Freitag, 31. Juli 2015

Verkehr(t)

Seit jeher habe ich mich den südlichen Ländern eng verbunden gefühlt – zumindest, was den Verkehr betrifft. Den mit dem Auto. Man fährt sportlich-elegant, statt Blinker oder Bremse gibt es Hupen, fehlende PS werden durch Wahnsinn kompensiert und Verkehrsregeln milde lächelnd der Kopf getätschelt. Das führt gemeinhin erstens zu zügigem Verkehrsfluss, zum anderen zu maximal erhöhter Konzentration, was wiederum eine passiv-aggressive Fahrweise und damit einhergehend ein weitgehend gesenktes Unfallrisiko zur Folge hat. Mag ich. Davon könnte sich der Deutsche als solcher mal einen Ranken abschneiden. Es gibt da primär zwei Verkehrsregeln, die hierzulande als Richtwert angesehen und darob hoheitlich ignoriert werden, was exakt eine Sache zur Folge hat, nämlich Zwangsentschleunigung und Grant. Die eine ist das gerne innerstädtisch zur Anwendung kommende sogenannte Reißverschlussverfahren. 

Ein Reißverschluss, das wissen wir alle, funktioniert so, dass man unten an irgendeinem Dingsi zuppelt, woraufhin die linke Seite der Häkchen nach oben schnalzt und die rechte an Ort und Stelle verbleibt. Dann muss man weinen und nach der Mama rufen und warten, bis die das wieder richtet. Ganz ähnlich funktioniert das auf der Straße, nämlich frei nach dem Motto „Reißverschlussverfahren ist ein IQ Test, den man in der Öffentlichkeit macht“. Gruppe A wechselt drei Kilometer vor dem ersten entsprechenden Schild aus Gründen des vorausschauenden Fahrens auf die korrekte Spur und verfüllt diese engmaschig, um dann Fahrern der vorbeieilenden und einspuren wollenden Gruppe B durch starren Blick und sofortige Schließung qua beherzten Aufrückens auch der kleinsten Lücke unmissverständlich klar zu machen, dass sie ja nur rechtzeitig die korrekte Spur hätten wählen müssen. Hupen, Auffahrunfall, Stau, alles richtig gemacht. Das andere ist das mit dem Rechtsfahrgebot. 

Dass der Deutsche so verinnerlicht zu haben scheint, dass „rechts“ irgendwie gemeinhin nicht so gut ankommt, hält er sich von der bösen Seite gerne fern. Wegen: Omeingott in fünf Kilometern fährt ein LKW und in 17 noch einer da komm ich NIE WIEDER rechtzeitig raus aus diesem Rechts, also bleib ich lieber in der Mitte oder, noch besser, direkt links mit meinen gemütlichen 118 km/h. Und dann kommt ein böser 135er-Raser von mittelinks, jasageinmal müssens die Leut eigentlich immer so eilig haben, ich lass mich nicht hetzen, und außerdem ist hier 120, da wird man ja wohl nochmal schulmeistern dürfen. Eine formidable Lernstrecke für das, was dann passiert, befindet sich beispielsweise auf der A9 so zwischen, sagen wir mal, Ingolstadt und Roth. Da tät der ADAC die Hände überm Kopf zusammenschlagen, tät er da. Praktischerweise beginnen im gelobten Land heute die Sommerferien, und da bietet sich erfahrungsgemäß viel Zeit zum Üben. Und immer schön blinken, dann wird auch nicht geblitzt. 

Freitag, 24. Juli 2015

Sommerlebkuchen

Vor zwei Wochen war ich seit langem einmal wieder in meiner Eigenschaft als Praktikant der Wissenschaft auf den Straßen unterwegs. Es galt, sich unters touristische Volk zu werfen, um dieses durch geschickte, weil gänzlich unsubtile Fragestellung dazu zu verleiten, sich negativ über die Noris zu äußern. Die Sonne lachte, Nürnberg auch. Mich aus. Nach drei Stunden intensiver Feldforschung hatte ich erstens einen akkuraten Sonnenbrand und zweitens die unumstößliche Bestätigung meiner eigenen heimlichen Überzeugung, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Der Tourist, egal welcher Ethnie, überschlug sich förmlich in Lobgesängen. Allein, das war nicht Ziel der Aufgabe. Ein letztes Mal hob ich an und frug in ein Paar hinein, ob ihm nicht bitte irgendetwas aufgefallen sein, was dem Glanz der Metropole einen blinden Fleck verpassen könnte. Nun, sächselte es mir zu, sie seien ja mit dem Fahrrad hergetourt, und als man so nordwärts die Stadtgrenze passiert habe, da sei ihnen ja dieser Lebkuchengeruch … 

HA!b ich euch!, wollte ich in gehässigen Jubel ausbrechen, doch wurde darin jäh unterbrochen … aufgefallen, und das wäre ja besonders fein gewesen, da habe man direkt mal kurz angehalten, um ordentlich zu inhalieren. „Entschuldigen Sie“, wendete ich mich eilig ab, „mir kam gerade etwas Kotze hoch“, und nestelte an meinem initialbestickten Seidentaschentuch. Nebenan ward in eben diesem Moment von einem lustigen Marktschreier eine Wassermelone entzweit, das war mir wohl bei 30 Grad olfaktorisch ein zu erfrischendes Erlebnis, ich weiß auch nicht. Dieser Lebkuchengeruch. Natürlich hatte das Paar recht. Was kann es schöneres geben, als diesen nelkiggelben Dunst, der sich im höchsten Hochsommer mit dem Smog – den wir hier nicht haben, schon klar, aber so wegen metaphorisch – vereint und in sanfter Duftkorpulenz einem Brautschleier gleich anmutig über die Stadt legt, auf dass der Bewohner frei atmen und sich rechtzeitig auf den baldigen Winter zu freuen beginnen kann! Weil’s ja da eh noch nicht genug, äh, riecht. 

Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, bei 40 Grad im Schatten leichte Düfte wie Gaultier aufzulegen oder solche, die dem eines Vanille-Duftbaums nachempfunden sind, damit jeder andere im Umkreis von 500 Metern flugs das Gefühl bekommt, in eine Plastiktüte zu atmen. Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, mittags schön einen Döner zu speisen, am besten im Bus oder so, dann wird das Mahl nicht so schnell kalt. Weil der Mensch ja findet, es sei für das ganzheitliche Geruchserlebnis förderlich, möglichst viel möglichst organischen Unrat links und rechts und hinter sich zu verstreuen, damit für Fliegen und Amöben auch mal was getan wird. Vor gut zwei Jahren ist es einem findigen Alchemisten gelungen, all diese Eindrücke und freilich noch viel mehr in einen Flacon zu verbannen. Äh Schmarrn, nachzubauen. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit reich geworden ist. Wenn, dann mit Touristen. 

Freitag, 17. Juli 2015

Das Ding mit dem Duden

„Lebenslanges Lernen“ ist ein Konzept, das Menschen dazu befähigen soll, während ihrer ganzen Lebensspanne zu lernen. Quasi. Hab ich gehört. Kann mich damit nicht recht identifizieren, habe schließlich mit dem lästigen Lernen rechtzeitig, will sagen: frühzeitig vor dem Abi aufgehört und den Erfolg dieses Geniestreichs verbrieft in einem staubigen Ordner stehen. Frei nach Pippi Langstrumpf mache ich mir die Welt seitdem widdewiddewie sie mir gefällt, und zwar vorzugsweise die sprachliche. Nun befinde ich mich neuerdings in einer recht ungewohnten Situation. Nämlich der, dass mir, also wirklich, ausgerechnet, ein sprachliches Korrektiv vor die Nase gesetzt worden ist. Derweil andere längst resigniert haben (ich grüße an dieser Stelle meine Oma, meine Redakteure und alle, die mich kennen!), gibt es da plötzlich einen Menschen, der meine eigene Begeisterung über die Flexibilität von Sprache und deren großzügiger Auslegung zu meinen Gunsten aus mir völlig unverständlichen Gründen nicht teilt. Ich mein – grad Deutsch, echt wahr, ich hätte ja auch Englisch lernen können, wenn ich gewollt hätte!

Diejenige aller (mir bekannten, jaja) Sprachen, die so herrlich nach Baukastenprinzip funktioniert, Bestandteile reicht, die man nach Gutdünken zusammenbasteln kann, so dass am Ende ein wunderschönes Wort dabei herauskommt. Das es so vorher nicht gab, mir aber zur Verbildlichung bestimmter Umstände gereicht, für die mir kein anderes Wort einfällt. Man kann das als Faulheit bezeichnen, weil ich könnt ja nach dem passenden Wort suchen. Oder als Ökonomie, weil ich durch die geschwinde Neuerfindung Energie spare, die ich dann für … äh, anderswo halt einsetzen kann. Wer ökonomisch, also faul ist, ist kreativ, und schon wird wieder ein Schuh draus. Auf diese Art purzeln mir Wörter aus dem Baukasten direkt hinein in die Tastatur, und dann stehen da Konstruktionen, deren Sinn sich nach meinem bescheidenen Dafürhalten sofort erschließt – ein Wörterbuch habe ich bislang nicht angelegt, was interessiert mich auch mein Geschwätz von gestern?

Da ich auch so spreche wie ich schreibe, oder umgekehrt, wer weiß das schon, ertönt hier und da mal ein zwischen Verwirrung und Entrüstung schwankendes „Also Katharina, das Wort gibt es doch überhaupt nicht!“, dem ich mit Effet die Standardantwort „Ja doch, jetzt schon, sieht du doch!“ entgegenzwitschere und einen Schluck aus der Pulle nehme. Das neue Korrektiv argumentiert beharrlich anders, nämlich mit den Worten „Also Katharina, das Wort gibt es nicht laut Duden.“ Da muss ich jetzt sagen: Das tut mir aufrichtig leid für ihn. Also für den Duden. Vielleicht sollte ich da mal anheuern. Oder so eine Art Pipeline bauen, von meiner Tastatur direkt in den Duden hinein, und dann wollen wir mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt.

Freitag, 10. Juli 2015

Morgenröte

Besuch letzthin bei älterem Herrn, mit dem ich weitläufig bekannt bin. Tür auf. „Oh, welch bezaubernder Anblick, Sonnenschein! Und diese Urlaubsbräune!“, flötete es italiengegerbt zu mir heraus. „Wie ein Eskimo!“ Ich schenkelklopfte an dem feixenden Senior vorbei ins Haus, um mich auf der anderen Seite im schattigen Nord zusammenzukauern und sanft hin und her zu wiegen. Ich komm nämlich mit der Situation nicht mehr klar. Seitdem ich denken kann, begegnen mir Menschen mit unverhohlenem Neid auf meinen Hautton. Richtiger ist wohl eher „mit schlecht verpacktem Neid“. Daher kommt der nämlich in einem Gewand, das an Kreativität seinesgleichen sucht. Es beginnt im Frühjahr, so im März, wenn ich mich langsam aus dem Rollkragen heraustraue. So schnell schau ich gar nicht, und ich hab Fremdmenschenfinger auf meinem Dekolleté, die darauf herumstupsen und die entstehenden hellen Punkte auf vornehmem Rotschimmer als eindeutiges Zeichen für „Na du warst aber auch schon in der Sonne, he?“ identifizieren. Das ist der Beginn des alljährlichen Reigens meines persönlichen Sommer-Bingos. 

Ob ich Urlaub am Nordpol gemacht habe (10 Punkte), ob ich gestern wohl im Park war (5 Punkte), ob ich nicht langsam mal aus der Sonne gehen sollte (5 Punkte), ob ich nicht vielleicht eher so der helle Typ wäre (20 Punkte) … Bin ich nicht! Ich bin prinzipiell schon eher so der südländische Typ. Halt der südschwedische. Das merkt man schon allein daran, dass ich problemlos stundenlang in einer Mittagssonne liegen kann, bei der jeder weicheirige Italiener längst in den Siestakeller verzogen wäre. Dass meine Noblässe dabei vergleichsweise hurtig den Farbton sinnlicher Klatschmohnfelder annimmt, gründet sich auf der naheliegenden Erklärung „Rot ist mein Braun!“ Dagegen hilft übrigens auch nicht, mich mit LSF 130 in eine weiße Glitschmade zu vercremen. Ich bräune nicht, ich röte, und das ist mir allemal lieber als das Schicksal einer Bekannten, die ebenfalls mit milchweißem Teint gesegnet ist, sich nach dem intensiven Sonnenbad jedoch äußerte, es wundere sie eigentlich nur, dass sie nicht noch mehr ausgeblichen sei. 

Man soll ja schließlich hernach sehen, dass man was getan hat. Dieses Schicksal teile ich mit vielen Menschen, die sich einer steten Diskriminierung ausgesetzt fühlen, die genährt wird vom Neid der tiefbraunverbrannten Erben alter Feldarbeiterdynastien. Ich hingegen, die ich niederbayerischem Bauernadel entspringe, kann auf heller Haut rote Muster kratzen (Dermographismus, eine bislang unentdeckte Kunstrichtung!) und auf rotem, weil gutdurchblutetem weil pumperlgesundem Dekolleté in hell meinen Namen schreiben. Das könnt ihr nicht. Ihr könnt dereinst die Narben eurer Melanome zu Sternbildern verbinden, die ihr vom Nachthimmel abmalt, den ihr sommers zum besten Freund macht, weil ihr euch tagsüber tunlichst im UV-freien Keller vergraben werdet. So! Und jetzt geh ich Haare blondieren und mich dann in die Mittagssonne legen, damit ich am Wochenende meinem Spitznamen „Pommes rot-weiß“ gerecht und all euren neidgeschürten Spitzen salbungsvoll begegnen werde. Vielleicht mal‘ ich mir auch einen Mittelfinger ins Dekolleté. Zur Sonntagmorgenröte hat ja vermutlich auch noch kein Mensch gesagt, dass sie sich doch vielleicht lieber mal einschmieren soll. So!

Freitag, 3. Juli 2015

Dummenkunst

„SYMMETRIE IST DIE KUNST DER DUMMEN!“ schreie ich wild, springe mit Effet auf die Matratze in Eichefurnier und axte mit dem Flammenschwert Kugelleuchten zu Boden und Nachtkästchen entzwei, um anschließend das Landschaftsbild in Brand zu setzen. Schon geht es mir besser. Dass hierwegen drakonische Strafen bis hin zum Hausverbot im Möbelladen drohen, hat der gute Karl Clauss Dietel wohl nicht bedacht. Ich schon, deswegen eskaliere ich nur theoretisch. Leider. Seit jeher werde ich nervös beim Anblick allzu akkurater Wohnarrangements. Werden mir stolz neue Einrichtungen präsentiert, in denen alles lasergenau mittig ausgerichtet ist, überkommt mich das dringende Bedürfnis, hineinzuschlüpfen und einem Möbel einen Stoß zu versetzen, huschhusch, hinaus aus der Symmetrie. 

Es macht mich kirre, wenn Menschen Gegenstände auf Kante ausrichten, parallel die Tischdeko, die mich öde angrient und nachgerade dazu herausfordert, ihr irgendwo eine Unordnung unterzujubeln, und Wandbilder, die mit dem Türrahmen abschließen, bereiten mir Schweißausbrüche. Keine Ahnung, warum das so ist. Kann sein, weil die meisten Menschen eine echte Symmetrie nicht bewerkstelligen können, was zur Folge hat, dass sie immer um Haaresbreite danebenliegen, was mir wiederum die Optik brechen lässt. Diese Symmetriephobie, die macht, dass ich allein beim Anblick eines Mittelscheitels Schüttelfrost erleide, ist jedoch semipermeabel und tritt gerne spontan nach mir weitgehend unerschließbaren Mustern (!) auf. Während ich also in bestimmten Bereichen automatisiert nachdrücklichen Wert auf ein Ungleichgewicht lege (Frisur, Körperschmuck, Dekoration), gibt es andere, in denen ich mich höchstselbst zur Weißglut bringe. Vornehmlich lebensmittelproduzierende Tätigkeiten jedweder Art. 

Ich leide wie ein Hund, bin ich gezwungen, jemandem dabei zuzusehen, wie er achtlos und bar jedes Ausgeglichenheitsgefühls Zutaten auf eine Pizza wirft. Ich möchte gerne jedes Schinkeneckerl abzählen, jede Pepperonischeibe wiegen, jeden Milliliter Soße messen, damit auch ja alles eine rundum ausgewogene Mischung ergibt. Bewirft der Mensch den Teig mit Dingen, muss ich mich zwingen, nicht ständig hineinzugreifen und eine Ordnung herzustellen. Krieg ich einen Kuchen nicht so aufs Blech gezimmert, dass alles gleichmäßig verteilt ist, möchte ich ihn am liebsten entsorgen, und Lasagnebesoßungseinwände wie „Das verteilt sich doch dann im Ofen!“ kann ich unmöglich gelten lassen. Nicht auszudenken, es verteile sich NICHT im Ofen! Das ist freilich nicht fair gegenüber dem Einrichtungshaus als solchem, das schließlich nichts dafür kann, dass es keine Pizza ist. Aber die Rede war ja nicht von Gerechtigkeit, damit hab ich nun wirklich nichts am Hut.