In meiner Familie haben Drahtesel und alles, was dazugehört eine lange Tradition. Dass wir als Kinder vergleichsweise oft als „Radlfahrer“ benannt worden sind, hatte zwar vielleicht damals eine den Glauben an unsere Fähigkeiten bestärkende Wirkung, muss aber leider im Nachhinein betrachtet als Irrtum verbucht werden, der auf einer donauäquatorianischen Sprachbarriere beruht: Ein „Radlfahrer“ zu sein klingt zwar wie ein knuffig-freundschaftliches Qualitätsmerkmal, meint aber nichts anderes als einen „Schleimer“, weswegen man sich bei Licht gesehen über diesen Titel vielleicht doch nicht so sehr freuen sollte. Aber auch darüber hinaus zeichnen sich Familienmitglieder mit einer betriebsamen Drahteselei aus. Während Onkels und Tanten wann immer sie Zeit haben Berge hinauf oder Flüsse entlangsausen, hat die Oma uns oft morgens auf dem Boden liegend empfangen, wo sie mit den Füßen in der Luft strampelte. Was es mit diesem „Radlfahren“ auf sich hatte, versteh ich auch im Alter immer besser. Weitere erfahren alles im Umkreis von einer Stunde ganzjährig (außer wenn es regnet, weil „da werd ich nass und das mag ich nicht.“) und jemand ganz bestimmtes behauptet seit Jahr und Tag, es gäbe kein besseres Fortbewegungsmittel als das Klapprad, welches sogar zur Gardaseeumrundung bestens tauge, und mich deswegen vor einigen Jahren zu einem Straßburg-Trip mittels Klapprad und um die Stirn gebundene Taschenlampe zwang. und wieder andere haben bis heute nicht verwunden, dass von ihrer BMX-Karriere nurmehr überaus unterhaltsame Zeitlupenvideos dramatischer Überwindungen winziger Bodenhindernisse im Reichswald zeugen. Ich selbst habe nach einem kleinen Downhill-Stunt vor einem Jahr und in der Darauffolge mehreren Wochen Atemnot und Brustkorbschmerz der Fahrradakrobatik vorläufig abgeschworen und überlege aber, ob es nicht vielleicht an der Zeit wäre, eine andere radlfahrende Beschäftigung erneut zu etablieren: Pferdchen spielen. Selbstverständlich durfte ich als Kind nicht reiten, weil elitäres Rollenklischee, lieber Skateboard, Latzhose und Wald. Heimlich daheim hab ich mich freilich in Wendy verwandelt und bin auf Penny und Dixie durchs Unterholz im Kinderzimmer gestoben. Oder eben draußen auf ihnen herumgaloppiert. Korrekter Sitz und entsprechende Kommandos – dank unermüdlichen Unterrichts reitender Freundinnen kein Problem, und so bin ich also „Hüa!“, „Brrrr!“ und „Schschhh!“ befehlend durchs Quartier geritten. Dass unter mir kein echtes Pony gemütlich trabte, sondern lediglich ein Drahtesel namens Hercules, focht mich dabei nicht an – warum auch? Sollten die anderen doch schauen, ich konnte wenigstens reiten, und so wehte mir der Wind der Freiheit um die Schnittlauchlocken ... Wenn’s am Wochenende irgendwo wiehert: Keine Sorge, bin nur ich. Das muhen überlass‘ ich den anderen.
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