Letzte Woche war ich in der Stadt. Ich finde es
bemerkenswert, dass ich immer noch „in die Stadt fahren“ sage. In der ersten
Hälfte meines Lebens war das durchaus zutreffend: Im östlichen Speckgürtel
wohnhaft waren Ausflüge in die City etwas Besonderes, das zwar auch nur eine
zehnminütige S-Bahnfahrt nötig gemacht hatte, wofür man sich aber brav
herausgeputzt und für die große Reise fein gemacht hat. Heute lebe ich innen
mitten drinnen im zentralsten Zentrum, habe lange mit mir gerungen, bis ich
soweit war, mich für einen schnöden Besuch beim Discounter um die Ecke nicht
extra in den edlen Ausgangszwirn zu kleiden, sondern mit großer zur Schau
getragener Egaligkeit zum Einkauf auch mit Jogginghose und Unfrisur zu begeben,
und trage diesen Gammellook seit langem stolz als Zeichen echten Urbanismus vor
mir her, derweil ich herausgeputzte Menschen in der Innenstadt verächtlich als
offensichtlich Auswärtige identifiziere. Deren viele schlenderten an besagtem
Tag durch die Gassen und Winkel und störten mein Auge durch blanke Anwesenheit.
Nicht so sehr wegen des Herausputzes, sondern weil sie mein Vorhaben
zerstörten, als wahre Bohemienne mitten am schönsten Werktag durch
bedauernswerte Arbeitstierchen zu flanieren und nach links und rechts großzügig
mitleidige Blicke zu verschenken an all diejenigen, die das Flair nur kurz in
einer Mittagspause genießen durften, derweil ich frei von Zeit und Raum einfach
tun und lassen konnte, was ich wollte. Doch weit gefehlt: In der ganzen
Innenstadt wimmelte es nur so vor Müßiggängern, denen man den Stadttouristiker
schon von weitem ansah – die protestantische Feiertagsextraregelung macht’s
möglich. Meiner Exklusivität beraubt befiel mich ein Verdruss, und ich wandte
mich ab von all der obszön zur Schau gestellten Freizeit, um heimwärts zu
kehren und im stillen Kämmerlein ganz für mich alleine meine Freiheit zu
zelebrieren. Doch wie es der Zufall will wandte ich mich nicht etwa dem Heimweg
zu, sondern versehentlich einem riesengroßen gelben Bus, den ich kurzerhand
bestieg und damit meine Heimkehr um gut zwei Stunden nach hinten verschob … In
dieser Zeit habe ich viel geschaut, primär nämlich über Mauern, über die man
sonst nie schauen kann und hinter denen sich hübsche Gärten und unerwartete
Friedhöfe verbergen. Außerdem viel wichtiges über die Stadt gelernt und ebenso
viel wieder vergessen (bis auf die sehr wichtige Info, dass die beiden roten
Hasen des örtlichen Energieversorgers „Sitz und Flitz“ heißen) … Zwei Stunden
dauert es nämlich, mit der hiesigen „City Line“, einem riesigen gelben
Doppeldecker-Bus durch die Noris zu kreuzen und diese einmal ernsthaft aus
Touristenperspektive zu erfahren. Den Bus hatten wir quasi für uns alleine:
Während die Touris herausgeputzt die Gassen durchstriffen, saßen wir im
urbanistischen Gammellook im Oberdeck und schauten ihnen beim Wuseln zu. Öfter
mal Tourist in der eigenen Stadt sein? Klare Empfehlung! Dafür kann man sich
dann schon auch mal rausputzen.