung. „Ehrlicherweise finde ich dich saudoof.“ ist einfach nicht das gleiche wie „Um ehrlich zu sein, finde ich dich saudoof.“ Ganz anders und absolut korrekt angewendet findet sich also besagter „Gamechanger“ in der Alltagssprache wieder, und ich begrüße ihn herzlich und mit offenen Armen, besagt das Wort doch „eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das eine grundlegende Veränderung bewirkt“, und genau so wird es auch benutzt. Nun lang ich dieser Tage abends im Bett und war selig über meinen neuen Gamechanger: ein dickes, herzförmiges Kissen, das man sich mit einer Art gepolstertem Strumpfband um den Oberschenkel legen kann, um dann, wann immer im Schlaf die Position von Rücken auf Seite gewechselt wird, ein prächtiges Kissen zwischen den Knien klemmen zu haben anstatt die Decke dorthin zu stopfen (dann Rücken frei, dann Rücken bedeckt, aber Füße frei … - man kennt das). Dann habe ich überlegt, was eigentlich sonst so die Gamechanger der jüngeren Vergangenheit waren, und nach einigem Sammeln traf mich eine Erkenntnis, die mich seitdem vergnügt lächeln lässt: Bei allem, was mein Umfeld als „Gamechanger“ bezeichnet, handelt es sich um eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das schnurstracks den Alterungsprozess, körperlichen Verfall und die schrittweise Akzeptanz derselben zum Thema haben. Kniekissen beispielsweise. Aber auch die berühmten Gamechanger „Brille“ („Geil, ich brauch doch keinen neuen Fernseher, plötzlich ist alles wieder scharf!“), „Einkaufslieferservice“ („Ich schaff das einfach nicht mehr mit der Schlepperei in den vierten Stock Altbau.“), „bügelloser BH“ („Kein Plan wie ihr das aushaltet mit den unbequemen Dingern!“), „elektrische Fußwärmer“ („Keine Ahnung wie ich das früher ohne überlebt hab.“) oder, einer meine absoluten Favoriten „Bodenkissen mit Rückenlehne“ („Jetzt kann ich endlich wieder jugendlich am Boden sitzen, mein Rücken macht das sonst einfach nicht mehr mit.“).

 

Freitag, 21. März 2025

Sonnencreme

 

Alles klar, das ging dieses Jahr unverhofft schnell: Just am ersten Tag, der das Attribut „frühlingshaft“ mal wirklich verdient und der Stadt zumal an windstillen Orten ordentlich Sonnenbumms beschert hat, war ich natürlich auch am Start. Ich hielt mein süßes kleines Stupsnäschen beherzt in die Wärme und schwitzte in dünnem Pulli und T-Shirt, während die noch im Schatten stehenden Füße jämmerlich froren, und ignorierte fröhlich das leise Zupfen an meinem Hosenbein. Dieses rührte, wie mir ein kurzer Blick bei der ersten Störung verraten hatte, von einer kleinen gelben Tube, die aus meiner Tasche lugte und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „HEY DU PSCHT!“, wisperte es unter meinem Stuhl hervor, „du musst dich einschmieren! Schmier dich ein, du kommst in Teufels Küche! Wenigstens das Gesicht, bitte!!“ flehte die kleine Tube und zupfte weiter. Ich knurrte zwischen zu einem angestrengten Lächeln gepressten Zähnen zurück. „Auf gar keinen Fall fangen wir jetzt schon an mit dem Gebatzel, vergiss es!“ und schloss die Bedenken hinterm Reißverschluss ein. Zu spät. „Bist du nicht eingecremt?“ erkundigten sich Freundinnen verdutzt und ich schrie. „NEIN!“ schrie ich. „Geht weg, lasst mich in Ruhe, ich hasse das, ich will nicht, ich KANN nicht!“ und ehe ich’s mich versah, kullerte eine kleine Träne großen Zorns mein errötendes Bäckchen hinab. Schon immer eher der nordische Typ, verfüge ich mittlerweile über eine alabasterweiße Haut, nach der sich der gesamte sonnenkönigliche Hofstaat einst die Finger geleckt hätte. Um genau zu sein dürfte ich wahrscheinlich keine drei Minuten ungeschützt in die Sonne. Aber es will mir einfach nicht in den Kopf: Wir fliegen auf den Mars, klonen Schafe und bauen Städte ins Wasser, sind aber nicht in der Lage, einen Sonnenschutz zu erfinden, der nicht nur haut-, sondern auch sozial- und alltagsverträglich ist? Nix! Alles klebt und pappt, verfärbt Möbel und Utensil und verurteilt weiße Kleidung zu einem Leben mit Speckrand und Gilb. Die letzte (hochwertige!) Sonnencreme, die ich fürs Gesicht erworben habe, hat statt sich gleichmäßig zu verteilen derart ausgefusselt, dass ich aussah, als hätte ich mein Gesicht in Kokosraspeln getunkt. Kannst du freilich sagen „So lang’s hilft?!“ aber: nein. Es ist ja auch gesellschaftlich nicht anerkannt, sich im Sommer zwischendurch einmal in eine Staubfläche oder Schlammpfütze zu werfen wie ein Elefant, um die zarte Haut zu schützen. Wobei, wenn’s nach mir ginge: auch nicht schlimmer als Sonnencreme, dafür praktisch immer verfügbar und wenigstens kein Gepappe. Wenn wir uns hierauf einigen könnten – ich wär dabei. So aber trag ich meine gerötete Stirn stolz durch den Frühling. Na gut, und zugegebenermaßen eventuell auch einmal kurz in eine Drogerie.

Freitag, 14. März 2025

Frühjahrsputz

 

Kaum spähen die ersten schüchternen Knösplein aus der Erde, flattert ein früherwachter Schmetterling durch die Prärie und traut sich eine Kneipe, einen Stuhl vor die Tür zu stellen, schon schreit’s landauf, landab „FRÜHJAHRSPUTZ!!!“ und emsige Diener und Dienerinnen der Reinlichkeit schwärmen aus. Niedliche Schwämme, glitzernde Lappen und Hochglanzsprays finden jetzt reißenden Absatz, und das Internet quillt schier über vor kluger Tipps und Ratschläge: „Frühjahrsputz: 5 einfache Tipps, die das Putzen erleichtern“ heißt es da, „Frühjahrsputz: So gehen Sie ihn richtig an!“ oder, was mir auf eine Art besonders gut gefällt, „Frühjahrsputz: Checkliste mit allen Tipps und Aufgaben“. Ich nehm das mal so an: „Wir empfehlen ein Wochenende mit typisch grauem Schmuddelwetter“, so heißt es bei „Glamour“, und schon stellt sich eine Erleichterung ein, schließlich war ich bereits im Begriff, sämtliche Verabredungen fürs erste schöne Frühjahrsglück zu verweigern und mich stattdessen über den Putz herzumachen. „Viele erledigen den Frühjahrsputz rund um den kalendarischen Frühlingsanfang. Das heißt aber natürlich nicht, dass du den großen Frühjahrsputz nicht auch noch im April erledigen kannst.“ Die Erleichterung wird größer, denn schon bin ich geneigt, alle Pläne fürs Großreinemachen zu canceln und gemütlich auf sagen wir Ende April zu verschieben. „[…] leitest du den Frühjahrsputz am besten mit einem ausgiebigen Frühstück ein“ stand als nächstes zu lesen, und so sitz ich hier an einer opulenten Morgentafel und beschäftige mich mit dem Frühjahrsputz vorerst nur rein theoretisch. „Plane genug Zeit ein und lass dich nicht stressen.“ Nein danke, mach ich nicht, ganz lieb. Was hat es wohl auf sich mit dem Frühjahrsputz? Die Herkunft leuchtet mir durchaus ein: Habe ich die Wintermonate tagein, tagaus mit meiner 13-köpfigen Familie nebst Vieh und Knecht im Duster meiner Ein-Raum-Stallung verbracht, ist es vielleicht am Ende der Saison durchaus sinnvoll, ein bisschen Ordnung in die vier Wände zu bringen. Jetzt wohn ich zwar nicht grade herrschaftlich, aber auch nicht direkt in einer finsteren Höhle, so dass ich durchaus in der Lage war, meine Quadratmeter einigermaßen rein zu halten. Wie mag es da wohl den anderen gehen, die jetzt zum großen Kehraus rufen? Immerhin einer lässt sich von meinen Zweifeln nicht beirren: „Schatz, dein Traum vom Haustier wird endlich wahr!“ kündete der Mann, und seitdem zieht Tag für Tag ein kleiner Roboter ächzend seine Runden und saugt und wischt, was das Zeug hält. Frühjahrsputz? Die Dame LÄSST putzen. Dabei beherzigt sie allerdings einen weiteren Tipp sehr gerne: „Lege deine Lieblingsmusik auf. Wenn du beim Putzen lauthals mitsingst, ist das Ganze nur halb so schlimm.“ Ich wähle Mary Poppins: „In jeder Arbeit, merkt euch das, steckt auch ein kleines bisschen Spaß. Versteh den Spaß und schnapp, die Arbeit klappt.“

 

Freitag, 7. März 2025

Sockenprepping

Der Mann hat sich empört. Das tut er gern und lautstark, primär dann, wenn die Empörung sich auf ein bewährtes Ziel richtet: mich und mein angeblich in manchen Teilen des Lebens diskutables Konsumverhalten. Dem beispielsweise der Umstand geschuldet ist, dass wir grad überlegen, ob mir 50x100 Zentimeter als Arbeitsbereich nicht eigentlich völlig ausreichen und ich deswegen künftig in der Vorratskammer tippen könnte, derweil die Bevorratung ein Ausmaß angenommen habe, um aus dem Arbeitszimmer einen hübschen Tante-Emma-Laden zu machen. Ich mache dann ein Geräusch so ähnlich wie „Bhapfff!“, was so viel bedeutet wie „Ich sehe kein Problem darin, drei Kilo Haferflocken oder zehn Packungen aus Italien importierte Pasta in der Wohnung zu lagern anstatt im Keller.“ oder auch „Lass mich doch in Ruhe.“ Bhapff hab ich deswegen auch jetzt gemacht, als eine andere des guten Dutzends Empörungsplatten aufgelegt wurde: „Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viele Socken wie du!“ Ich blicke in den Kleiderschrank und kann nichts Anrüchiges entdecken. Nur gleißende Vielfalt und eine, zugegebenermaßen für Außenstehende komplexe, feine Ordnung mit einem ausgeklügelten System, das schlichteren Gemütern scheint’s verborgen bleibt. Als da wären: dünne Socken und dicke. So weit, so einfach. Dann aber gibt es noch Sportsocken (kurz und lang), die zum Sport da sind, nebst spezieller Wandersocken, sowie Sportsocken (lang), die ausschließlich modische Zwecke erfüllen. Es gibt Socken, die kurz sind und solche, die so kurz sind, dass man sie mit Müh und Not an Zeh und Ferse einhaken muss und dann hoffen, dass sie auch dort verbleiben. Es gibt Kuschelsocken (Wolle und Fleece) und seit Weihnachten etwas namens „Bettsocken“, deren Zweck sich mir selbst noch nicht ganz erschlossen hat. Es gibt Socken, die man auf keinen Fall sehen soll und solche, die es nur gibt, damit man sie möglichst großflächig herzeigen kann. Diese wiederum gibt es in modern und klassisch, kurz und lang und selbstverständlich von uni bis floral in allen denkbaren Farben. Es gibt Anti-Rutsch-Socken für die Wohnung und spezielle solche nur für auf der Yogamatte, solche, die so dick sind, dass man damit noch nicht mal mehr in den ausgelatschtesten Hausschlappen hineinpasst und die, die so dünn sind, dass sie nur vom Anschauen beinahe zerreißen. Außerdem Produkte, die mich selbst verwundern, wie beispielsweise einen wenige Zentimeter breiten Socken-Streifen, den man sich für ein einziges spezielles Paar Schuhe um den Ballen streift – Fußschweißband, quasi, und ich bin mir ganz sicher, dass es irgendwas gibt, was lediglich die Zehen bedeckt. Alles höchst nützlich und sinnvoll. Und das Beste daran ist: Bald braucht man nichts mehr davon, weil bald ist wieder barfuß-in-Schlappen-Zeit! Juhu!