Samstag, 17. Juni 2017

Kindlewälzer

Gestern habe ich ein neues Buch zu lesen begonnen. Nicht dass das etwas allzu ausgefallenes wäre, geschieht nämlich ungefähr alle ein bis zwei Wochen, wegen weitestgehender Fernsehverweigerung wegen sonst Gefahr von Ausschlag, Epilepsie oder Weltschmerz. Buch also. Dass dieses Buch mich unversehens in eine Extremsituation katapultiert hat, in der ich mich erstmal zurechtfinden muss, hab ich mir beim Kauf so nicht vorstellen können, jetzt jedoch sah ich mich unversehens in der wundersamen Lage wieder, während des Lesens gleichzeitig Sport betreiben zu müssen, und das mögen jetzt vielleicht Leute wenig sonderbar finden, die auf Hometrainern Netflix gucken, ich für meinen Teil halt’s da aber wie mit der Trennkost: entweder-oder. Stolze 966 Gramm bringt der Wälzer auf die Küchenwaage, bei einer Dicke von sechs Zentimetern für meine Begriffe ein beachtliches Trum. Jetzt Haltungsprobleme. Hat schon mal jemand versucht, einen fastvollen Maßkrug auf dem Rücken liegend mit einer Hand im 45°-Winkel nach oben zu halten? „Mit Zittern“ güldet nicht und wär ja eh also wirklich, wer soll denn da lesen? Auf dem Bauch geht auch nicht, weil kein Mensch, also doch, vielleicht schon, aber ich nicht meinen Hals dauernd so weit nach oben umeinanderrecken kann, um auf die Spitze des Buchbergs schielen zu können, dass da nicht in kürzester Zeit ein bis sieben Wirbel einen Veitstanz aufführen. Freilich hab ich alte Amazone mich dem Kampf gestellt, um dann direkt am Morgen danach mit aus den Haltungsproblemen resultierenden Haltungsschäden schief und krumm in ein Rückenschulungsprogramm zu hatschen und dem schmerzverzerrten Gesicht im Spiegel dabei zu assistieren, die Rückseite wieder in ein einigermaßenes Gleichgewicht zu bringen. „Ich versteh beim besten Willen nicht“, merkt ein Brudermensch regelmäßig an, „warum du und deine Mutter euch nicht einfach ein Kindle zulegt.“ Alle Bücher der Welt auf 207 Gramm verteilt, ist ein Werk ausgelesen, beamt ein Klick drei neue hinein, die ganze Bibliothek stets in der Hosentasche. Da geht’s jedoch schon los mit der Crux: Ich will keine Bibliothek in der Hosentasche, sondern Papier um mich herum. Regale voll Erinnerungen, Stapel voll Gefühl, zärtliches Streichen über hunderte von Buchrücken, ein Vermögen voller Glück. Inmitten dieser Buchstabenarmada steht der Beweis: Seit gut einem Jahr besitze ich ein digitales Lesegerät. Einmal aus und an hab ich’s geschaltet, für später aufgeladen, ins Buchregal gestellt und dann gleich noch wieder in den Lieferkarton hinein, damit der glatte Kunststoff nicht so stört in der papierenen Optik. Und vergessen. Gestern ist’s mir kurz wieder eingefallen: Der Wälzer, der von Seite zu Seite immer schwerer wurde, den könnte man doch vielleicht ausnahmsweise mal … NEIN!! hab ich alle Artgenossen aus den Regalen schreien hören, das lässt du schön bleiben und kämpfst dich da durch. Du weißt genau, danach fühlst du dich gut! Wie Sport halt. So denn … Braucht jemand ein Kindle? Was ich allerdings schon verstehen könnte, wäre, wenn jemand meine gesammelten Werke als eBook … Naja. 

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