Ich habe neue Bettwäsche gekauft. Das könnte man als alltagsdurchschnittlichen Vorgang ohne jegliche individuelle bis weltpolitische Tragweite und ergo nicht der Rede wert verbuchen. Hätte man (ich) nicht in der jüngeren Vergangenheit gelernt, dass ein wie auch immer gearteter Eingriff ins Ökosystem „Wohnung“ dieses empfindlich ins Wanken bringt und noch der kleinste Flügelschlag ein Erdbeben biblischen Ausmaßes nach sich ziehen kann (vgl. Butterfly-Effekt, der). Gerne würde ich deswegen mit einem anklagenden Finger auf den mitbewohnenden Mann zeigen, jedoch ist dieser bei genauerer Betrachtung zwar oft (qua Geburt) an einer Misere schuld, doch halt nicht immer. Die Schuld liegt stattdessen meist allein im Umstand begründet, nicht in einem ehemaligen Gestüt auf dem Land zu wohnen, auch nicht in einer geerbten Stadtvilla oder sonstig pompös, sondern in einer, nennen wir es: zeitgemäßen urbanen Kompaktwohnung, die dafür das Nonplusultra an Infrastruktur bietet. Und psychologisch auch nur Vorteile bringt, weil sie einen vor dem sinnlosen Ansammeln von Dingen bewahrt durch schlichten Platzmangel. So entsteht ein Circle of Life, in dem manchmal Dinge in die Wohnung wandern, wofür andere aus dieser weichen müssen, dann in den Müll oder Keller wandern, und wenn dieser zu zerbersten droht, unter schweren Mühen, großem Ächzen und manchmal auch Tränen eine mittlere bis schwere Aktion getätigt werden muss. Es gibt deshalb eine sogenannte „Transitzone“ in der Wohnung für Dinge, deren weiterer Verbleib noch zu klären ist, doch das möchte ich einmal separat besprechen. Jetzt geht es ja um Bettwäsche. Wo neue Bettwäsche hineinkommt, droht erstens die Gefahr einer Schlafzimmergesamtumgestaltung („Oh wie schön, dieses wärmende Gelb! Aber das passt ja jetzt gar nicht mehr zum ganzen Rest?!“), vor allem aber muss gemäß der obenstehenden Rahmenbedingungen eine alte hinaus wegen drohender Schrankexplosion, was eine ganz grundsätzliche Durchsicht und Neuordnung des Bestandes zur Folge hat sowie eine existenzielle Fragestellung: „Kannst du“, frug ich den Mann inmitten diverser Vakuumierbeutel, Unterbett- und Oberschrank-Truhen, „mir bitte sagen, wieso wir ELF Kissen im Haus haben?“ Er konnte nicht, jedoch sich auch den Satz nicht verkneifen, es schiene ihm, als habe ich (!) mein (!) Kissen-Game nicht im Griff, weswegen ich den dringenden Wunsch verspürte, allsämtliche Kissen zu ergreifen und damit ein derartiges Game zu veranstalten, dass selbst Frau Holle noch in Hochachtung verfallen wär … Die Problemlösung wurde auf später und die Kissenboxen wieder unters Bett geschoben. Wage vorsichtige Prognose: Das Epizentrum des nächsten, gewaltigen Erbebens wird sich genau dort befinden. Nur der Auslöser bleibt fraglich. Vermutlich ein heruntergefallener Socken oder so.
Freitag, 31. Mai 2024
Freitag, 24. Mai 2024
Frühstücksphilosophie
Ich habe gerade einen Apfel gegessen. Halt nein: erstmal habe ich ihn aufgeschnitten, wie ich das beinahe jeden Morgen mache seit nunmehr 20 Jahren, um ihn gemeinsam mit ein bisschen Banane, Körnern und Milchprodukt zu einem Müsli zu verrühren. Eine Angewohnheit, die aus einer Zeit stammt, als mal im Sommer der Lieblingsdöner ein Problem mit der Kühlung und ich darum mit der Verdauung hatte, was mir ein paar beschauliche Tage im Krankenhaus sowie eine strikte und ausgesprochen effektive Diät aus Obstbrei beschor. One Apple a Day kept the Doctor zwar seitdem leider nicht away, sehr wohl jedoch den Morgenhunger, und während ich also am Apfel herumschnitzte, warf sich mir plötzlich Blattwerk an den Finger, das dort klebte und sich trotz heftigen Wedelns nicht abwerfen ließ, und mich befiel ein kleiner Zorn. „Halte ein!“ sprach da eine innere Stimme zu mir. „Dieses kleine, grünbraune Blättchen war einst eine zarte rosa Blüte, unter der du neulich erst lustwandeltetest und mit der Sonne um die Wette strahltetest, und nun hältst du hier eine Frucht in Händen, die sich nur mithilfe eines winzigen Bienenschubses in einen prachtvollen, rotglänzenden Ball verwandelt hat, der dem Gaumen schmeichelt und dich nährt. Liebe das kleine Blatt, denn es ist nichts anderes als die von dir verehrte Blüte!“ und ich verehrte das Blatt und rührte es ins Müsli wegen Nose-to-Tail und Nachhaltigkeit. Es könnt‘ alles so einfach sein – isses aber nicht, und so betrachtete ich die Banane in meiner anderen Hand und erkannte sie als ausgesprochen diskutables Wesen – und das nicht nur, was den Anbau betrifft sowie den stets staudegewordenen Thrill einer eingereisten Amazonas-Spinne (oder einer plattgetrockneten Eidechse, wie ich sie einmal quer durch eine Küche warf vor Schreck – echt wahr!). Die Banane ist die Politikerin unter den Öbstern: Frisch grün schmeckt sie bitter und macht mehligen Belag im Mund, ist dafür aber voll Gesundheit. Je reifer die Frucht, desto brauner wird sie, und was gekleidet in süßer Gefälligkeit daherkommt, ist in Wahrheit für nicht viel mehr gut als für grauslig pappige Finger und langfristige Schäden an Leib und Seele sowie am Zahnschmelz. Jedoch: In diesem Unzustand lässt sie sich, wir lernten es alle vor gut drei Jahren, hervorragend und gänzlich unpolitisch zu einem Kuchen umarbeiten, den man allerdings „Brot“ nennt und das deshalb im Gegensatz zum Kuchen mit gutem Gewissen in großen Mengen konsumiert werden kann. Wirklich sehr undurchsichtig, dieses „Banane“. Vielleicht künftig Rübe ins Müsli, das erscheint mir ehrlicher. Aber genug jetzt vom Essen. Frühstück ist fertig, und ich muss schließlich noch eine Kolumne schreiben.
Freitag, 17. Mai 2024
Die rollende Fliegenfalle
GuMo together! Zum Zeitpunkt meines Schreibens kündigt sich zwar ein ausgesprochen reinigendes Großgewitter an, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass aktuell im urbanen Raum ausgezeichnet viel Flora und Fauna anzutreffen ist. Flora – easy, kriegt selbst der kellerbewohnendste Lebenslustverweigerer mit, weil auch dieser muss gelegentlich atmen und hierzu die Fenster öffnen, um damit nicht nur Sauerstoff, sondern zu gleichen Teilen auch saftig-gelbe Pollen hereinzulassen, die in argloser Unkenntnis des sterilen Sauberraums die Welt besamen und sagen „ja, ich will!“ Ein herrliches Tosen aus Fruchtbarkeit und Liebe, das – hallo Fauna! – unlängst ein Eichhörnchen dazu trieb, seinen Kobel in meinem Haus zu bauen. Doch statt mich selbst als liebevolle Hörnchenmutter, die sich aufopferungsvoll um die kleinen Wesen kümmert, sah ich vor allem ein Tier, das erst als eiliger Spiderman die Hauswand hinab- und später mit den Backen voller Moos wieder hinaufkletterte, um sich oben in einem Fliegennetz derart zu verheddern, dass es beinah gerettet werden musste. Ich bin nicht sicher, ob dieses Tier geeignet ist zur Arterhaltung, aber was weiß ich schon? Ah richtig, weiß ich sehr wohl etwas, nämlich: Ich habe ja diesen neuen Lippenstift, der so farblich harmoniert mit Aperol und Campari und der aus einem müden Bleichgesicht mit wenigen Pinselstrichen ein komplettes Gute-Laune-Makeup zaubern kann. Was er ebenfalls hervorragend kann, ist ein bisschen zu kleben. Nicht störend, aber eben genau so viel, dass ich als Phyto- und Biograph auf zwei Rädern herumflitzen kann und hinterher mit metergenauer Sicherheit bestimmen, wo in Nürnberg welches unsichtbar kleine Lebewesen sich grade gerne aufhält. Radle ich also an einer Birke vorbei oder auch einer Hasel, die sich grade einmal mächtig schüttelt vor Lachen, so hab ich nachher keine roten Lippen mehr, sondern eine samtig-gelbe Schicht auf dem Mund. Mit kleinen Fliegen geht das besonders gut: Hält man den Mund beim Radeln feste geschlossen, so kann man spüren, wie man als rollende Fliegenfalle durch einen Schwarm hindurchgerät, in dem einem die winzigen Tierchen nur so gegen die Lippen prasseln und dort hilflos verfangen. Das ist ein gutes Gimmick für Halloween, nicht aber für den Alltag: „Ähm, Sie haben da …“ Ups, danke. Besonders erstrebenswert erscheint mir aber das Aufsammeln von Pappelsaat, die die Stadt mit feinen Sommerschneeflocken überzieht, weiße Wolken über hässliche Wege legt und in warmer Brise heitere Tänzchen aufs urbane Parkett. Dort einmal mit frisch eingeleimtem Mund geschickt hindurchgepflügt, und schon seh ich aus wie der Weihnachtsmann mit Rauschebart, mindestens aber wie jemand, der ein bisschen zu viel an der Zuckerwatte genascht hat. Bei dem Gedanken krieg ich sofort gute Laune. Ihr auch?
Freitag, 10. Mai 2024
Elternwoche
„Leute, am Sonntag ist ‚Muttertag ist eine verachtenswerte Kommerzveranstaltung, die nur dazu dient, Blumenhändler reich zu machen und anschließend eine arme Mutter oder Oma, die man das ganze Jahr über nicht mal angerufen hat, kurz zu besuchen und am besten im Rollstuhl um irgendein Gewässer zu schieben, mit Torte zu füttern und wieder abzuhauen, Hauptsache das Gewissen ist wieder eine Zeit lang beruhigt, damit möchte ich nichts zu tun haben. Ich möchte, dass man sich das ganze Jahr über für mich interessiert und sich trifft und nicht an einem willkürlichen festgesetzten Tag, den irgendein Ami mal erfunden hat, plötzlich Gewese gemacht wird!! Aber FALLS am Sonntag jemand zufällig in der Nähe ist, kann man mich gerne besuchen, ich hätte dann eventuell auch einen Kuchen da und abends könnte man ja dann eine Pizza essen gehen oder holen, das wär schon schön, hat aber überhaupt nichts mit diesem Muttertag zu tun, nur wenn wir uns gar nicht sehen täten dann fänd ich das schon schade, aber macht euch bitte keine Umstände extra meinetwegen, ich wollte nur Bescheid geben dass ich auf alle Fälle den ganzen Tag alleine daheim bin und wenn dann spontan jemand vorbei kommt, würde ich auch die Tür aufmachen‘-Tag. Gibt’s schon Pläne?“ So oder so ähnlich könnten WhatsApps und SMS lauten, die im Laufe der Woche zwischen Geschwistern verschickt werden, deren Mütter dank der frühen EMMA emanzipatorisch sozialisiert worden sind und diese kämpferische Haltung wenn nicht übers laufende Jahr hinweg beibehalten, so doch allermindestens einmal jährlich Anfang Mai einnehmen und dazu heftig die lila Fahne schwenken. Muttertag? Nicht mit mir!, und zurück bleiben desorientierte Kinderlein, die Jahr für Jahr nicht wissen, wie sie sich hierzu verhalten sollen, heimlich liebevoll gebastelte Haushaltshilfengutscheine traurig verschwinden lassen und die schönen Blumen schnell dem verdutzten Nachbarn schenken. Zum Glück ist das bei mir nicht der Fall, und ich kann mich Jahr für Jahr ganz dankbar an der Liturgie entlanghangeln, die mir die Discounterlandschaft seit Wochen mittels Postwurfsendung hilfreich bereitstellt: Kaufe pinke Donuts und Fertig-Hugo! Bestelle Blumen! Kaufe rosa „Mutti ist die Beste“-Herzanhänger aus Holz! Kaufe pastellfarbene „Supermum“-Tassen! Kaufe Shopping-Gutschein! Das wird so ein schöner Tag! Leider hab ich mich dieses Jahr im Katalog verblättert und bin ein bisschen durcheinandergekommen. Stehe jetzt mit Grillfleisch, Bollerwagen, Tischkicker und Dosenbier für Sonntag in den Startlöchern, derweil Papa gestern Erdbeerkuchen und Tulpenstrauß zur Landausfahrt bekommen hat … Ich hoff, das geht in Ordnung so. Bitte verratet mich nicht – sonst muss ich doch noch eine SMS an meine Brüder schicken.
Freitag, 3. Mai 2024
Kreuz Schulter Knie
Es gibt da diesen Comic von Renate Alf: Eine Frau unbekannten Alters steht in Sportklamotten und mit Matte unter dem Arm vor einem kleinen Regal mit Handtüchtern und Erfrischungsgetränken und blickt ratlos auf die beiden Schilder vor ihr an der Wand, die ihr den Weg zu zwei verschiedenen Sportkursen zeigen – welcher, denkt sie angestrengt, ist wohl der richtige für sie? Links geht es zu „Bauch, Beine, Po“, rechts zu „Kreuz, Schultern, Knie“ … „Rechts!“ möchte ich ihr zurufen, „eindeutig rechts!“, denn abgesehen davon, dass ich mich schon immer gewunden habe, „Bauchbeinepo“ zu sagen, weil das so unglaublich dämlich klingt, und gefunden, dass an meinem Körper eigentlich alles drei ausreichend vorhanden ist, ist es mittlerweile so, dass gemäß dem Horst Schlämmer’schen „Ich habe Rücken, Kreislauf, Füße …“ auch von „Kreuz, Schultern, Knie“ wirklich mehr als genug an mir gibt. Das ist natürlich nicht neu, sondern seit dem Beginn des körperlichen Verfalls, der ungefähr in dem Moment eingesetzt hat, als ich so um die 16 war, hat man ja ständig irgendwas. Und spätestens, wenn man merkt, dass einen nicht mehr die Gastronomen und Galeristen der Stadt schon aus der Ferne freudig mit Vornamen rufen, sondern Arzthelferinnen. Dass man manche Freunde nur noch zufällig in Wartezimmern trifft statt auf einem Kneipenfestival, dann … Naja. Man hat es nicht leicht, doch heute bin ich schwer beschädigt. Das liegt nicht zu allen, aber großen Teilen an gestern, also am 1. Mai, den ich erwachsen mit Natur und Wandern statt Steinewerfen und Dosenstechen verbracht habe. Wenn man allerdings die richtigen Leute dabeihat, kann man es durchaus schaffen, auch aus der kürzesten Strecke einen ganztägigen Fünf-Seidlas-Steig zu machen. Ergo: Ich habe Kopf. Füße hab ich außerdem, denn vor lauter Frühlingsfreude und frisch gemachten Sommerfüßen war ich unlängst einen ganzen Tag in offenem Schuhwerk im Einsatz anstatt in einer geschlossenen Formation, deren Nachteil der Schwitzfuß, Vorteil jedoch die orthopädische Sohle ist. Fürderhin habe ich seit Wochen Rücken, nämlich seitdem ich es zustande gebracht habe, mir im Zuge einer schweren Erkältung beim Husten derart die Rippen zu prellen, dass mir mein sicherer Tod vor Augen stand und ich statt durch die Clubs zu ziehen mit dem Taxi Klinik-Hopping betrieb. Zu dieser Prellung hat mir mein Auto ein weiteres Geschenk beschert, indem es sich beim Rückwärtsfahren derart vor einem Grashalm oder einer Ameise erschrak, dass es mit einer Vollbremsung reagieren und mir damit eine verdammte Stauchung unter dem rechten Schulterblatt bescheren musste. Und was sehe ich heute? Ein geschwollenes Augenlied von Größe und Gestalt eines rohen Scampis, das gestern noch „bestimmt nur von den Pollen juckt!“ Das verkrümmt-humpelnde, entstellte Wesen in der Stadt ist also kein ausgebüxter Quasimodo. Sondern nur ich auf dem Weg zum Sport. Kurs? Mal schauen.