Mir ist noch was eingefallen zum Thema „Urlaub“, was letztes Mal hier nicht mehr reingepasst hat. Jetzt passt es aber umso besser, weil ich grad nochmal in einem solchen weile. „Intermittierendes Reisen“ heißt das: Statt eines großen, langen Urlaubs lieber viele kleine, damit der Reiz erhalten bleibt und man sich immer wieder mit einer kleinen Reise spontan überraschen kann anstatt sich weit im Voraus an zu viel Vorfreude zu langweilen und so viel Zeit mit dem Studium von Reiseführern zu verbringen, dass man sich die Reise selbst dann eigentlich sparen könnte, weil man weiß ja schon alles. Es ist auch für den Alltag besser, der immer ein bisschen feurig lodert, weil man weiß ja nie, ob man nicht vielleicht in den kommenden Tagen spontan auf eine Reise fährt, ist also immer ein bisschen auf alles gefasst, weil es kann immer passieren, dass man morgens aufwacht und einer sagt: Hoppsassa, pack deine Tasche, wir fahren morgen, und ehe du dich’s versiehst hast du Deutschland einmal quer durchschnitten und wachst an einer Küste auf, wo das Hauptnahrungsmittel Fischsemmel in allen Variationen ist, fürs oktoberfestliche Heimatgefühl die halbe Bier (Pils!) sechs Euro kostet und zwar alles voller Wasser ist, dafür weit und breit niemand auch noch einen Hauch von norddeutsch spricht, wie du (ich) irritiert und vielleicht mit einem Hauch baiuvarischer Borniertheit feststellen musst. Welcome to Ostsee, dem Land wo es immer saukalt und unfassbar windig ist. Dachte ich, meines Zeichens Einwohnerin der Insel der Glückseligen (Nürni), während ich den Kofferraum bis zum Anschlag voller langer Hosen, Rollkragenpullover, Gummistiefel und wind- und regendichte Winterjacken befüllte, denn der Wetterbericht verhieß zwar 23 bis 27 Grad, „aber man weiß ja wie das dann schlimm tut wenn der Wind dauernd so eiskalt vom Meer kommt!“ Wundersamerweise tragen hier alle Shirts und Flipflops, es scheint also nicht so kalt zu sein wie ich befürchtet hatte, habe aber auch noch nicht allzu viel gesehen, denn schließlich weile ich erst seit zwei Tagen hier. Was mich noch mehr beschäftigt aktuell ist das Phänomen der „Ferienwohnung“, auch liebevoll „FeWo“ genannt, die man statt eines Hotels gewählt hat wegen lieber Unabhängigkeit statt Frühstücksbuffet. Das Gute an einer Reise mit Auto und FeWo ist, dass man alles mitnehmen kann was man vielleicht braucht. Das Schlechte daran: auch, und so haben wir die FeWo nicht bezogen, sondern feindlich übernommen und es geschafft, in einem einst sehr adrett aufgeräumten Ort innerhalb von fünf Minuten zu explodieren und einen kompletten Hausstand, der eben noch in Koffern und Taschen arglos verpackt war, über drei große Zimmer zu ergießen. Ich werde also gleich einen Ausflug machen mit einem Schiff (!) übers Meer (!!) und habe absolut keinen Schimmer, wo sich meine extra für diesen Zweck eingepackte Touristenverkleidung befindet. Ich geh mal suchen.
Freitag, 29. September 2023
Freitag, 22. September 2023
1000 Teile Puzzle
Gestern Abend wollte ich etwas eintuppern. Schön Reste vom Dinner, damit das tags darauf nochmal ein schönes Mittagessen ist. Leider war mir das Eintuppern nicht möglich, denn bei einem Blick in die einschlägige Tupperaufbewahrungsabteilung fand sich nicht nur keine geeignete Schüssel, sondern schlichtweg gar keine. Das ist jetzt erstmal nicht so unfassbar verwunderlich, schließlich kennt man den Circle of Tupperware, der dem Circle of Jutebeutel oder dem zumindest Rauchern bekannten Circle of Feuerzeug stark ähnelt: Einer hat’s, dann hat’s schwupps der andere und es kehrt nie mehr zum Ursprungsbesitzer zurück. Weil ich aber sehr sicher war, dass ich in den letzten Monaten sehr wenige Speisen an andere Menschen verteilt habe, um genau zu sein nämlich gar keine, stand ich vor einem Rätsel, dessen Lösung mir erst nach einigem Grübeln einfiel: Wir puzzeln ja jetzt! Ich sage absichtlich „wir“, obwohl ich meine zumindest freiwillige und aktive Beteiligung an dieser schrecklichsten aller Freizeitbeschäftigungen weit von mir weisen möchte. Schon alleine aus dem Grund, dass es sich bei der vorliegenden Geduldsprobe um ein, Achtung, 1000 Teile-Puzzle handelt – ja spinn ich denn? Ich kann mit einiger Bemühung vielleicht einen 100-Euro-Schein wieder zusammenpfriemeln, der im Streit versehentlich in zwei Teile zerrissen wurde, das schon. Aber 1000 Teile? Niemals! Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem zerborstenen Bildnis um eine zwar durchaus pittoreske, aber für Puzzlerei völlig unzumutbare Landschaftsaufnahme handelt, die zu relativ gleichen Anteilen aus folgenden Bildbestandteilen zusammengesetzt ist: 30 % blauer Himmel, 30 % grüne Bergwiese und 30 % grauer Berg. Anhaltspunkte fürs richtige Zusammensetzen: null, völlig korrekt. „Ja spinnst jetzt du?“ hab ich mich freundlich erkundigt, als der Mann stolz seinen neusten Besitz präsentierte. „Hab ich im Gebrauchtwarenhaus gefunden, ist noch originalverpackt“, freute sich der so Befragte und wedelte mit einer großen grünen Schachtel, in der es verhängnisvoll raschelte. Sogleich machte man sich ans Werk, und jetzt kommt das „wir“ wieder ins Spiel: Ich puzzle gewissermaßen, obwohl ich jede Bitte um Hilfe weit von mir gewiesen habe, mit, denn schließlich will so ein 1000-Teile-Puzzle ja auch irgendwie aufbewahrt werden, und das geschieht am besten auf einer sehr großen Kartonage, die mehrfach täglich vom Ess- auf den Couchtisch jongliert wird und wieder zurück … Außerdem trockne ich die Tränen des Mannes. Nicht. Seit vier Wochen steht das wohnt das Puzzle jetzt bei uns, seit vier Wochen hab ich keine einzige Schüssel mehr im Haus. Darin befinden sich nämlich die verzweifelten Versuche des Mannes, Puzzleteile nach irgendeiner Sinnhaftigkeit zu sortieren. Vielleicht fällt mir mal alles aus Versehen runter. Mal gucken.
Freitag, 15. September 2023
Einschulung
2017 war in meinem Umfeld offenbar ein geburtenstarker
Jahrgang, zumindest ist das für mich eine Schlussfolgerung aus den zahlreichen
Fotos, die mich letzte Woche auf den herkömmlichen digitalen Kanälen
erreichten. Darauf zu sehen: Höchst adrette Kinder, die den quirligen
Schreischratzen, die ich so kenne, zum Verwechseln ähneln, die mit einer
Mischung aus sinister und erleuchtet in Kameras strahlen, die Haare ordentlich
frisiert, der Kinderkörper gehüllt in feines Gewand (was mich in mindestens
einem Fall sehr enttäuscht, war mir doch kurz zuvor noch eine Einschulung im
Pokémon-Pyjama versprochen worden, aber naja), in den Armen eine kindsgroße
Schultüte, an der die mageren Gestalten schwer, doch strahlend zu tragen haben,
als Gegengewicht auf dem Rücken topmoderne Ranzen. Die Schultüten sind allsamt
in höchstem Maße selbst gebastelt, was bei der einen mehr, bei der anderen
weniger unverkennbar ist, von kreativen Mutter- oder Vatermenschen, die ihre
ganze Liebe in das Werk gepackt haben. „Weißt du noch, was du zu deiner
Einschulung anhattest?“, hab ich die Freundin gefragt und statt einer Antwort
nur ein Geräusch erhalten, das einem herkömmlichen Brechreiz nicht unähnlich
war. „Aber natürlich!“, folgte auf das Geräusch, sowie eine Aufzählung der
allerschlimmsten Schrecklichkeitsbeschreibungen à la „das grauenhafteste Kleid
auf der ganzen, nein, IM ganzen Universum, selbst genäht von der Oma, angeblich
wollte ich das so, dazu eine WEIßE Strumpfhose und grässliche blaue
Schnallensandalen, und dann auch noch diese TOPFFRISUR …“– „Und die Schultüte,
war die gekauft?“ – „Nein natürlich NICHT, sondern selbst gemacht und angeblich
so, wie ich mir das auch ausgesucht hätte, mit einem hässlichen Bären, der ein
KLEID anhatte. Fürchterlich! Ich such mal das Foto und schick’s dir.“ Nach der
Beschreibung kann ich’s kaum erwarten und habe mich in der Zwischenzeit auf die
Suche nach dem Zeugnis meiner eigenen Einschulung gemacht – und siehe da, die
Freundin scheint nicht ihr eigenes Outfit beschrieben zu haben, sondern das meinige,
das ich zwar nicht als das grauenhafteste der Welt beschreiben würde, wohl aber
kommt mir mindestens der Herstellungsprozess bekannt vor: Auf dem Foto grient
unter einer hängenden Spaghettifrisur ein junges Ich hervor, das in einem
selbstgenähten Kleid mit hässlicher Strumpfhose und absolut unpassenden
Sandalen auf dem Rücken eine Schultasche gigantischen Ausmaßes trägt, die die
Bezeichnung „Tornister“ nur verdient hat, in den Armen eine selbstgebastelte
(wunderschöne!) Schultüte, die nur leider damals nicht Ausdruck fürsorglicher
Eltern war, sondern zumindest in meiner Erinnerung Ausdruck einer „die kann
sich keine gekaufte leisten“-Haltung – der perfekte Start in den
Klassenverband! Ansonsten kann ich mich an diesen Tag ungefähr null mehr
erinnern – kann wohl doch nicht so besonders aufregend gewesen sein wie immer
alle behaupten.
Freitag, 8. September 2023
Letzte schöne Tage
Letzte Woche besonderes Ereignis: Ich war im Freibad. Nee, das war natürlich noch nicht besonders, sondern: Ich war im Freibad – und habe jämmerlich gefroren. Dabei hatte es wie das selbstverständlichste überhaupt ausgesehen: Wetter nochmal gut, später Sommer olé, ab in die Badestube. Dass ich dort auf Anhieb einen Parkplatz bekommen habe, hätte mich bereits stutzig machen soll. Dass außer mir ungefähr noch zehn andere Menschen vor Ort waren, auch. Doch richtig begriffen hab ich’s erst, als ich mich vor dem beißenden Sonnenlicht in den lindernden Schatten geflüchtet hatte, dort sorgfältig ein wenig Laub gerecht und niedergelassen hatte, nur um kurze Zeit später alles um mich zu wickeln, was irgendwie wickelbar war, und eben jämmerlich zu frieren. Da war mir klar: Ok, das war’s jetzt. Mit dem Sommer. Ab jetzt beginnt die Herrschaft der Kälte, des Regens und des Sturms, der Rollkragenpullover und Gummistiefel, der verdrießlichen Gesichter und laufenden Nasen. Und schon hat sich in mir ein inneres Wehklagen erhoben, ein bodenloses Bedauern darüber, den Sommer nicht anständig ausgenutzt zu haben. „Ich bin seit Mai durchgehend gestresst“, hatte auch direkt jemand mokiert, der den Sommer so anständig ausgenutzt hat wie nur jemand ihn ausnutzen hätte können. „Ich möchte jetzt Herbst“, sprach er weiter. „Und jetzt wird’s aber doch erst nochmal schön. O Gott …“ Und ich wusste genau, was ihm Schmerz bereitete: Die Not der „letzten schönen Tage“. Ähnlich der Panik, die die Menschen befällt, wenn das Thermometer erstmalig an der 20 Grad-Marke kratzt, keimt eine neue Emsigkeit auf, wenn das sich das Thermometer anschickt, dies erneut zu tun, nur dieses Mal in der anderen Richtung. Vor dem inneren Augen zieht ein ganzes Leben an einem vorüber, zumindest ein ganzer Sommer, in dem man – ja was eigentlich getan hat? Zu wenig, wenn nicht gar nichts! Man war wieder nur in den selben drei Biergärten statt wie fest geplant mindestens zehn neue auszuprobieren. Man hat wieder nur ein Mal und damit viel zu selten gegrillt, war nicht SUP fahren mit der Freundin, nicht Schlauchbootfahren auf dem Fluss, nur in einem Open-Air-Konzert und hat also schlichterdings überhaupt nichts erlebt. Aber es gibt eine letzte Chance: die letzten schönen Tage, in denen mit emsiger Betriebsamkeit nochmal alles gegeben werden kann! Und alles verbunden, wegen der Effizienz. Man kann die große Fahrradtour zum See machen, man muss dabei halt ein SUP auf dem Rücken transportieren. Man kann natürlich ein Biergartenhopping veranstalten, darf dann aber nur in jedem zweiten auch was trinken (Zeit!). Und man kann natürlich sehr wohl gleichzeitig ein Minigolf-Turnier austragen, grillen und ein Open-Air-Konzert veranstalten, alles eine Frage der Überzeugungskraft und des Willens. Oder man denkt sich: Es ist eh noch den ganzen September und Oktober schön, entspann dich mal!
Freitag, 1. September 2023
Sommerfrische
Ich wollte ja eigentlich von der Sommerfrische erzählen – oder Urli, wie das 100 Jahre später heißt, was ich prinzipiell begrüße, in diesem Fall jedoch gerne beim traditionellen Wort bleiben möchte, denn es hat sich alles rundum ganz und gar so angefühlt: Flucht aus der stickigen Stadt aufs frische Land, dort lustwandeln zwischen Bergen, Tälern und Seen auf Spuren König Ludwigs und zugegebenermaßen einem gerüttelt Maß an Touristen. Anders gesagt: Ich war eine Woche im Allgäu, um einmal wieder durchatmen zu können im wahrsten Wortsinne, weil während daheim nämlich „Fenster auf – Baustellendreck“ war dort „Fenster auf – Heumaht“, und stinkt, pardon, die Stadt halt schon gewaltig dagegen ab, und während mir daheim jetzt grad beim Schreiben morgens um acht Uhr schon die Ohren klingen wegen einer großen Baumaschine, bimmeln im Allgäu höchstens die Glocken der glücklichen Kühe. Also ohne das jetzt überromantisieren zu wollen – es war irrsinnig schön, und am liebsten tät ich sogleich wieder fahren oder gar nicht erst weggewesen sein. Letzteres vielleicht sogar noch lieber, denn dann hätte ich eine Chance, mir den schlimmsten größten Urlaubsstress zu ersparen, der mich umtreibt, seitdem ich weiß, dass 1. „Urlaub“ im Gegensatz zu „Sommerferien“ auch mal ein Ende hat, 2. dieser zudem eigenes, sauer verdientes Geld kostet und 3. im vergleich zum Schulmodell relativ selten sich ereignet: die Angst vor dem letzten Tag. Die Angst vor dem letzten Tag beschäftigt mich spätestens ab dem Moment der Ankunft am Zielort, meist jedoch bereits beim Packen, denn schließlich wird einem dabei bewusst, dass man in vergleichsweise kurzer Zeit vergleichsweise viel vor hat und dafür drölf verschiedene Taschen organisiert. Eine Bade-Tasche für die bräsigen Tage am See, eine Wander- und Outdoor-Active-Tasche für die supersportiven Tage zwischen Höhenmetern und Langstrecken, eine Urban-Chic-Tasche für die lässigen Stadtbesichtigungstrips sowie die Gemütlichkeitstasche für auch einfach mal nur in der FeWo rumhängen. Solcherart bebündelt fährt man los, das Auto krümmt sich unter der Last des Gepäcks, die Seele unter der des Erwartungsdrucks, und noch bevor man am Zielort angekommen ist – ein Idyll aus duftenden Wiesen, hölzernen Prachtbauten und Geranienwolken – perlt die erste Träne gestressten Schweißes von der angespannten Stirne, und steigt man aus dem Auto, so ist das Türenschlagen sogleich Startschuss für die Urlaubsarbeit: Man hat so viel zu tun! Die Urlaubsuhr macht ticktackticktack, und ehe du dich’s versiehst ist eine Woche schon vorbei – nicht auszudenken, man hätte bis dahin nicht alles erlebt, was man erleben wollte! Nach sieben Tagen sinkt man völlig ermattet auf sein heimisches Bett und lässt sich vom Baustellenlärm sanft in den Schlaf wiegen. Vielleicht doch lieber gleich daheimbleiben – oder einfach sofort wieder losfahren … ?