Vor ein paar Wochen habe ich eine Freundin, die Anwältin ist, in eine für sie ungewohnte Situation gebracht. Nämlich ins Schwitzen mittels eines peinlichen Verhörs. Seit vielen Jahren ist es ein Running Gag bei uns, dass sie „immer“, wenn ich mich bei ihr melde, auf den Malediven weilt – was so freilich nicht richtig ist, aber dennoch eine Wahl, die ich nicht nachvollziehen kann. „Was MACHST du da zur Hölle vier Wochen lang, da ist doch NICHTS?“ hab ich gesottert und sie spruch: „Ich setze mich, schau stundenlang aufs Meer und freue mich.“ Ich solle das doch mal ausprobieren, die meditative Wirkung sei nicht zu unterschätzen, man sei im Anschluss sehr befreit und gut durchlüftet und überhaupt ganz leicht. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, blickte schweigend auf eine Pfütze am Wegesrand, versuchte vergeblich, eine meditative Wirkung zu erspüren – und buchte eine Reise, die, wie wir wissen, an sowohl Berg als auch Meer führte, wobei seltsamerweise zweiteres bei den Menschen hinlänglich Verzückung auslöst. „Sauge die Wärme, die Sonne, das Licht in dich auf und lass es in dir leuchten“, wünschte man zum Abschied, und: „Höre dem Meer zu, das mache ich am liebsten. Es kommt so sehr rum, das Meer, deshalb erzählt es ja so viel, wenn man ihm zuhört.“ Rumkommen, erzählen, zuhören – das fand ich gut, und so wollte ich folgsam sein und das mal ausprobieren. Ich setzte mich ans Meer, fror jämmerlich und hörte mich im Kältesturm kaum selbst klagen. Ich setzte mich ans Meer, fror weiter und hörte „Heeeeeeyiii Leute, und jetzt noch lecker Sprizzidrinkidrinki??“ Ich setzte mich ans Meer, versuchte, den unglaublichen Angstschweiß, den man bekommt, wenn man zwei Stunden als Beifahrerin dem Schicksal ausgeliefert ist und siebzehntausend Fahrradfahrer auf 50 cm breiten Serpentinenstraßen mit Gegenverkehr überholt, trocknen zu lassen, aß kalte Pommes, denn der Rest war aus, und hörte „Solangde Salz inna Tasche hast, haste Jeld im Haus. Dat hat schon dat Jerti imma jesacht!“ und „Schau mal Mausi, was ich uns noch zum Schnurpseln eingepackt hab!“ Ich setzte mich ans Meer, hörte ein Flugzeug sowie den sicheren Tod drei Meter über mir und lernte, dass auch Wasserlöschflugzeugpiloten den tiefen Anflug erstmal üben müssen. Ich setzte mich ans Meer, vergrub mich statt ins Buch tief in allen Handtüchern und hörte „DANIEL! GABRIEL! HÖRT SOFORT AUF, MIT SAND ZU WERFEN! KOMMT SOFORT ZURÜCK! AUS DEM WASSER, HAB ICH GESAGT! GABRIEL, HÖR AUF DEINEN BRUDER ZU SCHLAGEN! RUNTER VON DEM BAUM, DANIEL! TOUT DE SUITE!“ Dann ging ich auf den Berg. Ich lief und hörte: nichts. Ein bisschen Tschilp, ein bisschen Mäh. Ein bisschen Dingdong, ein bisschen Flatterbrummelsummserum. So leicht, so luftig. So meditativ. Ich spinn? Ist ok. Lieber Mallediva als Malediven.
Freitag, 26. April 2024
Freitag, 19. April 2024
Decidophobie
Menschen fliegen in den Urlaub. Ich nicht. Das heißt: Ich schon, aber mich findet man hinterher nicht an der Playa del Sol oder auf der Animationsbühne beim launigen Karaoke-Abend, sondern in einer TV-Dokumentation über verwahrloste Hängengebliebene, die in einer Grotte hausen oder solche, die verstört durch die Straßen der Cité wandern und sich allabendlich ihren Unterschlupf aus vergessenen Handtüchern knüpfen. Nicht lustig? Find ich auch. „Wie sehr zur Hölle kann sich ein einzelner Mensch denn bitte anstellen?“ schütteln nicht nur Freunde und Familie den Kopf über mich, sondern ich selbst gleich mit, nachdem ich mir eine psychopathologische Entscheidungsunfähigkeit diagnostiziert habe. Eine glückliche Fügung hat ergeben, dass sich in meinem gefüllten Kalendarium nämlich diese Woche ein Zeitfenster geöffnet hat. Selbstverständlich bin ich sogleich hineingesprungen, weil man muss die Feste feiern, wie sie fallen, und die Urlaubsmöglichkeiten auch. Dummerweise hab ich mich für einen Ort entschieden, an dem die ganze Welt schon mehrfach, ich hingegen noch nie war. Darum hab ich jetzt plötzlich zwei Bedürfnisse: eins zur Er- und eins zur Nachholung, und beide werden nicht besser davon, dass mir Menschen (jeder schon mal dort gewesen!) gutgemeinte Tipps geben und mich mit Ratschlägen überhäufen einschließlich dem ausgesprochen netten Herren in der Reiseführer-Abteilung eines Buchgeschäftes (vielen Dank nochmal). „ICH KANN MICH EINFACH NICHT ENTSCHEIDEN!!“ weine ich seit Tagen in Telefone, Tastaturen und Gesichter hinein und halt mich selbst dabei kaum aus. „Was kann denn daran so schwer sein?“, sagen sie, „willst du Strand, Berge oder Kultur?“ – „ALLES!“, schrei ich und weine weiter. Das vorläufige Ergebnis der Beratungen lautet darum wie folgt: Ich möchte in den Osten, den Norden, den Süden sowie den Westen und dann natürlich auch das Landesinnere der Insel besuchen. Ich möchte weißen Sandstrand sowie wildes Gebirge, um gleichzeitig wandern und aber auch mal die Seele ins Wasser baumeln lassen zu können. Darüber hinaus möchte ich sowohl abends meine Ruhe in Abgeschiedenheit und Isolation, zugleich aber unbedingt auch das quirlige Gewusel der Hauptstadt, um mich aus meinem Infinity-Pool mit Meerblick bei Bedarf ins kulturelle Treiben zu werfen, um mit indigniertem Blick Sauftouristen links liegen zu lassen und stattdessen sophisticated Kultur zu goutieren, was aber natürlich noch viel besser dort geht, wo der Tourist erst gar nicht hinkommt, es dort nur leider weder Meerblick noch „Ich kümmere mich um gar nichts“-Hotels mit Strandfrühstück gibt. Mit 57 geöffneten Tabs von Anbietern habe ich mittlerweile Bad geputzt, die Wohnung sowie den Keller entstaubt und Sperrmüll weggebracht. Wo das hinführt? Keiner weiß. Ich auch nicht.
Freitag, 12. April 2024
Kaffeevollzeitbeschäftigungsautomat
Manchmal wollen mich Menschen treffen. Dies tun sie auf verschiedene Arten kund, und manchmal muss ich mich zur Räsong und mir in Erinnerung rufen, dass die Art, wie sie das tun, nichts damit zu tun hat, wie gut sie mich kennen oder wie sehr sie mich mögen. Menschen sagen „Später Bierchen?“ oder „Next Mittwoch Chillinger?“ oder „Am Wochenende Ausflug?“ oder „Morgen auch bei der Eröffnung von Dingens?“ Manche sagen aber „Wollen wir uns die Tage mal auf einen Kaffee treffen?“ und dann bin ich oft froh, wenn die Frage schriftlich gestellt worden ist oder wenn überhaupt am Telefon, weil dann sehen die Menschen nicht, wie sich nicht nur mein Gesicht zu einem großen Fragezeichen verzieht, sondern mein ganzer Körper eine Grimasse schneidet. Kaffee. Ist. Mir. Egal. Kaffee ist ein dunkelschwarzes Gebräu, das ich am Morgen mit einem Schuss Milch versehe und dann gegen schlimmen Morgendurst in mich hineinkippe. Ob dieses Gebräu mit Koffein ist oder ohne ist mir egal, ob das Gebräu aus Kaffeebohnen, Röstdinkel oder Berberitzen gebrüht ist, ebenfalls. Entsprechend sind Menschen, die über Crema dozieren und Röstaromen, die Mahlgrade berechnen und Brühtemperatur mir höchst suspekt, und am allersuspektesten sind sie mir, wenn sie plötzlich „Barista“ heißen und Heißgetränke nicht mehr ausschenken können, ohne vorher mit Milchschaum (pfui deifi) stundenlang dadaistische Gemälde turmhoch in Tassen zu kritzeln, so dass man sich mit der Nase durch ein Schaumtier wühlen und anschließend sakrisch den Mund verbrennen muss und dafür hernach fünf Euro zahlen soll, wo es das wesentlich angenehmere Erlebnis doch heut Morgen erst für umgerechnet 53 Pfennig daheim gegeben hat. Also nein, ich möchte mich nicht auf einen Kaffee treffen und dabei von einem ausgefuchsten Betriebswirtschaftler erklärt bekommen, dass das, was ich seit 35 Jahren im Campingurlaub mache, plötzlich nur noch in Kupferkesselchen möglich sein und 17 Euro kosten soll: Heißes Wasser auf Pulver gießen und unten kommt ein Kaffee raus – ein Wunder! Ich hab alles Gerät daheim: French Press (fürs Pulver zwischen den Zähnen), Bialetti (für wenn mal viele Gäste da sind … nicht), Senseo (für weiß ich nicht) sowie die beste aller Filtermaschinen, die so alt ist wie ich und exakt das tut, was ich wünsche. Tat. Denn der Mann hat sich einen Wunsch erfunden und den nun endlich auch erfüllt. Seit kurzem besitzen wir darum keine Küchenarbeitsplatte mehr. Stattdessen einen Vollautomaten, der nicht nur allen Platz, sondern auch meine volle Aufmerksamkeit mehr beansprucht, als es jeder Säugling könnte: Füttere mich! Leere mich! Tränke mich! Reinige mich! schreit er unablässig in mein Tagwerk hinein, doch Hauptsache, der Mann ist selig. Und ich? Hab prophylaktisch Angst vor Fachgesprächen, Ausflügen zu Röstereien und Barista-Seminaren. Da würde ich mich dann gerne treffen. Ihr könnt ja Kaffee trinken.
Freitag, 5. April 2024
Fränkischer Wein
Hosianna, Urbi, Orbi und Allmächt, habemus Schokonest im Garten vergessen!: Ostern ist durchdrungen von allerlei christlich-heiligen Ausrufen. Doch nachdem das Fest der größten Freude nun vorbei ist, können wir uns getrost wieder dem fränkischen Mumpfl-Alltag zuwenden und damit auch den zahlreichen Schönheiten, die er für uns bereithält: Brunzkundl, Rindsbimbl, Gsichtsgrapfm, Zwiderwurzn, Greinmeicherla – nicht nur die Wege des Herrn sind unergründlich, die der fränkischen Schimpfwörter sind es auch, und Zugezogene, Besuchende oder nachlässig sozialisierte Bürgerinnen und Bürger tun sich oftmals schwer, die hinter zugepressten Zähnen hervorgekauten oder aus verkniffen nach unten gezogenen Mundwinkeln gespienen Streicheleinheiten zu verstehen – oder sie gar nachzuformen. So wie mit jeder anderen Fremdsprache auch hilft es ja wenig, zwar die Buchstabenfolge theoretisch mit Sinn befüllt zu wissen, praktisch aber keine Ahnung zu haben, wie die dazugehörigen Laute zustande kommen sollen. Weil selbst für ein dahingeradebrechtes „Schönnösähpa parleh lö frongzäh“ oder „Ei känt not so gut spiehk ze inglisch“ bedarf es wenigstens eines phonetischen Grundverständnisses. Andernfalls kann es passieren, dass du morgen mit zornesrotem Kopf dein impertinentes Gegenüber einmal so richtig bodenständig zurechtweisen willst, dieses jedoch statt vor Furcht zu zucken sich lediglich vor Lachen krümmt. Wie machen wir das jetzt? Ganz einfach: saufen. Wein, bitteschön. Das empfehle ich seit Jahren allen, die die mittelfränkische Sprache lernen wollen. Allem voran steht hier der günstige Nebeneffekt, dass mit jedem feinen Schlückchen eine gewisse Lockerung der Zunge einhergeht, und die brauchen wir nämlichst zur Formung des im Fränkischen unerlässlichen „Prälabialen Waffel-L“s, das wir gemeinsam in einer Aufwärmphase erlernen und mit der Zunge in rascher Abfolge abwechselnd Nasenspitze und seitlichen Amorbogen berühren. Inspirationshilfe: Giraffen beim Fressen beobachten. Um jetzt die lautliche Schönheit des Idioms zu erkunden und später elegant aus dem Effeff an „Brillnschadulln“, „Dischdennisbladdnä“ oder „Rindsbulliong“ zu brillieren, gurgeln wir im Anschluss Rebsorten durch den Mundraum (ggfs. auch außerhalb desselben, s. „L“-Laut). Wichtig ist hierbei, sich möglichst auf südländisches, vorzugsweise italienisches Trinkgut zu fokussieren und ausnahmsweise vom heimischen Erzeugnis Abstand zu nehmen, obgleich ein „Riesling“ für den Anfang schon auch taugt. Gemeinsam rollen, donnern und verschlucken wir uns dann an der unvergleichlichen Ästhetik der Konsonantenfolgen und erlangen so nach kurzer Zeit hervorragende Sprachkompetenz. Und jetzt alle: Mondebuldschano. Binohgridschio. Riodscha. Wallbollidschalla. Brimidifo. Baddolino. Dschiandi … Klappt’s? Dann auf!