Freitag, 26. April 2019

Heuhusten

Gestern „Jugend forscht“. Nicht ganz freiwillig, aber gut, der Dings hat auch nicht direkt geplant gehabt, dass wenn er nur lang genug die Brotzeitteller nicht abspült, dann entdeckt er schon ein Penicillin. Ich also in bester Entdeckermanier umeinandergesessen und der Dinge geharrt, die da so kommen an einem lauen Savannenabend im April, und wie das dann so ist in einer Steppenwüste, kam ein rechter Wind auf, kein sehr süßer wie die klitzekleine Windhose, die neulich durch die Kirschblüte sich getapfert hat, Windstrampelanzug quasi, sondern eher ein stattlicher Blaumann. Der ist also durch die Reihen süßen Nichtstuns gezinnobert und hat einmal alles sauber durchgefegt. Pizzaschachteln sind geflogen, Sonnenschirme auch, und das ein oder andere Glas hat er auch gleich abgeräumt, der Wind. Vor allem aber hat er in bester aschenputtlerischer Manier an einer Kastanie geschüttelt, dass es eine wahre Freude war, doch anstatt dass es Gold und Silber über mich geregnet hätt, hab ich erst einmal kurz einen Schreck bekommen. Mit dem Finger schon auf der Telefonnotruftasten, weil du weißt ja nie bei dieser argen Trockenheit, hab ich dann grad noch rechtzeitig erkannt, dass nicht etwa Rauchwolken aus dem Baum aufgestiegen sind, sondern solchene aus Pollen! In mächtigen Schwaden hat’s aufgewirbelt, und ich hätte das niemals so gesehen, wenn nicht eine spezialgute Zufallskombination aus spätabendlicher Dunkelheit und innerstädtischer Denkmalbeleuchtungslichtverschmutzung mir die Situation wortwörtlich erhellt hätte. „Da muss man sich ja nicht wundern“, hab ich schlau geschlussfolgert, „dass auch der stabilste Mensch grad gern Scheibenwischer auf die Iris montieren tät“, und hab geschwind zum Glas gegriffen, um den nächsten tiefen Schluck zu nehmen, und Selbstreinigungsrückstände den Schlund wieder hinabzuschicken, weil man hat ja schweren Heuhusten grad, ein jeder leidet, juckt und niest, Straßenzüge beginnen unter gelben Wanderdünen zu verschwinden, und während mich im letzten Jahr noch die Fichte mit ihrem Fortpflanzungsjahr erfreut hat, klage ich heute über eine Grenzerfahrung, die mich an die greifvogel’sche Angewohnheit denken lässt, sich Unverdaulichen durch das Hochwürgen von Speisebällen zu entledigen, die auch „Gewölle“ genannt werden, und ob man aktuelle Stoffwechselprodukte möglicherweise als „Gepölle“ bezeichnen muss. Doch Rettung nahte in grünem Gewand: „In der Naturheilkunde kommt Bärlauch als Heilmittel oft zur Anwendung“, las ich freudig, und weiter, dass die Heilwirkung ätherischen Ölen und deren positiver Auswirkung auf die Atemwege zuzuschreiben seien ... Eineinhalb Kilo Bärlauchpesto später muss ich sagen, dass da schon auch hätt dabeistehen können, das es sich hierbei allerhöchstens um meine eigenen Atemwege handeln kann, dafür aber immerhin die „unheilabwehrenden Eigenschaften“ erklärt sind, denn mit wem sich niemand mehr unterhalten will, dem wird auch wenig Unheil angetragen. Oder andersherum: Wer das noch riecht, hat viel zu wenig Schnupfen! 

Samstag, 20. April 2019

Osterfußball

„Au ja, sehr gerne! Und dann“, hab ich letzte Woche mich gefreut und aufgeregt die speckigen Patschehändchen aneinandergerieben, „suchen wir alle im Garten Osternester, das wird toll!“ und sprang von dannen. Denn es trug sich zu, dass alle Jahre wieder sich die Erbmassenverschleuderer ihrer katholischen Herkunft entsinnen und – Volkstrauertag? Trauern kann ich auch allein! Christi Himmelfahrt? Ich fahr vielleicht hinab, und zwar zur Kärwa! – in bestem Niederbayerisch das höchste Fest begehen möchten. Erstens weil Leben im Allgemeinen, zweitens weil Auferstehung im Speziellen und drittens weil noch spezieller der Quartiershandwerksbäcker so ein sakrisch gutes Osterbrot macht. Sogleich wird also zur Speisung gerufen. Denn es hat ja schließlich ein jedes Mitglied des erweiterten Kernfamilienbundes eine unglaublich entbehrungs- und tränenreiche, wenig kalorien-, dafür aber äußerst disziplinvolle, weit über vierzigtägige Fastenzeit mindestens aus respektvoller Ferne bei einer nicht weiter erwähnenswerten Anverwandten zumindest beobachtet, und so gilt es mit großer Erleichterung dieses Fasten zu brechen und sich im lukullischen Bade zu suhlen wie das Schweinderl in seinem Trog. Man muss eh auch an Ostern immer noch so viel Verzicht üben, beispielsweise auf Großvaters Hasen muss man verzichten, Deutsche Widder, schön dick und riesengroß und flauschig, denen wir erst im Garten die Babyschlappohren gestreichelt haben, sie später im Stall beim Verschlingen großer Rüben bewundert, noch später als glänzend-rosane Lachse über dem Zaun hängen gesehen und noch später uns um die besten Teile zum böhmischen Knödel gestritten haben. Jetzt gibt’s also Osterbrot in Lämmchenform, „jaspinnstjetztduichfärbdochkeineeiermehr“ (vgl. Adventskranz, der; Kindheitstrauma, das), und die mütterliche Motivation, Quarkteig in Hasenform zu backen um dann hinterher sehr oft sehr unkatholisch erklären zu müssen, es handle sich trotz gewisser Ähnlichkeiten hierbei mitnichten um den berühmte Osterfußball, Kreizdeifi, lässt auch zu wünschen übrig. Was bleibt, ist die Nestersuche und die damit verquickte Erinnerung der Glücksseligkeit, wenn man nach mehrstündigem Gründeln auf drei Stockwerken zwar immer noch kein Schokoei, wohl aber die wegen drohender Verderbnis im Kindesalter eingezogene Bravo-Sammlung von 1990 unterm Kamin wiederfindet und dann zwar 20 Jahre zu spät, aber besser als nie, die wirklich wichtigen Dr. Sommer-Fragen nacharbeiten kann. Ich also Knieschoner angeschnallt und „kann losgehen!“ und proaktiv Versteckplätze vorgeschlagen und vorsichtshalber schon einmal ein Schokoladenei in der Hosentasche angeschmolzen und großflächig im Gesicht verschmiert, Kriegsbemalung und so, man möge gefälligst Nester verstecken am Sonntag und am Montag auch, wegen dem heiligen Spirit! „Weißt du was du kannst, wenn du dich unbedingt im Garten betätigen willst?“, hat da der Erbmassenverschwender gesprochen. „Den Kompost einmal umgraben, das kannst du machen. Die Schokoeier liegen drin auf dem Esstisch.“ 

Freitag, 12. April 2019

Blütenflucht


PFRÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜHLING! Jetzt aber wirklich, Herrschaftszeiten! Woran merken wir das? Richtig: Der Mensch muss hinaus – auch der, der sich dort sonst nicht so oft aufhält. Es kommt zu Verhaltensunsicherheiten, Auflaufunfällen und Handgemengen, weswegen der Mensch eine Stadtflucht betreibt. Wohin er muss, weiß er dank des Blütenbarometers, zeigt das doch nach „Aufbruch“ und „Mausohr“ nun die volle Kirschbaumwolke an, und sogleich will man nichts lieber als raus in die Fränkische und sich wonneproppenpudelwohlsattsehen an dem weißen Duftemeer … „Es ist“, hab ich wenig später gesprochen, „eh viel schöner, wenn man nur so einen einzelnen Blühebaum anschauen kann und außenrum noch alles eher braunkahl ist. Das wirkt dann auch gleich viel besser.“ Eine Radltour war einberufen worden, man müsse ja sogleich in die Natur, alles sprießt und schießt und ausschlagen tut’s auch, Wiesen und Felder gelte es zu erschließen – und deswegen folgerichtig in den Wald zu fahren. Das ist in Ordnung, hab ich mich gefügt, so viel Sonne auf einmal, das verträgt der Käseleib nicht richtig gut und auch in so einem Wald gibt’s ja viel zu forschen. Freudig hab ich darum zur Kenntnis genommen, dass die Mitfahrer auf die neongelbe Profisportausrüstung weitestgehend verzichtet und als Zugeständnis auf die Aktivität lediglich Sneaker statt Kalbslederne gewählt hatten. Doch freilich drohte Ungemach. „Schmausenbuck??“ hab ich gejapst und mich grad noch davon abhalten können, mich rechts in den Straßengraben fallen und die Reisegruppe heimlich an mir vorbei vorbeiziehen zu lassen. Von „gemütlicher Radltour“ sei die Rede gewesen, nicht aber von einer Alpenüberquerung, hab ich dann auch sogleich gemault, während ich versucht hab, horizontal stehend mein Stadtrad eine felsene Steilwand hochzuschieben und dabei bitter zu bereuen, die Trendsohle statt der wuchtigen Schneespikes zum Umschnallen gewählt zu haben, mit deren Hilfe ich mich ins steile Sandsteinwegewerk hätt unten hineinstemmen können, derweil die rechte Hand das Rad balanciert und die linke mit der Spitzhacke oben Halt sucht und Menschen in neongelber Profisportausrüstung fröhlich pfeifend und hämisch grinsend links und rechts und über mich hinwegschanzend überholt haben … Naja. Es war dann doch recht schön, hier und da hat einmal was geblüht in, äh, IM Braun, ich hab „die Stelle, an der Martin sich neulich den Halswirbel gebrochen hat“ zielsicher ebenfalls gefunden, wenn man nicht gut aufpasst, kann man sich über die vielen Spaziergänger kilometerweit tief drinnen in diesem Urwald wundern und nicht merken, dass man eigentlich seit Stunden einfach nur parallel zur Hauptstraße fährt, und den freundlichen Damen, die uns vom Rastbankerl aus bei der „große oder kleine Runde“-Entscheidung assistiert haben, möchte ich kurz Entwarnung geben: Wir sind dann doch nicht verloren gegangen ... Naja. Nächstes Mal zieh ich wieder Kreis auf der Verkehrsinsel. Oder red halt blumig daher.


Freitag, 5. April 2019

Auch Haltung ist Figur

Letzte Woche hab ich einen Mordsausflug gemacht. Ja richtig, alles was über meine Quartiersgrenzen hinausgeht ist ein Mordsausflug mit Aufregung und Stulle und Zeug, aber das war dann quasi ein Mordsmordsausflug weil es wurde mit einem Auto gefahren und das sehr lange. Ziel des Ausflugs war ein Herrenschneider, denn Menschen heiraten und wollen dabei aussehen, nach Möglichkeit gut. Jetzt denkst du „Oh, Herrenschneider, Maßanzug“ und sofort ploppen all die Bilder von großen gut ausgeleuchteten Räumlichkeiten auf, schwerer Teppich auf dem Boden, der das Geräusch von kleinen Nadeln und großen Geldscheinen schluckt, von meterlangen Schrankwänden, in denen Knöpfe wie Pralinen und Krawatten wie Whiskey präsentiert werden, von Bergen aus Stoffen und Bauschen und Garnen zum Verlaufen und in der Mitte ein Humidor und du bist König … Ich hab dann drei Stunden in einem ungefähr fünf Grad kalten Kahlraum verbracht, draußen schönster Frühlingsschein, drinnen ein Tisch mit kleinen Stoffmustern zum Durchblättern, immerhin: Ein Spiegel war vorhanden, doch durfte in diesen nicht hineingeblickt werden, denn, so der Mann, der sich als Schneider ausgab, man ändere automatisch beim Sichselbstbetrachten in einer Spiegelei die Haltung, um sich vor sich selbst möglichst attraktiv zu präsentieren, also schön optimal Brust hoch, Kinn rein, Bauch – welcher Bauch? – und das führe beim Vermessen des Körpers unter Umständen zu eher unrealistischen Ergebnissen. Hab ich mich im Spiegel angeschaut und mir gedacht, wieso unrealistisch? und dann kurz überlegt ob das vielleicht was damit zu tun haben könnte, dass auf Schnappschüssen von mir immer ein ganz anderer Mensch zu sehen ist als er morgens im Spiegel noch war, nämlich Foto suboptimal Brust runter, Kinn raus und Mordsbauch, und dann muss ich weinen und mich verhüllen und dann kommen Menschen und trösten und sagen „Was hast du denn, das ist doch ein total schönes Foto von dir, so schön schaust du aus!“ und dann muss ich noch viel mehr weinen und Burka bestellen und im Keller leben und mir einen Spiegel hineinstellen und nur noch dorthineinschauen … „Darf ich mir das klauen?“ bin ich aus meinen präsuizidalen Überlegungen geweckt worden, in denen ich scheint’s laut mein Mantra genuschelt hatte. „Auch Haltung ist Figur!“ hab ich pontifiziert und mich gefreut: Selbstverständlich dürfe er, jedoch mache dieser Satz beinahe zwingend einen Handkantenschlag erforderlich, schön mittig zwischen die Schulterblätter, „das kann man auch gern mal einfach im Vorbeigehen auf der Straße anwenden“, hab ich doziert und dem Coupeur mit der Handkante zwischen die Schulterblätter geschlagen und dahinein all meinen Groll gelegt auf Jungfrauen, die zwar Figur, jedoch keinerlei Haltung zeigen, diese wandelnden Fragezeichen, gramgebeugt von Last und Leid der Jugend, leer wie der Akku ihres smarten Lebensinhalts … Naja, vielleicht drückt sie ja auch nur der zentnerschwere Schal zu Boden. Glückauf, damit ist’s jetzt vorbei! Sprengt die Winterfesseln von euch und schmetterlingt aufrecht von dannen!