Freitag, 29. Juli 2022

Alles ist Salat

 Wie in jedem Jahr kam auch dieses Mal der Sommer vergleichsweise überraschend. So sehr, dass die meisten von uns noch gar nicht richtig fertig damit waren, sich den Winterspeck anzufressen und dann indigniert zur Kenntnis zu nehmen, dass es mit der Strandfigur jetzt dann doch etwas pressiert. Sogleich geht der Mensch in einen Zustand über, den er für den Rest des Jahres beibehalten wird, zumindest bis zum Oktober, weil da muss man dann schon dringend wieder an den Winterspeck denken. Es wird also Diät gehalten und sich sommerlich-leicht ernährt. Doch es lockt überall die Versuchung: Grilleinladung, Rooftop-Buffet, Gartenparty, es nimmt kein Ende, wir sitzen in der Patsche – doch sind ja freilich schlau. Alle sprechen von Salat. Man habe abends nur einen Salat und mittags nur einen kleinen Salat und zum Frühstück einen leichten Salat gespeist, so klingt’s an jeder Ecke. Jedoch wird der Mensch scheint’s von einem sommerlichen Sprachfehler befallen und verschluckt ganz ungewollt hier und da ein winzigkleines Wortbestandteilchen. Spitzt man die Ohren und fragt noch ein- bis dreimal nach, erfährt man auch schon die Wahrheit. Die nämlich lautet: „Ich koche mir einfach alles was ich will, lass es kalt werden und nenne es dann Salat.“ Das sieht dann so aus: „Ich mach uns später noch einen Salat.“ – „Und was tuste da rein?“ – „Naja, halt getrocknete Tomaten, Oliven, Schinken, Parmesan und ein Pfund Nudeln.“ Oder „Ich glaub ich nehm uns dann morgen nur einen leichten Salat mit.“ – „Aber das fällt doch dann zu einem gatschigen Klumpen zusammen?“ – „Iwo, Reis und Käse und Eier und Mayo und Speck doch nicht, das hält das schon aus.“ Oder „Ich hab mir aus den Resten von gestern noch schnell einen Salat gemacht.“ – „Ach fein, und was gab’s gestern?“ – „Schnitzel.“ Diese Unsitte wird verstärkt von Kulinarikmagazinen jedweder Preisklasse, die von jeder Kasse grindig auf einen herabfeixen und locken. Auf den „kreativen Salatideen“ glänzen die Chicken Wings mit den speckummantelten Datteln um die Wette, paniere und brate ich eine Zucchini und lasse sie auf dem Fettabtropfpapier erkalten, so ist’s ein sommerleichtes Gericht, und jeder noch so unschuldigen Wassermelone muss mindestens ein Pfund fetten Fetas beigemengt werden, sonst ist sie umsonst gestorben. Verzweifelt wiege ich meine zitternde Salatgurke und gelobe feierlich, sie vor jeglicher Zubereitung zu beschützen, um mich dann auf ein kühles Bett Tomaten zu lagern und behutsam mit einem winzigen Blatt Basilikum zuzudecken. Hierbei entdecke ich vom letzten Grillabend vergessene Zucchini. „Prima!“, geistesblitzt es mir sogleich durch den Kopf. „Wenn ich die schön mit Knoblauch rausbrate und dann über Nacht stehen lasse, hab ich morgen gleich einen tollen Salat.“ Ach was soll’s! Man nehme seine Figur und trage sie zum Strand. Diät machen wir wann anders.   

Freitag, 22. Juli 2022

Annalenas neue Tasse

 „Es ist wirklich wahr, der Opa wird heut 80 Jahr!“ Zwischen all den entzückenden Zitaten, Headlines und Bonmots unseres geliebten Heimatblattes fand sich in einer der letzten Ausgaben eine Bildunterschrift, die mich besonders rührte: „OB Marcus König übergibt Außenministerin Tasse mit Nürnberg-Motiven.“ Und nicht nur kann man der ersten Frau im Lande auf dem Foto ansehen, was sie sich denkt, sondern hat diese Szene auch sogleich zahlreiche herzwärmende Gedanken bei mir ausgelöst. Annalena und die Nürnberg-Tasse. Mensch, wird sie sich gedacht haben, endlich hab ich meine eigene Tasse, weil sie ist ja noch nicht so lange in ihrem neuen Büro, und das wird eh vor allem ziemlich schick eingerichtet sein, in edel weißem Design darum auch das Porzellan, aus dem sich zwar vorzüglich der kleine Espresso schlürfen lässt, den es zur Konferenz gibt oder danach oder hinterher oder mehrfach mittendrin in der Nacht. Doch was tut man, wenn es die Welt einmal wieder so richtig rund treibt und alle regen einen bloß auf und heiß ist es sowieso oder vielleicht auch zu kalt – ja, dann schaust du blöd aus deinem porzellanenen Fingerhut, weil da passt halt keine Nudelsuppe rein und keine heiße Schokolade und eine extragroße Portion Eiskaffee erst recht nicht. Doch zum Glück hat Annalena nun endlich eine eigene Tasse. Die wird sie in ihrem Büro im auswärtigen Amt sicher so wie sich das in jeder guten Bürogemeinschaft gehört fern der garstigen Kolleg*innen im höchsteigenen Schreibtischschubladerl einsperren, weil sonst die Lise und die Magda nur wieder ihre Lippenstiftränder dran abschmieren. Und dann immer wenn es eine kleine Pause braucht vom Außenministerinsein, dann denkt sich die Frau Baerbock „zum Glück hab ich da so einen schönen Becher, da sperr ich jetzt direkt einmal die Türe ab und genieße meinen großen kalten Kaba und hab dabei auch noch Nürnberger Motive, weil mei, da war’s eh so schön und die Menschen allesamt so herzig, vielleicht fahr ich da einmal wieder hin.“ Vielleicht hat sie ihre neue Tasse aber auch direkt mir nach Hause genommen und dann ganz nach oben in den Küchenschrank versteckt, damit die Kinder nicht dran rumgrabbeln, man weiß ja wie die sind mit neuen Sachen. Und dann wenn die aus dem Haus sind, also die Kinder, nicht die neuen Sachen, und die Außenministerin hat einmal schön Ruhe und Entspannung, dann sagt sie zum Gatten „Geh du Daniel, holst mir einmal meine schöne Tasse? Nein nicht die mit dem Garfield. Die neue, vom Marcus! Ja, mit c, nicht mit k!“ und dann gibt’s schön „Ruhe & Gelassenheit“-Tee oder vielleicht sogar einmal einen kleinen Tassenkuchen oder, wenn die Annalena einmal Lust hat, sich selbst wieder ganz wie ein Kind zu fühlen, weil das hat man einfach manchmal, da müssen wir uns doch jetzt nichts vormachen, dann macht sie sich in der schönen Nürnberg-Tasse ihren Kaba warm und stippt einen Kanten schönes Graubrot hinein, so wie bei der Oma früher immer. So ist das mit der Tasse. Wahrscheinlich. Vielleicht auch nicht. Vielleicht landet sie auch unter Hammer – mindestens bei der „Auktion der Gastgeschenke an die Bundesregierung“. Wir werden sehen.

Freitag, 15. Juli 2022

Heiße Nächte in Balkonien

 „Man muss die Feste feiern wie sie fallen“, hab ich mir gedacht, und außerdem beschlossen, dass es an der Zeit ist, eine andere Balkonspinnenstrategie anzuwenden und die unliebsame Mitbewohnerin einfach störend und markierend aus ihrem, nein: meinem Revier zu vertreiben. Nach einem unfassbar anstrengenden Tag, den ich erst einmal im Gedenken an die tapferen Radler von Frankreich und direkt in deren Tradition begonnen habe (am heißesten Tag der Welt durch endlos glühende Lava mit dem Drahtesel, am Ende der unglaublich kräftezehrenden fünf Kilometer noch eine Berg-Schikane) und der im weiteren Verlauf nicht minder sportlich vonstatten ging (hinlegen. Sandwich essen. Lesen. Huch, kurz eingenazgat. Zehn olympische Runden Brustschwimmen, erstmal wieder hinlegen. Drei Kilo Wassermelone verspeisen, lesen) und einer deswegen nicht mehr ganz so sportlichen Heimreise („Wenn wir noch langsamer fahren, fall ich um.“ – „Mir doch egal, dann schlaf ich einfach hier im Straßenbegleitgrün.“) sowie einem ausgewogenen, erfrischenden Abendmahl (man nehme am Vormittag kalt gestellten Kaffee, gieße diesen behutsam in ein zuvor randvoll mit zartschmelzendem Bourbon-Vanille-Eis befülltes Glas und garniere dies lückenfüllend mit dem köstlich-chemischen Zart frischster Sprühsahne) befiel mich bei der Einnahme desselben eine grandiose Idee: „Hopp, heut wird auf dem Balkon geschlafen!“ Der nonplusultra Romantik-Tipp, verwuscheltes Haar in verschwitzten Laken, umgeben vom sanften Leuchten unzähliger kleiner Lampions, über dir nichts als der Sternenhimmel und der zarte Wind bringt Duft von Minze und Basilikum auf dem heißen Zirpen der Grillen – perfekt! Nach einer kurzen Einrichtung auf der neulich erwähnten nach dem Lego-Prinzip gestalteten Balkonbank, die dynamisch zum Balkonbett umgebaut werden kann („Und die Matratze?“ – „Ach was, die Yoga-Matten reichen völlig!“) und kurzer Abstimmung („Nimmst du mal bitte gefälligst dein Kissen aus meinem Basilikum?!“ – „Upsi ja. Und kannst du mal die ganzen Lampions ausmachen die sind sauhell!“) konnte auch schon die Nachtruhe beginnen. Eingekeilt zwischen meinem Mitschläfer, der glühend heiß abstrahlenden Hauswand und überbordender Romantik lag ich da und lauschte dem Schweigen der Sommernacht, das nur gelegentlich vom gemächlichen Rumpeln einer Straßenbahn unterbrochen wurde. Sowie siebzehn Feuerwehr- und Krankwagen, einem heftigen Beziehungskrach und mehreren ausgeführten Endstufen, die mich beim Zählen der Sterne empfindlich gestört hätten, hätte ich Probleme im Zahlenraum bis zehn. Gegen Mitternacht bin ich dann ins Bett gegangen – die beste Idee des Abends, empfing mich das Schlafzimmer doch mit angenehmer Kühle, absoluter Stille und Einsamkeit. Der Mann? Hat draußen das Revier markiert. Zumindest akustisch. Mal sehen, was die Spinne dazu sagt. 

Freitag, 8. Juli 2022

Flatscherl auf den Kopf

 Angeblich sollen ja die letzten dereinst noch lebenden Lebewesen auf der dann gänzlich zugrunde gerichteten Erde keine geringere Spezies als die Schaben sein. Ich kann mir das durchaus gut vorstellen, seitdem ich dieser Tage versucht habe, eine goldglänzende Vertreterin in meinem Badezimmer einzufangen und artgerecht zu entsorgen, nämlich selbstverständlich auf eine lustige Flussreise zu schicken. Leider hatte die Schabe keine Lust auf Baden und flitzte wie ein goldener Pfeil kreuz und quer durchs Badezimmer, um sich schließlich unter einer Seifenschale zu verbarrikadieren und von dort aus triumphierend mit den Fühlern zu winken. Sonnenklar: ein Fall für den Kammerjäger-mit-Herz, und der trug das Tierchen begleitet von meinen wohlmeinenden Worten („WEHE DU LÄSST SIE WIEDER EINFACH FALLEN!“) behutsam auf den Balkon, um sie von dort aus in Freiheit zu entlassen. Die Seifenschale liegt jetzt unten vor dem Haus, die Schabe darf darin meinetwegen gerne glücklich werden. Wir leben hier nämlich in großem Einklang mit der Natur. Eine Oase inmitten des innerstädtischen Asphalts, wo Fauna und Flora gedeihen und sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Ok, das nicht grade. Aber Krähen sagen sich guten Morgen. Sie sagen auch guten Mittag und guten Abend, zwischendurch auch guten Feierabend, guten Nachmittag oder schlichtweg MAHLZEIT, je nachdem, wonach ihnen grad der Sinn steht. Das ist ein relativer Nachteil der Krähe gegenüber beispielsweise einem Hahn, der morgens einmal laut und ehrlich alle in den Wahnsinn schreit, um sodann zu verstummen und den Rest des Tages nurmehr zu picken und zu begatten. Sehr rural eben. Unsere Krähen hier sind jedoch sehr urban, sprich 24/7 hochaktiv, und deswegen können sie sehr gut gleichzeitig krakeelen, Nahrung vertilgen, selbige wieder ausscheiden sowie – das stimmt mich froh – Unmengen Nester bauen. Das alles direkt hoch oben in der Baumkrone direkt über dem Hauseingang, weswegen der Boden vor der Türe übersät ist mit allerlei Unrat und man gerne mit Regenschirm bewaffnet das Haus verlassen möchte. Hat man keinen Schutz dabei und großes Pech, tut’s manchmal so Flatscherl auf dem Kopf und dann weißt du nicht: Hat dich ein Zweiglein getroffen oder doch endlich Defäkat? Letzteres brächte immerhin Glück. Und ich brächte ohne die Gefahr vielleicht noch öfter den Bio-Müll hinaus, denn dieser ist derzeit Zuchtstation für die wahren Überlebenden aller extra- sowie intraterrestrischen Gefahrenszenarien. Wenn die Welt einmal untergegangen sein wird, werden die Fruchtfliegen herrschen. Hierauf bereiten sie sich in meiner Küche vor und verwandeln frisch gekauftes Obst in fliegende Punkte sowie zehn Sekunden alte Bananenschalen in sirrende Infernos. Und während die angebliche Geheimwaffe „Essigmischung“ sie köstlich amüsiert, lebe ich seit Wochen in Flachatmung bloß nicht durch die Nase! Toll, dieses „Natur“! Lieber die Krähe auf dem Dach als die Schabe in der Hand.

Freitag, 1. Juli 2022

Koriander-Lakritz und Gelbwurst-Mango

 Ein unbedeutendes bayerisches Druckerzeugnis, das uns seit langer Zeit mit heiteren Diagrammen der sogenannten „gefühlten Wahrheit“ erfreut, schmiss vor einigen Jahren das wunderschöne Schaubild „vier Geschmacksrichtungen, mit denen uns kreative Innenstadt-Eisdielen diesen Sommer noch überraschen können“ auf die Bildschirme. Darauf zu sehen war eine feine Eistüte mit vier Kugeln kühler Schleckerei, bei deren Anblick es einem sogleich das Hirn schockfrostete, den Magen verschloss und die Zunge an den Gaumen tackerte: Koriander-Lakritz, Salz, Zimt-Garnele und mein persönlicher Favorit Gelbwurst-Mango. Dieses Schaubild muss sehr, sehr alt sein oder Beweis dafür, dass der Münchner halt nicht so oft hinauffährt in den schönen Norden, um dort einmal an der Zündschnur des Geschehens zu lecken, denn schließlich sind wir hier aufgrund ein bis drei findiger Gelateure so einiges gewohnt und warten seit der Präsentation des Schäufele-Eis entspannt zurückgelehnt auf die Sorten SechsaufKraut-Erdbeer mit aufgeschlagenem Senf, Sülze-Vanille mit Zwiebel-Topping oder Stadtwurst mit Muskat (vegan). Noch lacht ihr beschämt und verzieht angeekelt das Gesicht, meine Lieben, doch ihr werdet schon sehen! Wenngleich ich selbst ein bisschen stutzig werde ob der möglichen Grenzen des Pioniergeistes, da es mindestens zwei Sorten Leckgenuss gibt, die ich im Repertoire sehnlichst vermisse: Glühwein-Spekulatius und Lebkuchen-Zartbitter – Entschuldigung, aber wie naheliegend können denn Eissorten bitteschön sein? Wintergenuss im Sommer, der Hauptmarkt glühende Lava, kein Windchen zupft an der Frisur, aber wir können die Augen schließen, an unserer Glühwein-Waffel nuckeln und dazu dem Klang des Männleinlaufens lauschen. Wenn ich Tourist wäre, ich würd’s sofort machen. Und Lebkuchen-Eis, also erlaube mal! Nirgendwo auf der Welt bietet sich die Gelegenheit zu so einem weihnachtlich-sinnlichen Gesamterlebnis als hier mittendrin bei uns! Geruchskino in der Entwicklung noch nicht ganz ausgereift? Dass ich nicht lach, wir können seit dutzenden von Jahren machen, dass eine ganze Stadt im höchsten Hochsommer nach Zimt, Nelken und erfrorenen Füßen riecht dank der nimmermüden Elisenproduktionen, die wie ein Ring of Fire die Stadt umgeben, so dass egal woher der Wind kommt stets ein Hauch von Lebkuchen die sommerheißen, hundsbetagten Straßen durchweht. Auf der Zunge Lebkuchen, in der Nase auch und obendrauf Lichtschutzfaktor 60 – ich wär sofort dabei. Aber die Herrschaften an der Eismaschine haben ja offenbar anderes zu tun: Vorgestern sind mir doch tatsächlich in so einer Diele kurz die Augen rausgefallen – „Ähm sorry, aber Meerrettich-Schnittlauch, was hab ich mir denn bitte darunter vorzustellen?“ Doch bevor ich mich wehren konnte und empören, ob der Gelateur einen an der Waffel hatte, hatte ich eine grüne Kugel in der selben. Und ich muss sagen: Es war köstlich. Gelbwurst-Mango? Ich bin dabei!