Freitag, 26. März 2021

How to Glosse

 „… und weiße Spalten gibts nicht, das ist wie bei den Lehrern, hier wird nicht gestreikt“, war die gänzlich unerwartete, doch dafür umso nachdrücklicher joviale Antwort meines persönlichen Sklaventreibers auf meine vergnügte Ankündigung hin, demnächst mal blau zu machen. Zur Feier des Tages im Speziellen und des Lebens im Allgemeinen, weil das kommt mir grad irgendwie zu kurz. „Ich muss aber schaukeln“, hab ich revoluzzerhafte Einsicht simuliert und zur Verdeutlichung demütig mein Haupt gesenkt. Und mich sogleich in den inneren Widerstand begeben. Das wollen wir doch mal sehen, wer da am längeren Hebel sitzt, hab ich’s mir im Chefsessel insubordinativ bequem gemacht und einmal laut und bossy auf den Flur gepfiffen. „Alle mal herhören, Leute!“, hab ich gerufen und kurz darauf in zahlreiche zarte Gesichtlein geschaut, die mich zugleich erwartungsvoll wie ängstlich, vor allem aber von unten herauf angeschaut haben. „Ihr könnt jetzt mal aufhören mit der ganzen Kopiererei. Fenster putzen sich auch morgen noch, und das mit dem verstopfen Abfluss und den Wollmäusen unterm Sofa können wir später regeln. Weil jetzt wird euer größter Traum wahr, ihr Süßen: Endlich könnt ihr auch einmal schnell so eine kleine Kolumne in die Zeitung reinschreiben. So wie ihr es euch immer gewünscht habt. Einfach irgendeinen Quatsch, den ihr grad so im Kopf habt, überhaupt kein Stress. Denkt halt dran: Es sollte witzig sein, aber nicht zu verschroben, sonst motzen später alle, dass ihr spinnt. Es sollte irgendwie klug sein, weil es steht ja schließlich irgendwie Fölledong drüber, aber bloß nicht zu klug, weil sonst sagen sie euch hinterher oder bestenfalls fünf Minuten vor Druckschluss, dass das so nicht geht, weil euch kein Mensch gedanklich folgen kann. Es sollte unterhaltsam sein, aber Vorsicht: Schön aufpassen, dass ihr nicht respektlos seid und jemanden verletzt, da gibt’s ein Mienenfeld aus Fettwannen, um die ihr schön herumtanzen müsst, es hat sich der Ausfallschritt in Kombination mit einer kleinen Tangostrecke, gefolgt vom Mambo-Chacha als Patentlösung erwiesen, notfalls hängt ihr schnell einen Rittberger hintendran, der geht auch dreifach. Ähm, was noch? Ach ja, also das alles bitte irgendwie nachvollziehbar, aber gleichzeitig pointiert, und am besten richtet ihr euch ein Zählwerk ein, dass beim Schreiben 2800 Zeichen downcountet, da linst ihr mit einem Auge immer drauf, sonst böse Überraschung und Anschiss wegen Zeilenformat gesprengt. Ich glaub, das war’s schon. Das Ergebnis hätt ich dann bitte gern bis 15.30 auf dem Tisch. Ja, schaut nicht, so, ich weiß, dass das in 63 Minuten ist. Schafft ihr schon. ICH geh jetzt jedenfalls schaukeln.“ Hab ich gemacht, original und pfeilgrad genau so. Keine Ahnung, was dabei rausgekommen ist. Ist mir auch wurscht. Weil ich find nämlich immer noch: zum 400. Sofa-Geburtstag, da hab ich mir einen Frei-Tag echt mal redlich verdient. Howdy!

Donnerstag, 18. März 2021

Hätte. Könnte.Würde!

 Lang hab ich gedacht, ich wüsst ganz gut, was etwas mit „Würde“ zu tun hat. Was zum Essen haben hat dazugehört, Klamotten, Wasser, mit seinem Beruf die Miete bezahlen können, so in der Art. Da hab ich aber wie so oft die Rechnung ohne den Kini gemacht. Der kam, sah und fiepte: „Frisur! Würde!“, und noch während er’s gesagt hat, hab ich gefunden: Ja, Markus, schon insbesondere auch die deine, weil hast du wohl auch mitgekriegt anhand von u.a. Präzedenzfällen im englischsprachigen Ausland, dass Frisur und Politik irgendwie eng beinanderzuhängen scheinen, du süßes kleines Monchichi! Hab ich mir gedacht, dem Kini innerlich zärtlich die Zauselocken gestrubbelt und dabei hämisch an den splissigen Strähnen der wallenden Mähne genuckelt, die mir weitestgehend unbemerkt über den eigenen Kopf gewachsen war. Aber wo die einen sagen „Karma“, sagen die anderen „Das Imperium schlägt zurück“, und während ich genuckelt hab, hab ich vor lauter Schmatz das imperiale Säbelrasseln nicht gehört. „Würde“, hab ich also unlängst in ein Schaufenster hineingesprochen, „es Ihnen etwas ausmachen, mir nachher geschwind die Spitzen und den Nacken wieder zu zivilisieren?“, und weil es der Dame nichts ausmachte, saß ich bald auf einem Stuhl, eine Stunde später auf dem Radl und weitere drei Minuten später weinend unter der Bettdecke. Eine Angehörige vom Reinigungspersonal, so musste es geschehen sein, hatte sich mit Schere und Rasierapparat bewaffnet als Coiffeur verkleidet, während der Chef in Mittag war, hatte verständig genickt, meinen Ausführungen gelauscht und sich Bilder zeigen lassen, um sich sogleich ausdauernd ans Werk zu machen. Das forumunschöne Ergebnis war ähnelte frappierend der Uniform des Love-Parade-Jüngers der 90er Jahre, wenngleich in einer expressionistischen Variante von Ostblock-Architektur: massiv und kantig. Hinten auf Augenhöhe mit dem Rechen grade abgezogen eine schöne, dicke Stufe, der nach vorne hin in flottem Gefälle (75%) links und rechts zwei Dreieckshasenohrenmatten folgten, deren Keckheit eine Asymmetrie und von unten hervorwinkender Fransensalat dezent zu betonen wusste. „ICH MUSS FÜR IMMER MÜTZE AUFHABEN!!!“ hab ich geweint, gefleht und mit wirrem Blick das Spiegelbild mit der Bastelschere bedroht. „Ach, das ist doch nicht so schlimm, das verwächst sich doch wieder!“, hat mein wortgewandter Therapeut versucht zu deeskalieren und alle Messer weggeräumt. „NEIN TUT ES NICHT HÖCHSTENS VIELLEICHT BIS 2030 IST DAS WIEDER HERZEIGBAR!“ hab ich mich auf dem Boden gewälzt und das Wort „Würde“ noch nichteinmal mehr schreiben können. Der Himmel war verdüstert. Doch daraus hervor reckte sich eine Göttinnenhand, die sprach: „Bist sehr verzweifelt?“ und „Schick mal Fotos!“ und „Wann kannst du hiersein?“ Ich konnte schnell. Und nach einer fürwahr weltmeisterlichen Leistung mir zwar leichtem, doch äußerst würdevollem Haupt wieder nach Hause gehen.

Freitag, 12. März 2021

Roggenvollkornfäustling

Lustig. Da stellst du jahrelang mit feuchten Augen die schmerzhafte Frage in die Welt hinaus: Wer und warum und wieso hat eigentlich bestimmt, dass nur einmal im Jahr Geburtstag ist? Und dann auf einmal wachst du eines Tages auf und es schmerzt nicht mehr die Frage, sehr wohl dafür der Kopf, und während du durstig am Apfel der Erkenntnis lutschst, dämmern gleichermaßen Tag und Einsicht, dass gelegentlich Konzepte, die von Erwachsenen erfunden worden sind, schon ihre Berechtigung haben. Auch wenn man sagen muss, dass grad diese Erkenntnis aktuell gewaltig zu philosophischem Dörrobst zusammenschmurgelt. Ja, also schmurgeln, da geht’s eigentlich hin. Hab ich ja gesagt: Hobbys und so, und was alles eher nicht mein neues Hobby wird, Nasenrachenabstrich beispielsweise. Dafür hab ich in den letzten Monaten beobachtet, dass das Brotessvolk zu einem Brotbackvolk sich gemausert hat, und so dacht ich: Das probierst du auch einmal. Roggenvollkorn, Hefe, Salz und ein Löffelchen voll Zucker, das den Sauerteig versüßt, so schwer kann’s doch nicht sein, das macht man doch mal schnell am Sonntag, bevor man das Haus verlässt. Das Haus war dann nicht so schnell verlassen, wohl aber anscheinend ich von allen guten Geistern, der Stromkreis kurz vom Kollaps, der Mitbewohner ebenso. Denn was gefälligst hätte ein geschmeidig-feiner Teig duftender Substanz hätte werden sollen, auf dass er freundlich in der Schüssel schlummere und dort wüchse, kämpfte mit unvorhergesehener Gewalt um sein Leben. Wie ein wildes Tier in Panik schmiss der Teig sich in der Schüssel erst von links nach rechts, schließlich weit darüber hinaus, um sich, als das nichts half, einer Superkraft zu besinnen und sich in Spezialkleber zu verwandeln. Der Feind, namentlich ein zunehmend erhitztes Handrührgerät, wollte besiegt werden, indem man ihn lähmte, und so wickelte sich das Tier als zwei saftige Keulen um die Rührarme, um dort zu verweilen und mir triumphierende Blicke zuzuwerfen. So nicht, rief ich aus, griff tief in den Teig hinein, um ihn mit blanken Händen zu besiegen, doch der Teig war schneller, wickelte sich in Windeseile um alle Finger und verschloss sich schließlich mit einem satten Schmatz zu ordentlichen Roggenvollkornfäustlingen. Und wie wir vom beliebten Kinderspiel „Schokoladeessen mit Handschuhen und Besteck“ wissen, gelangt man dergestalt vergleichsweise schlecht an Waffen in Schubladen. Während ich später, viel später, mit sehr, sehr viel warmem Wasser den Teig in die Form hineinstreichelte, erinnerte ich mich an Episoden aus Lehm. Dieser schöne Glitsch, der braune Gatsch in Form liebkost, die erotische Zärtlichkeit der Berührung des Naturprodukts, Momente des Glücks angesichts klumpiger Töpferarbeiten voller Liebe: ungestalte Vögelchen, schaurige Köpfchen, mysteriöse Schälchen und der Evergreen unter den Tonkunstwerken. „Heuraka!“, rief ich. Zeitgemäß, klimabewusst, umweltschutzgemäß und sowas von wiederverwertbar: der essbare Roggenvollkornaschenbecher – das wird DER Hit auf allen Festiv… Ah, Moment. Ich denk nochmal drüber nach. Noch jemand ein Stück Apfel?

Freitag, 5. März 2021

Geburtstagsrallye

 Heute vor genau einem Jahr hatte ich bald Geburtstag. Überraschenderweise erinnere ich mich ganz genau, was wohl daran liegt, dass damals urplötzlich aus einer großen Reise eine kleine wurde, aus einem Meer ein Fluss, aus Strandtagen Nieseltornados und aus exotischen Speisen Fischsemmel und Bier. Was vor allem aber in dieser einen Woche deutlich schrumpfte, das war der Menschenkreis, in dessen Mitte ich bis dato ordentlich gebügelt, auf Kante gefaltet und sorgfältig verstaut war. Ein bisschen wie Miniplaybackshow, nur in gruslig: Hinein in die Zauberkugel, dort drin ein bisschen Huch und Hihi und Hui, und eine Woche später hinausgespien in eine Welt, in der nicht das traditionelle Crowdsurfing anlässlich des Wunders meiner Geburt durch alle Häuser inklusive Handschlag aus dem Bürgermeisteramt, sondern eine zurückhaltende Séance im kalten Freien mit Fern-High-Five und ohne Bussibussi stattgefunden hat. Auf letzteres kann ich ganz gut verzichten, aufs Crowdsurfing gleichwohl viel weniger, sei’s nun für Geburtstag, KonzerteindererstenReihe, Theateroperlichtspielhaus oder einfach nur einmal mit einem Mordsrausch in Herz und Hirn durch die Stadt walzertangochachatwerken und in jedem Biergarten, Straßenitaliener und Pils-Eck mit so vielen Leuten wie ich gefälligst will und kenn(enlern) auf die Gemütlichkeit zu prositen, ohne vorher ein Doodle mit Zeitslots erstellt haben zu müssen, Himmelherrgottsakramentnocheinmaleins! Denn letztere Variante war eine der zahlreichen, behelfs derer Menschen in den vergangenen zwölf Monaten versucht haben, unter Einhaltung aller Ver- und Gebote aus dem pandemischen Hamsterrad auszusteigen und wenigstens einen von 365 Tagen zu besondern. Ich hatte den Zeitslot 17-17.30 für Spaziergang mit Prosecco ergattert. Darüber hinaus bin ich im vergangenen Jahr einen schönen Nachmittag auf einem Picknickdeckenflickenteppich gesessen, bei deren Abständen zueinander Aladdin feuchte Hände vor Manövrierfähigkeit bekommen hätte, habe als Tambourmajorin eine Mundharmonikaparade durch Schleichpfade in Hinterhöfe geführt, um dort abständig zu kondolieren, bin weit gereist, um in konspirativen Waldsitzungen exzessive Wanderpartys zu dritt zu feiern, durfte eine Geburstagsrallye protegieren, die den Jubilar zu zehn Singlehaushaltsstationen mit Quiz, Gesang und Grill und ebenso viel Promille (ab Station zwei!) brachte, habe Heliumluftballons zu Balkonen aufsteigen und den Einsatz von Schaufelbaggern als praktische Hebebühne prüfen lassen. Ich habe in einem schönen Holzgatter und über Zäune geschwoft, Torten in Houseparty-Apps gemalt, Videobotschaften in Spielfilmlänge (und -aufwand) versendet, Geschenke aus Autos geworfen und hinter heimlichen Hecken gedealt. Und irgendwie versucht, das Beste draus zu machen. Weil zusammen ist man weniger allein. Ich hoff, ihr habt irgendjemanden, der euch einmal drückt. Und dass ich zum Geburtstag endlich einen Bademeisterstuhl bekomm. Oder einen Zorbing Ball.