Freitag, 22. Juni 2018

Grüß dich!

Seit einiger Zeit werde ich ziemlich häufig gefragt, wie es mir geht. Könntest du sagen: Ist doch schön, Interesse, Mitmenschen, Nächstenliebe und Dings. Ich undankbares Geschöpf aber reagiere in 99 von 100 Fällen mit Schweißausbrüchen, Farbwechseln wo du sagst: Kalamari nichts dagegen, und mit großer Wahrscheinlichkeit hernach einem Wutanfall. Und hab ich vorher eher wenig verdrießlich geschaut, so tu ich’s hinterher bestimmt. Der Hund liegt wie so vieler Schwachsinn, der derzeit zu uns hereindefiliert, in den USA begraben. Gut, vielleicht auch ein bisschen in jedem anderen englischsprachigen Land, aber Vorurteile bekräftigen ist eh en vogue. USA also. Wer schonmal viel ins Englischsprachige geschäftskorrespondiert hat, der weiß, dass eine Primaregel lautet: Schreibe alles so höflich wie du kannst, und dekoriere das dann noch mit Schokolinsen, Sahnetürmen und Blumensträußen. Erst wenn es dich in der Speiseröhre juckt, wird dein Gegenüber dich nicht mehr als unflätigen Deutschen empfinden. Isso. In diese gesellschaftliche Liturgie gehört zwingend auch die Frage nach dem Wohlbefinden. Antwortest du also auf „How are you doing?“ unbedingt mit einem überschwänglich positiven Bekunden und gibst die Frage postwendend zurück. So machen die das seit ungefähr schätzungsweise kurz nach Columbus, und das ist auch gut so. Wir. Nicht. Wir smalltalken nicht, sondern kommen zum Punkt, weil Zeit ist Geld und Geld hat man stets zu wenig. Dafür verfügt die deutsche Sprache über ungefähr 137 Varianten adäquater Grußformeln, worunter mutmaßlich die gängigsten „Hallo!“, „Guten Tag!“, „Hi!“ und „Ey servushallogrüßdichservus alte Hippe!“ sind. So und jetzt kreizdeifi reicht das freilich wieder nicht. Und als wäre es nicht schon irritierend genug dass seit weiß ich nicht wann Menschen beständig mit Kennermiene nicht mehr von „letztendlich“ oder „letzten Endes“ sprechen, sondern immer nur noch davon, dass irgendwas „am Ende des Tages“ irgendwie ist oder wird, müssen neuerdings Menschen statt „Hallo!“ sagen „Wie geht’s?“ Früher war das ein Einzelfall, mit dem mich eine Person belästigt hat: Von der Ferne im Flur hat’s mir entgegen gewiegehtst, um dann an mir vorbeizurauschen, derweil ich grad ob der Aufmerksamkeit errötend angefangen hatte, in mich hineinzufühlen. Da schaust dann schon auch erst einmal blöd, so die ersten ein bis siebzehn Male. Gewöhnt hab ich mich daran nie, und es wird nicht besser davon, dass das jetzt immer jeder machen muss. Vielleicht hilft umgekehrte Psychologie. Statt gestresstem „Jaöhmalsomhmmgutunddir?“ einfach sagen: „Boah, du, ich hab eine Mordsanalfistel, die mir seit Wochen zu schaffen macht, kannst dir vorstellen was das alles mit sich bringt? Pass auf: … “ Oder: „Guuuuuut dass du fragst, ich bin schon den ganzen Tag so saumäßig genervt dass ich mich echt einmal auskotzen muss. Also das war so … “ Oder (aufschluchzend): „Eheheheheheeendlich fragt mich mal jemand, mir geht’s soooohohoho schleeeecht, mein H-h-h-h-haamster ist gestorbuääääähn!“ und dann schön an die Schulter werfen und einmal kräftig ins Gewand schnäuzen. Also überlegt’s euch gut. Oder sagt halt einfach „Ey servusgrüßdichservus alte Hippe!“ zu mir.  Wie’s euch damit geht? Mir doch egal. 

Freitag, 15. Juni 2018

Bundesfarben

Jetzt WM. Finden viele furchtbar wegen Russland und Appendices. Finden viele super wegen Schallalalafussioléolé. Und wegen halt Gucken und Fiebern und Fingernägel runterkauen bis auf die Ellenbogen und Brothers in Arms. Ach pardon, das war ein False Friend glaub ich heißt das, ich hab eigentlich gemeint brüderliche Umarmung. Finden andere wiederum sehr spezialfurchtbar wegen plötzlich Vernationalisierungsbeflaggung ganzer Straßenzüge und Ausnahmeidentifikation mit dem Bundeswimpel. Jetzt kannst du sagen, ja mei, das hat ja schon irgendwie ein Gutes, wenn du alle Trottel ein paar Wochen 500 Meter gegen den Wind erkennst dank Chantal‘s Nail-Art und dem Autodekorationskomplettzubehör vom Dings. Ist aber halt schon auch wirklich sauwitzig, so ein gestreiftes Außenspiegelkondom, kannst nichts sagen. Jedenfalls darf man wegen Motz glaub ich auch eigentlich und in Wahrheit nicht Daumen drücken für den DFB, sondern sich prinzipiell nur solidarisch zeigen mit Mannschaften aus politisch weißbewesteten Ländern, und da würd ich jetzt mal ganz diplomatisch behaupten, dann wird’s eher eng mit dem WM-Jubel. Ah na wobei. Island könnte gehen. Kurzer Jubel wahrscheinlich, aber immerhin. So. Wo war ich? Beflaggungssituation, genau. Ich glaub ja, dass es prinzipiell eine falsche Rezeption der deutschen Nationalflagge gibt, und das ist ein bisschen schade. Neben Belgien, Uganda und Angola ist nämlich Deutschland das einzige Land, dessen Flagge ausschließlich alle Hautfarben aller Menschen auf der Erde in sich vereint und dabei den Durchschnittseuropiden freundlich außeracht lässt – wenn man an dieser Stelle mir bitte die political incorrectness verzeihen möge, von Schwarzen, Gelben und Roten zu sprechen. Außerdem heißt’s auch immer noch „Weiße“ statt „Käsige“ oder „Ferkelrosane“ oder „Getrumpte“, da muss man in puncto Schattierung vielleicht auch einfach einmal ein Auge zudrücken dürfen. Die Bundesfarben jedenfalls, die heute spezialoffiziell nicht schwarzrotgold, sondern verkehrs-/ tiefschwarz-verkehrsrot-melonen-/rapsgelb heißen, was aber zugegebenermaßen ein bisschen sperrig ist im Alltagsgebrauch, haben also schon bei der Festlegung vor 170 Jahren (da haben sie’s im Annodazumal vielleicht auch noch nicht so gehabt mit der o.g. PC, wegen Probleme eher anders gelagert) superclever gewusst, dass so ein Land halt eher selten einfarbig ist und so ein Deutschland auch wenig homogen, sondern sauber durcheinandergemischt. Das erkennen wir unschwer an der Nationalwürfelmannschaft, die es schon grad deswegen zu supporten gilt. Und vielleicht können wir jetzt einfach ein paar Wochen üben, die Vielfarbigkeit des Deutschseins zu erkennen (und schätzen!) und dann hernach so einem Fahnenträger nicht direkt die Faust unter die Nase zu halten, weil das verunsichert einen instabilen Menschen, da muss man dann schon verstehen, wenn der dann grantig wird, sondern ihn einfach freundlich dazu zu beglückwünschen, dass er so deutlich und weithin sichtbar für Vielfältigkeit und Völkermischmasch einsteht. Was meinst, wie der schaut.

Freitag, 8. Juni 2018

Freizeitavatar

Bin ich nicht gefragt worden, ob ich eigentlich wirklich alles immer so erleb, wie ich’s hier hineintagebuche, oder ob es nicht vielleicht sein kann, dass ich gelegentlich ein bisschen schlecht träume. Da bin ich dann direkt ein bisschen rot angelaufen. Wegen Ertappung. Mist, hab ich mir gedacht, jetzt kommen sie mir doch langsam drauf, dass ich zwar mit einer blühenden Fantasie und flexiblen Grammatik, im Gegenzug aber auch mit einem verdörrten Leben gesegnet bin. Sogleich hab ich mich daheim wieder ins dunkle Kabuff verzogen, meine Gewitter-Kassette eingelegt und traumweltend weitergehofft, dass dieser bereits 57 Wochen dauernde Sommer vorbei und endlich wieder November ist. In der Zwischenzeit kann mein Avatar, der mir dank guter Verbindungen zum chinesischen Geheimdienst und Herrn Mu-ming Poo vor einigen Jahren zur Verfügung gestellt wurde, draußen herumspazieren und meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen. Leider ist der Apfel ebenso alt wie sein Stamm, weswegen es hier und da gewisse Verbesserungsbedürftigkeiten gibt. So entspricht die Speicherfähigkeit des Avatargehirns dem Besten, was die Technik hergibt. Will sagen: was sie hergeben konnte zum Zeitpunkt der Kreation. Hier kneifen wir feste die Augen zusammen und drücken ganz dolle und pressen eine Erinnerung an etwas namens „Diskette“ aus unserem tiefsten Erinnerungsschlund hervor (die Jüngeren unter euch lesen am besten gleich doppelt weiter, wegen 1. noch nie gehört von „Diskette“ und 2. prinzipieller Problematik mit „Erinnerung“ weil wieso erinnern, steht doch alles im Wischkastl). Das war das Ding von der Größe einer halben Schokoladentafel (zartschmelzend), auf das grad so viel Datei gepasst hat, dass man eine Zeit lang Prince of Persia hat spielen können und zwar dergestalt, dass kleine Quadrate in den Farben Schwarz, Weiß, Hell- und Dunkelgrau sich irgendwo umeinanderbewegt und dazu schwierige Knattergeräusche von sich gegeben haben und mit Glück irgendwann Prinzessin, sprich Klumpungen von grauen Quadraten mit hellen obendrauf und dazu Jubelorchester und Fanfaren von einer Klangqualität wo du heut sagst hab ich’s vielleicht doch ein bisschen übertrieben mit der Geilepartymukkefreibadkomplettbeschallung aus meiner portablen und jetzt verschiedenen Superbox. Also so viel Datei wie heut eine Whatsappnachricht. Geschrieben, nicht in Voice. Das könnt ihr jetzt gleich einmal nachwischkasteln. Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass hiermit das Geheimnis meiner angeblichen Gesichtsblindheit geklärt wäre. Wenn ihr den Avatar also irgendwo seht und grüßt und dann kriegt ihr statt Zurückgruß einfach nur ein sehr, sehr dumpfes Glotzen zurück – nehmt’s ihm nicht übel. Ein freundschaftlicher Knuff und eine kühle Limo bewirken unter Umständen eine Defragmentierung. Ich bleib derweil hier liegen und erfinde Geschichten aus dem echten Leben. 

Samstag, 2. Juni 2018

Festivalchronologie


Für alle Menschen, die tatsächlich noch nie auf einem Festival waren, erfolgt hier ein vorausschauender Rückblick der besucherdurchschnittlichen Geschehnisse auf Basis langjähriger und vielfältiger Erzählungen, um sie entweder darin zu bestätigen, dem Event weiterhin fernzubleiben, oder höchst motiviert noch eilig sich nach Tickets umzutun ... Tag 1: Motivation so mittel; tiefsitzende Erinnerung an vorausgegangenes Leid, unvorstellbare Erschöpfungszustände, schlimmen Ekel; in weiser Voraussicht Präparation zur Schadensbegrenzung; Großeinkauf: isotonische Getränke, Obst, Gemüse, Alka Selzer, Desinfektionsspray, Regenschutz, Sonnenschutz, diverses Leichtgepäck; Vorkochen von nahrhaften, vitamin- und minderalstoffhaltigen Speisen zur täglichen Wiederbelebung; Gummistiefel polieren; Kleidung raussuchen, die gleichsam festival-leger doch auch distinguiert wirkt, um sich vom campierenden Pöbel abzuheben; Bargeldabhebung von höchsten 20 Euro tätigen wegen FSK; 16 Uhr: entspannte Busanreise; spontaner Ekel wegen Mitfahrern, die sicher nicht die erste Bierdose schwenken; 16.22: Ankunft; spontaner Neid auf alkoholische Getränke jedweder Art; Aufsuchen des nächstbesten Kiosk in Treffpunktnähe; Treffzeit auf eine Stunde ausweiten wegen Kioskbier lecker und zudem günstig, außerdem sehr viel „Hallo“; 18.07: Einmarsch aufs Gelände in ausgesprochen fröhlichem Zustand; juhu endlich Festival! 20.39: zwei Konzerte verpassen wegen Anstehen am Geldautomaten; egal, alle sind meine Freunde; 22.13: Tanzanstehen am Dixie; welche Konzerte?! 00.27: spontanes Chorsingen im Nachtbus; 01.15: Verzehr des Gesamtlebensmittelvorrats fürs Wochenende. Tag 2: alles sehr schwierig, aber was muss, das muss; Rucksäcke ausräumen oder gleich daheim lassen, kein Mensch braucht Regenschutz oder Desinfektionsmittel, leger schlägt distinguiert, Campingpöbel ist eh viel geiler, wo ist eigentlich die Pippi-Langstrumpf-Perücke vom letzten Fasching, wenn man den Schnaps mit Kaffee mischt geht’s eigentlich; 13.00: sofortige Wiederaufwärmung des Vortagsrauschs; 13.14: Vertiefung desselbigen wegen das hält doch sonst kein Mensch aus; 13.15: Wiederholung des Vorabends, Gepäckerweiterung um aufblasbare Maßkrüge, Sternchensonnenbrillen, Whiskeyturnbeutel, Hennatattoos etc.pp. unbekannten Ursprungs; Sparkonto räumen; Fotosession mit Polizeistaffel wegen gute Laune; Ankunft daheim irgendwann, sofortiger Tiefschlaf auf der Türschwelle. Tag 3, 11.00: Welthass, Selbstekel; 14.30: Welthass, Selbstekel; 17.00: Beginn der Restaurierungsmaßnahmen; Kleidung möglichst distinguiert wegen Abhebung vom Campingpöbel; offensichtlich am Vorabend um 100€ bestohlen worden, alles scheiße; 19.00: Ankunft, Ekel, Widerwillen; 19.07: Longdrink oder heim? Longdrink! 19.15: Londrink! 20.03: blöde Frage! 20.47: Warum zur Hölle bin ich erst so spät gekommen? 22.21: Juhu Riesenrad, Liebestaumel, scheißdrauf, nureinmaljung; 00.40: Cuba-Bestellung beim Busfahrer. Unmut serviert bekommen. Ihn trotzdem lieben … So oder so ähnlich dürfte das also ausschauen. Ich für meinen Teil bin ja zu alt für den Scheiß und bleib daheim auf der Cou… Moment! Wie? Noch Tickets? Ach du, dann … ja, bis gleich! – Bleibt tapfer! Alles wird. Irgendwann auch wieder gut! Und alle anderen? Mir doch egal!