Freitag, 23. März 2018

Pfeifenkragen

Schönen guten Morgen! Es ist Freitag, der 82. Januar, und wie jedes Jahr um die Zeit erleben wir gerade den hartnäckigsten Winter der Weltgeschichte mit dem winzigen Ausreißer, dass am Wochenende die Uhren umgestellt werden, was schön ist, kann doch ab sofort abends eine Stunde länger bei Tageslicht Schnee geschippt werden. Außerdem sieht man sich nicht so schnell satt an lästigen Krokussen, Narzissen oder gar Forsüzien, die einem mit ihrer aufdringlichen Farbgebung das satte Graubraun versauen, und die Ostereiersuche im Gemeinschaftsgarten gestaltet sich gleich auch viel aufregender, wenn nicht umgehend eindeutig geklärt werden kann, ob der süße Nachwuchs grade wirklich ein Schokoladenei aus dem Schnee gebuddelt hat. Einen weiteren Umstand, den ich persönlich sehr begrüße, ist die anhaltende witterungsbedingte Möglichkeit, Feldstudien auf dem Gebiet der Modesoziologie durchführen zu können. Nein, keine Bange, ich sorge mich längst nicht mehr um freiliegende Jungfrauen- und -männerfesseln, die meinen bis zu den Oberschenkeln in Angora verpackten Füßen leuchtend weiß den Weg weisen. Das hat bestimmt irgendeinen evolutionären Vorteil. Vielmehr erfreue ich mich an der modischen Prämisse, dass alles wiederkommt. „Die Grenze zwischen Hipster und Alter Mann“, philosophiert eins neulich, „ist ja fließend.“ Der Winter war kurz eingenickt, es herrschte Frühlingsahnung, und ganz Nürnberg war am Place-to-be, um zu beweisen, dass es über die letzten Monaten zwar nicht den Bierdurst, wohl aber den Verstand verloren und Sehnsucht nach einer schönen Blasenentzündung entwickelt hatte. Ein Herr durchschritt die Massen, gehüllt ins schönste Physiklehrergewand, und man konnte ihm nur wünschen, dass er den Moment nicht verpasst, in dem aus der ironischen Modefinte trauriger Ernst wird. Sehr viel begrüßenswerter finde ich die längst vollzogene Abkehr aller Trendbewussten vom allzu frivolen Futurismus der Laufstege hin zu einer geschichtsbewussten Haltung, wie sie überall auf den Straßen zumal im Winter seit einiger Zeit beobachtet werden kann. Schmales Bein und ausladendes Oben, dazu ein Bärtchen – und fertig ist die Reminiszenz an die Renaissance. Obgleich zu meinem Bedauern der Pfeifenkragen bislang noch nicht zurück in die Gassen gefunden hat, so ist das bemerkenswerte Geschichtsbewusstsein doch unübersehbar, das vom Kopfsteinpflaster auf die Chörlein schallt und ruft „Schau nur her, du Welt, ich bin Pirckheimer, Celtis, Stoß, und Dürer, vor allem bin ich Dürer, wir sind alle Dürer, und deswegen müssen wir Kulturhauptstadt!“ Ein Zusammenhalt, der mich zu Tränen rührt. Wenn jetzt auch noch das wundervolle Wort „Wams“ Rückeinzug halten könnte, wär ich überglücklich. Nein halt, nicht ganz. Sondern erst, wenn auch die Frauen sich auf die Historie rückbesönnen. Ich empfehle in diesem Fall die Epoche des Rokoko mit Maria-Antoinette’scher Hochfrisur, weitem Rüschenkleid und Tournüre mit matratzengroßen Polstern überm Hintern. Da fühlt man sich beim Schneeschippen auf vereisten Frühlingstraßen doch auch gleich viel sicherer. En garde! 

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