Freitag, 8. April 2022

Morgenstund hat Gold im Mund

 

Es gibt Sprichwörter, die erschließen sich mir relativ schnell, und andere, da sag ich: Entschuldige, aber wer hat das denn bitte so erfunden? Bevor ich mich hier in Details verlier – es geht natürlich um „Morgenstund hat Gold im Mund“. Da kann unmöglich ein Mensch verstehen, was das sein soll, es sei denn, es handelt sich hier um einen Übertragungsfehler, und ursprünglich soll das heißen „hat Gold im geschlossenen“ Mund! Weil also erlaube mal, es hat schließlich seinen Grund, warum Menschen morgens die Zähne putzen, mit Listerine spülen und optional mit Wasserstoffperoxid gurgeln, bevor sie das Haus verlassen. Zur aufgrund hermetisch abgeschlossener Lippen schweigenden Tätigkeit zählt höchstens vielleicht noch das Schreiben, und dann wird vielleicht ein Schuh draus, weil wir alle wissen: Reden ist Silber, Schreiben ist Gold. Ich hatte jedenfalls unlängst alles andere als Gold im Mund zur Morgenstund, sondern vielmehr Pinzetten, Wasserschläuche und diese herrlichen Wattestopfen, mit denen man vermutlich nicht nur den Mund, sondern auch ganze Kellerzeilen trockenlegen könnte. Korrekt, ich war beim: Zahnarzt Komma der = Angstperson Komma die. Hey ich mein, da machst du lässig einen Termin aus, Kontrolle, easy und so, hast eh immer gut geputzt und gespült und gezahnseidet und gezahnzwischenraumbürstelt und rauchen eh nicht und Kaffee geht so und Tee naja und Zucker BUH!, was soll da schon groß passieren, nicht wahr! Dann kommt der große Tag, der damit beginnt, dass du die Morningroutine halt einfach mal so spaßeshalber, nicht weil es irgendwas bedeuten würde, iwo, halt weil du eh grad schon drüber bist um drei bis 17 Minuten verlängerst, denn in deinem Hinterstübchen sitzt ein neongrünes Tier, das sagt „Denk an die Zahnfärbetabletten und die ewige Schmach, wenn der Onkel Doktor dir zeigt, wo du überall nicht gut geputzt hast, und dann musst du den restlichen Tag mit blauen Zähnen rumlaufen!“ Dann wird’s schon etwas banger, aber hey, du bist 40 Jahre alt, reiß dich zusammen gefälligst! Du betrittst die Praxis, wo du umgehend nervös zu witzeln beginnst und versuchst, Zeit zu schinden: Erstmal Klo, dann ordentlichst die Jacke in die Garderobe falten, und wenn du schon dabei bist die anderen Jacken darin auch. Dann als du grad versuchst, das Personal in ein Fachgespräch über Zimmerpflanzen zu verwickeln, reißt der Arzt gut gelaunt die Tür auf, flötet „Wie geht’s!“ und drückt dir sogleich einen „Kräftig spülen bitte!“-Becher in die Hand, um klarzustellen: Du hältst jetzt die Klappe. Beziehungsweise reißt selbige weit auf. Dann Schwitzhände und Zeug, bis die Worte kommen, die die Welt bedeuten – und dich in Sekundenschnelle zu einer überglücklichen und bollestolzen Fünfjährigen werden lassen: „Alles wunderbar. Und gut geputzt hat se auch!“ Also doch Gold im Mund! Und vielleicht ja irgendwann mal Grillz.

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