Freitag, 24. Mai 2024

Frühstücksphilosophie

 Ich habe gerade einen Apfel gegessen. Halt nein: erstmal habe ich ihn aufgeschnitten, wie ich das beinahe jeden Morgen mache seit nunmehr 20 Jahren, um ihn gemeinsam mit ein bisschen Banane, Körnern und Milchprodukt zu einem Müsli zu verrühren. Eine Angewohnheit, die aus einer Zeit stammt, als mal im Sommer der Lieblingsdöner ein Problem mit der Kühlung und ich darum mit der Verdauung hatte, was mir ein paar beschauliche Tage im Krankenhaus sowie eine strikte und ausgesprochen effektive Diät aus Obstbrei beschor. One Apple a Day kept the Doctor zwar seitdem leider nicht away, sehr wohl jedoch den Morgenhunger, und während ich also am Apfel herumschnitzte, warf sich mir plötzlich Blattwerk an den Finger, das dort klebte und sich trotz heftigen Wedelns nicht abwerfen ließ, und mich befiel ein kleiner Zorn. „Halte ein!“ sprach da eine innere Stimme zu mir. „Dieses kleine, grünbraune Blättchen war einst eine zarte rosa Blüte, unter der du neulich erst lustwandeltetest und mit der Sonne um die Wette strahltetest, und nun hältst du hier eine Frucht in Händen, die sich nur mithilfe eines winzigen Bienenschubses in einen prachtvollen, rotglänzenden Ball verwandelt hat, der dem Gaumen schmeichelt und dich nährt. Liebe das kleine Blatt, denn es ist nichts anderes als die von dir verehrte Blüte!“ und ich verehrte das Blatt und rührte es ins Müsli wegen Nose-to-Tail und Nachhaltigkeit. Es könnt‘ alles so einfach sein – isses aber nicht, und so betrachtete ich die Banane in meiner anderen Hand und erkannte sie als ausgesprochen diskutables Wesen – und das nicht nur, was den Anbau betrifft sowie den stets staudegewordenen Thrill einer eingereisten Amazonas-Spinne (oder einer plattgetrockneten Eidechse, wie ich sie einmal quer durch eine Küche warf vor Schreck – echt wahr!). Die Banane ist die Politikerin unter den Öbstern: Frisch grün schmeckt sie bitter und macht mehligen Belag im Mund, ist dafür aber voll Gesundheit. Je reifer die Frucht, desto brauner wird sie, und was gekleidet in süßer Gefälligkeit daherkommt, ist in Wahrheit für nicht viel mehr gut als für grauslig pappige Finger und langfristige Schäden an Leib und Seele sowie am Zahnschmelz. Jedoch: In diesem Unzustand lässt sie sich, wir lernten es alle vor gut drei Jahren, hervorragend und gänzlich unpolitisch zu einem Kuchen umarbeiten, den man allerdings „Brot“ nennt und das deshalb im Gegensatz zum Kuchen mit gutem Gewissen in großen Mengen konsumiert werden kann. Wirklich sehr undurchsichtig, dieses „Banane“. Vielleicht künftig Rübe ins Müsli, das erscheint mir ehrlicher. Aber genug jetzt vom Essen. Frühstück ist fertig, und ich muss schließlich noch eine Kolumne schreiben. 

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