Montag, 28. Dezember 2020

Der große Wampolini

 Ihr Kinderlein bleibet, o bleibet doch all! Die Grippe sonst kommet und bringt euch zu Fall … Scheint ja halbwegs funktioniert zu haben, und zumindest was mich betrifft hat bei weitestgehend geklärter Gemengelage ein recht vergnügtes Mengengelage stattgefunden inklusive Zeitreise, weil nach 20 Jahren feierlichem Auszug von daheim hat es jetzt einen nicht minder feierlichen Einzug zurück ins Elternaus gegeben, der gleichwohl wunderschön war als auch eine kleine Korrektur der romantischen Idee einer familiären Mehrgenerationen-WG, der ich zuletzt vermehrt nachgehangen hab. Jedoch mit neuem Verständnis für das zu Unrecht vergessene Konzept des „Ausgedinge“ als Séparée im Gartenhäusel, in dem die Alten leben. Nach diesem Dreitagsabenteuerausflug in die Welt hinaus lieg ich jetzt also wieder auf dem Kanapee und überleg, ob wenn mir jetzt die Staubmäuse auf dem Bauch umeinanderspringen man konsequenterweise von einem „Wampolin“ sprechen muss und außerdem, wie groß wohl die Gefahr ist, in diesem ohnehin sehr gefährlichen Gebiet namens „Zwischendenjahren“ kompasslos vollends zu verschwinden nach einem Jahr, das sich so schon anfühlt, als hätt es nur vorgespult stattgefunden und einzig den vormals verwirrenden Wunsch „Bleib bitte negativ!“ mit einer quasireligiösen Sinnhaftigkeit versehen, während es in rasender Geschwindigkeit aus einer Drossel einen Propheten, aus Parkplätzen Biergärten und aus Umarmungen Judasküsse hat werden lassen. Und es rast ja auch noch weiter, weil kaum hast du das mit dem Weihnachten erledigt, stellt sich der Menschheit schon das nächste schier unlösbare Problem: Silvester – wer bin ich und wenn ja, wie viele? Weil wer nicht auf dem Schwarzmarkt eine der dort für viel Geld gehandelten Jacken eines bekannten Lieferdienstes ergattern hat können, der sieht sich mit einer lange nicht gekannten Herausforderung konfrontiert: der verbindlichen Entscheidung. Vorbei die Zeit der huldvollen Entgegenahme zahlreicher Einladungen, zwischen denen dann kreuz und quer gehoppt und hernach der Reihe nach die diskothekalen Gästelisten abgehakt werden! Weihnachten formt den Körper, Silvester den Charakter! Einmal eine Wahl getroffen, gibt es kein Entrinnen! Szenarien: Haushalt (HT) 1 empfängt HT2, der sich als nimmermüd herausstellt statt wie vereinbart Bettschwere zu äußern gegen 22 Uhr. HT1 besucht HT2, um dort weite Teile des Abends auf dem fremden Sofa alleine durchs TV zu zappen. HT2 verschwindet kurz auf die Toilette, um nach einigen Stunden und gewaltsamen Eindringen schlafend in HT1s Badewanne gefunden zu werden. HT1 & 2 sind wach und guter Dinge, leider faselt HT2 congnacschwenkend ununterbrochen von Altbaucharme und Seitansushi und blättert sich durch die Sammlung süßer Polaroids, derweil HT1 doch nur Mäxchensaufen und dann Karaoke wollte. „Nürnberger Nächte sind lang / erst fangen sie ganz langsam an / aber dann, aber dann …“ Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Gute Entscheidung euch, guten Rutsch und: Bleibt negativ!


Montag, 21. Dezember 2020

Schutzwoche

 Hallo ihr süßen Weihnachtswichtel! Macht hoch die Tür, die Tohoor macht weit, es kommt der He…ilige Kamillus und macht sie wieder zu und hebt einen tattrigen Schutzpatronenfinger und sagt „Wir haben doch gesagt“, sagt er, „wir bleiben jetzt wirklich alle einmal einfach daheim!“ … ‚zumindest wenn wir ein Daheim haben, himmisakra‘ hat er noch hinterhergenuschelt, und die alte Frau Liesl aus dem dritten Stock schaut ein bisschen schief, weil daheim ist sie eh immer, und zwar allein, seit der Aloisgotthabihnselig nicht mehr ist. Versteht sie also das Problem nicht. Problem hab ich auch keins bis auf eines: Voller Hochmut hab ich vor gar nicht allzulanger Zeit eine Hosenbunderweiterung zum hineinknöpfen gezeigt bekommen und gefunden, der Algorithmus ist nicht schlau, denn er hält mich für schwanger. Heute weiß ich’s besser. Schon verrückt: Kaum ersetzt du Bewegung durch Kipferln, passiert allerhand mit so einem Körper. So bin ich also vom hohen Ros‘ entspruuu… nein: Ross gefallen, pfeilgrad hinab aufs Kanapee, wo ich im aufopfernden Dienst am Vater- und auch Mutterland zu verbleiben gedenke, man möchte ja schließlich seine Eltern sehen am Fest der Feste, dessen Besonderheit ich zudem mit einer Holzschnitzarbeit zu markieren plane, die mir ein renommierter Künstler vermacht hat („Schau mal Mamapapa schau ich hab was total Tolles geschenkt bekommen stell dir mal vor der wollte das wegwerfen aber das konnte ich natürlich nicht zulassen für sowas zahlen andere Leute viel Geld und wir können das jetzt einfach im Garten haben!!“ – „Schön, Tochter. Endlich haben wir einen eigenen Galgen.“). So. Es ist also der Onesie frisch gebügelt, Kühlschrank und Vorratskammer well prepared weil es darf freilich nicht passieren, dass der sorgfältig auf Medizinballgröße geweitete Magen vor dem großen Fressen ballongleich zusammenfällt und dann schon nach der Vorspeise die schrumpeligen Segel streckt. Wenn das Haus wider Erwarten verlassen werden muss, dann nur im Tatortreinigergewand, notfalls geht auch ein Taucheranzug, denke ich, Hauptsache, man berührt nichts mehr, und ob die Dame an der Apo- oder Käsetheke dich hinter Plexiglas und FFP2 nicht mehr versteht oder Lippenlesen muss durch deinen Astronautenhelm ist vielleicht auch schon wurscht. Ladys and Gents, we’re ready to Schutzwoche: Wir halten die Füße still und das Shopping in Grenzen, wir suchen den Sinn zu Hause statt der Erfüllung hinterherzujuppeln. Wir überlegen sorgfältig, einen Wocheneinkauf statt des täglichen Schnellmalnoch und wen wir treffen und wann statt dem Partydefilee. Wir klopfen vorsichtig an Elternhäuser und fragen ob vielleicht nach den Plätzchen auch ein Platzerl noch zu haben wär, nämlich im Krippensofa für über die stille Nacht, heilige Nacht. Wir schnitzen aus Brettspielen und Netflix unsere eigene Showbühne. Dann schauen wir uns das an und vernehmen verwundert ein klingglöckchenStadeZeitklingelingen im Ohrenwinkel ... Bleibt fröhlich, dankbar und gesund, lasst uns froh und munter sein und uns recht von Herzen freuen und an die Frau Liesl aus dem dritten Stock denken. Mindestens. Frohe Weihnachten! 

Freitag, 11. Dezember 2020

MacGeifer

Unschuldig hab ich letzte Woche ein paar frivole Zeilen in die Welt hinausformuliert: „Verwirrend: Muttern findet die Reiseeinschränkungen prinzipiell begrüßenswert, entbinde das doch das Zwangsgefüge buckliger Verwandtschaften von unzähligen Autobahnkilometern lästigster Feiertagspflichtbesuche. Rapportiert im selben Atemzug vom ersten Plätzchenbuk seit 35 Jahren (Was bisher geschah: ‚Mama backst du mal bittebitte?‘ – ‚Ich glaub du spinnst.‘), schickt sorgfältige Fotodokumentation samt Hinweis, man dürfe sich das gern jederzeit abholen. Versuche, zwischen allen Zeilen zu lesen und Botschaft zu entschlüsseln.“ Ein schwieriges Projekt. Tagelang hab ich in der herabschauenden Putte vom Stuck gehangen, bin meinen Gedanken im Kreis hinterherkarussellt und hab sie durch plötzlichen Richtungswechsel zu überrumpeln versucht. In Miss Marple hab ich mich hineingefühlt als Sherlock durch die Nebelschwaden meiner Pfeife angestrengt die Brailleschrift meiner Raufasertapete bemonokelt. Doch selbst nachdem ich den Inhalt meiner Kindheitserinnerungskiste auf den Boden geleert und mit jedem dritten Gegenstand aus dem Biomüll erst farblich ansprechend und dann noch olfaktorisch kombiniert hatte: eine Lösung blieb gänzlich außer Sicht, zumal der Gegner – ich – mit verwirrungstaktischen Schachzügen bombardiert und vom eigentlichen Ziel abgelenkt wurde. „Bitte bleiben Sie daheim aber gehen Sie unbedingt shoppen!“, hat es da geheißen, und „Bitte mäßigen Sie ihren Konsum aber supporten Sie unbedingt your local dealer!“ und dann bei „Couching for Weltfrieden!“ und „Shopping for Vaterland!“ hätten sie mich fast gehabt, die Lauser, aber geschwind hab ich mich in eine Übersprungshandlung gerettet und listig ein paar Runden auf meinem neuen Staubsauger gedreht: Putzen for Hausfrieden! Und wie das dann oft so ist: Wenn der Geist im Körper ruht, geht er befreit spazieren und entwickelt allerlei Ideen. Meistens tut er das anstatt gefälligst einzuschlafen, doch ich bin harrypottergleich auf meinem Nimbus 2020 zur Balkontür hinausgestoben. Skibrille auf, Baumwollhandschuhe an und ab die Luzi, bambam-baba-bambam-baba-bambam-baba … didldööö, didlödöööö – dödöp! Mit quietschenden Reifen driftet MacGeifer um die Kurven raus zum Elternhaus, alleeeez hoppsassa mitten durch die Nachbarshecken, drei, zwei eins und mit einem gezielten Slide Fuß voraus rein ins Kellerfenster. Kurze Stausituation auf Höhe des mittleren Rings wird mit lautem Plopp bewältigt, dank jahrelangem Studium des elterlichen Grundrisses findet die Heldin den Weg zum geheimsten Vorratsschatz mit schlafwandlerischer Sicherheit ohne auch nur einer Mäuseseele zu begegnen, der Mensch eine Maschine aus Schnelligkeit und Eleganz und bevor auch nur ein Virus sich übertragen oder ein Staubkörndel zu Boden hätt fallen können bin ich … ebendort aufgewacht. Statt Zuckertraum nur Nightmare before Christmas! Sturz. Ein großes Knäuel aus Mütze-Schal-Brillenglasbeschlagen-Mundschutzhenkel. Jetzt Verwirrung und Kopfweh. Keine Plätzchen. Mama … ?

Freitag, 4. Dezember 2020

Cyberfitness

 Es war schon stockfinstere Nacht, als gestern ein Schreckensschrei durch mein Schloss gellte. Ich bereits in Abend- sprich: gelöster Stimmung, Tagwerk beendet, Arbeitskleidung gegen die dem Heimgebrauch angemessene getauscht, ächzend aus der Jogginghose und dem Schlumpipulli ins danebenstehende Schlafgewand fallengelassen; bereit für Couch und Tagesschau und dann noch kurz was aus dem Bildungssegment, und dann machst du die Glotze an und ... Hobbala, erst viertel nach fünf, womöglich ist der Tag noch gar nicht rum. Also jedenfalls trotzdem schon eher so dösig, und in einer Dösigkeit tippel ich ja gern einmal sinnlos am Computer umeinander (q. e. d.), um dann irgendwo herumzudrücken und zwei Tage später klingelt plötzlich morgens der DHL-Markus und bringt drei Paar neue Winterstiefel oder eine Hängematte. So jetzt grad auch, und plötzlich tut’s einen Mordsschrei – pfeilgrad aus mir heraus: „SCHEIßE, JETZT HAB ICH MICH DA EINGEBUCHT!“ Hektik, Herzrasen, Hirnstress. Weil das war so: Man kann ja zu seinem aufrichtigen Leidwesen grad wirklich ü-ber-haupts keinen Sport machen. Aufm Radl friert’s dir die Ohren ab, beim Spazieren stößt man zusammen, beim Walken schaut man einfach nicht aus. Beim Wandern rutscht man über Laub, beim Schach verliert man und beim Wii haust du dir die Wohnungseinrichtung zusammen wegen der erforderlichen Haltung beim Golf / Bowling / Baseball und dem Freizeitgeneral, der schreit „HALTUNG EINNEHMEN!“ wenn du einmal aus Versehen kurz auf der Couch gelegen hast und von dort locker aus dem Handgelenk einen Strike nach dem anderen abgeräumt. Also ein Debakel mit dem Nichtbewegen, und dazu saublöd weil du tätst fei wirklich dauernd nur sporteln wenn man dich nur lässtete. Doch leider, leider ist’s wie schwanger sein: Tagtäglich wird die Wampe größer und man kann überhaupt nichts dafür, geschweige denn dagegen! Couching for Weltfrieden! Jetzt hat die Turngruppe, bei der ich nunmehr seit spätestens März so unschuldig wie endgültig zum Fördermitglied avanciert bin, sich was verrückt Modernes einfallen lassen, nämlich einen Onlinesport. Ein jeder, der nur ein kleines Handtuch und im Optimalfall auch ein wenig Platz hat, kann sich nun daheim vom Bildschirmsergeant drillen lassen statt in der bösen Aerosolhalle. Doch „superschade“, hab ich jüngst bedauern müssen, „dass ihr die Kursbuchung immer schon so zeitig schließt. Ich tät ja wirklich dauernd öfter, also: ständig! mitmachen, wenn ich nur kurzfristiger teilnehmen könnt“, und Wimpern und Wampe haben dabei so unschuldig geklimpert wie ich jetzt vorhin im Online-Kursplan herumgehackt hab. Wegen Sicherheit. Geht ja eh nicht. Hehe! Doch plötzlich: „Deine Buchung war erfolgreich, dein Kurs beginnt in 2 Minuten.“ Hab dann vor Schreck aus Versehen meinen Internetstecker gezogen. Sicher ist sicher. Alles wird. Vielleicht auch … ach nee.