Freitag, 4. November 2022

Was im Busch

 Heute war so ein Tag, an dem ich dringend den Kopf frei kriegen musste. Der war nämlich über Stunden hinweg pickepackevollgestopft worden mit neuen Informationen und drohte beim kleinsten weiteren Sinnesreiz kurzerhand überzulaufen. Weil niemand eine Hirnsuppe vom Parkett wischen möchte, hab ich mich eilig ins Hinaus begeben, um im liebsten Grün der Innenstadt weite Kreise auf bekannten Wegen zu ziehen. Für gewöhnlich bleibt man hier von Aufregern jedweder Art weitestgehend verschont, es sei denn, man ist eine Jungmutter, die gemeinsam mit vier Artverwandten als Schlachtflotte mit Thule- oder Boogaloo-Streitwagen durch den Stadtpark pflügt und ein entgegenkommender Flaneur aus Versehen mit seinem zuckersüßen Bonbonatem zu nah an den Nachwuchs herangeatmet hat. Dann: Aufregung. Sonst: Rollstuhlfahrer, Wackelzwerge, hier und da ein Wauwau, alles superfriedlich, und deswegen spezialgut geeignet für so ein anständiges Kopffreikriegen. „VERPISS DICH DU DUMME FUDDE! UND GLOTZ NET SO SAUBLÖD, ALTE!“ hat mich darob ausgesprochen unerwartet ein herbstlich coloriertes Gebüsch angeschrien, an dem mein weiter Blick einen Moment hängengeblieben war, um in der Untiefe des bereits prächtig gelüfteten Gehirns zu forschen, ob jenes mir einen Streich spielte oder unweit von mir sowie allen anderen Spaziergängern ein Frauenpopo in der Abendsonne gleißte. Hilfsbereit sagte ich zum Gebüsch: „Da hinten ist fei ein Klo.“ woraufhin dieses mich wenig kooperativ zum Teufel jagte und die Flüche mit feinen Argumenten unterstrich, die ich minder („ZU WEIT!!“) oder mehr („UND AUßERDEM SAUEKLIG!“) akzeptieren konnte und mich begleitet von wohlmeinenden Wünschen („KÜMMER DICH UM DEINE EIGENE SCHEIßE!!“) vorerst empfahl. Das Problem einer peinlichst dringenden Notdurft ist mir ja kein Unbekanntes. Erst am Wochenende musste ich mein Bedürfnis dem ausgesprochen strengen Blick einer Einlassdame am Theater unterordnen („Nein, Sie gehen jetzt nicht mehr aufs Klo, sondern da rein!“), um mich während der darauffolgenden knapp eineinhalb Stunden eingehend mit dem Konzept „Windel“ zu beschäftigen und zur Pause das Kunststück zu vollbringen, mit zusammengekniffenen Beinen zu sprinten. Auch hab ich mich schon in Flugzeugen wegen „wir landen doch eh gleich“ in die Nähe eines Blasenrisses manövriert, kenne jede Autobahntoilette im Umkreis von 100 km außerhalb Nürnbergs sowie sämtliche in Frage kommenden Örtchen darin, habe das Konzept „nette Toilette“ quasi erfunden sowie Herrentoiletten schon zu unisex erklärt, noch bevor das Wort „nonbinär“ auch nur das erste Mal gedacht worden war. Und trotzdem würde ich im Lebtag ni… Moment mal, ich wollte doch eigentlich den Kopf FREI bekommen. Stattdessen lauter unwichtige Gedanken! Supervoll! Wie meine Blase. Ich muss mal schnell …  

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