Heute wird es, pünktlich zur staden Zeit, leiser bei mir als
letzte Woche. Denn es liegt vor mir ein stiller Adventskalender. Er zeigt den
weltallerberühmtesten Markt nebst dessen noch berühmterem Host, dazu Buden,
Kinderlein sowie Herren und Frauen und hat, wie jeder anständige
Adventskalender, 24 Fensterln, hinter denen sich allerlei Begehrlichkeiten
befinden. Im Gegensatz zum weitverbreiteten Standardmodell jedoch keine
kalorischen in Form von zu Kerzlein, Englein und Bäumlein gegossene Schokolade
zweifelhafter Qualität, bei denen es schon vorgekommen sein soll, dass Menschen
in schwachen Momenten wie beispielsweise nach Weihnachtsfeiern oder
Glühweinverkostungen sie allesamt auf einen Streich herausgepresst und gierig
verschlungen haben und am nächsten Tag nur schwierig erklären konnten, warum am
5.12. eigentlich schon alle Adventstürchen aufgebrochen und geleert worden sind
… Ähm, genau, keine kalorischen, sondern solche mit meisterlichen Gewinnen
dahinter. Ich weiß das schon, weil ich hatte das Vorjahresmodell ebenfalls
daheim und mich 24 Tage lang gewundert, wie es sein kann, dass ich schon wieder
nichts gewonnen habe, inklusive Verdachtsäußerungen beim Veranstalter ob eines
möglichen Zahlenfehlers auf meinem Exemplar, also wirklich! Jedenfalls war ich
über den ganzen Advent hinweg ganz vortrefflich täglich beschäftigt und habe
sowohl Vorfreude aufs Fest als auch Zorn sukzessive steigern können. Ich freue
mich also auf die kommenden Tage: hinter jedem Türl eine neue Enttäuschung, wie
wundervoll! „Aber es ist doch für den guten Zweck!“ ruft man empört und ich
sag: Ah geh bitte guter Zweck! Der gute Zweck ist einzig, mich in meinem
pathologischen Spätinfantilismus zu bestärken und mir mit liebevoller Hand
feinziselierte Geschenkchen, Botschäftchen und Liebesbeweischen in bunte
Säcklein einzunähen. Was ich nicht müde werde, zu fordern. Was zur Folge hat,
dass sich da jetzt offenbar eine Phalanx des Widerstandes gebildet hat, die mir
das Gewünschte unter dem Motto „Jetzt erst recht – nicht!!“ demonstrativ
verweigert. Dabei will ich doch gar nicht viel! Gut, im tiefsten Inneren meiner
als linksintellektuelle Verzichtsperson verkleideten neoliberalen
Kapitalistenseele begrüße ich selbstverständlich die Entwicklungen der letzten
Jahre weg vom Schokowürfelchenkalender hin zum Trend, 24 ausgewachsene
Großgeschenke im Gesamtgegenwert eines Kleinwagens in ausufernden DIY-Kunstwerken
präsentiert zum Advent zu überreichen. Ganz ehrlich: Wenn du so eins übrig hast
und nicht weißt wohin – bring’s vorbei, sag ich nicht nein, kein Ding. Aber
unter uns: Es reicht mir ja der Thrill, Morgen für Morgen nicht zu wissen, ob
mich im Schleifensackerl ein em-Eukal erwartet, ein Teelicht oder ein
Mini-Rittersport … Was hab ich jetzt? Nur noch Thrill. Sollte ich gewinnen: Ich teile nichts!
Freitag, 29. November 2024
Adventskalender
Freitag, 22. November 2024
Soundmaschine
WAUWAU! … Fanfarengetöse … Jubel … BUUUUURPS! … Vor mir
liegt ein kleiner grüner Kasten. Er hat handschmeichelnde Größe, viele kleine
gelbe Knöpfe wie ein prächtiges Schifferklavier, nur dass aus diesem wenn man
ein bisschen mit Sinn und Verstand darauf herumdrückt, gar herrliche Klänge
tönen. Aus meinem Kästchen, da kannst du noch so viel Verstand und Expertise
haben, kommt ausschließlich und gemessen an der Winzigkeit des Lausprechers
ausgesprochen laut: ein Unton nach dem anderen. Das Kistl kann Klospülen
(Toilet Flush) und wie ein Zahnarztbohrer (Dentist) klingen, es kann der
traurigste, grusligste Leierkasten sein (Circus) und markerschütternd weinen
wie ein Baby (Baby). Es kann garstig lachen (Witch) und gruselige
Aliengeräusche machen (Sci-Fi), und es kann einen vor allem stets aufs Neue
überraschen, weil die hilfsbereiten Geräuschsbeschriftungen an den kleinen
Knöpfen so wenig aussagekräftig sind, dass man sich einfach nicht merken kann,
was einen dabei erwartet: Drückt man „Charge“, ertönt ein dröhnender
Fanfarenapell, bei „Achooi“ ein markerschütterndes Niesen und bei „Whoopee“ ein
prächtiges Flatulat. Ich würde furchtbar gerne behaupten, ich wüsste nicht, wie
ich in den Besitz des kleinen Spaßgeräts gekommen bin, doch leider weiß ich es
sehr genau. Allein was richtig ist: Ich bin unschuldig. Schuld ist ein Baby!
Dieses krümelte vor vielen Monaten auf einem Küchenboden herum, während
Erwachsene anständig am Tisch saßen und Konversation betrieben. Diese wurde
gelegentlich unterbrochen durch die Beiträge des Kindleins, das seine
Zustimmung oder Abneigung zum geäußerten Gesprächsinhalt erstaunlich passend
durch heiteren Jubel oder traurige Trompetentöne äußerte. Nach einiger Zeit
entdeckten wir unter dem Knaben ein elektronisches Spielgerät, welches von
größeren Kindern dort hinterlassen war und im Sinne einer Lernhilfe falsche und
richtige Antworten mit einem entsprechenden Laut der Freude oder Enttäuschung
quittierte. Ich war hingerissen. Dieses Gerät, befand ich, wollte ich fortan
bei allen offiziellen – ach was: bei ALLEN Gesprächen bei mir tragen und mich
nurmehr äußern durch Drücken der entsprechenden Knöpfe. „Frau Wasmeier, kommen
Sie bitte in mein Büro!“ – „(Knopfdrück) Oh-oh!“ – „Frau Wasmeier, Sie bekommen
eine Gehaltserhöhung!“ – „(Knopfdrück) DA-DADA-DAAAA-DA-DAAAAA!“ … Leider
durfte ich die Soundmaschine nicht entwenden, und so verließ ich diesen
grausamen Haushalt in der traurigen Gewissheit, mich fortan doch nicht lästiger
Unterhaltungen durch lustiges Knöpfedrücken entziehen zu können. Bis Post von
der Freundin kam: „Schatz, ich habe was für dich gefunden. Viel Spaß damit!“
Seitdem drück ich wann immer es beliebt gelbe Knöpfe statt zu sprechen. Ob ich
die Kolumne schon fertig habe? „BUUUUUUUUURPS!“
Freitag, 15. November 2024
Pelzmärtel vs. Nikolaus
Den ersten der vier Endgegner im Jahresgame haben wir also vor ein paar Tagen erfolgreich hinter uns gebracht. Wir haben uns verkleidet, betrunken, gebastelt und furchtbar gefroren, aber was sein muss, muss sein: Karnevalsbeginn! Ach nein Quatsch, das haben wir ja hier gar nicht, aber dafür am gleichen Tag das gleiche Prozedere vollzogen, nur nicht zu Ehren des St. Karneval, sondern des St. Martin, vulgo: Pelzmärtel. Ich als waschechte Arbeitsmigrantin zweiter Generation mit niederbayerisch-katholischem Kulturhintergrund fand eure fränkische Idee vom freundlichen Gutzerlbringer im roten Gewand schon immer prima. Spezialprima schon allein deswegen, weil er knapp vier Wochen vor dem Nikolaus vorbeikommt, im Gegensatz zu diesem seine Gaben still und höflich des Nachts in vor die Tür gestellte Gummistiefel legt (und allein dadurch schon seine außerordentliche Tapferkeit beweist, ich mein, wer versenkt denn freiwillig seine Hand in einen getragenen Gummistiefel?) und dafür noch nicht einmal etwas erwartet. Der Nikolaus derweil: Angstgegner! Und Feigling noch dazu, weil traut er sich im Gegensatz zum lieben Martin nicht alleine unters Volk, sondern zieht gern einmal die Begleitung einer echten Gruselperson vor, die Hörner hat und Glutaugen, Tierfüße und eine Rute, und wehe du warst unartig als Kind, dann ist der Krampus ganz schnell dabei mit einem Schimpfgesicht … Großeltern, Freunde und Familie versammeln sich also am Nikolaustag, so dass dem Kind (mir) direkt klar ist: Jetzt wird’s ernst, und dann klingelt’s und herein kommt ein riesiger Mensch in einem Mordsgewand mit einer meterhohen Haube auf dem Kopf und einem Wahnsinnsspazierstock und dann Flüstern und Stille und schließlich zerrt dich eine Mutterhand unter dem Kanapee hervor, wo du zitternd liegst und panisch dein Gedicht zu memorieren versuchst, das du extra für jetzt hast lernen müssen, weil du weißt: Erst schlägt der Nikolaus im Goldenen Buch die Notizen über deine Artigkeit nach, und o weh, wie gut der immer informiert ist, und dann erfolgt ein kläglicher Besänftigungsversuch lyrischer Natur, darauf bist du vorbereitet. Und dann schiebt man dich in bedrohliche Nähe zu dem Fremden, und noch bevor du den Gedanken „Verrückt, der hat die gleichen Schuhe wie Onkel Uli!“ formulieren hast können, sagst du plötzlich hübsch vernehmlich wie geübt „LIEBER GUTER NIKOLAUS, ZIEH MAL DEINE HOSEN AUS!“ und dann Gelächter und Schimpfen und Tränen und gar kein Krampus aber trotzdem Geschenke … Nicht einfach. Deswegen: Pelzmärtel. Der hat zudem ein Pferd statt teuflischer Sideshow und außerdem im Gegensatz zum Nikolaus, der halt irgendwie Truckerfahrer war oder was mit Limo oder sowas in der Art, eine endscoole Heldenstory.
Freitag, 8. November 2024
Du-Du-Liste digital
Vor genau 18 Monaten habe ich euch von der „Du-Du-Liste“
erzählt, die der Mann und ich als großformatiges Poster und niemals schweigende
Anklage stillen Vorwurfs in der Wohnung installiert haben, auf dass noch der
letzte ruhige Moment des Durchschnaufens auf dem Kanapee empfindlich gestört
werde durch die niedergeschriebene Zumutung all sämtlicher zu verrichtender
Tätigkeiten, die gemeinhin als „Leben“ betrachtet werden, und deren
unverzügliche Ausführung erstaunlich beruhigende Auswirkungen auf den Hausfrieden
(mich) hat. Woher ich weiß, dass es genau 18 Monate sind? Naja. Es ist dort zu
lesen: „Sommerreifen!“, „Jacken & Schuhe!“ sowie „Balkon!“, wobei das
„Sommer“ durchgestrichen und durch „Winter“ ersetzt worden ist. Nachdem wir
diese Situation jetzt gerade wieder haben, die Liste an der Badezimmertür aber
garantiert seit Monaten niemand mehr angefasst hat. Die Entwicklung war
gewissermaßen vorhersehbar und vollzog sich dergestalt, dass erst
aufgeschriebene Punkte abgearbeitet worden waren gemäß persönlichem Gusto und
Widerwillen, die sehr ungeliebten Aufgaben also erst einmal eine
Depriorisierung erfahren mussten. Damit es nicht so auffiel, dass „KELLER
AUFRÄUMEN!!!“ zwar ganz oben und rosa angemalt die Liste beherrschte, gewöhnte
man sich dann an, Dinge, die man ohnehin hätte tun müssen, zu erledigen, auf
die Liste zu schreiben und sie dann im selben Zuge durchzustreichen und stolz
die verrichtete Arbeit zu präsentieren: Schau wie fleißig ich bin! Deswegen
steht auf der Liste zwar immer noch „KELLER AUFRÄUMEN!!!“, dafür aber ein paar
Zeilen weiter unten „Steuer“. Immerhin. So viel also zur Genese der
„Du-Du-Liste“, und es rührt mich, dass niemand sie abhängt, sondern das Opus
für alle Zeiten als Denkmal des Scheiterns und Ausbleibens organisatorischer
Skills an der Türe hängen bleibt. Doch man war ja nicht untätig in der Zeit,
sondern hat sein Heil in der Moderne gesucht. Und die Moderne bringt digitale,
multifunktionale, gemeinsam zu bearbeitende und noch dazu bunt zu gestaltende
Listen im Handy – lauter Eigenschaften, deretwegen einzelne Zugehörige dieses
meines Haushaltes dieser Technik umgehend verfallen sind und mich seitdem
bedrohen. Lagen früher hier da vereinzelt harmlose Zettelchen herum mit achtlos
hingeworfenen Notizen über zu schauende Filme, zu lesende Bücher, zu ordnende
Haufen oder zu erledigende Erforderlichkeiten aus der Welt der Erwachsenen
(Steuer!), die man hier und da einmal entdeckte, weil sie von einem Windstoß
aufgewirbelt wurden und man sich dann für Ausführen oder Ignorieren oder gar Wegschmeißen
entscheiden konnte, schreit mich jetzt mein Telefon mehrmals täglich an, um
mich auf eine der drei oder siebzehn oder keine Ahnung wie viele Listen
aufmerksam zu machen, für die ich in irgendeiner Form zuständig sein soll. Ich
hoffe, ihnen widerfährt das gleiche Schicksal wie dem Türenzettel.
Freitag, 1. November 2024
Salopette
Einen langen Moment hab ich recht verdutzt geschaut auf ein
Fundstück im Elternflur, weil da stand eine sehr knallblaue, sehr unerwartete
Sache, die ich partout keinem Hausbewohner zuordnen konnte. „Wem, bittesehr“,
hab ich deshalb gefragt, „gehören denn diese irren Gummistiefel?“, und ich war
auf viele Antworten gefasst. Doch nicht auf die, die ich bekam: „Mir!“
antwortete, und ich kann’s immer noch kaum glauben, das Muttertier, und durch
einen bemühten Ton der Ironie erklang laut und deutlich blanker Stolz: „Ich
musste die kaufen, damit wir künftig besser in Pfützen springen können.“, und
ich war ein bisschen fassungslos, aber vor allem auch ergriffen. Weil
gleichzeitig an dem Tag, an dem ich eine Tante geworden bin, ist jemand anders
– ein verrückter Zufall! – zum Großmuttertier gemacht worden. Und mittendrin in
dieser komplizierten sipplichen Verstrickung thront ein überaus geliebtes Kind,
für dessen Lebensglück sich gleich eine ganze Herde zuständig betrachtet. Und
wenn das Kind Pfützen springen möchte, dann springen wir selbstverständlich nicht
nur mit, sondern gewissermaßen proaktiv voran. Das ist aber auch kein Schaden,
denn von Kindern allgemein und diesem im Speziellen kann man allerlei
Hilfreiches und Kluges lernen. Und so auch den Umgang mit den Jahreszeiten.
Allem voran mit dem sogenannten „Schmuddelwetter“. Ab einem Alter, das es noch
zu definieren gilt, beginnt der Mensch beim ersten herabfallen Blatt, dem
ersten Hauch von Nebel und Andeutung eines Regentropfens in ein grundsätzliches
Lamento zu verfallen mit sehr viel Igitt und Bäh und überhaupt Pfui Deifi! Es
drohen nasse Füße und zerdrückte Frisuren, laufende Nase und kalte Finger, und
um den Zustand massiven Missmuts zu unterstreichen, gewandet man sich in
schweigender gesellschaftlicher Übereinkunft nur mehr schwarz und grau und legt
sich beim Verlassen des Hauses eine grantige Miene zu. Das Kind hingegen:
großes Glück! Sieht in fallendem Laub kein schlechtes Omen, sondern große
Haufen, in denen man rotgesichtig herumspringen, Dinge finden und Igel vermuten
kann. Sieht im frühen Abenddunkel keinen Lebensfeind, sondern eine willkommene
Gelegenheit, endlich all die Lichtlein auszutesten, die man übers Jahr
gesammelt hat und bald zu Laternen komponiert. Sieht im aufgeweichten
regenmatsch kein grauenhaftes Ärgernis, das es weiträumig zu umschiffen gilt,
sondern eine willkommene Gelegenheit, herauszufinden, welch große Fontänen man
doch mit dem Laufrad produzieren kann und wie dicht die Matschhose nun wirklich
ist, ohne die ganz grundsätzlich das Haus nicht mehr verlassen wird. Warum
auch? Ich treffe nachher Kind und Omama, meine Gummistiefel hab ich
bereitgestellt. Matschhose? Heißt für uns halt anders: „Salopette“, zum
Beispiel. Und wenn das nicht nach guter Laune klingt, dann weiß ich auch nicht.
Kauf ich sofort!