Momentan wird sehr viel gefeiert. Wo man auch hinschaut, überall gibt’s ein kleines bis epochales Fest, und so empfinde ich es nur als stimmig, dass auch die Fruchtfliegen sich zu hunderten und abermillionen in meiner Küche eingefunden haben. Hier feiern sie eine rauschendes Fest, lassen die Füße fröhlich baumeln in den Pool aus feinstem Bio-Apfelessig, den die Veranstalterin (ich) ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt habe, nehmen zwischendurch eine kleine Abkühlung im Kühlschrank und tun sich am Buffet in Spülmaschine und Kompost gütlich und laben sich an der Restebar im Glasmüll. Wie seine unmittelbaren Verwandten ist auch der Mensch kein Kostverächter, und so, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, sei das Hauptauswahlkriterium für Besuch oder Fernbleibung eines Festes die vermutete Speisendarbietung. „Gehst du zum Dings?“ – „Naa ich denk nicht, seitdem die vor zwei Jahren bei diesem Ernährungsguru waren und Salzembargo herrscht, ist das nicht mehr auszuhalten.“ Oder „Sehen wir uns eigentlich am Wochenende beim Jubelheini?“ – „Boah nee bloß nicht, wenn ich noch einmal ‚veganer Rollbraten und Naturwein‘ hör kann ich für nichts garantieren!“ Es geht aber auch andersherum, nämlich die gezielte Aufsuchung einer Festivität ungeachtet der Mitgäste und Thematik einzig und allein des Essens wegen: „Pressesommerfest? Also die ganzen Nasen muss ich zwar eigentlich nicht sehen, aber was die Jungs und Mädels von der Kochschule da immer hinzaubern, lass ich mir nicht entgehen!“ ist ein Satz, der natürlich nie so gesagt worden, aber denkbar ist … Und so kam mir dieser Tage ein gar herrlicher Gedanke. Ich stand und wartete, und um mich herum strömten Menschen schwer bepackt mit großen Schüsseln, schweren Schalen und riesigen Platten. „Ach guck!“, sagte ich, „ein Schulfest, wie schön!“ und fragte den Mann, ob wir nicht dorthin zum Abendessen gehen wollen. Seine Frage, ob ich spönne, musste ich verneinen und stattdessen die Vorzüge ausufernder Mutti-Buffets zum schmalen Preis rühmen. „Das merken die doch, dass wir da nicht hingehören!“, so die Sorge, und ich halte das für Unfug. 600 Schüler*innen à 2 Eltern nebst Omaopapatentante – wer soll da schon den Überblick behalten? Und wird man doch angesprochen, antwortet man eben freundlich. Dass man die Mama sei vom kleinen Ludwig, der aufgrund seiner schweren Krätze leider nicht kommen könne. Ob man auch schon von den unhaltbaren hygienischen Zuständen in der Turnhalle gehört habe? Dass man gern wüsste, wer sich das mit der gestrichenen Nachmittagsbetreuung überlegt habe! Dass die Krapfen der Tombola wirklich ganz vorzüglich seien, man nur hoffe, die Schule nicht wie im letzten Jahr von einer Durchfall-Epidemie dahingerafft zu wissen … Ich denke, man kommt da gut durch. Wie viele Schulen gibt’s gleich wieder in der Stadt?
Freitag, 26. Juli 2024
Freitag, 19. Juli 2024
Sommer für daheim
„Drinnen ist das neue Draußen“ – ein Satz, für den ich früher Freundschaften gekündigt hätte. Ach was, ich hätte mir noch nicht mal die Mühe gemacht, zu kündigen. Ich wäre einfach verschwunden. Handynummer gelöscht, Facebook getrennt, Empfänger unbekannt verzogen, entschuldigen Sie bitte. Da drüben wo die Staubwolke weht, da war doch grad noch … hm, komisch. Tschüssikowski!, hätt ich geschrien, wir sehen uns im nächsten Leben wieder, du seltsamer Drinnenmensch, schönes langweiliges Dasein wünsche ich!, und wäre abgetaucht im Lavarot der flüssigen Straßenbeläge, der heißen Wüstenwinde zwischen glühenden Häuserschluchten und wäre wie der schönste Wüstenwurm hindurchgeglitten durch die Backofenglut. Doch zu meiner großen Überraschung wird der Mensch nicht jünger, so auch ich nicht, und so ertappe ich mich unversehens bei Sätzen wie diesen: „Ich wollte eigentlich ins Bad fahren, aber jetzt hab ich grad versehentlich kurz die Balkontür aufgemacht und hab dann überlegt dass ich lieber doch zu Hause bleiben möchte.“ „Drinnen ist das neue Draußen“ sagt also die Freundin, die mit mir zum Planschen gehen wollten, und beide sind wir erfüllt von gegenseitigem Verständnis und tiefer Verbundenheit: Statt gemeinsam im Freibad am Wüstenwind zu ersticken, sich die Füße auf dem Weg zum Pool am glühenden Beckenboden (haha, „glühender Beckenboden“ – das muss ich mir merken für wenn ich mal Sexromane schreib später!) zu verbrennen und gemeinsam mit 37 anderen Freibadbesuchenden im Schatten des einzigen Baumstammes zu drängen („Ähm, Ihr Fuß ist in meiner Kühltasche!“ – „Oh, und ich hab mich schon gefreut, Entschuldigung!“) verbrachten wir den Nachmittag räumlich getrennt, doch vereint im Messenger jede hübsch daheim auf dem kühlen Kanapee. Das war schön. „Aber das ist doch eh kein Sommer!“ jault man empört um mich herum und beklagt verregnete Biergärten, zerstochene Grillabende und zu kalte Pools. Nun, das ist richtig, und es tut mir freilich leid um die Sommertiere unter euch. Aber ich habe mir Gedanken gemacht und deswegen Tipps für das perfekte Summerfeeling: Setze dich auf dein Sofa. Stelle den Ventilator vor dein Gesicht und hänge den laufenden Föhn davor; versuche, tiefe Atemzüge zu nehmen. Öffne den Ofen, lege Grillfleisch und Käse auf den blanken Rost, stelle auf höchste Stufe und vergiss alles. Öffne die „Autohupen“-App, stelle auf Endlosschleife. Spüre die Aggression. Stelle Eiscreme in die Mikrowelle, beträufle dich damit, verreibe alles mit Sonnencreme. Klebe. Gehe nicht auf deine Toilette, sondern aufs Dixieklo der Baustelle nebenan. Trinke warmes Radler. Verdurste. Sammle Spülwasser, tunke die Füße hinein. Schnuppere am Chlorreiniger. Fühlst du’s schon? Dann noch Juckpulver wahllos verteilen – voilá! Hier ist er, den Hochsommertag für Zuhause. Gern geschehen!
Freitag, 12. Juli 2024
Fussi ade, Fairplay tut weh
Da geht sie hin, die Fußballsause, und ich blicke ihr wehmütig hinterher. Ade, sichere Abendbeschäftigung, ciao ciao, garantiertes Gesprächsthema – lass uns nur zurück in unserem schnöden Alltag voller Leere und nurmehr Lamentieren übers Wetter, wo Abende wieder mit Filmen oder gar Gesprächen gefüllt werden müssen und Tage nicht mehr selbstverständlich aufs 18- bzw 21-Uhr-Ziel hin verlebt werden, Haushalte vernachlässigt und Ernährung sowieso. Während es also jetzt nur noch zwei verbliebene Länder gibt, die zur Familienspaltung beitragen („EVIIIIVA ESPANA!!“ – „Ich glaub du spinnst! IT’S COMING HOME, IT’S COMING HOME – FOOTBALL’S COMING HOME!!“ – „Ok, der Verlierer macht den Abwasch!“ – „Und der Gewinner bestimmt das Fernsehprogramm den restlichen Monat. Deal?“ – „Deal!“) bleiben mir persönlich ganz unnationale Fragen und ein Gefühl höggschder Unzufriedenheit zurück. Fragen: Hat es jemals ein Turnier gegeben, bei dem es mehr geregnet hat? Warum schneiden sich mange Kicker Lochmuster in die Socken? Und: Seit wann werden Spielfeldrandinterviews ausschließlich von Models geführt, gibt es da eine eigene Klasse in der Journalist*innenschule oder zieht man die extra aus der Gala ab oder gibt es da ein Casting „Germanys next Topspielerfrau“? Der Mann schimpft mich, diese Frage sei antifeministische Nestbeschmutzung, womit er recht haben könnte. Wende ich mich also den anderen Fragen zu, nämlich: Wo soll das alles eigentlich noch hinführen mit diesem Fußball? Am wahrscheinlichsten erscheint mir nämlich aktuell ein virtuelles Turnier, in dem KI-generierte Gentleman-Spieler regelkonform etwas machen, das so brav ist wie stricken und sich auch höchstens noch als Hintergrundrauschen zu dieser Entspannungstätigkeit eignet. Wo bleibt denn da die Emotion? Nichts passiert mehr. Statt Prügelei auf dem Spielfeld – herrlich: erwachsene Männer schreien und schubsen sich wie beim schönsten Pausenhof-Gerangel – gibt’s höfliche Klassensprecher-Beschwerde und Shakehands. Statt im Taumel der Gefühle vom Leib gerissene Trikots gibt’s verschämt hinter Stoff versteckte Vitalsign-BHs – ob David Beckham derjenige wäre, der er heute ist, wenn wir ihn nicht so oft halbnackt gesehen hätten? Ich weiß es nicht. Statt Handgemenge noch in der fünften Nachspielgeneration über Torlinien- und Abseitsentscheidung gibt’s Fußbälle mit Pulssensor, und statt losbrechendem Torjubelgeschrei, Samba auf dem Rasen und Umarmungen Wildfremder gibt’s lieber erstmal ängstliche Blicke zum Video-Schiri. Statt Flitzer Nahaufnahmen vom Rasen. „Aber dafür konzentriert man sich jetzt auf schönen, technischen Fußball!“, sagt der Mann, und ich gähne herzhaft. Will ich nicht. Ich will Tränen, Blut und Ruud Gullit, der vor meinem inneren Auge Rudi Völler in die Frisur spotzt, als wär es gestern gewesen.
Freitag, 5. Juli 2024
Sommergarderobe
Ich habe einen Comic in die Hände gekriegt. Eine kleine bunte Zeichnung, ganz simpel, aber sie erfreut mich sehr. Es gibt zwei Bildchen zu sehen. Auf dem oberen ist dreimal dieselbe Frau in unterschiedlichen Klamotten. Sie trägt zu roten Pumps wehende Kleider und neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Sommergarderobe – Erwartungen“. Auf dem zweiten Bild dieselbe Frau dreimal ganz anders: graues Shirt, schwarze Shorts, Schlappen. Überschrift: „Sommergarderobe – tatsächlich“. Seitdem ich diesen Comic entdeckt habe, verschicke ich ihn an nahestehende Personen mit dem Kommentar „ich“. Die Antworten sind deutlich: „Ja. Du.“ Und während ich mit einem Auge die Eindeutigkeit der Reaktionen bestaune, bestaune ich mit dem anderen den sehr großen Karton, der im Wohnzimmer steht und auf seine Öffnung wartet. Ich weiß, was drin ist. Aber nicht, warum. Denn es befinden sich darin wehende Kleider, neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke, die jemand online bestellt hat, nachdem er, also: sie bei strömendem Regen auf dem Kanapee lungernd vielleicht einmal zu oft eine Raffaello- oder Bacardi-Werbung gesehen und sich dabei gedacht hat „Hachz ja, irgendwann kommt er schon, der Sommer, und dann blickst du wieder neidisch auf all die schöne Sommergarderobe. Und dann beginnst du panisch, Klamotten zu suchen, doch leider gibt es dann keine mehr, denn im August, wenn dir auffällt, dass jetzt wirklich Sommer ist, hängt in den Läden schon der Herbst und dann bist du traurig.“ Leider kumuliert in mir drin dieses Unvermögen zum vorausschauenden Shopping höchst problematisch mit selektiver Farbblindheit und totaler Amnesie sowie der irrigen Annahme meines inneren Kindes, immer noch Ronja Räubertochter zu sein und als solche den ganzen Sommer gewappnet für das nächste große Abenteuer zu sein: Man könnte ein Dach erklimmen müssen, man könnte einen Schwimmbadzaun überwinden müssen, man könnte mit dem Fahrrad schnell zu einem Waldfest rasen müssen – alles Dinge, für die sich Kleider und Röcke nunmal nicht gut eignen, so wie Pastell und Weiß nicht, um damit in Fahrradketten hängen zu bleiben, an Flussufern zu sitzen oder sich in Heuberge fallen zu lassen. Dass ich all diese Raffaello- und Bacardi-Gewänder nebst Riemchen-Sandalen in allen erdenkbaren Farben und Formen besitze, vergesse ich schlichtweg immer, denn wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, sehe ich: für sämtliche Eventualitäten praktisches Schwarzgrau sowie bequeme Schlappen, mit denen man notfalls auch eine zehn Stationen umfassende Biergartentour erlatschen könnte statt mit schmerzendem Fuß an einen Barhocker gefesselt zu sein … Was mach ich jetzt mit dem Karton? Ich weiß: öffnen! Vielleicht kommt er ja dieses Jahr, der Bacardi-Moment!