Freitag, 31. Oktober 2025

Eichhörnchen

 

„Das Eichhörnchen hält keinen Winterschlaf, es muss also die ganze Zeit über fressen. Um in den kalten Monaten nicht zu verhungern, legt es darum überall in seinem Revier Vorräte an“, hat eine salbungsvolle Stimme dieser Tage in einem salbungsvollen Fernsehbeitrag über die Flora und Fauna in Wales gesprochen. Ich habe mich dem kleinen braunen Puschel direkt verbunden gefühlt – konnte also relaten, wie der Franzose sagt. Und das gleich auf sehr vielen Ebenen, darunter eine mitfühlend, weil auch ich keinen Winterschlaf halten darf und das zutiefst bedauere. Und wie auch das Eichhörnchen war ich in den letzten Wochen ausnehmend viel damit beschäftigt, Vorräte anzulegen. Die mich zwar nicht über den Winter bringen werden, dorthinein aber zumindest gelegentlich ein bisschen Sommergeschmack bringen können. Unter diesen angelegten Vorräten befinden sich mehrere Kilo entsteinte und tiefgekühlte Zwetschgen (oder „Quetzgschen“, wie der Zwerg zu sagen pflegt), viele Gläser grünleuchtendes Pesto, ein TK-Fach voller köstlicher Apfelvollkornbrote, nicht zu wenig Apfelstreuselkuchen, fein säuberlich als leuchtend rote Perlenmatte eingefrorene Johannisbeeren, die sich an die letzten, wirklich allerletzten und artig vorgeschnittenen Zucchini schmiegt und literweise Apfelmus. Ja, es ist vielleicht ein bisschen einseitig, aber so hat’s die Natur eben geschenkt, da kann man eben nicht sagen „Du, Apfelbaum, es wäre mir schon recht, wenn du jetzt auch einmal einen schönen Käse wachsen lassen könntest oder eingelegte Oliven.“ Selbstverständlich hat meine Betätigung allerlei Lästerbacken auf den Plan gerufen. „Bist du jetzt auch eine Tradwife oder was?“ krieg ich zu hören, wenn ich sage, ich kann jetzt schon wieder nicht telefonieren weil der Teig. „Ja“, sag ich dann, „so wird es wohl sein. Ich bin heute Morgen um 5 Uhr aufgestanden, um dem Göttergatten eine feine Vesperdose zu kreieren. Dann habe ich mich geduscht, sorgfältiges Makeup aufgelegt, das mich für alle Eventualitäten des Tages rüstet (Postbote, Müllabfuhr, spontane Videodrehs), mein Schnittlauchhaar gebürstet und geglättet, mich anschließend in ein figurbetonendes Mieder gezwungen und darüber das feine Blümchenkleid samt Petticoat gedrillt und dazu die leichten Alltagsstöckel mit nur 8 cm Absatzhöhe gewählt. So stehe ich hier den ganzen Tag, schäle und zermuse Äpfel und warte, dass der Göttergatte nach Hause kehrt und ich ihm das Abendessen zum den staubigen Bart schmieren kann …“ Dann höre ich, wie es am anderen Ende der Leitung schwer schluckt, lache in mich hinein und schaue an mir herunter: eine konturenlose Jogginghose, ein altes Shirt voller Mehl und Butter, Kuschelsocken in Plüschlatschen, auf dem Kopf eine formvollendete Frisur namens „grade aufgestanden“, mit der ich eigentlich niemandem begegnen will. Wer Essen will, braucht keine Frisur. Auch das habe ich mit dem Eichhörnchen gemein.

Freitag, 24. Oktober 2025

Zeitumstellung

Die Ankündigung „es ist wieder soweit“ deutet meistens auf ein Ereignis hin, dass regelmäßig und zum gleichen Zeitpunkt wiederkehrt, unabwendbar ist, niemanden besonders überrascht und darob gänzlich überflüssig ist. Die Ankündigung. Manchmal auch das Ereignis selbst. Manchmal beides. Derlei Ereignisse stehen in der kommenden Zeit (ich sag’s ungern, aber heute in acht Wochen ist Weihnachten. Oder „in zwei Monaten“, falls das weniger bedrohlich klingt) zahlreich an, keines ist dazu angetan, uns sonderlich zu überraschen, weil man kann eh nichts dagegen tun. Wer jetzt spontan Christkindlesmarkt, Stille Feiertage und Jahreswechselzinnober (gerade gelernt: Beim „Zinnober“ handelt es sich um ein aus der Verbindung von Quecksilber und Schwefel entstehendes rotes Mineral, denkt mal drüber nach!) im Sinn hat: ja, stimmt schon, aber – gemach! Erst einmal steht jetzt ein anderes Ereignis bevor, das absolut unabwendbar ist, jährlich sogar gleich zweimal wiederkehrt und uns dennoch von Mal zu Mal aufs Neue völlig überrascht. Mich zumindest. Die Rede ist selbstverständlich von der Zeitumstellung, denn jetzt, liebe Lesende, „ist es wieder soweit“. So gewiss wie das Ereignis selbst ist auch die Debatte, die so nicht im Vorfeld mindestens in den Folgewochen geführt werden wird. Abschaffen ja/nein, Winter- vs. Sommerzeit, alles ist auf einmal schrecklich, Deutschland im kollektiven Jetlag, von dem ich ja behaupte, es handele sich hierbei lediglich um eine willkommene Begründung für die seit Wochen mangels Sonnenlicht vermehrte Schläfrigkeit. Nachdem ich die ohnehin immer habe und den Rest das Digitaluhrwesen für mich regelt, könnte mir die Zeitumstellung weitestgehend schnurz sein. Ist sie auch. Doch was mich zweimal jährlich aufs äußerste beschäftigt ist: Wie wird eigentlich umgestellt? Eine Frage, die ich mir einfach nicht beantworten kann. Die ganz Schlauen kommen mir dann immer mit klugen Merksätzen, doch genau so gut könnte man mir die sprichwörtlichen „böhmischen Dörfer“ runterbeten. Ein besonders gern genutztes Beispiel ist das mit irgendwelchen Möbeln, die man je nach Saison in die Garage stellt oder in den Keller und bei Bedarf wieder herausholt. So war das doch, oder? Leider verstehe ich nicht, wie mir das als Eselsbrücke zur Zeitumstellung helfen soll. Bedeutet das: Im Winter hängen wir am besten alle Uhren ab oder werfen Tücher drüber, weil sowieso ist die Uhrzeit egal, wenn es den ganzen Tag nur finster ist? Schätze, so wird es gemeint sein. Morgens dunkel, abends auch, dazwischen Frieren, Dämmerung und Miesepeterei. Herrliche Aussichten! Insofern würde es mir völlig reichen, am Sonntag zu überhaupt irgendeiner Uhrzeit einmal aufzuwachen. Welche, ist mir schnuppe. Und überhaupt: Ich geh mir jetzt eine Tageslichtlampe kaufen. Dann bin ich frei von Raum und Zeit. Und damit auch von allem, wofür es „endlich wieder soweit ist“.

Freitag, 17. Oktober 2025

Müdigkeit

 

Na, auch noch nicht wach geworden? Es ist jetzt halb fünf am Nachmittag, und wo andere Leute sagen würden „Ich habe gefühlt den ganzen Tag geschlafen“ kann ich mit Fug und Recht und kein bisschen Stolz behaupten: Ich HABE den ganzen Tag geschlafen. Eine analytische Ergründung der Ursache bin ich mir bislang schuldig geblieben, aber ein, wenn nicht DER Grund, der mir von Menschen, denen ich von meiner Unbill berichte, reflexhaft entgegengeschossen wird, ist: das Wetter. Natürlich, es muss das Wetter sein. Das Wetter ist hierzulande grundsätzlich an allem schuld. Kopfweh? Wetter! Leichter Schwindel? Wetter! Nicht geschafft, einkaufen zu gehen? Wetter! Steuererklärung drei Monate zu spät abgegeben? Na klar: Wetter! Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und gleich die ganze Saison unter Generealverdacht stellen, allerlei Misslichkeiten zu verantworten hat, vor allem an denen, die mit gesteigertem Schlafbedürfnis zu tun haben. Im Frühling ist es die Frühjahrsmüdigkeit, die uns befällt, im Sommer prinzipiell die Hitze, die uns lähmt. Im Winter ist es der Bär in uns, der seine Sehnsucht nach Winterschlaf nicht abschütteln kann, und im Herbst ist eh grundsätzlich alles schwierig (dunkel, nass, grau), so dass die Vorbereitung auf den Winterschlaf uns dann noch den Rest gibt. Es gibt noch einen zweiten Grund, der ins Feld geführt wird von befragtem Personal: Alter. Dagegen möchte ich mich strikt verwehren und recke unter größter Anstrengung meinen gehobenen Zeigefinger als Zeichen exorbitanter Empörung unter der Bettdecke hervor. Alterssymptome? Ich? Niemals! Andere – meinetwegen, aber ich bin im Herzen forever 20 und im Körper ebenso. Es ist halt einfach nur ganz praktisch, sich nur noch 20.15 Uhr-Filme auf den Öffentlich-Rechtlichen anzuschauen, die pünktlich und vorhersehbar um 21.45 Uhr enden und ein Zubettgehen um 22 Uhr ermöglichen. Es ist doch nur sinnvoll, sich mit Freunden ausschließlich am Nachmittag zu treffen, damit es selbst nach großer Ausschweifung problemlos möglich ist, am nächsten Tag pumperlfit zu sein, weil schließlich war man um 20 Uhr zu Hause und um 22 Uhr (danke, ÖR) im Bett. Es ist absolut klug, Unternehmungen jedweder Art mit mindestens einer Woche Vorlauf zu planen, denn so hat man viel mehr Zeit, unter Verweis auf Schläfrigkeit (s.o.) abzusagen anstatt am selben Tag sehr stressig sich erst zu verabreden, dann lange mit der Verabredung zu hadern um schließlich kurzfristig abzusagen. Und wenn man das oft genug so gehandhabt hat, kommt man bald auch gar nicht mehr erst in die Verlegenheit, etwas absagen zu müssen, weil sich ohnehin niemand mehr mit einem verabredet – win-win! Was also soll der Grund sein für diese unendliche Müdigkeit? Ich ahne es: vermutlich mein seltsames Leben als Tradwife, dem ich mich am vergangenen Wochenende hingegeben habe. Aber davon erzähle ich ein andermal. Jetzt muss ich: schlafen.

Freitag, 10. Oktober 2025

Streaming

 

Der Mann ist glücklich. Das ist schön, denn meist bin ich das dann auch, was wiederum gut für ihn ist, weil happy wife, happy life. Prinzipiell. Aktuell geht die Rechnung aber irgendwie nicht auf. Doch während ich noch darüber nachsinne, entwickelt der Mann großen Aktionismus. Kerzen werden nach einigem Gewühl in einschlägigen Schubladen entzündet, das Ambilight ebenfalls. Man braut Kräutertee, unterzieht Teekanne und Stövchen einer eiligen Grundreinigung. Wärmflaschen werden aufgekocht, die schicke leichte Musselindecke wird in denselben Untergrund verbannt, aus dem zugleich wärmende und Heizdecken hervoroperiert werden. „ENDLICH“, schreit der Mann nach getaner Arbeit, „FERNSEHEN!“ und schmeißt sich mit Effet aufs Kanapee, aus dem in einer großen Staubwolke auch noch die letzten feinen Flöckchen Sommer emporstieben. Durch den trüben Dunst erkenne ich eine wedelnde Fernbedienung, die mich fröhlich auf die Couch einlädt … Ich kann die Freude durchaus nachvollziehen und sogar teilen. Draußen stürmt und windet es, Regen verschiedenster Darreichungsform kommt mal von links, mal von rechts und dann plötzlich von unten. Kein Spaziergang ist zu tun, kein Biergarten zu besuchen, kein Garten zu bestellen – ab jetzt wird gefaulenzt und fläzend kontempliert. Über den Sommer haben sich Listen mit Film- und Serienempfehlungen angehäuft, die man jetzt locker abarbeiten kann. Könnte. Denn mit dem einschalten der Flimmerkiste öffnet sich gleichsam die Büchse der Pandora, und ich weiß: In zehn Minuten habe ich Kopfschmerzen, tränende Augen und stehe kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Der Verursacher des Unzustandes? Glasklar: Streamingdienste. Ich kann, das haben wir ja jetzt vielleicht schon mitbekommen, mit Überangeboten nicht umgehen. Deswegen kauf ich lieber im Zwergenladen um die Ecke ein – beim Betreten eines großen Supermarktes erleide ich nach kurzer Zeit einen Schlaganfall, wenn ich nicht direkt verloren gehe. So ist das auch beim Fernsehen, dessen lineare Variante ich stets vorziehe: Es gibt ein Programm, das hat jemand kuratiert, und entweder schaff ich’s pünktlich um 20.15 Uhr zum Samstagabendfilm oder nicht, entdecke dann beim Zappen aber eine wunderbare Doku über die kirgisische Steinmaus und bin zufrieden. Ganz anders das Streaming. „Gucken wir halt mal was es gibt!“ bedeutet nämlich, in wechselnder Reihenfolge sämtliche Angebote zu durchforsten, währenddessen der Unmenge an Diensten gewahr zu werden, die man peu a peu abonniert hat, und nach einer Stunde zwar immer noch keinen Film gestartet zu haben, dafür aber 37 neue Sendungen auf eine Merkliste gesetzt zu haben, an deren Auswahl man sich beim nächsten Mal nicht mehr erinnert und schon geht’s wieder von vorne los … Während der Mann irgendwo ein Fußball entdeckt hat, weine ich ein bisschen und wiege mich in den Schlaf. Das Setting hierfür passt immerhin.