Ich kenne eine Frau, die den Großteil ihres Lebens damit verbringt, mit zusammengekniffenen Augen angestrengt drein zu schauen. Weil es ihr aus kosmetischen Gründen gänzlich unmöglich ist, „diese Brille“ zu tragen. „Diese Brille“ wurde seinerzeit im einseitigen Einverständnis mit der Mutter nach deren Geschmack erworben und kurz darauf versehentlich unter einem Elefanten vergessen. Oder so. Brille, jedenfalls: nein. Ich selbst trage Brille ausschließlich gerade wegen besagter kosmetischer Gründe, wird mir doch damit ein ausnehmend intelligentes Äußeres nachgesagt (genauer: „Ah cool, jetzt siehst du auch endlich mal halbwegs klug aus.“). Aufgrund zahlreicher Facharztbesuche, die mir jeweils lustige Resttage als blinder Zombie mit auf drei Zentimeter erweiterten Pupillen beschert haben, weiß ich um meine komplizierte Hornhautirgendwas und trug die Brille mehr oder (eher) weniger artig bei der PC-Arbeit.
Neuerdings jedoch sehe ich mich gezwungen, die Brille auch auf andere Bildschirmtätigkeiten zu verwenden. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass der TV-Videotext, dessen ich mich antiquierterweise nach wie vor zur Informationseinholung hie und da bediene, einen ganz erstaunlich massiven Qualitätsverlust in puncto Schärfe der Darstellung erlitten hat. So geschieht die Informationseinholung beispielsweise über einen Spielfilm dergestalt, dass ich mich auf Text Seite 355/1 mühsam durch die sirrenden Buchstaben hangele. Sobald ich Zeile drei der Inhaltsangabe zu dechiffrieren drohe, wird jedoch abrupt auf Seite 355/2 umgeschaltet. Es erfolgt dann die Gelegenheit des intensiven Studiums von Darstellern und Charakteren (zumindest der ersten vier), bevor ich unversehens zurückgeworfen werde auf 355/1, wo ich das letztgelesene Wort wieder finden und mich durch die Zeilen mühen muss, bevor ich im Anschluss Regie und Drehbuch prüfen kann. Superlustig. Dass ich die Brille schon wieder nicht auf der Nase habe, fällt mir zumeist erst ein, wenn ich mich mit dem Videotext erneut überworfen habe und die generelle Wichtigkeit der weiterbildenden Lektüre als gänzlich überschätzt abgelegt.
Statt die Brille zu holen, wohlgemerkt, wo kommen wir denn da hin! Weil: Vieraugen, das sind immer die blöden Spielverderberkinder gewesen, die, sobald sie sich der unmittelbaren Bedrohung durch Wasserbomben oder hübsch durchgeeiste Schneebälle ausgesetzt sahen, sofort „MEINE BRILLE!“ gekreischt und sich selbst mit Immunität versehen haben. Vermeintlich. Doofis, jedenfalls. Jetzt könnte man einwenden, aus dem Alter sei man wohl heraus, doch weiß man’s besser, schließlich hat man sich schon oft genug den Scheegraupel aus den Ohren wieder herauspulen müssen. Was hab ich also ein Glück, dass der Winter meiner bislang ebenso wenig habhaft geworden ist wie ich des Videotextes. Oder auch Pech, weil das heißt ja, dass die letzte Bastion im Kampf gegen die Alltagsbrille gefallen sein könnte.
Auf den Schreck der Erkenntnis muss ich erstmal eins trinken und geb ein „Highfive“ in die Bar77 (Luitpoldstraße), rufe „Hands Up“ ins Mach (Kaiserstraße) oder „We want revenge“ ins Cult (Dooser Straße). Friedlicher: „Rootsgarden“ in der Desi (Brückenstraße), „Superklub“ in der Rakete (Vogelweiherstraße), „3 Jahre Mitte“ (Hallplatz), nebenan die als „Bada Bing“ getarnten Yuccas im Stereo (Klaragasse) sowie die Haha-„Hüttengaudi“ im Marquee (Klingenhofstraße). Am Samstag wird’s bärtig bei „2 Jahre WHMC“ im Zwinger Keller (Lorenzerstraße), wacklig auf der Mississippi Queen („Rock that Boat Baby“, Donaustraße), funkig in der KKK („Funk Soul Brother“, Königstraße), beschwingt im Nano („Swing Ding Masters“, ebd.), maritim bei Resi („St. Pauli Nacht“, Klingenhofstraße), teuer im Planet („Las Vagas Night“, ebd.), rosa in der Großen Liebe (Engelhardsgasse) und … ähm … anders im Terminal („80er/90er Party“, Flughafenstraße). Da lass ich die Brille dann aber definitiv lieber daheim.