Freitag, 6. März 2020

Klinisch fein

Es gab mal eine Zeit, da hab ich mehrfach im Jahr mit mundweitgeöffnetem Staunen beobachtet, wie ein großes Haus in Windeseile blankgewienert wird. „Warum putzt du denn jetzt, Mama?“ hab ich mich gewundert, „wenn die Leute später kommen wird doch eh wieder alles dreckig?“ und ich meine an lediglich so ein „Du hast wirklich keine Ahnung, Kind“-Lächeln als Antwort zu erinnern. Schnitt: Jahre später. War ich bei Leuten auf Geburtstag und hab gesagt, „Mensch Juli“, hab ich gesagt, „bei dir ist es immer so wahnsinnig sauber, wie machst du das nur?“ und als Antwort hab ich so ein Lächeln nur bekommen. Achselzuckend ich nach Hause, Party vorbereiten. Sprich: Ab drei Monaten vor dem Ereignis keinen Lappen mehr berühren, Staubsaugerbeutel sparen und höchstens vielleicht mittels Luftzug das Gröbste an Bodendreck sich selbst zu Haufen wehen lassen. Weil wenn die Leute später kommen wird eh alles wieder dreckig, ein Großputz muss hinterher getan werden, also eher so Kärcher. Und vielleicht eine kleine Natronbombe. Mit der sind Chips, Salzstangen und manchmal auch ein Socken aus dem Sofa und vielen kleinen Bodendielenritzen gesandstrahlt worden, man hat Stunden damit zugebracht, die Badewanne in den Ursprungszustand zu versetzen, sprich die feste Tapete aus eingeweichten und abgelösten Bieretiketten vom Emaille zu meißeln. Die Pflanzen haben Korkenkronen auf und im Verstärker ist das Kellnermesser verschwunden, sorgsam eingewobenes Kaugummi kaschiert die Brandlöcher in Vorhang und auch Fliegengitter, unters Bett gekippte Gläser trocknen geduldig vor sich hin, so ein Holzboden ist genügsam. Ins Buchregal sind farblich eingepasst Muffins gestapelt, besonders gut zum Mosaikbau eignen sich hierbei die mit Fondant beklebten Teilchen, und schmerzlich in Erinnerung geblieben sind mir circa fünf Liter Wodka-Götterspeise, die am Tag-Danach aus einer Bodenvase zu operieren waren; olfaktorische Schikane inklusive. Nein, man muss sagen: Das mit dem Großputz noch bevor Besuch kommt, das hab ich wirklich nicht verstanden. Schnitt: Jahre später. Man wächst, es gab Aha-Momente. Die Freundin hatte gestanden, dass ausschließlich, aber zwingend vor Besuch gereinigt würde um dann milde lächelnd Lob für außerordentliche Ordnung zu empfangen und zudem den Selbstverschmutzungsgrad durch Gäste klein zu halten, trauten die sich in sauberer Umgebung doch kaum mehr abzuhausen, lang schon habe man nach Geburtstag nicht mehr weißeln müssen. Aus meinem kindlichen Erstaunen keimte der Baum der Erkenntnis und spross wenig später zu voller Blüte auf. Ja: Diese Herangehensweise wusste mich zu beeindrucken. Seitdem sitzen Besucher stramm auf meiner schutzfolienbezogenen Couch, tragen Tatort-Überzieher an den Füßen und Schalen-Lätzchen um den Hals und genießen Prosecco, Torte und Kaffee als Birthday-Smoothie aus der Schnabeltasse. Apps simulieren Tischfeuerwerk. Immerhin: Wenn sich versehentlich jemand zu schnell bewegt, knistert die Luftpolsterfolie so lustig. Ich freu mich! Stimmung! 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen