Wenn man ein „Muffel“ ist, scheint es sich dabei um eine gute Nürnberger Tradition zu handeln. Zumindest finden sich unter dem zugehörigen Wikipedia-Eintrag genau drei Personen, und bei allen drei handelt es sich um Nürnberger. Sogar eine ganze Familie: die Muffel von Eschenau, eine der ältesten Patrizierfamilien, deren Macht und Wirken vom 13. bis ins 18. Jhdt. reicht. „Faschingsmuffel“? Keine Beleidigung also. Eigentlich bedauere ich es sogar ein Stück weit, dass nach Aschermittwoch nicht nur alle in Fastenzeit verschwinden, sondern vor allem auch die viele Farbe nicht mehr zu sehen ist – dabei könnten wir die jetzt grade mehr denn je gebrauchen. Ich habe mal einen Schauspieler getroffen, der auch als Krankenhausclown aktiv war. Der schenkte mir damals eine kugelrunde rote Nase und sagte, es sei doch erstaunlich, für wie viel gute Laune und lockere Atmosphäre dieses kleine Accessoire in verschiedensten Situationen sorgen würde, und riet mir, das auch mal auszuprobieren. Ich tat wie geheißen und setzte fortan die rote Nase auf, wann immer mir eine Situation zu ernst zu werden drohte. Zitiert der Steuerberater mich zum Gespräch, setz ich hurtig die rote Nase auf. Zwingt der Zahnarzt mich zum Mund-weit-Öffnen, so löse ich den Moment geschwind mit Clownsnase. Schimpft der Mann mich aus wegen irgendwelcher angeblich überflüssiger Anschaffungen, so blicke ich ihn über den roten Knödel auf der Nase treuherzig an, und bedroht mich die grantige Kassiererin mit ihrer Übellaune, so pack ich mir schnell die Clownsnase ins Gesicht und ihr am besten gleich mit. Das gibt zwar oft ein kleines Handgemenge, steigert die Gesamtlaune aber wirklich mindestens so ungemein wie die nervtötend endlose Online-Konferenz mittels roter Schaumstoffkugel etwas aufzulockern. Ich denke also, wenn mehr Menschen auch übers Jahr hinweg ein bisschen Jeck sein könnten, wäre die Welt gleich eine viel fröhlichere. Im letzten Jahr habe ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt und mir einen Tyrannosaurus gekauft. Der ist grün, zum Aufblasen und, besonders wichtig, zum Anziehen. Auf dem Dino ritt ich dann zum Gaudiwurm und war, ich kann’s nicht anders sagen, dort sogleich der Star, an den sich Kinder schmiegten und mit dem Polizisten gerne fürs Foto posierten. Mit schwingendem Dino-Hintern und wogendem Schwanz freute ich mich durch den Regen und wollte nichts lieber, als nie mehr ohne meinen neuen Gefährten das Haus zu verlassen, sondern künftig nur noch als T-Rex aufzutreten. Im Kaffeehaus oder Supermarkt, bei Bankgeschäften oder womöglich auch Trauerfeiern, so stellte ich mir vor, wäre die Stimmung geschwind eine sehr viel bessere, und meine Ausgangslage bei Gehaltsverhandlungen auch gleich viel positiver … Seitdem liegt der Dino zusammengeknüllt im Schrank. Am Sonntag erweck ich ihn zum Leben, und die gute Laune gleich mit. Nürnberg? Aha!
Freitag, 28. Februar 2025
Freitag, 21. Februar 2025
Krapfenkalender
Das mit den Karpfen neulich hat mich auf einen Gedanken gebracht, für den nur ein winziger, aber doch kulinarisch folgenschwerer Buchstabendreher nötig war. Woran erkennen wir, dass die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ bald bevorsteht? Also mal davon ausgehend, man lebt nicht im Rheinland und ist auch kein Angehöriger einer karnevalistischen Enklave, die schon seit Wochen irgendwas von „Fasching“ faselt und hoch das Bein und Hossa? Richtig: Deutschlands berühmtester Foodblogger, im Nebenerwerb Staatsoberhaupt, überlegt öffentlich, welches witzige Kostüm in diesem Jahr angemessene Hybris ausstrahlt. Aber das meine gar nicht, sondern: Karpfen. Nein Schmarrn: Krapfen! Da waren also die letzten Brösel von Stollenkonfekt und Lebkuchen noch nicht aus der Auslage gekehrt, schon bevölkert die Bäckerschaft – allen voran ein kleiner, familiärer Handwerksbetrieb aus nördlich der Stadt – selbige mit einer Parade gefüllter Teigballen, die ihresgleichen sucht (und deren kunterbuntes Ausmaß immer wilderer Züge annimmt, aber dazu vielleicht ein andermal mehr). Grade will man sich noch genüsslich das letzte Stück Spekulatius, das übriggeblieben Kipferl in den Mund schieben, schon schreien einen Quark-, Vanille-, Schoko- und, am wichtigsten, Hiffenmarkkrapfen beim Kauf eines unschuldigen Vollkornbrotes an, und du ahnst stöhnend: Bald (also in drei Monaten) ist es wieder so weit, der Gaudiwurm befüllt die Stadt. Auf eine gewisse Art bin ich den Bäckern dankbar, weil sie weit vor allen anderen Gewerben zukunftsblickend von neuem künden, ein Krapfen-Orakel sozusagen: „Wir wissen, du willst es nicht wahrhaben, aber sieh den Tatsachen in die Augen!“ Es ist Gluthitze, der Herbst nur eine vage Ahnung am Horizont? Egal, beim Bäcker gibt’s Kürbis-Muffins und Karottenschnitte. Du freust dich im Oktober über goldenen Herbst und warme Abende? Egal, beim Bäcker bedroht man dich mit Plätzchen. Mit ähnlichem Druck agieren bekanntermaßen Supermärkte und Drogerien und lassen einen frühzeitig – sprich zwei bis drei Monate im Voraus – wissen, wann die Festivalsaison vor der Tür steht oder Halloween. Niemand braucht einen Kalender, der wenigstens gelegentlich zum Einkaufen geht. Man muss nur drauf hoffen, dass zumindest Bäckerei und Drogerie einen Kalender haben. Weil was wäre, wenn nicht? Wir klebten uns Goldtattoos und Flowerpower ins Gesicht für den Weihnachtsmarktbesuch, weil das liegt jetzt so in der Auslage. Wir dekorierten im Frühjahr die Wohnung mit Filzlaub und Styroporpilzen, verschmierten im August Lebkuchendekor mit Sonnencreme auf der Haut und suchten als Hexen verkleidet Ostereier im Garten. Neulich wurde mir ein Krapfen ohne Füllung verkauft. Das fand ich sehr unverschämt, aber auch sehr sinnbildlich. Typisch Februar eben: eine einzige, monatgewordene Enttäuschung.
Freitag, 14. Februar 2025
Fallentinstag
Ich hatte mal einen Opa, der hörte auf den schönen Namen
„Valentin“. Weil er aber ein Ur-Nürnberger war, sprach er von sich selbst stets
als „Fallentin“, und das erschien mir stets nur logisch, schließlich hatte der
Opa aufgrund irgendeiner unglücklichen Bewandnis viele Jahre früher nur noch
ein echtes und dazu ein komisches Puppen-Bein – und das musste man ja wohl
haben, wenn man „Fallentin“ hieß und offenbar ständig hinfiel? Ich weiß nicht
mehr, wie alt ich werden musste, um zu begreifen, dass Opa Fallentin und dieser
eine Tag im Jahr, in dem Menschen oft recht nervös werden und Blumen und
Geschenklein von A nach B transportieren wie emsige Ameisen, irgendwie
zusammengehören sollten, und selbst dann war mir eher ein Rätsel, warum der Opa
denn eigentlich einen eigenen besonderen Feiertag haben sollte. Der Opa ist
leider schon sehr lange nicht mehr da, so dass ich ihm meine späten
Erkenntnisse nicht mehr auseinandersetzen kann, aber mindestens einmal im Jahr
denk ich an ihn. Oder vielmehr: Ich werde an ihn gedacht. Der Valentinstag hat
in meiner frühfeministischen Emma-Erziehung einen ganz ähnlichen Stellenwert
wie Muttertag: hyperkommerzieller Ami-Käse, der nur darüber hinwegblenden soll,
dass man sich nicht so, wie sich das gefälligst gehört, ganzjährig um seine
Liebsten kümmert, sondern dann voller schlechtem Gewissen einmal im Jahr
armeweise Geschmeide, Pralinés und Blumenbouquets nach Hause karrt. Eine
Haltung, die mitnichten automatisch und generelles Unromantikergegrummel
bedeutet, sondern es sich so ähnlich verhält wie bei mir mit Karpfen: Ohne
jemals auch nur an einem gerochen zu haben, weise ich dieses Fischgericht
entschieden und mit größtem Nachdruck als ungenießbar von mir, nicht ohne mich
dazu demonstrativ gänsehautend zu schütteln. Wenn ich das hier, in
Karpfenhausen, laut ausspreche, kommt das einem Frevel gleich, und bei der
Spurensuche bin ich dem Grund auf die Schliche gekommen: Der Uropa, so geht die
Familiengeschichte, brachte vom Angeln stets Karpfen mit, der dann in der Badewanne
schwimmen und von den Kindern ausgenommen werden musste – eine Erfahrung, die
mir sozusagen weitervererbt worden ist. Transgenerationales Karpfentrauma. Und
so hab ich auch die Valentinstagsskepsis schlichtweg vererbt bekommen. Was mir
bislang nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil eine Vielzahl überraschender
und schöner Blumensträuße übers Jahr hinweg beschert hat und vor allem eine
ersprießliche Nicht-Anzahl von Enttäuschungen, die so ein vergessener
Valentinstag, einer mit teuren, aber schlechten Lokalen, Blumen von der Tanke
oder gar Mon Cheris mit sich bringt. In diesem Sinne: Opa, auf dein Wohl! Allen
Fallentins einen schönen Namenstag! Und allen Liebenden eine wärmende Umarmung!
Freitag, 7. Februar 2025
Zettelwirtschaft
Ich meine hier schonmal erwähnt zu haben, dass ich versuche,
technisch so gut wie möglich auf der Höhe der Zeit zu sein, um nicht irgendwann
das Nachsehen zu haben und als uralte 55-Jährige meinen Enkel oder Zivi anrufen
zu müssen mit meinem Großtastentelefon, weil ich es wieder nicht geschafft
habe, mit rhythmischem Augenzwinkern den Fernseher fürs Vorabendprogramm zu
aktivieren oder der Kühlschrank mir partout nicht den richtigen Milchreis
aushändigen will, weil ich es nicht schaffe, mir zu merken, in welchem Winkel
zu ihm ich mit den Fingern schnipsen muss. Also versuche ich, mich up to date
zu halten, mir allerlei neumodisches Gerät ins Haus zu schaffen und dann
lauthals nach dem Mann zu brüllen, weil das Internet schon wieder kaputt ist
oder der Fernseher von Geisterhand einen Sendersuchlauf begonnen hat. Als
technisch völlig zeitgemäß weil schlichtweg ein Evergreen sind für mich
deswegen: Zettel. Zettel gibt es immer. Sie sind unabhängig von Raum, Zeit und
politischen Geschehnissen, einfach in der Handhabung und leicht zu verstauen.
Vor allem aber sind sie leicht zu beschriften und leicht zu lesen, und deswegen
lebe ich in einer Zettelwelt oder „Zettelwirtschaft“. In der Zettelwirtschaft
finden sich Notizen aller Wichtigkeitsstufen – PINs, Passwörter, Namen,
Telefonnummern, Filmtipps und, spezialwichtig: genialistische Einfälle für die
Kolumne zur späteren Ausarbeitung. So einen habe ich gerade vor mir liegen.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn der Zettelinhalt gibt mir Rätsel auf:
„Gebiss auf Hüpfburg verloren“, steht da, und jetzt kann man mir viel
nachsagen, aber nicht, dass es sich hierbei um eine Erinnerung an eine
Schadensmeldung bei der Versicherung handeln könnte. Was aber dann? Ich habe
kein Gebiss. Also doch, schon, aber kein solches, dessen man beim Toben
unvermittelt verlustig würde. Ich habe mal ein Gebiss gefunden, ein halbes
zumindest, und mich dann schon gefragt, wie sowas wohl passiert und ob man
damit jetzt zur Polizei gehen muss oder zum Fundbüro. Meine Eltern haben eine
Kuchenzange in Form eines Gebisses, die immer wieder für Freude sorgt und für
Scherze gut ist, beispielsweise gegenüber Familienmitgliedern, die wirklich
schon die Dritten tragen. Wann ich das letzte Mal auf einer Hüpfburg war,
erinnere ich nicht, sicher nicht jedenfalls beim Abifest, wo reihenweise enge
Hosen aufplatzten, das war mir nicht geheuer, und ich kann mich beim besten
Willen nicht erinnern, in jüngerer bis älterer Vergangenheit Senior*innen beim
Hüpfburgen beobachtet zu haben – ein Umstand, den ich sehr bedaure, denn das
wär bestimmt ein Heidenspaß … Bitte, wenn sich jemand angesprochen oder gemeint
fühlt: Melde dich! Ich hab zwar kein Gebiss gefunden, aber großes Interesse an
der Geschichte!