„Alaaf!“ jubilierte der Mann, und „Stimmung!“ schrie die Meute. Die Korken knallten, Peter fasste der Heidi von hinten an die Schultern, um gemeinsam mit dem knallroten Gummiboot das Pferd im Flur abzuholen und nach Lodz zu fahren. Im sektseligen Konfettitaumel wollte jeder die ganze Welt umarmen, lieben und begatten, aus den Ohren quollen Luftschlangen, das Christkind knutschte mit dem Teufel, Dornröschen mit der bösen Stiefmutter und Putin, in Regenbogen gewandet, mit Obama, während die Steuerfachangestellte sich unter wohlwollendem Applaus der Altherrenmannschaft des SV Frühlingen-Chorweiler inmitten des Platzes erbrach. Man reichte ihr ein Taschentuch und einen Kümmerling, und weiter! Arbeiten? Nicht doch, fünfte Jahreszeit, da wird kein Geld verdient, sondern mit vollen Armen ausgegeben, und was dem Olympioniken die Goldmedaille, ist dem Jeck der Milleniumsherpes …
Ich schaltete die Live-Übertragung von Radio Köln ab und blickte aus dem Fenster. Schön grau war’s da, es herrschte alltägliche Betriebsamkeit, und einziger Hinweis auf dieses „Karneval“ waren die Luftschlangen im Schaufenster des Bäckers, mithilfe derer er die alljährliche Krapfen-Box bewarb. Der Franke mag und darf sich gerne vieler Vorzüge rühmen. Ein Jeck zu sein gehört da, vorsichtig gesagt, womöglich eher nicht dazu, und ich möchte wohlreflektiert davon Abstand nehmen, mich nicht als Paradebeispiel zu bezeichnen. Wer nicht das ganze Jahr über als Funkenmariechen den Gardetanz trainiert oder sich aus Colonophilie akribisch mit der Kostümanfertigung beschäftigt, erwacht spätestens dann mit einem großen Schreck aus seiner Verkleidungslethargie, wenn die ersten Fotos aus Veitshöchheim eintrudeln. „Potzblitz!“, denkt man sich dann und schaut den grienenden Oger an, „ist es wirklich schon wieder soweit?“ , weil dass beim Discounter bereits im November die ersten Familien-Verkleidungen zu haben waren, hatte man milde belächelt und alsgleich wieder vergessen.
Es folgen Tage der nachdrücklichen und lautstarken Verweigerungshaltung (heute), ein ironischer Besuch beim „ältesten Faschingsumzug der Welt“, der wie gewöhnlich beweist, dass ein Methusalix nicht zwingend zu den schillerndsten Vertretern seiner Spezies gehören muss, im Schlepptau jedoch hat, was man als teuflischen Bruder des Spaßbremsentums bezeichnen könnte: die Spaßverpassungsangst. Die wiederum panische Besuche in großen Warenhäusern am Rosenmontagnachmittag nach sich zieht, in denen man für ein Schweinegeld ein lustiges Erdbeer-Kostüm ersteht, das im Laufe der folgenden 48 Stunden zu einer Katastrophe in Netz-Optik zerfällt. Was aber wurscht ist, weil man hat ehe man sich’s versieht drei verschiedene Perücken auf dem Kopf, dazu Glitzer in den Ohren und ein geklautes Heman-Schwert in der einen Hand, während man in die andere den 17. Kümmerling gedrückt bekommt. Am Aschermittwoch möchte man dann zwar keinen Nubbel, dafür aber gern sich selbst verbrennen, sobald man im Spiegel des Milleniumsherpes ersichtig wird. Jedes Jahr der gleiche Schmarrn.
Wer’s drauf anlegt, der weiß eh, wo er hinmuss. Alle anderen dürfen ihre Alltagskostümierung hierhin tragen: „Prinzessinnen & Superhelden“ (Bar 77, Luitpoldstraße), „It isn’t happening“ (Zentralcafé, Königstraße), „DESIrene“ (Brückenstraße), „Tics“ (Mitte, Hallplatz), „1 Jahr Smooth Society“ (Rakete, Vogelweiherstraße), „Stereo FM“ (Klaragasse), „Girls on Top“ (360°, Adlerstraße). Selbes Spiel am Samstag: „Buckshot – back to the boat“ (Mississippi Queen, Donaustraße), „Music for friends“ (KKK, Königstraße), „Take off 90s & more“ (Terminal, Flughafenstraße), „Indie, Jack & Rock’n’Roll“ (Resis, Klingenhofstraße), „Kings Clubbing“ (Lui, Luitpoldstraße) und der Brückenschlag zwischen den Gemütern: „Circus Beretton“ (Stereo, Klaragasse) als Aufwärmübung.
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