Freitag, 26. August 2022

Ich packe meinen Koffer

 Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Decke. Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Decke und Wasser. Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Decke, Wasser und ein Buch … Okay, ihr kennt das Spiel. Und werdet darum bestimmt gut verstehen, warum ich in einem etwas überraschenden Anfall von Trennungsschmerz eigentlich aufgeregt auf der Straße hinter dem Sommer herrenne und rufe „Halt halt halt, Moment! Schau dass du zurückkommst, du Bazi du, wir sind doch noch gar nicht fertig miteinander!“ und zum Beweis schwenke ich einen schiffscontaintergroßen Koffer hoch über meinem Kopf. Der Container ist eigentlich meine Schwimmbadetagamseetasche, und die ich hab ich in den vergangenen Monaten sorgfältig beladen, und optimiert. Und dann sagt der Sommer einfach: Haha, ausg’schmiert! und meint damit nicht, dass du dich endlich nicht mehr mit dem leidigen Thema Sonnencreme beschäftigen musst, sondern eben dass jetzt einmal gut ist. Aus Ende Äpfel! Und dann schaust du traurig auf deinen Badetaschencontainer, trägst ihn in die gute Stube, räumst ihn aus und weg und weißt: Im nächsten Mai, da geht dann alles wieder von vorne los. Erst packst du ein Bündel mit dem nötigsten. Weil du bist sophisticated über jeden Verdacht erhaben, für einen schönen Seetag irgendwas anderes zu brauchen als ein staubwedelgroßes Handtuch, ein kleines Wasserl sowie ein zerfleddertes Taschenbuch. Beim nächsten Mal hast du dann schon die thermobeschichtete Picknickdecke dabei, wegen der Feuchte von unten, ein sehr großes Wasser sowie vereinzelte Exemplare der ZEIT, die sich über das letzte halbe Jahr dank mehrerer Probeabos daheim auf dem „noch zu lesen“-Stapel angehäuft haben. Sodann folgt die Erkenntnis, dass trotz skandinavischer Bräune LSF50 vielleicht doch gut wär, außerdem bitteschön Käsesemmel, Obstaufschnitt sowie mindestens ein Karten- sowie ein Ballspiel, weil wegen falls Langweilig. So liegst du dann und beneidest andere um den gekühlten Picknickkorb, in dem Käsesemmeln frisch bleiben statt davonzulaufen, in dem kleine Frischwasservaporisatoren für die Abkühlung zwischendurch sorgen, Schokokekse wenigstens einen halben Tag überleben und die nunmehr drei Liter Wasser schön kühl. Hast du diese Gepäckerweiterung beim nächsten Seebesuch schwitzend vom Radl gezerrt, erkennst du, dass ALLE anderen und NUR DU nicht mindestens eine aufblasbare Wassersache ihr Eigen nennen und selbstverständlich nur deswegen so viel glücklicher aussehen als du dich fühlst, weil sie auf Pizzaluftmatratzen und Obstschwimmringen im Wasser planschen können und du nicht … So geht es dahin. Bis irgendwann der Tag kommt, an dem du alles, wirklich alles dabei hast, inklusive Hängematte, Wasserschuhen, Sonnensegel und Liegestuhl. Und dann kommt ein Windstoß und statt deiner optimalen Ausrüstung hast du nurmehr braune Blätter um dich herum. 


Freitag, 19. August 2022

Radlfahrer

 In meiner Familie haben Drahtesel und alles, was dazugehört eine lange Tradition. Dass wir als Kinder vergleichsweise oft als „Radlfahrer“ benannt worden sind, hatte zwar vielleicht damals eine den Glauben an unsere Fähigkeiten bestärkende Wirkung, muss aber leider im Nachhinein betrachtet als Irrtum verbucht werden, der auf einer donauäquatorianischen Sprachbarriere beruht: Ein „Radlfahrer“ zu sein klingt zwar wie ein knuffig-freundschaftliches Qualitätsmerkmal, meint aber nichts anderes als einen „Schleimer“, weswegen man sich bei Licht gesehen über diesen Titel vielleicht doch nicht so sehr freuen sollte. Aber auch darüber hinaus zeichnen sich Familienmitglieder mit einer betriebsamen Drahteselei aus. Während Onkels und Tanten wann immer sie Zeit haben Berge hinauf oder Flüsse entlangsausen, hat die Oma uns oft morgens auf dem Boden liegend empfangen, wo sie mit den Füßen in der Luft strampelte. Was es mit diesem „Radlfahren“ auf sich hatte, versteh ich auch im Alter immer besser. Weitere erfahren alles im Umkreis von einer Stunde ganzjährig (außer wenn es regnet, weil „da werd ich nass und das mag ich nicht.“) und jemand ganz bestimmtes behauptet seit Jahr und Tag, es gäbe kein besseres Fortbewegungsmittel als das Klapprad, welches sogar zur Gardaseeumrundung bestens tauge, und mich deswegen vor einigen Jahren zu einem Straßburg-Trip mittels Klapprad und um die Stirn gebundene Taschenlampe zwang.  und wieder andere haben bis heute nicht verwunden, dass von ihrer BMX-Karriere nurmehr überaus unterhaltsame Zeitlupenvideos dramatischer Überwindungen winziger Bodenhindernisse im Reichswald zeugen. Ich selbst habe nach einem kleinen Downhill-Stunt vor einem Jahr und in der Darauffolge mehreren Wochen Atemnot und Brustkorbschmerz der Fahrradakrobatik vorläufig abgeschworen und überlege aber, ob es nicht vielleicht an der Zeit wäre, eine andere radlfahrende Beschäftigung erneut zu etablieren: Pferdchen spielen. Selbstverständlich durfte ich als Kind nicht reiten, weil elitäres Rollenklischee, lieber Skateboard, Latzhose und Wald. Heimlich daheim hab ich mich freilich in Wendy verwandelt und bin auf Penny und Dixie durchs Unterholz im Kinderzimmer gestoben. Oder eben draußen auf ihnen herumgaloppiert. Korrekter Sitz und entsprechende Kommandos – dank unermüdlichen Unterrichts reitender Freundinnen kein Problem, und so bin ich also „Hüa!“, „Brrrr!“ und „Schschhh!“ befehlend durchs Quartier geritten. Dass unter mir kein echtes Pony gemütlich trabte, sondern lediglich ein Drahtesel namens Hercules, focht mich dabei nicht an – warum auch? Sollten die anderen doch schauen, ich konnte wenigstens reiten, und so wehte mir der Wind der Freiheit um die Schnittlauchlocken ... Wenn’s am Wochenende irgendwo wiehert: Keine Sorge, bin nur ich. Das muhen überlass‘ ich den anderen.

Freitag, 12. August 2022

Orientalischer Duftteppich

 Der Haussegen hing schief! Um genau zu sein hing er welk und schrumpelig an der Wand, japsend und verzweifelt um Frischluft gierend. Im Gleichtakt mit dem Haussegen hatte ich abwechselnd aus dem Fenster, vom Balkon und ins Badezimmer geatmet. Ein Raumwechsel gestaltete sich jedoch schwierig, denn sobald ich mich durch die Wohnung bewegte, umhüllte mich eine zentnerschwere Faust und rang mich zu Boden, weswegen ich zuletzt dort verblieben und in die Küche gerobbt war, um dort tiefe Atemzüge aus dem Kühlschrank zu schöpfen. So geht’s. Schuld daran war eine graue Flasche, die der Mann am Morgen schwungvoll aus dem Parfumregal klaubte um ehe ich einschreiten konnte nicht nur sich selbst, sondern die komplette Wohnung sowie alles Leben, was sich darin befand (MICH!) mit zentnerschwerem Nebel zu bestäuben. Auf der Flasche prangte weithin sichtbar das Wort „SPORT“, womit entweder ein Scherz oder maximal etwas wie „Taschenbillard“ gemeint sein kann, oder aber es hat ein Parfumdesigner versucht, den lieblichen Odeur 50 Jahre alter Jungs-Umkleidekabinen herkömmlicher Vereinsheimhallen zu konservieren, alternativ das, was in drei Jahren Unterstufensport in durchschnittlichen Turnbeuteln heranwächst: Käsefuß, Gummibärchen und irgendwas mit Vanilleduftbaum. In diesem Fall müsst ich sagen: meine Hochachtung, es ist gelungen! Auf dieser Wolke betäubender Viskose stob der Mann von dannen und hinterließ mich im lilazähen Dunst, in den sich ein Hauch von Schwefel mischte, denn, tjaha: Es gab Stunk! „Nur weil du“, spie es mir auf meine freundlich handwedelnde Frage (sinngemäß: ob man noch ganz bei Trost sei, dem heißesten, schwülsten Tag des Jahres auch noch mit dem schwülstigsten Parfum zu assistieren) „eine absolute Geruchsstörung hast und völlig überreagierst, muss das noch lange nicht für den Rest der Welt gelten!“ zog der Mann den Trumpf und knallte erst diesen mir vorn Latz und dann mit der Türe, bevor er seinen orientalischen Dufteppich bestieg und auf diesem von dannen ritt. Zurück blieb ich. Verdutzt, atmend und mit einem irritierten Gefühl von Reue. Denn zum Abschied schallte es noch ein „Und außerdem hab ich keinen Bock, ein Parfum für 100 Euro einfach wegzuschmeißen!“ So hab ich das noch nie betrachtet. Und möchte Abbitte leisten: Ihr Tapferen da draußen, ich bitte um Verzeihung! Ihr alle, die ihr Tag für Tag ungeachtet jeden Anstands und Gesellschaftsvertrags die scheußlichsten Parfums auflegt, die Süßkinds Baldini je erfinden könnte, all die Jil Sander SUNs und JOOP! Hommes, all die Gaultier LE MALs – entschuldigt! Ihr könnt jetzt aufhören, eure Konfirmationsgeschenke von 1996 aufzubrauchen, wirklich. Es ist in Ordnung. Niemand wird es euch übelnehmen, packt einfach diese Fläschchen in den Müll und macht die Welt zu einem besseren Ort! Sie wird es euch danken. Ich hab direkt den Anfang gemacht. Gibt dann wieder Stunk. Aber der ist wenigstens nicht lila.

Freitag, 5. August 2022

Der Adana-Vorfall

 Es trug sich zu, dass die Familie grillte – ein Unfall, der sich gelegentlich ereignet und selbstverständlich niemals streitfrei vonstatten geht. Eh klar. So gibt es beispielsweise ein „Knabengrillen“, dessen Ausgestaltung auf der Hand liegt wie auch gleich daneben die Wurst, verzichtet man doch hierbei weitestgehend auf Beilagen jedweder Art, um sich stattdessen am besten einfach im Kreis um den Grill zu rotten, gelegentlich totes Tier darauf zu werfen, dieses abwechselnd mit Bier oder Spiritus zu benetzen, sich johlend über Stichflammen zu amüsieren und dann wie Özi umwegslos von der Feuerstelle zu speisen. Es gibt dann noch das „Grillen à la Mama“, was bedeutet, dass im Vorfeld verkündet wird, wir machen „nichts großes, aber halt ein bisschen einen Salat und vielleicht ein Baguette“, um sich anschließend mit dem Umstand konfrontiert zu sehen, dass „das bisschen Salat“ aus einem in mehrtätiger Arbeit vorbereiteten Großbuffet besteht, flankiert von dreierlei Brot und „nur einer ganz kleinen Beilage, weil ich nur kurz ein Rezept ausprobieren wollte“, weswegen sich nicht nur der Tisch schwer biegt, sondern auch die darumstehenden Stühle, sind doch alle wegen Kulinarikhimmel hurtig bis zum Limit vollgefressen. Gelegentlich gibt es Experimente in allseitigem Einverständnis, und ein solches auch wie folgt. „Wir machen Adana!“, hatte der Spross feierlich verkündet und das mit dem Umstand argumentiert, er trage die im auslandsaufenthaltbedingten Liebesrausch erstandenen Fleischspieße seit Jahren jungfräulich durchs Leben, das müsse sich ändern. Wenn der Nesthaken spricht, fügt man sich. Adana Kebap ist eine türkische Spezialität aus der gleichnamigen Küstenstadt. Als scharfe Variante des „Köfte“ wird Hammelhack um Schwerter gewunden und über Holzkohle gegrillt, dazu reicht der Fachmann gegrilltes Gemüse und gebutterten Reis. So weit, so einfach. Die Zubereitung begann um 15 Uhr. Gegen 18 Uhr erklang aus verschiedenen Ecken des Hauses die sorgsame Stimme eines Erklärvideos, dem sich mehrere Familienmitglieder widmeten, um herauszufinden: Wie krieg ich das Fleisch an den Spieß? In der Küche stand tränenwund der Fachmann und fluchte. Wann immer ein Teil Hack am Spieß angebracht war, fiel woanders eines wieder runter. Die erste Hürde gemeinschaftlich genommen, gab es flugs eine Zweite, schickte sich der Himmel doch an, im Moment der ersten Grillgutauflage erst einen Windstoß und damit kiloweise Fichtennadelgewürz auf die Speise zu wehen und anschließend einen Regenguss. Während die Familie Rosmarinersatz von Paprika und Zucchini pflückte, begann der Hauptverantwortliche mit der Fleischgrillage – und kurz darauf mit großem Geschrei: Was grad noch kompakten Spieß mimikryerte, entfaltete sich hurtig auf dem Rost, fiel kurzerhand hindurch und verbrannte lichterloh. Nur eine geschickte Erste-Hilfe-Maßnahme konnte schlimmeres verhindern, und so wurden später gegrillte und von flinker Frauenhand gedrehte proppere Hackwürste ins Fladenbrot gesteckt. Der Rosmarin hat auch fast gar nicht gestört. Nächstes Mal gibt’s wieder Steak.