Freitag, 29. Dezember 2017

Hüttenkoller

Zum Ende des Jahres macht der Mensch gern einen Rückblick. Mir ist das leider nicht möglich, befinde ich mich doch in einem postmortalen Zustand retrograder Amnesie, der mir ein Erinnern weitestgehend unmöglich macht. In etwa dürften die vergangenen Tage aber wie folgt ausgesehen haben: Heiliger Abend mit sehr unheiligem Magenkollaps, bei dem schlimmeres nur vermieden werden konnte aufgrund geschickter Zuführung von Magenbitter in wohldosierten Mengen. Dann Sonntag, nochmal Sonntag mit weitestgehendem Aufenthalt auf deutschen Autobahnen. Dann Zusammenbruch mit eiligem Diätplan, der wegen „Schau mal, ich hab dir das und das und das und das schon eingedost, magst du dir das nicht für heute / morgen Abend mitnehmen?“ leider eben so eilig wieder eingestellt werden musste. Deswegen Zirkulation des Blutes weitestgehend in der Peristaltik statt im Gehirn, deswegen … genau. Jetzt aber wird alles besser, weil jetzt kann ich nämlich einen Jahresvorausblick liefern. Denn ich weiß: Ich werde das neue Jahr als Buddhist beginnen. Oder als gebrochener Mensch. Oder beides. Weil Silvester angeblich ein Abend wie jeder andere ist, weiß jeder, dass es sich hierbei selbstverständlich um eine Lüge handelt. Im gegenseitigen zwar nicht Einvernehmen, dafür aber Aufputschen ist es spezialwichtig, die Party des Jahrhunderts keinesfalls verpassen zu dürfen. Deswegen immer Stress. Jetzt ist man aber neuerdings wahnsinnig erwachsen und reflektiert und hat deswegen etwas getan, was für sehr viele Menschen den weltallergrößten Traum darstellt. Für sehr, sehr viele andere die Apokalypse. Nämlich werde ich den Jahreswechsel in einer Hütte verbringen. So weit, so gut, doch tu ich das freilich nicht allein, und da liegt auch der Hase im Sternspeier. Neben mir finden sich dort zusätzliche circa 20 Personen ein, und ich sage „circa“ durchaus bewusst, ist mir doch völlig der Überblick verloren gegangen. Einzig weiß ich, dass es sich bei ungefähr der Hälfte der Exkursion um Halblinge zwischen 0,5 und 16 Jahren handelt. Seit grade eben weiß ich außerdem, dass drei Personen um potenzielle Wirte eines beachtlichen Magen-Darm-Virus‘ sind. Mehr als eh schon bin ich jetzt darum in Eile, gilt es doch, sich um Joghurt und Schnur zu kümmern, um in Senner-Tradition mit den verschiedenen Abteilungen und Trakten kommunizieren zu können, möglichst ohne sich dabei begegnen zu müssen. Im besten Fall schneit es uns ein, dann kann man auch noch Mauern errichten und verhaltensoriginellen Kindern einen Austobeort zubereiten. Oder eine Stille Treppe. Ich werde, habe ich mir so überlegt, meine Liebe zu ausgedehnten einsamen Waldspaziergängen entdecken und vielleicht endlich eine neue Sprache erlernen. „Hüttenkoller“ auf Esperanto bietet sich zum Einstieg an. Oder  · · · − − − · · · Es bleibt also alles anders, nämlich ereignisreich, spannend und unvorhersehbar, und im besten dieser Sinne wünsche ich mir und euch auch das neue Jahr, in dem ich euch gesund und munter, glücklich und zufrieden wiedersehen – es reicht ja, wenn ich als Wrack beginne. Ach so: Und weil jetzt schon wieder so ein irrelanges Zelebrierwochenende ist, könnt ihr noch ein letztes Mal selber schauen, wie ihr darin klarkommt. Ich weiß ja, was ich mache. Ätsch und guten Rutsch! 

Freitag, 22. Dezember 2017

O du fröhliche ...

Es ist stille Nacht, heilige Nacht. Im Haus duftet es nach Maronen und Braten, die Kinder spielen friedlich unterm Baum, ein jedes haucht einer anderen handgeschnitzten Holzfigur Leben ein. Papa schaukelt friedlich Gedichte rezitierend im Stuhl, während draußen leise der Schnee rieselt und Mama liebevoll das Haar der Tochter bürstet. So schön, so harmonisch. So theoretisch. Weil bitte, wo sieht denn ein Weihnachten so aus außer ganz vielleicht in einem sehr, sehr seltsamen Bilderbuch? Eben. In Wahrheit ist das nämlich, und da müssen wir uns überhaupt nichts vormachen, folgendermaßen: Das einzige, was rieselt, sind die Nadeln von dem Baum, den man sich wegen auf den letzten Drücker hat andrehen lassen. Im Haus duftet es sehr wohl, allerdings nach Feuerzangenbowle und Glühwein und so ziemlich allem, was man eilig angereicht hat, um möglichst  bereits vor der Kindermesse einen kleinen Schwips zu haben, um das unsägliche Krippenspiel eben so heiter durchzustehen wie den Umstand, dass Herr M. wie seit Anbeginn der Zeit in der ersten Reihe nicht sehr schön, dafür aber schön laut singt. Beim Austeilen der Speisen daheim beginnt sogleich ein erbitterter Kampf der freilich längst erwachsenen Kinder, die in alter Tradition unter steter Benachteiligungs- und Verhungerungsangst leiden, derweil die Mutter tobt, dass die Küche eh immer schon zu klein war, was aber nur dem Umstand obliegt, dass sie wegen Vorgenanntem stets doppelt so viel wie erforderlich zu kochen pflegt. Der Vater hat sich heimlich in den Flur verkrümelt, um noch eilig die letzten Sonderangebotspreisschilder von den Gaben zu knibbeln, während ein anderes Kind seit Stunden nicht gesehen ward. Nach längerem Suchen findet man es ausgezehrt und mit den Nerven am Ende im elterlichen Arbeitszimmer, wo es vergeblich versucht, Mutters neuen Drucker ans Wlan zu bringen, während einem weiteren Kind eingefallen ist, dass es im Keller doch noch sein altes Schlagzeug stehen hat, woraufhin der Vater lieber mal das festliche Radio lauter dreht, damit dann auch die Nachbarn was von der schönen Musik haben. Nachdem unter großem Gewese und unter Zuhilfenahme ebensolcher Gesten mindestens drei Weihnachtsgeschichten, die allen Anwesenden bis dato freilich völlig unbekannt waren, vorgelesen wurden, entdeckt das nächste Kind seine ungebrochene Liebe zum Klavier und sogleich die restliche Familie die zum Gesang, der begleitet wird von allem, was die hauseigene Kapelle so hergibt. Zwischendurch wird freundlich dem Nachbarn gewinkt, der anscheinend was mit den Ohren hat. Also spätestens jetzt. Nach mehrmaligem Durchexerzieren des kompletten internationalen Weihnachtsliedgutes entbrennt erst ein Streit ums Gesellschaftspiel der Wahl und anschließend einer um den rechtmäßigen Gewinner, bei dem es sich, komme was wolle, keinesfalls um den Vater handeln darf, denn der hat eh immer schon geschummelt. Vergeblich versucht die Mutter zu schlichten und durch Anreichen von garantiert leichten Nachtischen und teuren Weinen den Weltfrieden wiederherzustellen. Zweimal werden wir noch wach, heissa dann ist Weihnachtstag! Ich freu mich wahnsinnig! Und hoffe wirklich, dass ihr auch ein friedliches, glückliches und gesundes Weihnachtsfest habt und ein paar ruhige, zufriedene Tage – die meinethalben ausnahmsweise gerne mal weitestgehend auf dem Sofa verbrach werden dürfen. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten, Halleluja und Habe die Ehre! 

Freitag, 15. Dezember 2017

Schenkertypologie

So, Herrschaften. Zu meinem und hoffentlich auch eurem Entsetzen muss festgehalten werden, dass wir uns bereits im Endspurt auf die Weihnachtszielgerade befinden. Das kam auch für mich etwas überraschend, ist aber an und für sich nicht weiter verwunderlich, weil nachdem der November, wir erinnern uns, ein tiefes und vor allem endloses Tal der Tränen war, das wir gemeinsam durchwandern mussten, ist der Dezember sozusagen ratzofatzovollesrohrmäßig am Start. Folgerichtig müssen wir jetzt das wichtige Stichwort anbringen: Geschenke. Wer an dieser Stelle einen kleinen Schlaganfall, mindestens jedoch einen mittelschweren Schluckauf erleidet, dicht gefolgt von einem stroboskopartigen Heißkaltschauer, dem kann ich beruhigend den Kopf tätscheln und wohlmeinende Worte sprechen: Jetzt ist’s auch schon wurscht. Denn wir alle wissen, dass wer jetzt noch nicht mal eine Idee hat, der zaubert halt auch bis zum 24. eher keinen weißen Hasen aus dem Zylinder. Wovon dringend abgesehen werden sollte, sind Internetbestellungen jedweder außer gutscheinlicher Art. Nicht, weil der Paketbote als solcher derzeit eine gefährdete Spezies ist, sondern schlichtweg eine überarbeitet, weswegen jetzt eher eine gute Gelegenheit wäre, sich um ein pünktlich erscheinendes Ostergeschenk zu bemühen. Was sich in der Vergangenheit dafür als vergleichsweise erfolgversprechend herausgestellt hat, ist die Taktik, sich mit irgendjemandem gegen Mittag in der Innenstadt tapfer „auf einen Glühwein und dann Shopping“ zu verabreden, um zehn Glühwein später bester Laune in irgendein Ladengeschäft zu ausfallschritten, kurzerhand „einmalalles“ zu erstehen und die Verteilung auf zu beschenkende Personen hernach einfach auszuwürfeln. Weitere Glühweine nicht ausgeschlossen. Ich für meinen Teil habe zumindest mich selbst bereits beschenkt. Zum einen mit dem nunmehr dritten und bis dato herausragendsten Foto von mir und einer gewissen Dame mit Rauschgoldlocken und monströser Goldkrone, dessen Unheiligkeit vielleicht im nächsten Jahr noch getoppt werden kann, wenn ich sie huckepack oder endgültig auf den Arm nehme. Ach und die vorsorglich vor sechs Wochen bestellte Tasche kommt ganz vielleicht auch mal an zu Weihnachten. Und sonst? Eine Typologie: der Pragmatische („Ach, es gibt grad USB-Sticks / Kofferwaagen / Spielesammlung im Angebot. Nehm ich doch mal je fünf mit.“), die Resignierte („Bitte nimm das Geld und kauf dir einfach selber was!“), der Sparsame („Ich hab euch allen mal das neue Album von XY gebrannt.“), der Charmante („Ich hatte so viele Ideen und konnte mich nicht entscheiden. Jetzt hab ich nix – aber dich soooo lieb!“), der Unverbesserliche („Ich hab von 23. bis 24.12. keine Zeit weil da muss ich Fotokalender basteln.“). Ach. Jetzt hab ich auch schon eine Geschenkidee: Ich bastle ein Heilig-Abend-Bingo! Das wird super! 

Freitag, 8. Dezember 2017

Kinderbörse

Neues vom Pubertier – tät ich wirklich gern mal wieder verkünden. Und in die Tasten hauen, um all das Wirren zu verarbeiten, das aus dem Kind tagtäglich in die Welt hinausbüchst. Jedoch: Das Pubertierchen spielt da nicht mehr mit. Scheints über den Sommer hat es circa sieben Entwicklungsstufen übersprungen und präsentiert sich neuerdings als vernunftbegabtes, ja nachgerade ödes Wesen. Man verrichtet seine Schul- und Hausarbeiten, schreibt Noten, die man direkt als gut bezeichnen könnte („Ich hab ne 2 in Geschichte!“ – „Geil! Worum ging’s?“ – „Keine Ahnung.“ – „…“ – Ja irgendwas mit Grenzen.“ – „Von wem?“ – „Äh Deutschland.“ – „Und wann?“ – „Ja früher halt.“ ), nickt verständig auf die Bitte, ob ganz womöglich am Folgemorgen um 5 Uhr auf die ondulatorische Komplettbehandlung und damit einhergehende Lärmbelästigung verzichtet werden können, anstatt sich responsiv brüllend auf den Boden zu werfen. Singen die Alten verzweifelt die einzig memorierte Melodie von „Arielle“, so wird nicht augenrollend das Weite gesucht sondern hilfsbereit gegoogelt und geduldig abgewartet, bis der letzte schiefe Ton von „Unter dem Meer“ verklungen ist. Erklärungen, Mahlzeiten würden zügiger gereicht, wenn alle mithülfen statt auf dem Kanapee Ergebnisse zu fordern, haben sofortigen Dienstantritt zur Folge statt lautes „PECH!!“-Gebrüll und Bühnenabtritt, man kehrt quasi pünktlich aus dem Ausgang heim, zeigt sich nicht nur einsichtig, sondern proaktiv bei der Entscheidung „Abschlussballkleid: hochgeschlossen-elegant vs. Hugh-Hefner-Gedenkparty“, erläutert weise die fade Eindimensionalität von „Stadtmenschen“ und meint damit Altersgenossinnen, deren Leben ein stetiges und sinnloses und alkophiles Abhängen in der City beinhaltet sowie die Anfertigung von Augenbrauen mittels Nike-Schablone. Einzig der eigenmächtige und spontane Wechsel des Radiosenders von Wissensradiobayernzwei auf Hitradioichkreischdenganzentagnurschwachsinn findet statt, aber auch das, ich bin zuversichtlich, wird sich ändern. Kurzum: Gscheid langweilig ist’s geworden. Hab ich mir mal eine List überlegt. Und das Kind, das ich bald nicht mehr so nennen darf, in ein Gespräch verwickelt. Nach fast zwei Stunden, in denen weder geweint noch gebrüllt noch gemotzt noch ferngesehen noch gehandyt, sondern sich einfach nur unterhalten wurde, hab ich meinen Joker gezogen und ein hochnotpeinliches Gespräch über Körper im Allgemeinen und Vermeidung der Entstehung eines unerwünschten kleinen neuen solchen im Speziellen begonnen. Jede Wette, hab ich gedacht, jetzt steigt sie aus, das erträgt doch kein Mensch. Tja, was soll ich sagen? Auch eine halbe Stunde später saßen wir einträchtig auf dem Kanapee. Bald schauen wir gemeinsam Tagesschau statt Contouring-Tutorials, lesen Zeitung statt Jodel-Witze und gehen ins Museum statt den Ponyhof. Ich langweile mich jetzt schon zu Tode.  

Freitag, 1. Dezember 2017

Adveniat!

Eine Woche ist vergangen und nichts hat sich geändert. Um sieben Uhr morgens ist es dunkel, um halb elf mittags auch und um fünf am Nachmittag schon wieder, man lässt den Schlafanzug am besten durchgängig an. Funktioniert gut, wenn man sich eine Mordsgrippe eingefangen hat, dank derer man den November weitestgehend im Bett verbracht hat. Miniwinterschlaf, sozusagen. Leider ist man dann etwas überraschend plötzlich wieder gesund und ergo aufgefordert, am täglichen Leben aktiv teilzunehmen. Dabei ist das Spannendste, was zwischen der ganzen Enttäuschung passiert, dass mir immer noch Menschen zur Schwangerschaft (Stichwort „Tomate“) gratulieren, was beim Zahnarzt noch irgendwie verständlich ist, spektakulär hingegen, wenn der Frauenarzt einem jovial auf die Schulter haut und sich erkundigt, ob der Nachwuchs wohlauf ist. Gottlob erscheint bald ein Licht am Ende des Tunnels dieser Düsternis, um nicht zu sagen ein Scheinwerfer, der mit Myriaden Lumen den Weg zum einzigen, wahren Nabel der Welt weist. Weil da kann der gesamtrestdeutsche Großkapitalist seinen Weihnachtsmarkt wegen verkürztem Advent so früh aufmachen wie er will, im zuchtundordentlichen Nürnberg wird prologisiert am Freitag vor dem ersten, basta und adveniat! Nachdem wir uns alle als Dosenheringe verkleidet und in Senf und Glühwein gebadet sowie die Hälse verrenkt und den ein oder anderen Kindergummistiefel sorgsam aus dem eigenen Auge geklaubt haben, statt ganz entspannt im Seitengasserl oder gar BR eifrig darauf zu warten, ob uns bittebittenichtendlicheinmal so ein Christkindlein ein klitzeklitzekleines minibisserl Verhaspler gönnen könnt, man tät’s ihm wirklich nachsehen, dem Engerl, und in die Annalen eingehen tät’s doch auch sogleich, hat das Leben des Nürnbergers endlich wieder einen Sinn. Urplötzlich zum Leben erweckt wünschelrutet er sich nämlich nach vollbrachtem Tagwerk hinein in den Hauptmarkt anstatt mit letzter Kraft auf ein Kanapee, wobei den Klugen die über den Straßen schwebenden, zu bizarren Leuchtformen gewundenen Kunstmose den Weg weisen, den ganz Gewitzten die Schilder für die Busse, die den Touri fröhlich jauchzend mittenhineinkarren ins heilige Bohei. Ach das klingt jetzt problematisch. Pardon. Dort angekommen widmet er sich dem Studium des Glühweinzyklus, der weit weniger kompliziert ist als der der Zitronensäue, dafür ungleich kostspieliger. Wie genau die Wunderformel aussieht, erklär ich gerne nach der nächsten Maus, jetzt findet ihr’s mal selber raus. Und was sich reimt, ist immer gut. Kleine Anleitung zum Beliebtmachen am Rande: Prolog auf dem Hauptmarkt im Beisein möglichst vieler Freunde delizieren. Sicherstellen, dass um 17.30 jeder eine volle Tasse in der Hand hat. Diese bei jedem von der Empore tönenden „Ihr Herren und Frauen“ glücklich prostend aneinanderstoßen. Motzenden Touristen mitteilen, sie hätten ja nicht herkommen brauchen. Einheimischen auch. Toi toi toi!