Freitag, 20. Dezember 2024

Weihnachtswunder

 

Weihnachten ist die Zeit der Wunder. In der Bibel ereignen sich hier die größten Erstaunlichkeiten, und das will was heißen in diesem fantastischen Buch der Bücher, und bis heute feiern wir hierzulande Wundersames wie sprechende Tiere, jungfräuliche Geburten und Engel. In Tschechien sagen halbierte Äpfel die Zukunft voraus, in Griechenland in Broten versteckte Münzen. In Polen vereinen nicht nur zwölf für die Apostel stehende Gerichte die Menschen am Tisch, sondern auch eine Versöhnungsoblate, und in Spanien hat sich mit „El Gordo“, der traditionellen Weihnachtslotterie, schon für manch einen ein unverhofftes finanzielles Wunder ereignet. Während in den nördlichen Ländern allerlei Wichtel und klandestine Völkchen ihr emsiges, wundersames Schaffen verrichten. Zahlreiche Sagen und Legenden ranken sich um die weihnachtlichen Wunder, die grantige Herzen öffnen und dem Zwiderwurz das Lächeln vielleicht doch ein bisschen lockerer sitzen lassen auf dem verkniffenen Mund, obwohl vielleicht auch Einsamkeit und Verzweiflung dieser Tage umso hartnäckiger sich selbst einladen als ungebetene Gäste, die hernach auf Stühlen kleben und auf Sesseln und Orte mit Schweigen füllen und Beklemmung. Mein großes, größtes Glück und Weihnachtswunder ist darum tönend laut. Es hat fünf Köpfe oder manchmal neun, gelegentlich noch mehr. Mein Weihnachtswunder ist ein Gscheidhaferl, ziemlich alt und grade erst geschlüpft, kann streiten wie die Büchsenmacher und lachen und jauchzen, dass sich die Bäuche krümmen und die Wände gleich mit. Es kann einem auf die Nerven gehen wie sonst kaum etwas auf der Welt und trägt dabei unter jedem Arm ein großes Paket Güte und Freundlichkeit, Loyalität und Verlässlichkeit. Mein Weihnachtswunder ist klug und albern, gebildet und kindisch, es treibt mich in den Wahnsinn und nimmt mich in feste Umarmungen selbst dann, wenn ich mich dagegen wehre. Wie jedes Jahr hat das Weihnachtswunder sich in die nadligen Haare bekommen über Menüfolgen und Zubereitung. Wie jedes Jahr hat es sich beim Thema Baum selbst übertroffen (zwengs Nachhaltigkeit Reaktivierung des ersten jemals hergestellten Kunststoffbaumes nach archäologischer Grabung in Garagen und Kellern, Feststellung der Untauglichkeit desselben aufgrund Mäusebefalls, gottlob in anderem Lager aufgrund Mengenrabatts damals erworbene weitere Exemplare der selben Charge unversehrt, Heilig Abend gerettet). Wie jedes Jahr wird sich mein lärmendes, wuselndes, ganz und gar unerhört auf- und liebreizendes Weihnachtswunder für viele Stunden an einem Tisch einfinden und sich als meine Familie entpuppen, und ich freu mich so sehr. Wenn ihr eine Familie habt, verwandt oder nicht, haltet sie fest. Und wenn ihr Menschen kennt, die niemanden haben zum Festhalten, so ladet sie ein und beschert ihnen ein Wunder. Schwelgt, lacht und liebt! Frohes, fröhliches Fest euch allen!

Freitag, 13. Dezember 2024

Adventstraditionen

 So wie man im Sommer grillen und baden gehen muss, gibt es im Advent Dinge, die unbedingt dazugehören (vgl. Du-Du-Liste, die; oder: Erledigungen, die). Man muss beispielsweise feststellen, dass man immer noch keine ordentlichen Christkindlesmarkt-Schuhe hat. Man muss sich erinnern, dass es einen Trick gab, wie der Adventskranz nicht so schnell nadelt, aber man weiß nicht mehr, welchen. Man muss mit sehr vielen Menschen ausmachen, gemeinsam Plätzchen zu backen, um dann erneut zu bemerken, dass gemeinsam Plätzchen zu essen in Wahrheit doch die schönere Tätigkeit ist. Auch muss man über ein Weihnachtsessen diskutieren und damit zwingend einhergehend die immer gleichen Gespräche über Veganer, Pescetarier, Clean Eater und Flexitarier führen und warum man nicht wie andere Leute auch einfach einmal Würstel mit Kartoffelsalat haben könnte. Man muss fürderhin zu Beginn es Advents „super rechtzeitig“ sehr viele Weihnachtskarten kaufen, um die dann mit jedem abgerissenen Kalenderblatt ein Stück weiter vor sich herzuschieben, um dann im allerletzten Moment, nämlich dann, wenn sogar die Tagesschau über die Überlastung der Post spricht, hastig zu schreiben und persönlich auszuliefern. Und man muss Weihnachtsfilme gucken. Hierbei sind die Präferenzen diskutabel; zum Beispiel findet der Kretin von (m)einem Mitbewohner, Chevy Chase‘ „Schöne Bescherung“ von 1989 sei der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten, derweil ich mich hierbei an die ungefähr schrecklichsten und längsten 90 Minuten meines Lebens erinnern kann, die mich mit Kopfschmerz, Augenweh und bodenloser Verzweiflung malträtiert hatten. „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ ist laut neuester Lesart nicht die erste seichte RomCom, sondern ein frühfeministisches Machwerk aus dem woken Spektrum. Und „Tatsächlich … Liebe“ ist und bleibt derjenige Film, der mein hartes Herz innerhalb fünf Minuten zum Schmelzen bringt und mich, die ich sonst nie auch nur eine Träne vergieße außer beim Zwiebelschneiden, derart aus der Fassung, dass ich eineinhalb Stunden durchheule. Ok das war gelogen, ich heul eigentlich schon bei Katzenbabys in der Werbung. Ganz falsch kann ich nicht liegen, denn selbst der Kretin, den ich dieses Jahr aus „Rache“ für „Schöne Bescherung“ zum Mitschauen zwang, hatte gelegentlich etwas im Auge, und so lagen die zwei ältlichen Leutchen also auf dem Kanapee und weiten vor Mitgefühl, Zorn, Abscheu und vor allem Rührung, während der Adventskranz den Tisch und Mamas Plätzchen das Sofa vollbröselten. In dem Film wird nebst vieler anderer Weisheiten aus dem Leben eine ganz besondere in die Welt gesetzt, die ich sonst in keinem anderen Zusammenhang finden konnte, aber dafür nicht weniger nachahmenswert halte: „at Christmas you tell the truth“. Ich würde das gerne in den Reigen der Adventstraditionen aufnehmen. Was haltet ihr davon? 

Freitag, 6. Dezember 2024

Erledigungen

 Ich hatte kurz mit dem Gedanken geliebäugelt, einfach den Text von neulich noch einmal zu präsentieren aus dem tagesaktuellen Grund, euch hilfsbereit eine Anleitung oder Anregung für den heute Abend bevorstehenden Besuch des Nikolaus zu geben sowie die Frage zur Disposition zu stellen, ob der Krampus eigentlich zeitgemäß und mit heutigen pädagogischen Prinzipien vereinbar ist oder eher nicht so richtig und ob im gottlosen Franken überhaupt ein Nikolaus zu erwarten ist oder ob’s nicht eh wurscht ist, wer da abends klingelt, der Amazon Over-Night-Bote oder ein himmlischer Gesandter, Hauptsache, er rückt irgendwas raus, das sich anfühlt wie Geschenke, und ob so gesehen das Kind von heute eigentlich imstande ist, den Nikolaus als solchen zu erkennen oder ihn nicht eh für eine Art DHL-Zusteller hält und entsprechend einfach nur beim Türe öffnen die Hand ausstreckt nach einem Packerl und die Türe dann sogleich wieder zuwirft noch bevor der Nikolaus sein „Von drauß vom Walde …“ aufgesagt hat, und dann stehen der Nikolaus und der Krampus vor der Tür im Treppenhaus und schauen recht verdutzt, und ob sich da nicht vielleicht eine Art Marktlücke aufmachen tät wo man Nikolaus und Lieferando geschickt kombinieren kann und wie schön das wär, wenn heut Abend kreuz und quer durch die Stadt weißbärtige, rotwehende Nikoläuse mit würfelförmigen Säcken auf dem Rücken durch die Stadt radeln und als Geschenk geschmückte Pizza ausliefern würden. Aber dann bin ich gedanklich irgendwie abgeschwiffen und frag mich jetzt, ob es eigentlich eine tiefere Bedeutung hat, dass im Wort „Klamotte“ die größte Feindin derselben schon mitdrinsteckt und ob es fast beinahe schon prophetisch anmutet, statt „Besorgungen“ zu machen von „Erledigungen“ zu sprechen, weil man genau weiß, dass man hinterher, also wenn man zueende ist mit der Erledigung, fix und fertig ist, sprich: erledigt, und ob entsprechend „Weihnachtserledigungen“ nicht eigentlich ein Pleonasmus ist, weil in beiden Wörtern das selbe Ergebnis steckt irgendwie, und dass ich mich gefreut hab, dass neulich die Nachrichten gesagt haben, die Händler in der Innenstadt wären hochzufrieden mit den Geschäften zur Adventszeit, weil ganz wundersamerweise grad direkt im Umfeld von Weihnachtsmärkten würde sogar ganz besonders spezialviel erledigt, sprich: gekauft, und dann hab ich mich erinnert, wie viel besser das Erledigen doch funktioniert, wenn man ein bis fünf Tässchen Glühwein genossen hat und dann reißt du einfach schwungvoll die nächstbeste Haushaltswarengeschäftetür auf und das halbe Regal gleich mit um und kaufst 20-mal das gleiche Käsemesser oder Topflappen oder was weiß ich, weil es fühlt sich einfach absolut richtig an ... Naja, und dann ist alles ganz anders geworden. 

Freitag, 29. November 2024

Adventskalender

Heute wird es, pünktlich zur staden Zeit, leiser bei mir als letzte Woche. Denn es liegt vor mir ein stiller Adventskalender. Er zeigt den weltallerberühmtesten Markt nebst dessen noch berühmterem Host, dazu Buden, Kinderlein sowie Herren und Frauen und hat, wie jeder anständige Adventskalender, 24 Fensterln, hinter denen sich allerlei Begehrlichkeiten befinden. Im Gegensatz zum weitverbreiteten Standardmodell jedoch keine kalorischen in Form von zu Kerzlein, Englein und Bäumlein gegossene Schokolade zweifelhafter Qualität, bei denen es schon vorgekommen sein soll, dass Menschen in schwachen Momenten wie beispielsweise nach Weihnachtsfeiern oder Glühweinverkostungen sie allesamt auf einen Streich herausgepresst und gierig verschlungen haben und am nächsten Tag nur schwierig erklären konnten, warum am 5.12. eigentlich schon alle Adventstürchen aufgebrochen und geleert worden sind … Ähm, genau, keine kalorischen, sondern solche mit meisterlichen Gewinnen dahinter. Ich weiß das schon, weil ich hatte das Vorjahresmodell ebenfalls daheim und mich 24 Tage lang gewundert, wie es sein kann, dass ich schon wieder nichts gewonnen habe, inklusive Verdachtsäußerungen beim Veranstalter ob eines möglichen Zahlenfehlers auf meinem Exemplar, also wirklich! Jedenfalls war ich über den ganzen Advent hinweg ganz vortrefflich täglich beschäftigt und habe sowohl Vorfreude aufs Fest als auch Zorn sukzessive steigern können. Ich freue mich also auf die kommenden Tage: hinter jedem Türl eine neue Enttäuschung, wie wundervoll! „Aber es ist doch für den guten Zweck!“ ruft man empört und ich sag: Ah geh bitte guter Zweck! Der gute Zweck ist einzig, mich in meinem pathologischen Spätinfantilismus zu bestärken und mir mit liebevoller Hand feinziselierte Geschenkchen, Botschäftchen und Liebesbeweischen in bunte Säcklein einzunähen. Was ich nicht müde werde, zu fordern. Was zur Folge hat, dass sich da jetzt offenbar eine Phalanx des Widerstandes gebildet hat, die mir das Gewünschte unter dem Motto „Jetzt erst recht – nicht!!“ demonstrativ verweigert. Dabei will ich doch gar nicht viel! Gut, im tiefsten Inneren meiner als linksintellektuelle Verzichtsperson verkleideten neoliberalen Kapitalistenseele begrüße ich selbstverständlich die Entwicklungen der letzten Jahre weg vom Schokowürfelchenkalender hin zum Trend, 24 ausgewachsene Großgeschenke im Gesamtgegenwert eines Kleinwagens in ausufernden DIY-Kunstwerken präsentiert zum Advent zu überreichen. Ganz ehrlich: Wenn du so eins übrig hast und nicht weißt wohin – bring’s vorbei, sag ich nicht nein, kein Ding. Aber unter uns: Es reicht mir ja der Thrill, Morgen für Morgen nicht zu wissen, ob mich im Schleifensackerl ein em-Eukal erwartet, ein Teelicht oder ein Mini-Rittersport … Was hab ich jetzt? Nur noch Thrill.  Sollte ich gewinnen: Ich teile nichts! 


Freitag, 22. November 2024

Soundmaschine

 

WAUWAU! … Fanfarengetöse … Jubel … BUUUUURPS! … Vor mir liegt ein kleiner grüner Kasten. Er hat handschmeichelnde Größe, viele kleine gelbe Knöpfe wie ein prächtiges Schifferklavier, nur dass aus diesem wenn man ein bisschen mit Sinn und Verstand darauf herumdrückt, gar herrliche Klänge tönen. Aus meinem Kästchen, da kannst du noch so viel Verstand und Expertise haben, kommt ausschließlich und gemessen an der Winzigkeit des Lausprechers ausgesprochen laut: ein Unton nach dem anderen. Das Kistl kann Klospülen (Toilet Flush) und wie ein Zahnarztbohrer (Dentist) klingen, es kann der traurigste, grusligste Leierkasten sein (Circus) und markerschütternd weinen wie ein Baby (Baby). Es kann garstig lachen (Witch) und gruselige Aliengeräusche machen (Sci-Fi), und es kann einen vor allem stets aufs Neue überraschen, weil die hilfsbereiten Geräuschsbeschriftungen an den kleinen Knöpfen so wenig aussagekräftig sind, dass man sich einfach nicht merken kann, was einen dabei erwartet: Drückt man „Charge“, ertönt ein dröhnender Fanfarenapell, bei „Achooi“ ein markerschütterndes Niesen und bei „Whoopee“ ein prächtiges Flatulat. Ich würde furchtbar gerne behaupten, ich wüsste nicht, wie ich in den Besitz des kleinen Spaßgeräts gekommen bin, doch leider weiß ich es sehr genau. Allein was richtig ist: Ich bin unschuldig. Schuld ist ein Baby! Dieses krümelte vor vielen Monaten auf einem Küchenboden herum, während Erwachsene anständig am Tisch saßen und Konversation betrieben. Diese wurde gelegentlich unterbrochen durch die Beiträge des Kindleins, das seine Zustimmung oder Abneigung zum geäußerten Gesprächsinhalt erstaunlich passend durch heiteren Jubel oder traurige Trompetentöne äußerte. Nach einiger Zeit entdeckten wir unter dem Knaben ein elektronisches Spielgerät, welches von größeren Kindern dort hinterlassen war und im Sinne einer Lernhilfe falsche und richtige Antworten mit einem entsprechenden Laut der Freude oder Enttäuschung quittierte. Ich war hingerissen. Dieses Gerät, befand ich, wollte ich fortan bei allen offiziellen – ach was: bei ALLEN Gesprächen bei mir tragen und mich nurmehr äußern durch Drücken der entsprechenden Knöpfe. „Frau Wasmeier, kommen Sie bitte in mein Büro!“ – „(Knopfdrück) Oh-oh!“ – „Frau Wasmeier, Sie bekommen eine Gehaltserhöhung!“ – „(Knopfdrück) DA-DADA-DAAAA-DA-DAAAAA!“ … Leider durfte ich die Soundmaschine nicht entwenden, und so verließ ich diesen grausamen Haushalt in der traurigen Gewissheit, mich fortan doch nicht lästiger Unterhaltungen durch lustiges Knöpfedrücken entziehen zu können. Bis Post von der Freundin kam: „Schatz, ich habe was für dich gefunden. Viel Spaß damit!“ Seitdem drück ich wann immer es beliebt gelbe Knöpfe statt zu sprechen. Ob ich die Kolumne schon fertig habe? „BUUUUUUUUURPS!“

Freitag, 15. November 2024

Pelzmärtel vs. Nikolaus

Den ersten der vier Endgegner im Jahresgame haben wir also vor ein paar Tagen erfolgreich hinter uns gebracht. Wir haben uns verkleidet, betrunken, gebastelt und furchtbar gefroren, aber was sein muss, muss sein: Karnevalsbeginn! Ach nein Quatsch, das haben wir ja hier gar nicht, aber dafür am gleichen Tag das gleiche Prozedere vollzogen, nur nicht zu Ehren des St. Karneval, sondern des St. Martin, vulgo: Pelzmärtel. Ich als waschechte Arbeitsmigrantin zweiter Generation mit niederbayerisch-katholischem Kulturhintergrund fand eure fränkische Idee vom freundlichen Gutzerlbringer im roten Gewand schon immer prima. Spezialprima schon allein deswegen, weil er knapp vier Wochen vor dem Nikolaus vorbeikommt, im Gegensatz zu diesem seine Gaben still und höflich des Nachts in vor die Tür gestellte Gummistiefel legt (und allein dadurch schon seine außerordentliche Tapferkeit beweist, ich mein, wer versenkt denn freiwillig seine Hand in einen getragenen Gummistiefel?) und dafür noch nicht einmal etwas erwartet. Der Nikolaus derweil: Angstgegner! Und Feigling noch dazu, weil traut er sich im Gegensatz zum lieben Martin nicht alleine unters Volk, sondern zieht gern einmal die Begleitung einer echten Gruselperson vor, die Hörner hat und Glutaugen, Tierfüße und eine Rute, und wehe du warst unartig als Kind, dann ist der Krampus ganz schnell dabei mit einem Schimpfgesicht … Großeltern, Freunde und Familie versammeln sich also am Nikolaustag, so dass dem Kind (mir) direkt klar ist: Jetzt wird’s ernst, und dann klingelt’s und herein kommt ein riesiger Mensch in einem Mordsgewand mit einer meterhohen Haube auf dem Kopf und einem Wahnsinnsspazierstock und dann Flüstern und Stille und schließlich zerrt dich eine Mutterhand unter dem Kanapee hervor, wo du zitternd liegst und panisch dein Gedicht zu memorieren versuchst, das du extra für jetzt hast lernen müssen, weil du weißt: Erst schlägt der Nikolaus im Goldenen Buch die Notizen über deine Artigkeit nach, und o weh, wie gut der immer informiert ist, und dann erfolgt ein kläglicher Besänftigungsversuch lyrischer Natur, darauf bist du vorbereitet. Und dann schiebt man dich in bedrohliche Nähe zu dem Fremden, und noch bevor du den Gedanken „Verrückt, der hat die gleichen Schuhe wie Onkel Uli!“ formulieren hast können, sagst du plötzlich hübsch vernehmlich wie geübt „LIEBER GUTER NIKOLAUS, ZIEH MAL DEINE HOSEN AUS!“ und dann Gelächter und Schimpfen und Tränen und gar kein Krampus aber trotzdem Geschenke … Nicht einfach. Deswegen: Pelzmärtel. Der hat zudem ein Pferd statt teuflischer Sideshow und außerdem im Gegensatz zum Nikolaus, der halt irgendwie Truckerfahrer war oder was mit Limo oder sowas in der Art, eine endscoole Heldenstory.

Freitag, 8. November 2024

Du-Du-Liste digital

 

Vor genau 18 Monaten habe ich euch von der „Du-Du-Liste“ erzählt, die der Mann und ich als großformatiges Poster und niemals schweigende Anklage stillen Vorwurfs in der Wohnung installiert haben, auf dass noch der letzte ruhige Moment des Durchschnaufens auf dem Kanapee empfindlich gestört werde durch die niedergeschriebene Zumutung all sämtlicher zu verrichtender Tätigkeiten, die gemeinhin als „Leben“ betrachtet werden, und deren unverzügliche Ausführung erstaunlich beruhigende Auswirkungen auf den Hausfrieden (mich) hat. Woher ich weiß, dass es genau 18 Monate sind? Naja. Es ist dort zu lesen: „Sommerreifen!“, „Jacken & Schuhe!“ sowie „Balkon!“, wobei das „Sommer“ durchgestrichen und durch „Winter“ ersetzt worden ist. Nachdem wir diese Situation jetzt gerade wieder haben, die Liste an der Badezimmertür aber garantiert seit Monaten niemand mehr angefasst hat. Die Entwicklung war gewissermaßen vorhersehbar und vollzog sich dergestalt, dass erst aufgeschriebene Punkte abgearbeitet worden waren gemäß persönlichem Gusto und Widerwillen, die sehr ungeliebten Aufgaben also erst einmal eine Depriorisierung erfahren mussten. Damit es nicht so auffiel, dass „KELLER AUFRÄUMEN!!!“ zwar ganz oben und rosa angemalt die Liste beherrschte, gewöhnte man sich dann an, Dinge, die man ohnehin hätte tun müssen, zu erledigen, auf die Liste zu schreiben und sie dann im selben Zuge durchzustreichen und stolz die verrichtete Arbeit zu präsentieren: Schau wie fleißig ich bin! Deswegen steht auf der Liste zwar immer noch „KELLER AUFRÄUMEN!!!“, dafür aber ein paar Zeilen weiter unten „Steuer“. Immerhin. So viel also zur Genese der „Du-Du-Liste“, und es rührt mich, dass niemand sie abhängt, sondern das Opus für alle Zeiten als Denkmal des Scheiterns und Ausbleibens organisatorischer Skills an der Türe hängen bleibt. Doch man war ja nicht untätig in der Zeit, sondern hat sein Heil in der Moderne gesucht. Und die Moderne bringt digitale, multifunktionale, gemeinsam zu bearbeitende und noch dazu bunt zu gestaltende Listen im Handy – lauter Eigenschaften, deretwegen einzelne Zugehörige dieses meines Haushaltes dieser Technik umgehend verfallen sind und mich seitdem bedrohen. Lagen früher hier da vereinzelt harmlose Zettelchen herum mit achtlos hingeworfenen Notizen über zu schauende Filme, zu lesende Bücher, zu ordnende Haufen oder zu erledigende Erforderlichkeiten aus der Welt der Erwachsenen (Steuer!), die man hier und da einmal entdeckte, weil sie von einem Windstoß aufgewirbelt wurden und man sich dann für Ausführen oder Ignorieren oder gar Wegschmeißen entscheiden konnte, schreit mich jetzt mein Telefon mehrmals täglich an, um mich auf eine der drei oder siebzehn oder keine Ahnung wie viele Listen aufmerksam zu machen, für die ich in irgendeiner Form zuständig sein soll. Ich hoffe, ihnen widerfährt das gleiche Schicksal wie dem Türenzettel.