Samstag, 28. Mai 2016

Trameditation

Es gibt ja bekanntlich verschiedene weit verbreitete Methoden, um sich zu entspannen. Nicht minder bekanntlich sind die meisten davon für mich absolut untragbar und in der Tendenz eher dazu angetan, meinen Blutdruck in pathologisch zweifelhafte Höhen steigen zu lassen. Darunter fallen beispielsweise „mal ein Bad nehmen“, meditieren oder die größte weil alles vereinende Verirrung des Menschen: dieses „Wellness“ – hab ich neulich erst wieder ausprobieren müssen und all meine Vorurteile bestätigt gesehen, weil um dann letztlich mehrere Stunden in tropischem Klima ohne Sauerstoffzufuhr schwitzend und lesend zu verbringen, da kann ich mich auch im Wohnzimmer einsperren und muss nicht 400km Auto fahren und einen Betrag in gleicher Höhe hinblättern. Ach ja, Auto.
Straßenverkehr und Entspannung, das geht sich natürlich eigentlich überhaupt nicht zusammen, schließlich sind außer mir ausschließlich nervige Rentner, prollige Vollidioten und dämlich Tussen unterwegs, von denen es niemand schafft, in sportlicher Manier den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten und nie gelernt hat, dass ein Blinker nicht dazu da ist, niedliche Plüschmäuse dran aufzuhängen und sich zwischendurch die Fingernägel zu reinigen, sondern um eine bald erfolgende Abbiege- oder Halteaktion rechtzeitig anzukündigen, so dass der Hinterherfahrende entsprechend reagieren kann und sich nicht urplötzlich zu einer Vollbremsung und halsbrecherischen Ausweichmanövern gezwungen sieht. Menschen, die nicht blinken, sind böse Menschen. So. Jedoch bietet der hiesige Straßenverkehr eine wunderbare Möglichkeit, sich ganz auf sich selbst zu besinnen sowie auf die Tugend der Geduld und Demut.
Zu diesem Zwecke der persönlichen Erdung begebe man sich auf eine sagen wir östliche, große Ausfallstraße. Die Fahrtrichtung ist beliebig, der Zeitpunkt auch, denn egal, wann man hier entlang braust, man kann sicher sein, über kurz oder lang in den Rückspiegel oder neben sich zu blicken und sie zu entdecken: die bahngewordene Läuterung. Denn jetzt wissen wir: Wir müssen uns entscheiden. Entweder beginnt man ein Wettrennen ungewissen Ausgangs, bei dem man über hellrote Ampeln und Verkehrsinseln brettern muss, alle vorausfahrenden Lahmärsche hassen, hupen, was das Zeug hält und verächtliche Blicke nach links und rechts werfen, derweil der Tramfahrer ganz entspannt seines Weges fährt und sich ins Fäustchen lacht darüber, dass wann immer er in Sichtweite einer Ampelanlage gerät, diese umgehend auf Rot schaltet. Oder man nimmt den Schicksalswink demütig an, schleicht mit gemütlichen 17 km/h neben der Straßenbahn her, macht hier und da ein Päuschen und genießt die Umgebung und gelangt zwar gefühlte 43 Minuten später, dafür aber ganz entspannt und von Beseeltheit durchdrungen am Ziel an. Mit einer Streckenlänge von 36 Kilometern und darauf verteilten 74 Haltestellen ist das Verkehrsnetz also eigentlich ein Ausbund an Entspannung.

Freitag, 20. Mai 2016

Grantlitz

Gell gell, dem Franken, dem wird doch immer nachgesagt, er sei so unfreundlich und so, gell? Hab ich nie verstanden, weil, ich mein‘, ich kenn ja mich, den Urfranken sozusagen, wie soll da irgendein gleichverwurzeltes Geschöpf auch nur in die Nähe eines Unfreundlichkeitsverdachts geraten?! Wir sind gesellig, fröhlich, offenherzig, jawoll! Ich hab jetzt aber rausgefunden, woher das kommt! Und zwar bitte ich jetzt mal alle, sich vor einen Spiegel zu begeben und folgende Standardmittelfränkischlernworte zu deklamieren: Riodscha. Wallbollidschella. Binogriddscho. Mondepuldschano. Dschiandi. Habt ihr drauf? Fein. Dann machen wir das jetzt, wo uns das flüssig und automatisch übers prälabiale Waffel-L flutscht, nochmal, und achten derweil aufmerksam auf unsere Mimik. Was wir sehen, ist des Rätsels Lösung.

Die korrekte Aussprache der zugegebenermaßen melodisch zweifelhaften Varianz macht es zwingend erforderlich, den Unterkiefer weitestmöglich von sich wegzuschieben, wodurch sich automatisch ein Herabziehen der Mundwinkel ergibt. Das ist ganz natürlich und dem Umstand ähnlich, dass korrektes Sächsisch oder Schwäbisch nur durch eine Verkrampfung der Halsmuskulatur gebildet werden kann, die sonst nur herbeigeführt wird, wenn ein Vogel Strauß eines seiner eigenen Eier zu schlucken versucht. Mit dieser gemeinen Unterstellung bezüglich seiner Wesensart ist der Franke aber in bester Gesellschaft. Derjenigen nämlich, die sich eines sogenannten „Resting Bitch Faces“ erfreuen dürfen. Müssen. Im Hiesigen gern auch „Grantlitz“ genannt.

Wer sich dauernd mit Sätzen wie „Ey, was guckstn du so komisch?“, „Wieso hastn du so schlechte Laune?“ oder „Oh Mann, was ist denn schon wieder?“ konfrontiert sieht, derweil er einfach nur froh- bis neutralgelaunt in die Ferne oder Nähe blickt, der kann sich ziemlich sicher sein, dass er Eigentümer einer solchen Gesichtscharakteristik ist. Die Crux an der Geschichte ist jedoch, dass eine solche Dauerfragerei und Motzigkeitsunterstellung wohl oder vor allem übel zu einem Missmut führt, weil wem ständig nachgesagt wird, er ziehe eine Fresse, der ist jetzt halt auch nicht grad dazu angetan, sich darüber in Fröhlichkeit zu felgaufschwingen. Ähnlich klar wie beim Franken ist hier die Unschuldsfrage: Das Grantlitz hat, wem in entspannter Mimik die Mundwinkel nach unten zeigen. Ich dachte immer, von diesem Unheil sei ich verschont, musste den Irrtum aber einsehen und überkompensiere das seitdem mit einem permanenten debilen Dauergrinsen. Meistens. Manchmal, ganz manchmal hab ich aber wirklich schlechte Laune. Wie der Franke eben auch. Am besten hilft hier: immer freundlich sein.

Freitag, 13. Mai 2016

Gute Freunde

Ich sehe und höre "Isch 'abä gar kein Auto!" und "... die Bier, die so schön 'at göprickölt in mein' Bauchnaböl".„STOP!“ schrie ich und hob zum Zwecke der gestischen Unterstreichung meiner Bitte mit der Faust auf den Esstisch ein. „Ein für alle Mal: Ich möchte das Wort ‚Urlaub‘ in dem Zusammenhang nicht mehr hören. Nach dem letzten solchen ‚Urlaub‘ musste ich mich in mehrwöchige seelsorgerische Supervision begeben, und ich bin bester Dinge, dass das auch dieses Mal so sein wird!“ führte ich die Echauffage weiter aus, drohte mit der Grillfackel und atmete. Es ist so: Ich befinde mich seit circa 25 Jahren in einer ausgesprochen intensiven eheähnlichen Beziehung. Teilnehmner sind neben mir drei weitere Damen, und bevor jetzt eins die Moralpolizei anruft: Es handelt sich hierbei selbstverständlich um ein rein platonisches Arrangement, dem ich aber das Prädikat „eheähnlich“ ganz bewusst verleihe, ähneln viele Aspekte unserer Liebe doch stark demjenigen, was ich mir unter einer lebenslangen Ehe vorstelle – und dass die Damen und ich bis zum Rest unserer Tage verbunden sind, steht außer Zweifel.

Das aber funktioniert nicht zuletzt aus einem einzigen Grund: Wir sehen uns vergleichsweise selten. Während eine Hälfte frühzeitig emigriert ist, hat die andere Hälfte einen intensiven Aufwand an Reifungsprozess und Beziehungsarbeit betreiben müssen, um es schon so lange in der selben Stadt auszuhalten. Man sieht sich hier und dort mal in verschiedenen Konstellationen, alles fein, man kennt sich lang und die Macken der anderen besser als sie selbst – eine Tatsache, deren Existenz allein schon zur Vorsicht gemahnt; man mag’s halt nicht so gern, wenn man unaufgefordert den Spiegel vorgehalten bekommt. Einmal jährlich jedoch droht die Apokalypse, und ich kann die dazugehörigen Gäule schon mit den Hufen scharren hören. Nämlich: Treffen wir uns alle.

Was so locker unter „Mädelsurlaub“ propagiert wird, ist aber in Wahrheit ein drei- bis fünftägiges Psychocamp. Ohne ins Detail zu gehen: Es muss alles besprochen werden, was sich in den letzten Monaten ereignet hat (erstmalig) sowie alles von vor und aus 25 Jahren (erneut). Es muss übermäßig viel gelacht und unter Umständen auch geweint werden, möglicherweise auch gestritten, niemals jedoch sich entzweit. Und für gewöhnlich muss ausgesprochen wenig geschlafen werden, was in der Regel dazu führt, dass man als körperliches Wrack in den Schoß der Heimat zurückkehrt und die Frage, ob’s schön war im Urlaub, mit einem nervösen Augenzucken beantwortet. Vielleicht versuch’s ich mal mit präventiver Meditation. Gute Freunde kann nieeemand trenneeen ...

Samstag, 7. Mai 2016

Studentenheime

Ich weiß überhaupt nicht, was immer alle haben mit diesen Flüchtlingsheimen. Die Wohnqualität sinke, die Immobilienpreise auch, das Viertel überfremde, die marodierenden Horden brandschatzen, die Lärmbelästigung steige ins Unermessliche, keine Jungfrau sei mehr sicher et cetera. Ich mein, die Argumentationskette als solche ist schon korrekt, so ist das ja nicht. Jeden einzelnen Punkt der Sorge kann ich in vollem Umfang nachvollziehen. Allein sie bezieht sich auf das falsche Sujet. Der wahre Feind einer jeden Gegend nämlich kommt in einem gänzlich unschuldigen Gewand daher und zeigt seine Teufelshörner erst, wenn sich alle in Sicherheit wähnen: das Studentenwohnheim. Und zwar das neu gebaute.
Mit schreckgeweiteten Augen darf ich seit rund einem Jahr Zeuge dieser Begebenheit werden. Eigentlich sind die Augen eher blutunterlaufen und die Ohren schreckgeweitet, beginnt der gemeine Handwerker sein Tagwerke doch gern mitten in der Nacht und schert sich nicht darum, ob anständige Leute vielleicht am Vorabend schwere Netzwerkarbeit geleistet haben. Gewissermaßen kann man hierfür aber dankbar sein, hat das Gewerk mich doch zu einem feinen Frühaufsteher erzogen, der auch als Fünfstundenschlafzombie halbwegs patent durchs Leben schlurft. Zu Beginn der Bauarbeiten hab ich noch gewitzelt: Haha, da wird der Student sich aber umschauen, wenn die alte Frau von Gegenüber ihm den wichtigen Studierschlaf raubt, weil sie nächtelang feiert und hämisch mit dem Rotweinglaserl ins Studierzimmer winkt! Je näher der Zeitpunkt des Einzuges rückt, desto kleiner wird die Häme.
„Wir ziehen aus“, sprach jüngst ein Alteingesessener nebenan. „Solltest du auch tun. Allein schon diese ständigen Grillpartys – boah …“ Da ging ich in mich. Und auf die Suche: 41 1- und 2-Zimmer-Appartements, steht zu lesen, würden künftig mein Seelenheil bedrohen, und schlimmer noch: „Den Studenten werden … ein großzügiger Gemeinschaftsbereich im Dachgeschoss mit Dachterrasse sowie ein attraktiver gemeinschaftlich nutzbarer Grünbereich geboten.“ Passend hierzu wirbt der Anbieter mit dem Slogan „In 60 Sekunden aus dem Bett in die Uni“! Sodom und Gomorrha, da kannst dir aber vorstellen, was los ist. Der Student, ausgestattet mit Vollmöblierung, Tiefgarage und, so lassen es die neuerdings umherschwirrenden Porschemakler vermuten, ordentlich Taschengeld, wird hier marodieren bis zum Morgenrot und dann in die Uni torkeln. Er wird das Viertel überfremden und mit schwieriger Kultur überziehen, keine Jungfrau ist mehr sicher, die Lebensqualität sinkt, alles wird ganz fürchterlich. Wo doch jeder weiß, dass der Student hedonistisch, stinkendfaul, egoistisch und überhaupt ein gänzlich unheilvolles Gewächs ist. Ich glaub, ich schau schnell, ob ich eine andere Wohnung finde. Vielleicht ja in der Rettystraße.