Es gab da mal ein Eichhörnchen, das litt unter einer Identitätsstörung. Tagtäglich ließ es mich daran teilhaben, indem es mit lustigen Kratzgeräuschen die Hauswand rauf und runter schrappte, plattgedrückt wie eine Flunder, Spiderhörnchen auf Mission. Manchmal machte es einen kurzen Zwischenstopp auf meinem Fensterbrett, um die Lage zu sondieren, und winkte mir verschwörerisch durchs Fenster zu. Irgendwann war das zu Ende, das Eichhörnchen verschwunden, die Welt retten anderswo, was weiß ich. Es hat aber einen Nachfolger. Weniger geheimnisvoll, dafür ungleich lästiger. Eine Kohlmeise nämlich, die sich für einen Specht hält. Oder eine Abrissbirne, man weiß es nicht. Die Meise jedenfalls erfreut mich neuerdings mit ihren unermüdlichen Bestrebungen, einen Wanddurchbruch von außen in mein Schlafzimmer hinein zu vollführen.
Kaum graut der Morgen, geht es los, pockpock pock pockpockpock pockpock, und dann wartet die Meise kurz und ich höre, wie das Mauerwerk aufs einem Trümmerfeld gleichendeFensterbrett rieselt. Jetzt ist es nicht so, dass ich prinzipiell was gegen Natur hätte, auch mit Vögeln komme ich klar, schließlich lebe ich fatalistisch inmitten der vermutlich größten Schwalbenpopulation der Stadt und den damit einhergehenden allsommerlichen Unwägbarkeiten. Ich bin mir aber nicht sicher, ob meine Naturverbundenheit nicht an eine empfindliche Grenzen stoßen könnte, sollte ich demnächst aufgefordert sein, mein Gemach zu einem Quartier der hiesigen Kohlmeisengemeinde umfunktionieren lassen zu müssen. Jetzt fragt sich nur, wie dem Einhalt zu gebieten ist. Schon nämlich trage ich Sorge, dass bald ein Nachwuchs in den Rollladenkasten hineingeboren wird, und spätestens dann ist es vermutlich nicht vertretbar, weder ethisch noch hygienisch, das Nest mit einem gezielten Schuss aus der Zwille abwärts zu befördern.
Dann aber lese ich „ Ab dem zeitigen Frühjahr ist der recht auffällige, metallisch-helle Gesang zu vernehmen, der ein zweisilbiges tsi-da … tsi-da … tsi-da oder beispielsweise als tsi-da-tsit … auch dreisilbig sein kann.“ Weiter: „Daneben verfügt die Kohlmeise über ein sehr breites Repertoire an Rufen wie beispielsweise ein hohes pink und ein warnendes dädädä“. Dädädä also. Das dann aus fünf bis zehn glücklichen Vogelkinderkehlen, und zwar ganztags. Kann es denn irgendwas Schöneres geben? Vielleicht hole ich einfach Hammer und Meißel und greife der Meise tatkräftig unter die Flügel, um dereinst inmitten unzähliger Singvogelbabys, Eichhörnchen, Schmetterlingen, Rehkitzen und was die urbane Fauna halt noch so hergibt, zu erwachen. Ich glaub, es ist Frühling. Kann man auch morgens beim Aufstehen hören. Oder beim Heimkommen. Frühling lässt sein blaues Band // Wieder flattern durch die Lüfte // Süße, wohl bekannte Düfte // Streifen ahnungsvoll das Land ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen