Freitag, 23. Juli 2021

Sunsplaining

 Wie heißt das gleich wieder, wenn dir jemand dauernd Fragen beantwortet, die du nie gestellt hast, in einem nachlässig gemischten Tonfall zwischen genervt und gönnerhaft die Welt erklärt und das alles sorgfältig-lose mit dem Deckmäntelchen der Fürsorge dekoriert? Mansplaning, stimmt, aber das meine ich nicht. Moment, ich blättre geschwind durchs Vokabelheft … B wie Besserwisser … N wie neunmalklug … S wie siebengescheit … S … wie … Sunsplaining, das isses! Eine völlig unterschätzte Form der Diskriminierung, der ich endlich eine Stimme verleihen und Gehör verschaffen will, auch wenn man zwar nicht behaupten kann, dass es sich bei den Betroffenen um eine Minderheit handelt, wohl aber Unterdrückte, die Zeit ihres Lebens verhöhnt und verspottet worden sind: die Käsigen. Deren zarter Alabaster präventiv zu glühen beginnt, wenn der Wetterfrosch auch nur in Erwägung zieht, die Leiter zu erklimmen. Deren elfenbeinerne Haut von heftiger Panik ergriffen Blasen schlägt, lang bevor es der Asphalt der Sommerstraßen tut. Die in mühevoller Kleinstarbeit aus 5-Minuten-Sitzungen und LSF50 nach sechs Wochen Küstenurlaub von Rein- auf Altweiß tönen. Und die zum (hahahahaa!) Dasein im Schatten verdammt sind – mindestens derer, denen es beschert ist, allein kraft eines kurzen Blicks aus dem Fenster zum knusprigen Brathendl zu mutieren. „I feel it in my fingers, I feel it in my toes: sun that’s all around me. And so the sunburn glows“ … Wer sich nicht sicher ist, zu welcher Gruppe er gehört, dem empfehle ich den Vampirtest: Weißes Top und hellgraue Shorts an, ab damit auf eine neonorangefarbene Isomatte, und wenn du dann auf dem Selfie nur mehr die Klamotten siehst, derweil dein Körper farblich mit dem Untergrund verschmilzt – Jackpot! Surprise: Ich gehöre nicht zu Gruppe zwei. Was gewissermaßen schade ist, denn dann könnte ich auch den ganzen Sommer hindurch mit Sunsplaining glänzen und zu Käse-, pardon: Sahnemenschen ungefragt wichtige Sätze sagen wie: „Meinst du nicht, du solltest mal aus der Sonne gehen?“ (Antwort: Nein.), „Findest du nicht, dass es im Schatten besser wäre?“ (Nein.), „Magst du dich vielleicht lieber da hinten zu dem Baum legen?“ (Nein.), „Ich habe noch einen Regenschirm im Auto, soll ich dir den holen gegen die Sonne?“ (Nein.), „Du weißt fei schon, dass man von Sonne Krebs kriegen kann?“ (N…jadoch.) oder witzige Sätze wie „Hast du dich mit Mayo eingeschmiert statt Sonnencreme?“ (NEIN!), „Darf ich mal mit dem Finger auf deinem Dekolleté herumpieken und schauen, wie lang die weißen Punkte bleiben?“ (Nein.), „Magst du heut Abend kommen, dann spar ich mir die Beleuchtung.“ (Haha.), „Warst du im Urlaub oder im Ofen?“ (…) und statt eines freundlichen Hallo nurmehr „Oh. Ich hab fei Sonnencreme dabei.“ Das ist Sunsplaining.

Freitag, 16. Juli 2021

Pomodoro

 Achtung Achtung, tempus fugit! Oder halt eigentlich: tempora fugiunt! Die Uhren ticken. In acht Minuten klingelt mein Wecker, dann muss ich fünf Minuten konzentriert Pause machen, um mich im Anschluss 25 Minuten meiner nächsten Aufgabe zu widmen, dann wieder fünf Minuten zu pausieren und so weiter und so fort. Diese Technik nennt sich „Pomodoro“ und soll mir zu strukturiertem, effizientem Arbeiten verhelfen sowie zu geistiger Beweglichkeit. Ich weiß noch nicht. Momentan verhilft sie mir dazu, meine Wohnung in ein Zirkeltraining verwandelt zu haben. Noch drei Minuten Sofa, dann geht es in der Küche weiter. Hier warten mehrere Kilo Datteln, Nüsse und Kerne darauf, zu einer sehr gesunden Süßigkeit verarbeitet zu werden, leider kam der Weckerton etwas ungünstig, weswegen wahrscheinlich die Hälfte des Muses in der Schüssel ausgehärtet ist. Falls nicht, hat es noch Gelegenheit zum Durchtrocknen, während ich im Badezimmer eine zweite Schicht Reiniger aufs Emaille verstreiche, denn mitten in den schönsten Schaum hinein hat das Signal mich zur Pause gezwungen, dabei war ich grad so schön im Flow und glücklich, den Inhalt des Kleiderschrankes, den ich heute Morgen zu Beginn der neuen Disziplin zu Sortierungszwecken auf dem Bett verteilt hatte, vier Stunden später fast vollständig wieder eingeräumt sowie heimlich den PC hochgefahren zu haben, dessen hektisch blinkenden Posteingang ich mit Verachtung strafen und auf die überüberüberüberübernächsten 25 Pomodorominuten vertrösten musste. Wenn bis dahin irgendwas zu spät ist, zum Beispiel die Info „Wasmeierin, uns ist leider grad das Zeitungspapier ausgegangen, deswegen morgen keine Kultur und darum auch kein Sofa!“ – Pech gehabt. Von Glück reden kann ich, dass die Pomodoro-Task „Morgentoilette“ ordnungsgemäß nach 25 Minuten unterbrochen wurde, blieb mir doch so eine weitere unziemliche Begegnung mit dem Paketboten der Herzen erspart, aber ich hab auch so genug Stress. Ob das so stimmt? Hmm …: „Die Technik besteht aus fünf Schritten: die Aufgabe schriftlich formulieren; den Kurzzeitwecker auf 25 Minuten stellen; die Aufgabe bearbeiten, bis der Wecker klingelt; mit einem X markieren; kurze Pause machen (5 Minuten); nach jeweils vier pomodori eine längere Pause machen (15–20 Minuten).“ Mich beschleicht eine kleine Ahnung, ich könnte da was ganz grundsätzlich falsch verstanden haben. Immerhin eins ist passiert: schriftliche Formulierungen gibt es jetzt. Und ob es bei der geistigen Beweglichkeit um die meine oder eure ging, war eh nie klar. RRRRRINGRING! 

Freitag, 9. Juli 2021

Das ewige Spiegelbild

 Demletzt beim Sonntagmorgenschampus. Wie alle drei Monate größere Spende an staatliche Einrichtung tätigen wollen, wie halt üblich unter Reichen. Dann Krise. „James“, hab ich gesagt, „das geht nicht.“ Und James, der eigentlich Hans-Jürgen heißt, sprach: „Ja du, kein Wunder: Dein Perso ist seit März abgelaufen.“ Ich, schlau: „Hä? Wie kann das sein, den hab ich doch neulich erst bekommen.“ Er, schlauer: „Ja halt im März 2011, das ist zehn Jahre her.“ Ich: ratloser Blick aufs Dokument, von dem mich eine fastbeinahe 1:1-Kopie meines heutigen Selbst anläch… naja: an-biometrisches-Pfannkuchengesicht-glotzt, damals hatte man das noch so. Bei genauerem Hinsehen hatte man damals auch noch anderes so, weswegen heute Stress. Weil „Wie soll ich jetzt so schnell ein Passbild machen und das alles??“ hab ich das Personal angeschrien, und das Personal rät mirnichts, dirnichts und so, dass du schon weißt, warum es halt nur Personal ist und nicht die schwere Bürde meiner Existenz zu schultern vermag: „Ja äh da gehst halt bitte einfach vorm Persobeantragen schnell rüber zum Fotoautomaten, das dauert keine fünf Minuten und kostet fast nichts?“ Angewidert hab ich mich von so viel Ignoranz ab- und meinem edlen Spiegelbild zugewendet um das weitere Vorgehen fortan auf Augenhöhe planen zu können. Weil in dieser grauenhaften schnellen digitalen Selfie-Mentalität, da vergisst du halt, was dir da bevorsteht: Der Oneshot, dieses eine Foto, das nicht nach 24-Insta-Story-Stunden im digitalen Nirwana verschwindet, nicht nach dem Anschauen snapchattig selbst zerstört. Nein! Du wirst für alle Ewigkeiten so aussehen wie auf diesem einen, unter Zeitdruck erstellten, fasrig grienenden, schwülfeucht schwitzenden Bild. Und: Es ist nicht nur dein Gesicht, dass du in Scheckkartenstein meißelst, sondern auch alle modischen Katastrophen, denen du womöglich derzeit erlegen bist in dem Glauben, du habest deinen geschmackvollen Stil – formvollendet, zeitlos, unerschütterlich surfend auf der modischen Dauerwelle – längst gefunden und seist schön bis in die Unendlichkeit und noch viel weiter. Aus diesem Grund befindet sich beispielsweise auf meinem Führerschein eine mir unbekannte Person, deren Frisur mit Gewalt straff nach hinten gezurrt, der herauswachsende Pony rings um die Stirn mit Haarnadeln kranzartig fixiert, die Augen in dicken Kajal, der Mund in Lipliner, der Hals in enges schwarzes Samtband und das Gesicht in Motzigkeit. Topmodern heutzutage? Ja ok, mein Fehler. Trotzdem! Welches Oberhemd trag ich, das ich auch in acht Jahren noch sehen mag, welches Geschmeide am Ohr, das mir auch 2025 noch gefällt? Find ich die Frisur auch übermorgen noch gelungen oder frag ich mich in sechs Jahren beim Streichen meiner Lider in Regenbogenfahren, wem damals eigentlich der No-Makeup-Makeup-Look eingefallen ist?! Also bitte! Aus dem Weg, ich muss denken! 

Montag, 5. Juli 2021

Baggerssee

 Es gibt gewisse feststehende Regeln des Lebens und zwischenmenschlichen Beisammenseins, die werden im Sommer schlichterdings außer Kraft gesetzt. Am meisten davon betroffen scheinen mir die unumstößlichen Gesetze der sogenannten „geregelten Mahlzeit“ zu sein. Weil während du von sagen wir mal Oktober bis Mai nach den allgemein bekannten oder zumindest mal gehört habenden Geboten einschlägiger Ernährungsberater (Weight Watchers, BRIGITTE Diät, Oma) agierst, fällt im Sommer jede Zucht und Ordnung von dir ab. Was unterm Jahr der Liturgie der Vernunft zu folgen hat, sprengt scheint’s urplötzlich jede Fessel und die ökotrophologische Unzucht machetet sich ihren Weg nach draußen. Der harmonische Dreiklang von Frühstück-Mittag-Abendbrot-und-zwischendurch-drei-Nüsschen wird zur Kakophonie des Vergnügens, der Gelegenheiten, der Scheißegaligkeit, der Zufeiernwennsiefallen-Feste: Zum Aufstehen schnell den Rest der Pizza, die es gestern Nacht um elf noch gab, weil wir nach dem dreifachen Eiskaffee am Vormittag so satt waren, dass das auf Nachmittag verschobene Mittagessen zugunsten dreier spontaner Vorfeierabendcocktails und der darauffolgenden Notwendigkeit weiterer Biere gegen den Durst und für den so-jung-kommen-wir-nicht-mehr-zusammen-Abend aus- und in der Spätfolge der sorgfältig für den Abend vorbereitete Gemüsepuffer mit Kräuterquark (Magerstufe!) dem Mülleimer anheimfallen musste, wo bereits die Vollkornstullen weinen, die gestern erst mit zum See und dann aber auch wieder mit nach Hause fuhren, weil plötzlich trifft man Freunde, die Ereignisse überschlagen sich, man verliert die Lust auf Käsebrot, dann die Kontrolle über sein Leben und schließlich sich selbst in der Speisekarte der fränkischen Landwirtschaft: So ein Schäufele bei 30 Grad, das hat man sich richtig verdient nach all dem Stress beim Baden, und schließlich ist man ja auch mehrere Meter vom Auto zum Strand und von diesem mehrfach zum Kiosk gelaufen, um sich dort schwer geschwächt auf dem Badmintonschläger abzustützen, damit der wenigstens nicht ganz umsonst durch die Welt gekarrt worden ist, Dreikugelnimbechermitsahnebitte, und im Freibad wär auch alles halb so wild, läge die Pommesbude nicht in derart ungeschickter Nähe zum Klo, dass du auf dem Wege zur Erleichterung meist versehentlich falsch abbiegst um dich fröhlich mit einer Tüte Hüftgold zu beschweren, ähm, ich hätt fei auch noch Karottensticks, magst du die ni… nein? Na gut. Ich sach ma so: Wer jetzt meint, noch keine Strandfigur zu haben, der irrt. Nimm deine Figur und trage sie zum Strand! Disziplin können wir im Herbst wieder. Und schon passt der Baggersee! … Oh! Mhmm! Baggers!!