Samstag, 10. Mai 2014

Muttertag und Prittstiftblumen

Ich kann mich noch sehr gut erinnern. Muttertag. Das war dann, wenn die Frau Lehrerin im Werken befahl, Hammer und Säge für einen Moment gegen Tonpapier und Prittstift einzutauschen. Dann wurde eifrig schabloniert, geschnitten und beleimt, und nach ungefähr 17 Arbeitsstunden hatte man eine lustige Blume gefertigt, in die ein Trick eingebaut war. Auf die Blütenblätter der Blume malte die Kinderhand anschließend ab, was die Lehrerinnenhand zuvor auf die Tafel geschrieben hatte. „1x Müll raustragen“, „1x Ich hab dich lieb sagen“, „1x Zimmer aufräumen“, „1x Rasenmähen“ oder „1x Bier holen“, was halt grad so aktuell war. Die Blütenblätter fungierten ergo als Abreiß-Gutschein, ein Blanko-Scheck, den man an besagtem Sonntag gemeinsam mit der im Zeitschriftenladen geklauten oder schnell vom Vater zugesteckten Praliné-Komposition stolz am Frühstückstisch zu überreichen hatte, zur widerstandslosen Einlösung, wann immer es dem Muttertier beliebte. Nun, soweit die Theorie. 


In der Praxis sah das vermutlich anders aus – ich sage bewusst „vermutlich“, weil selbstredend ich der Erzeugerin stets solcherart ergeben und bei den häuslichen Pflichten zur Hand war, dass oben genannter Gutschein gar nicht nötig sondern rein symbolisch zu verstehen blieb. Anders kann ich mir auch gar nicht erklären, dass hier und da immer noch eine solche Blume aus den Untiefen des elterlichen Haushalts aufploppt, die über beinah alle Blütenblätter verfügt; so hier und da mal eines fehlt, dann nur aufgrund des Prittstift’schen Unvermögens, eine Klebedauer von mehr als drei Stunden zu bewerkstelligen. In allen anderen Haushalten des östlichen Speckgürtels sah das vermutlich so aus, dass Mütter nach mehrmaliger höflicher an den Nachwuchs gerichteter Aufforderung, man könne doch vielleicht, möglicherweise, wenn es nicht allzu viele Umstände machen würden täte, kurz das Bettzeug aufschütteln oder gar die Spülmaschine ausräumen, wenn die zweifelsohne sehr wichtige weil wegweisende Lektüre der Bravo beendet sei, sich mit einem präpubertären Zornesanfall konfrontiert sahen. 


Im Zuge dessen hat der Frischling vermutlich referiert über die völlig inakzeptable Impertinenz dieser Aufforderung, der er allein deswegen keinesfalls nachzukommen gedenke, und die Mutter möge sich doch bitteschön beeilen, die kindlichen Räumlichkeiten stante pede wieder zu verlassen, so sie denn den Weg hinaus durch den zu Lüftungszwecken säuberlich auf dem Zimmerboden ausgebreiteten Inhalt des Kleiderschrankes fände. Um dem Referat den gebührenden Nachdruck zu verleihen, hat der kindliche Rumpelstilz vermutlich nicht sich selbst, dafür aber die Blume zerrissen, um sie sich in den Mund zu stecken und mit Todesverachtung zu verzehren. Der wohlmeinende Hinweis also an alle Erziehungsberechtigten: … öhm … also … eigentlich hab ich keine Ahnung. Das wohlerzogene Kind reicht am Sonntag stillschweigend Alka Seltzer, presst Orangensaft und liest Bücher, so schaut’s nämlich aus.

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