Freitag, 27. Juni 2014

Ehrenamt: kommunale Gehsteigüberwachung

Ich habe großen Respekt vor allen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Das hält die Gesellschaft nicht nur zusammen, sondern ist ihr dabei auch noch von außerordentlichem Nutzen. Deswegen erfährt derlei Tätigkeit von mir größte Wertschätzung. Besonders verneigen muss ich mich vor Menschen, die sich ehrenamtlich als Verkehrspolizisten engagieren, insbesondere auf dem Spezialgebiet „kommunale Gehsteigüberwachung“. Wenn es die nicht gäbe – mein Gott, wo kämen wir denn da hin? Solche Helfer machen zum Beispiel sowas: Wenn man mit einem Fahrrad von einem Gebäude weg und dann auf eine irgendwo gegenüberliegende Straße möchte, wofür erforderlich ist, zweikommafünf Meter Gehweg zu missbrauchen, setzt der Ehrenamtliche den weltstrafendsten Blick auf um dem Rowdy mitzuteilen: Du böses, böses Ding du! Siehst du, wie sehr ich um mein Leben bange! Soweit so gut. Blicke können (noch) nicht töten, es sei denn, man ist ein „X-Men“. 
Der freiwillige Ordner geht zudem selbstverständlich stets mit gutem Beispiel voran: Auf einem Gehweg von circa einskommafünf Metern Breite wird das Fahrrad selbstverständlich geschoben. Um zu zeigen, wie ernst es einem mit der Vorsicht ist, geschieht das mit dem gebührenden Tempo einer, sagen wir, mittelfränkischen Weinbergschnecke, was dazu führt, dass sich hinter dem Vorbild ein prächtiger Stau (eigentlich) eiliger Passanten bildet, die am Fahrrad-Schieb-Gespann nicht vorbeigelangen, aber schon hat der Ehrenamtliche einen positiven Nebeneffekt für sich gefunden, denn schließlich ist die Gesellschaft heutzutage eh zu hektisch und man kann sich ja wohl mal in Geduld üben, kann man sich. Wenn ein Rowdy dann die Unverfrorenheit besitzt, aus der entgegenkommenden Richtung in gemäßigter Geschwindigkeit verkehrsbeflüssigend Rad zu fahren statt zu schieben, so muss der Ordnungshüter mit einem gezielten Gebell („ABSTEIGNA!“) einschreiten. 
Andere gehen da mit noch größerer Hingabe vor und nehmen den verabscheuungswürdigen Raser, der sich ganz außen auf einem fünf Meter breiten Weg nähert, gezielt ins Visier, um sich dann rechtzeitig, nämlich im Moment des Passierens, dem Radler in die Fahrt zu werfen und dabei „DES IS DOCH A BÜRCHERSTEIG!“ zu brüllen. Danke, sage ich da demütig, ich wusste nicht, dass der „Bürcher“ nicht Fahrrad fahren, sondern nur laufen darf. Die maximale Stufe der gesellschaftlichen Schassung und Maßregelung stellt die grenzenlose Verachtung dar, mit der der Profi-Überwacher dem Fahrradfahrer sein Vergehen vor Augen zu führen weiß: Man fährt in gemäßigtem Tempo (Angst!) von hinten an den Inkognito-Streifling heran, klingelt zaghaft-schüchtern, um seinem Begehr Ausdruck zu verleihen, woraufhin der Ordnungshüter sich ohne Umschauen reflexhaft über den kompletten Weg breitzumachen weiß (also doch „X-Men“?) und dann stehenbleibt. Dass er sich eigentlich selbst auf einem gemischten Gehradweg befindet, ist ihm dabei herzlich egal. Aufs Wohl des Ehrenamtes muss ich jetzt direkt ein Radler trinken.

Freitag, 20. Juni 2014

Wohnerei

Neulich beim Sonntagsspaziergang. Nachdem ich bei schönstem Wetter auf dem Weg vom Bad einen kurzen Abstecher zum Fernseher gemacht und eine frivole, aber nicht wenig anstrengende Ehrenrunde über den Kühlschrank gedreht hatte, kam ich auf meiner Flanage an einer wunderlichen Türe vorbei. Neugierig wie ich bin konnte ich freilich nicht an mich halten, diese alsgleich zu öffnen, und siehe da! Dahinter befand sich ein Wohnzimmer! Vor Schreck musste ich die Tür geschwind wieder schließen, ins Bett eilen und mich kurz erholen von den Strapazen und absonderlichen Wendungen, die der Spaziergang so mit sich gebracht hatte. Wohnzimmer. Was war das gleich nochmal? In Anbetracht anderer Räumenamen dürfen wir wohl annehmen, es handle sich hierbei um ein Zimmer, in dem man wohnt. Aber wer hat denn grade Zeit, zu wohnen? Seit Wochen ich jedenfalls nicht mehr. Wohnen, das hat was mit geschlossenen Räumen zu tun, mit Fernsehen und womöglich Bügelwäsche, schlimmstenfalls in Kombination. Wohnen ist Herbst und Winter, Serien gucken, Stollen backen, lesen, Nussknacker hören, Draußen scheiße finden.

Das hört auf, sobald das Thermometer erstmals die magische 20-Grad-Marke ächzend überwunden hat. Dann ist Schluss mit der Wohnerei, wir schließen die Kiste, versiegeln den Raum, wünschen ihm eine gute Zeit, bis bald, Wohnzimmer, es war wie immer schön mit dir, aber jetzt müssen wir uns trennen. Um dem Nachdruck zu verleihen, wird der Raum zweckentfremdet. Als Picknickdecken-großflächig-zum-Trocknen-Ausbreit-Zimmer, beispielsweise, oder als Dauer-Wasch-Salon, weil man irgendwie feststellt, dass man wegen Aktionismus einen inflationären Klamottenverbrauch hat, ergo: Viel Wäsche waschen und dann feststellen, dass das Abnehmen derselben eigentlich nicht lohnt, also warum nicht das Wohn- zum Ankleidezimmer umfunktionieren, das man nur noch betritt, um sauberes Gewand direkt vom Leifheit zu pflücken. Alle anderen Räume dürfen ihren Namen behalten.

Geschlafen (oder sich schwitzend herumgewälzt, weil die Idee mit dem leichten Leintuch stets mit Verzögerung aufkommt) wird im Schlafzimmer, kalt geduscht (gerne mehrfach täglich) im Duschzimmer, und im Kochzimmer bereiten wir maximal den Morgenkaffee und dann irgendwelche schnellen und leichten Gerichte zu, die vorzugsweise im Stehen (bloß keine Zeit verlieren!) verschlungen oder in Tupperware suppdicht verstaut zu Grillfesten, auf Wiesen oder an Seen getragen werden. Eigentlich sind alle Räume ungeliebt, das liegt in der Natur der Sache der Geschlossenheit, aber das Wohnzimmer trifft’s am härtesten. Das Wohnzimmer ist wie eine Mutter: Geduldig muss es warten, bis der Nestbewohner sich ausgetobt und die Sommerhörner abgestoßen hat und sich auf die, ja, inneren Werte besinnt, um dann zutiefst erleichtert in den Schoß der Couch zurückkehren zu können und tief durchatmen und sich ins wohnzimmerliche Ladegerät legen, um das leergeräuberte Selbst wieder zu befüllen.

Freitag, 13. Juni 2014

Freibadstress

Ich bin fix und fertig. Entspannter Tag am See? Im Freibad? Dass ich nicht lache. Contradictio in adiecto, meine Lieben. Um das bewerkstelligen zu können, bedarf es eines logistischen Dauerbetriebs, der der Organisation einer mittelgroßen Hochzeit, ach was sag ich: eines Festivals alle Ehre macht! Was man da alles beachten, organisieren, vorausdenken muss, Möglichkeiten abwägen, Zeiten einteilen und Abläufe! Es beginnt bereits am Vortag. Wenn man da nicht so klug ist, daran zu denken, mindestens eine Flasche Wasser ins Gefrierfach zu legen, hat man vor Ort nach fünf Minuten nämlich warme Suppe. Nichts gegen ayurvedisch, aber erfrischend geht anders. Dann gilt es, eine Tasche zu packen, die jedem Biwak standhielte. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit hat man hinterher trotzdem zwei Hefte Kreuzworträtsel, aber keinen Kulli, drei Schüsseln Melonenschnitzen und Salat, aber keine Gabel, und statt der Sonnencreme LSF 20 die Après-Lotion eingepackt, weswegen man das benachbarte Gelage um Hilfe ersuchen und sich dann mit der blickdichten LSF 50-Penaten aus der Wickeltasche zufriedengeben muss. 

Ist man angekommen und hat sich entweder mit sich selbst oder der Gruppe (und ich weiß nicht, was schlimmer ist) mit sextantischem Augenmaß darauf verständigt, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Wanderung von Sonne und Schatten über den Lauf des Tages hinweg zu erwarten ist (um garantiert falsch zu liegen!) und entsprechend großflächig sämtliches Utensil auf einer Fläche von 30m² verteilt, könnte man meinen, es kehre Ruhe ein. Weit gefehlt, denn nun beginnt der Orga-Stress erst richtig! Und zwar damit, in den folgenden Stunden die Tagespunkte Sonne, Schatten, Toilette, Wasser, Eincremen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Wenn man das dritte Mal den frisch aufgetragenen Sonnenschutz direkt in den Pool getragen hat, um aus diesem sofort wieder rauszuspringen, weil einem einfällt, was man zuvor dringend noch tun wollte (Toilette!), um das dann mit triefnasser Klamotte nachzuholen, kommt man langsam, aber sicher dahinter, wie das alles zu gehen hat.

Die optimale Reihenfolge (ab Lager-Aufschlagung): Entblättern. Eincremen! Sonnen. Schwitzen. Trinken. Lesen (in Gruppe: Ratschen). Trinken! Toilette. Wasser (in Abstimmung mit Gruppe). Sonne. Trinken!! Trocknen. Eincremen!! Trinken!! Schatten. Lesen. Sonne. Trinken!!! Toilette. … So kann man so einen Tag prima herumbekommen, ohne sich auch nur eine Minute nicht bewegt zu haben, weil sich das ganze Dilemma potenziert, wenn man mit mehreren Menschen anwesend ist und allsämtliche Tagesordnungspunkte auf zehn weitere Befindlichkeiten abstimmen muss. Ach, wisst ihr was? Macht einfach! Sich treiben lassen ist eh am schönsten. Auch außerhalb eines Gewässers. 

Freitag, 6. Juni 2014

Solegrotte

Tja Mädels, ich sag’s nur ungern, aber wir können hier ja ganz offen sprechen. So von Frau zu Frau. Ins Gesicht schauen muss man der Wahrheit, und die lautet: Das erste Mal tut immer weh. Da kann man sich drauf vorbereiten, so viel man will, sowohl körperlich als auch rein mental, vorher drüber sprechen mit anderen Betroffenen und sich der Unbill (vermeintlich) völlig im Klaren sein. Es. Gibt. Schmerzen. Aber muss es einen wundern? Nö, eigentlich nicht. Ich mein, was hat denn so ein Fuß schon für Möglichkeiten? 

Da wird er monatelang dick eingepackt, in Watte und Polster und Lammfell gehüllt, mit Gummi umgeben, warm gebadet und eingesalbt und führt ein Dasein sozusagen als Neugeborenes. Nein falsch. Als Fötus. Nomnom, schön kuschlig warm hier, um nichts muss ich mich kümmern, alles so hübsch schallgedämmt hier, ein ewiges Treiben in der Solegrotte. Bleiben wir doch in der Analogie. Eines Tages tut es einen Schlag. Und der Fuß wird hinausgerissen aus dem GoreTex, entfernt aus der Stricksocke und hineingehalten in die (mutmaßlich noch zu) kalte, (auf jeden Fall) grausame und (insbesondere) sehr helle Welt. Da ist der Fuß freilich erschrocken, einem Gürteltier gleich möcht‘ er sich zusammenrollen und einen Panzer bilden. Was er tun würde, wenn man ihn ließe. 

Lässt man aber (hoffentlich, bittebitte!) meistens eher doch nicht. Stattdessen muss der rosige, zarte – und irgendwie hab ich da grade das Wort „gepökelte“ im Kopf, warum auch immer – Fuß als nächstes hinein in ein Mieder, ein Korsett aus Riemchen und Bändchen und Nähtchen. Plötzlich soll er Stege mögen, die zwischen den Zehen reiben, und Lederstränge, die ihn einschnüren, und vorne zwickt der Ballen und hinten die Ferse und alles ist ganz scheußlich. 

Hilft aber nichts. Alle Jahre wieder das gleiche Theater. Kolleginnen suchen verzweifelt nach Blasenpflaster, weil der Ballerina sich über den Winter wundersamerweise um eine Größe verkleinert hat, Freundinnen müssen den Stadtbummel abbrechen, weil das mit den Riemchen-Wedges irgendwie im letzten September noch besser geklappt hatte, und dass selbst der bequemste Schlappen nach fünf Stunden Städtetourismus die äußerste Hautschicht vollständig abgeschliffen hat – eigentlich müsste man’s wissen. Tun wir aber halt nicht. So ist die Stadt jedes Jahr aufs Neue erfüllt vom Ächzen und Stöhnen und Leiden, und nur ein bisschen lindern können den Schmerz die verständnisvollen Blicke, die durch die Prärie geschickt werden und einander aufmunternd zu verstehen geben „Ich kenn das. Erstes Mal. Schlimm.“, während man versucht, sich die Muster der Zehensandale aus dem Fuß zu massieren. Bis zu den Hundstagen herrscht aber noch weitgehend sandalenfreie Zone, und ansonsten: Lasst euch bloß nicht einreden, irgendwo die Füße stillzuhalten. Tänzeln, immer schön tänzeln!