Homo vacarendum est – auch wenn es meinen noch nicht verblichenen Lateinlehrern an dieser Stelle jetzt womöglich die Zehennägel hochrollt, zumindest inhaltlich hab ich schon recht: Der Mensch urlaubt. Aktuell sogar sehr heftig. Man radelt über die Alpen und paddelt in Slowenien, beachlifet in Griechenland oder, ganz hoch im Kurs, an der Ostsee, räkelt sich in Infinitypools oder glampt aufs Äußerste. Und das alles weiß ich sehr gut, denn der Mensch dokumentiert all das gewissenhaft im Instagram, dessen Name nicht umsonst zumindest im zweiten Wortbestandteil frappierend an „Verdruss“ erinnert. Insta-Gram. Ich zumindest gräme mich. Denn ich urlaube auch. Jedenfalls bald. Jedenfalls, wenn ich bis zu einem nahenden Zeitpunkt X meine pathologische Angst vor Urlaubsplanung überwunden haben sollte. „Du musst doch wissen, wo du hinwillst!“ ruft man mir verblüfft zu, und ich rudere hilflos mit den Armen und sage: „Ja, doch, nein.“ Ich weiß wie so oft vor allem, was ich NICHT will (Sand, Karst, Hitze), doch selbst nach Ausschluss dieser Kriterien bleiben immer noch verdammt viele Optionen offen – und mit Optionen kann ich nicht so gut, sonst wäre ich vermutlich auch Fan von Subway und würde nicht angesichts einer schier endlosen Liste von von mir zusammenzustellenden Zutaten weinend zusammenbrechen oder vor einem angepriesenen „reichhaltigen Buffet“ schreiend davonrennen und mich wimmernd an einer alten Breze festhalten. Ich möchte das nicht. Ich möchte Struktur, Plan und jemanden, der mir Dinge vorgibt. Zuviel Freiheit macht mir Angst (gleichwohl ich bei der geringsten Ahnung eines unfreiwilligen Beschnitts derselben sogleich in großen Zorn ausbrechen kann). Das war schon in der Uni so: Du kommst heraus aus einer Schule, die dich 13 Jahre lang gelehrt hat, einen Stundenplan artig zu befolgen und ja nicht irgendwo links und rechts auszubrechen, und wirst hineingeworfen in eine Uni, die sagt: „Hallo, hier hast du 754839 Optionen, um dein Studium so zu gestalten, wie es dir taugt, wir lassen dir alle Freiheiten, komm ja nicht auf die Idee nach einer Vorgabe zu fragen, tschüssi!“ Turns out: Statt eines Magisters in Germanistik und Soziologie hab ich einen in Schlossgarten und Kneipe. Quasi. Jetzt also Urlaub. Es soll Menschen geben, die es lieben, tage- und nächtelang Länder, Menschen, Abenteuer zu recherchieren, Buchungsplattformen zu vergleichen und sich die perfekte Zeit selbst zu komponieren. Ich nicht. Ich bin Typ „Aldi Reisen“: Ein picobello geschnürtes Paket, das mich erst einmal in Sicherheit wiegt – und über dessen freiheitsberaubendes Diktat ich mich vor Ort immer noch aufregen, mich allen Plänen widersetzen und mein eigenes Süppchen kochen kann … Es soll Leute geben, die urlauben am liebsten zu Hause. Ich verstehe das, denn damit fällt auch das nächste drohende Übel flach: packen. Mal sehen, mit welcher Entscheidung ich mich überrasche. Eine Woche hab ich noch.
Freitag, 29. August 2025
Freitag, 22. August 2025
Fehler in der Matrix
Der Herrgott sei gepriesen, die Hitzewelle ist vorbei –
sagen manche. Ich nicht. Ich befinde mich stattdessen in einem Zustand, den man
sich am besten so vorstellen kann wie eine Szene aus Matrix, wenn Neo sich dem
Kontrahentenbeschuss ausweichend in Slowmotion horizontal in die Luft legt und
dort schwebend den nächsten Supermove vorbereitet und man schon weiß: gleich
scheppert’s gewaltig. Nur dass ich nicht bewaffnet unter Beschuss stehe,
sondern in Slomo in der Luft stehe, weil mir grade jemand ruckartig die
Picknickdecke unter den Füßen weggezogen hat und im nächsten Sekundenbruchteil
nicht nur ich scheppernd auf dem Boden lande, sondern mit mir auch eine große
Menge Sommerutensilien, die erst hoch in den Himmel stieben und dann rings um
mich herum hinabregnen. Da lieg ich jetzt also inmitten eines schönen Haufens
Dingen, die bis grade eben noch unabkömmlich bis existenziell wichtig waren und
jetzt von einem Moment auf den anderen absolut jeden auch noch so kleinen Sinn
verloren haben. Dabei war ich grade so richtig eingegroovt, nicht zuletzt dank
des Turboboosters einer Hardcore-Freibadwoche, die ich dank einer derzeit auch
eher arbeitsextensiven Freundin durchleben durfte. Es begann harmlos: Handtuch,
Wasser, Bikini und ein Wechselschlüpper für ältere Damen – also halt in etwa
so, wie Anfänger (ich) und Jugendliche (ich nicht) baden gehen. Es folgte ein
großer Neid und infolgedessen eine stetige Erweiterung des Gepäcks, bis ich an
Tag fünf mit zwei großen Sporttaschen und einer Kühltasche am Treffpunkt erschien
und die Freundin aus dem Staunen nicht mehr rauskam, als die Freibad-Mary
Poppins ihr Hab und Gut entblätterte: Ein großes Handtuch und dann noch eins
plus ein kleines, drei Bikinis für je nach Stimmung und Betätigung, ein Kissen
für den Kopf, eine portable Lehne, Fächer, tragbare Ventilatoren,
Trivialliteratur (zum Lesen) und Intellektuelles (zum Angeben), vorgekühlte
Melonenschnitzen, geeistes Wasser, belegte Semmeln, Spiele, Sonnenschirm und
dergleichen mehr. Was man halt so braucht, wenn man einen ganzen Tag in
Wahrheit nur bräsig im Baumschatten liegt und ratscht. Auch hinsichtlich der
Ernährung war ich gänzlich angepasst: Was braucht der Mensch außer Wassermelone
und Freibadpommes und hin und wieder mal ein Steckerleis? Richtig, gar nichts.
Jetzt frag ich mich: Wie soll das alles gehen? Was zieht man an wenn nicht
Tshirtshortsundschlappen? Was isst man so den ganzen Tag? Und vor allem: Was
TUT man? Ich ahne ein tiefes Loch am Horizont herannahen. Aber das passt ja
dann eigentlich ganz gut zum Tief. Und das sollte ich vielleicht dazu nutzen,
die Wohnung von einem Sommerfreizeitlagerstaustall wieder in irgendwas
Bewohnbares rückzuverwandeln. Hier liegt ja jetzt alles auf dem Boden herum.
Freitag, 15. August 2025
Sommer Fast Forward
Schönen guten Morgen zusammen. Es ist 8 Uhr 43, und ich habe mein Tagwerk im Prinzip vollbracht – wenn man vom Schreiben einer gewissen Kolumne absieht. Aber Schwamm drüber, hierzu kann ich mir auch später noch Gedanken machen. Als fleißige Hausfrau habe ich den dazugehörigen Halt mal eben schnell im Halbschlaf erledigt, denn ich bin im Morgengrauen nachgerade aus dem Bett geschnalzt, als eine mir nicht gleich bekannte Stimme mich angeschrien hat: „WIR HABEN DOCH KEINE ZEIT!“ Richtig, hab ich mich erinnert, keine Zeit. Weil völlig unerwartet finden wir uns in etwas wieder, das wir in den letzten Wochen, als wir uns mit Wärmflasche auf dem Kanapee eingekuschelt hatten, während Regenschirme, Hosen und Socken in der Wohnung verteilt versuchten, sich von ständiger Beregnung zu erholen. „Es riecht nach Herbst!“, schrieb mir eins kürzlich am Morgen. „Das war’s, der Sommer ist vorbei. Ich weine.“ UNSINN, hab ich mir da gedacht, der Sommer geht jetzt erst richtig los – nur, und das muss man ihm bei aller Liebe schon auch einmal kritisch mitteilen dürfen, hat er’s vielleicht doch bisschen zu locker angehen lassen. Und damit bringt er uns jetzt in eine feine Bredouille. Weil der Sommer gar so lang getrödelt hat, haben wir jetzt den Nudelsalat – und müssen alles, was die jahreszeittypische ToDo-Liste so bereithält, in Hyperduperüberschallgeschwindigkeit nachholen. „Schreibt Prioritäten-Listen, startet Doodles, kalkuliert irgendwas mit Excel. Aber BEEILT EUCH!“ möchte ich seit ein paar Tagen meinem kompletten Bekanntenkreis zurufen und am besten gleich eine kuratierte Auswahl möglicher Aktivitäten anreichen: In einem Fluss baden und auf einem anderen mit dem Schlauchboot paddeln. Die gesammelten „37x Grillen ohne Bratwürste und Wammerl“-Rezepte ausprobieren. Bräsig im Garten herumliegen. Im Gartenhaus übernachten. Wassermelone essen. Ins Freiluftkino gehen. Morgens an den See fahren und erst abends wieder zurück. Leicht bekleidet in allen innerstädtischen Brunnen planschen. Dubiose Sommergetränke testen. Fahrradtouren machen. Wassermelone essen. Hängematte dabeihaben und überall aufspannen. Spaghettieis zum Abendessen. Unter freiem Himmel tanzen. Biergärten mit Kastanienschatten auskundschaften. Eselswandern. Tretboot fahren. Wassermelone essen. Durch den Rasensprenger fliegen. Ein Bett auf dem Balkon bauen. Einen Fächer dabeihaben. Nach Sonnencreme duften. Nach Autan stinken. Wassermelone essen … Und das alles in drei, vier Wochen?! Puh, da wird mir gleich ein bisschen schwindlig. Was hilft? Genau: Tun, was eine Frau tun muss. Und deswegen ist jetzt auch keine Zeit mehr, denn ich .. Was? Ich kann euch nicht hören. Das Schwimmbad ruft so laut nach mir. Tschüssi!
Freitag, 8. August 2025
Dr. Osophila
Juhu, endlich Sommerferien! Na gut, für mich eigentlich
nicht, aber nachdem diese Phase zu den besseren bis besten Erinnerungen an
meine Schulzeit gehört, freu ich mich einfach weiter drüber. Ebenfalls in sehr
guter Erinnerung geblieben ist mir der Bio-LK. Hier habe ich viel gelernt, was
mich heute noch freut – man könnte auch sagen, hier habe ich einen nicht zu
kleinen Teil unnützen Wissens angehäuft, mit dem ich im Smalltalk und bei Tisch
brilliere. Dazu gehört neben kluger Schlagworte wie „Parthenogenese“ oder
„Klinefelter-Syndrom“ auch „Drosophila“ – wobei es sich nicht um einen
reüssierenden Mädchennamen aus der Antike handelt, sondern um eine lautliche
Wohltat für ganz und gar garstige Wesen. Diese sind winzigklein, blicken einen
bei mikroskopischer Betrachtung aus furchterregend roten Teufelsaugen an und
entzücken die Forschung seit Äonen wegen irgendwas im Genpool. Was genau,
erinnere ich nicht mehr, aber vermutlich ist es gerade dieser Wissensnebel, der
mir in höchstem Maße Sorgen bereitet. „Ich mach mir große Sorgen um die
Küchensituation“, hab ich dem Mann neulich gestanden. Seine Antwort wurde von
einem vielstimmigen Sirren davongetragen, derweil ich einer Szene beiwohnte,
die mich frappierend an biblische Plagen und umherziehende Schwärme Myriaden
gefräßiger Heuschrecken erinnerte, hinter dessen schwärmendem und zuckendem
Vorhang ich irgendwo den Mann vermutete. Grund für die alttestamentarische
Erschütterung war mein Leichtsinn, der mich naiv den Deckel zum Biomüll hatte
öffnen lassen und damit einen Vulkanausbruch auslöste: Apfelgriebs hinein, eine
Fantastilliarde Fruchtfliegen hinaus. Doch das war nicht mein Problem. „Weißt
du, ich trau mich nicht mehr, eine Falle zu installieren, weil mich beunruhigt
das Verhalten, das die bei den Fliegen auslöst.“ Während nämlich manche (dumme)
Individuen sich kopflos und gierig in die Suppe aus Apfelessig und Spüli
stürzte, um dort die ewige Ruhe zu finden, setzte sich ein anderer Teil frivol
an den Rand des Swimmingpools, baumelte mit den Beinen und zeigte mir die lange
Nase. „Ich habe Sorge, hier irgendeine problematische Form natürlicher Auslese
zu betreiben und im Begriff zu sein, eine Art Superfliege zu züchten“, führte
ich meine Bedenken weiter aus. 100 Eier täglich legt so eine Fliegenfrau,
fertig ist die Brut zehn Tage später. Wenn die von Generation zu Generation,
Darwin lässt grüßen, schlauer, größer, stärker werden, welches Unglück bringe
ich dann grade über die Menschheit? Werde ich dereinst über ein von mir
geschaffenes Heer hochintelligenter Riesenfliegen herrschen? Gehe ich ein in
die Historie als Dr. Osophila, Herrin der Fruchtfliegen, die ihre Schwärme
dorthin schickt, wo mal wieder richtig aufgeräumt gehört? So gesehen find ich
den Gedanken nicht mehr ganz so furchterregend. Ich geh mal Apfelessig kaufen.
Freitag, 1. August 2025
42
Wie wir wissen, lautet die Antwort auf fast alles: 42. Und
ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich das endlich
verstehe. 42 müsste die Antwort sein, vielleicht auch 41 oder 43, aber so um
den Dreh stimmt es – für mich jedenfalls. „Meine Güte, haben Sie schlechte
Augen!“ hat mir jetzt ein charmanter älterer Herr mit weißem Gewand und gelben
Haaren beschieden und dabei mit seinem Finger in verschiedenen Entfernungen vor
meinem unbebrillten Gesicht herumgewedelt. Auf dem Finger klebte eine Art
hautfarbenes Pflasterchen, in dessen Mitte sich eine winzige Nadel befand –
angeblich, weil gesehen hab ich sie nicht. Es könnte also sein, dass es sich
bei den Akupunkturpflastern, die ich seitdem auf dem Rücken kleben habe, um
nichts weiter als ein Placebo handelt. Ich werde es nie herausfinden, und so
bleibt mir nur, zu vertrauen. Aber ich hatte ja lang genug Zeit, zu lernen:
Wenn die Person in Weiß was sagt, hat es gewöhnlich irgendeine Richtigkeit. Ich
verlasse mich also auf Erfahrung, und wenn ich’s mir recht überlege, mache ich
genau das im Alltag ziemlich oft. Also zumindest immer dann, wenn ich keine
Brille aufhabe. Das ist wie bei vermutlich vielen Brillentragenden bei der
Morgen- und Abendtoilette der Fall – also das, wobei man sich allerlei für den
Tag unverzichtbare Mittelchen und Wässerchen und Sälblein ins Gesicht packt
oder von diesem wieder abwäscht. „Ich glaube“, habe ich zwischen zwei
Spülgängen dem Mann entgegengegurgelt, „die ganze erste Lebenshälfte ist nur
dafür da, bestimmte Handgriffe und Routinen des täglichen Bedarfs derart
einzuschleifen, dass man sie in der zweiten Lebenshälfte auch blind erledigen
kann“, hab ich gesagt und dabei Wasser aus dem Hahn dorthin laufen lassen, wo
ich die Öffnung einer Flasche vermutet hab … Tja, es ist, wie es ist: In den
letzten zwei, drei Jahren hat sich da eine gewisse, nicht mehr von der Hand zu
weisende Verschlechterung im Nahsichtbereich zugetragen, um ehrlich zu sein
auch im Weitsichtbereich, und so gibt es Situationen, durch die ich eher auf
Verdacht segle als wirklich zu wissen, was ich grade tue. Wasser warm/ kalt,
Zahnpasta auf das Bürstel, Hände eincremen – das funktioniert freilich
reibungslos. Was mich eher wundert, ist, wie man (ich) es fertigbringe, ein
komplettes Tagesmakeup im absoluten Blindflug aufzutragen. Es ist wie bei „1, 2
oder 3“: Ob alle Farbe richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht. Bzw. die
Brille auf der Nase sitzt – und ein hübsch bemaltes Antlitz zeigt oder eine
fein verschmierte Joker-Fratze … Nach dem Prinzip schreib ich übrigens auch
Kolumnen.