Freitag, 21. November 2025

Nürnberg leuchtet

 

Yippie Yah Yei ihr Schweinebacken! Endlich ergibt alles einen Sinn. Die klirrende Kälte, die macht, dass man sich plötzlich sehr für die Erfindung „beheizbarer Mantel“ interessiert und nicht so sehr für nachmittägliche Spaziergänge. Die Lebkuchen, Schokonikoläuse, Spekulatiuspackungen und Dominosteine, die uns seit August aus den Supermarktregalen hinterhältig angrienen und die zu erwerben oder gar zu verzehren wir uns seitdem hartnäckig geweigert haben. Die 17 offenen Tabs am PC, die mein verzweifeltes Suchen nach „Tageslichtlampe“ und „beheizbares Fußkissen“ bezeugen. Das nagende schlechte Gewissen, ob es, wirklich jetzt schon in Ordnung ist, die Heizung ein kleines bisschen weiter aufzudrehen. Die schaurige Dunkelheit, die Menschen (mich) zum sofortigen Darniederlegen zwingt (nebst schauriger Erkenntnis, dass im Bürokomplex gegenüber gar nicht ausschließlich wahnsinnige Highperformer arbeiten, sondern es nicht wie vermutet mitten in der Nacht, sondern grade mal 17 Uhr ist). Die zahlreichen Tipps zum Basteln der meisterlichsten Laternen, die meinen Instgram-Feed fluten. Und der Umstand, dass in meiner Familie bereits ein-, zweimal das Lieblingsthema „Wie machen wir’s eigentlich an Weihnachten?“ touchiert worden ist. Alles, was grade noch völlig sinnbefreit erschien, leuchtet mir urplötzlich ein. Und das im wahrsten Sinn des Wortes, denn: Nürnberg leuchtet! Ganz besonders leuchtet es bei mir vor der Haustür. Überall auf der Welt sitzen gerade vermutlich Agenten verschiedenster Geheimeinrichtungen vor ihren Satellitenbildern und wundern sich. Nanu, denken sie, was ist denn das hier für ein heller Fleck? und zoomen weiter, immer weiter hinein in die von Düsternis gezeichnete Welt. Inmitten des schönsten Mitteleuropas leuchtet es strahlend, der Zoom zeigt Deutschland, Bayern, Franken, Nürnberg, und urplötzlich irgendwo zwischen Rathenauplatz und Stadtpark einen Feuerwehreinsatz! Oder ein schweres Polizeiaufgebot? Anders können sie es sich nicht erklären, dass dort auf einmal die wildesten Lichter zu sehen sind. Sie versuchen, die Morsezeichen im heftig blinkenden Grell zu dechiffrieren, doch keine Chance. Handelt es sich vielleicht um Deutschlands größte Disko, die mal kreischend orange, dann ampelgrün, auf einmal alarmsignalrot und dann wieder neonblau erscheint? Hat sich da jemand eine private Flugzeug-Landebahn gebaut, die es sogleich zu melden gilt? Ach nein, liebe Geheimdienste, ich kann euch beruhigen: Es sind nur meine Nachbarn, die ihre alljährliche Weihnachtsbeleuchtung installiert haben, vermutlich um für „stimmungsvolles Ambinente“ zu sorgen. Fragt sich nur, welche Stimmung da herbeigerufen werden soll. Immerhin klappt’s, ich fühl mich schon sehr nach Glühwein aus dem Tetrapack und RTL2. Adveniat regnum tuum – ich freu mich drauf!

Freitag, 14. November 2025

Superpower

 

Ich hatte mal eine Freundin mit einer ganz sehr besonders speziellen Gabe. Ich würde sogar sagen: eine Superkraft. Diese Freundin konnte nämlich allein kraft ihres Willens ihre Peristaltik kontrollieren und somit ungeachtet aller äußeren Umstände ihre Verdauungsprozesse an diese anpassen. So erfreute sie sich beispielsweise in einem zweiwöchigen Campingurlaub irgendwo in der kroatischen Walachei eines ausgezeichneten Durch- und Langschlafs ohne jegliche Verlegenheit, nächtliche Wanderungen durch Fröstel und Regen über den Campingplatz zum nächsten Klohäusel unternehmen zu müssen und schlief bis spät in den Tag hinein den Schlaf der Gerechten, ohne dass ein Hauch von Notdurftnot sie aufzuwecken vermochte. Während wir anderen kaum dass wir uns hingelegt hatten schon wieder den Schlafsack von uns schälen, uns mit Crocs und Gummistiefeln oder Regenschirmen bewaffnen und die lästige Reise antreten musste und morgens mit der ersten Regung Sonnenschein direkt auch sogleich einen dringenden Klowunsch verspürten, der keinen Aufschub gestattete. An dieser Frau habe ich gestern Abend gedacht. „Warum bin ich so, dass ich lieber eine halbe Stunde im warmen Bett liege und versuche, etwas absolut Unausweichliches irgendwie durch Denkarbeit sich in Luft auflösen zu lassen, obwohl ich weiß, dass ich ohnehin verliere, anstatt einfach schnell aufzustehen und aufs Klo zu gehen?“ habe ich laut durch den Palast gewehklagt. „Genau“, hat der Mann klug ergänzt, „und dann schläfst du dabei ein und musst dafür nachts raus, du Dummerchen.“ Was mir überraschenderweise lieber ist. Zumal im Winter. Gerade hat man sich endlich vor der garstigen Dunkelheit und grausigen Kälte der Welt im Allgemeinen und der Wohnung im Speziellen in die wunderschöne Bettwärme geflüchtet, das Nest schön vorgeheizt von der Wärmi, alle Körperteile bis hinauf zur Nase sicher unter Daunen verstaut, und dann drückt die Blase und man soll schon wieder aufstehen, damit man nachts nicht mehr muss? Pah! Ich sitz bzw. lieg das aus! Schnell einschlafen und die Blase überlisten ist die Devise, weil viel lieber geh ich nachts aufs Klo, wo ich nicht über mögliche Kälte nachdenke, sondern über gar nichts, mir deswegen auf dem Weg die Hand am Türgriff anhaue, den Kopf am Regalvorsprung und den kleinen Zeh an einer unvermittelt aufgetauchten Türschwelle. Zurück im Bett fühle ich mich dann gerettet und entspannt und noch dazu um die große Freude beschenkt, noch drei oder fünf Stunden schlafen zu können – ein großer Genuss! Meinem Bruder, derzeit in Nepal wanderurlaubend, stellt sich die Frage nicht: „Es ist hier acht Uhr abends, ich lieg in voller Merinomontur samt Mütze und Schal im Polarschlafsack in irgendeiner unbeheizten Baracke, und wie jeden Abend bete ich, dass ich nicht heut Nacht bei mittlerweile Minus zehn Grad aufs Klo muss“, reiseberichtete es gestern. So gesehen: Es könnte alles schlimmer sein. Meine Superpower: schlafen! 

Freitag, 7. November 2025

Stadttourismus

 

Letzte Woche war ich in der Stadt. Ich finde es bemerkenswert, dass ich immer noch „in die Stadt fahren“ sage. In der ersten Hälfte meines Lebens war das durchaus zutreffend: Im östlichen Speckgürtel wohnhaft waren Ausflüge in die City etwas Besonderes, das zwar auch nur eine zehnminütige S-Bahnfahrt nötig gemacht hatte, wofür man sich aber brav herausgeputzt und für die große Reise fein gemacht hat. Heute lebe ich innen mitten drinnen im zentralsten Zentrum, habe lange mit mir gerungen, bis ich soweit war, mich für einen schnöden Besuch beim Discounter um die Ecke nicht extra in den edlen Ausgangszwirn zu kleiden, sondern mit großer zur Schau getragener Egaligkeit zum Einkauf auch mit Jogginghose und Unfrisur zu begeben, und trage diesen Gammellook seit langem stolz als Zeichen echten Urbanismus vor mir her, derweil ich herausgeputzte Menschen in der Innenstadt verächtlich als offensichtlich Auswärtige identifiziere. Deren viele schlenderten an besagtem Tag durch die Gassen und Winkel und störten mein Auge durch blanke Anwesenheit. Nicht so sehr wegen des Herausputzes, sondern weil sie mein Vorhaben zerstörten, als wahre Bohemienne mitten am schönsten Werktag durch bedauernswerte Arbeitstierchen zu flanieren und nach links und rechts großzügig mitleidige Blicke zu verschenken an all diejenigen, die das Flair nur kurz in einer Mittagspause genießen durften, derweil ich frei von Zeit und Raum einfach tun und lassen konnte, was ich wollte. Doch weit gefehlt: In der ganzen Innenstadt wimmelte es nur so vor Müßiggängern, denen man den Stadttouristiker schon von weitem ansah – die protestantische Feiertagsextraregelung macht’s möglich. Meiner Exklusivität beraubt befiel mich ein Verdruss, und ich wandte mich ab von all der obszön zur Schau gestellten Freizeit, um heimwärts zu kehren und im stillen Kämmerlein ganz für mich alleine meine Freiheit zu zelebrieren. Doch wie es der Zufall will wandte ich mich nicht etwa dem Heimweg zu, sondern versehentlich einem riesengroßen gelben Bus, den ich kurzerhand bestieg und damit meine Heimkehr um gut zwei Stunden nach hinten verschob … In dieser Zeit habe ich viel geschaut, primär nämlich über Mauern, über die man sonst nie schauen kann und hinter denen sich hübsche Gärten und unerwartete Friedhöfe verbergen. Außerdem viel wichtiges über die Stadt gelernt und ebenso viel wieder vergessen (bis auf die sehr wichtige Info, dass die beiden roten Hasen des örtlichen Energieversorgers „Sitz und Flitz“ heißen) … Zwei Stunden dauert es nämlich, mit der hiesigen „City Line“, einem riesigen gelben Doppeldecker-Bus durch die Noris zu kreuzen und diese einmal ernsthaft aus Touristenperspektive zu erfahren. Den Bus hatten wir quasi für uns alleine: Während die Touris herausgeputzt die Gassen durchstriffen, saßen wir im urbanistischen Gammellook im Oberdeck und schauten ihnen beim Wuseln zu. Öfter mal Tourist in der eigenen Stadt sein? Klare Empfehlung! Dafür kann man sich dann schon auch mal rausputzen.

Freitag, 31. Oktober 2025

Eichhörnchen

 

„Das Eichhörnchen hält keinen Winterschlaf, es muss also die ganze Zeit über fressen. Um in den kalten Monaten nicht zu verhungern, legt es darum überall in seinem Revier Vorräte an“, hat eine salbungsvolle Stimme dieser Tage in einem salbungsvollen Fernsehbeitrag über die Flora und Fauna in Wales gesprochen. Ich habe mich dem kleinen braunen Puschel direkt verbunden gefühlt – konnte also relaten, wie der Franzose sagt. Und das gleich auf sehr vielen Ebenen, darunter eine mitfühlend, weil auch ich keinen Winterschlaf halten darf und das zutiefst bedauere. Und wie auch das Eichhörnchen war ich in den letzten Wochen ausnehmend viel damit beschäftigt, Vorräte anzulegen. Die mich zwar nicht über den Winter bringen werden, dorthinein aber zumindest gelegentlich ein bisschen Sommergeschmack bringen können. Unter diesen angelegten Vorräten befinden sich mehrere Kilo entsteinte und tiefgekühlte Zwetschgen (oder „Quetzgschen“, wie der Zwerg zu sagen pflegt), viele Gläser grünleuchtendes Pesto, ein TK-Fach voller köstlicher Apfelvollkornbrote, nicht zu wenig Apfelstreuselkuchen, fein säuberlich als leuchtend rote Perlenmatte eingefrorene Johannisbeeren, die sich an die letzten, wirklich allerletzten und artig vorgeschnittenen Zucchini schmiegt und literweise Apfelmus. Ja, es ist vielleicht ein bisschen einseitig, aber so hat’s die Natur eben geschenkt, da kann man eben nicht sagen „Du, Apfelbaum, es wäre mir schon recht, wenn du jetzt auch einmal einen schönen Käse wachsen lassen könntest oder eingelegte Oliven.“ Selbstverständlich hat meine Betätigung allerlei Lästerbacken auf den Plan gerufen. „Bist du jetzt auch eine Tradwife oder was?“ krieg ich zu hören, wenn ich sage, ich kann jetzt schon wieder nicht telefonieren weil der Teig. „Ja“, sag ich dann, „so wird es wohl sein. Ich bin heute Morgen um 5 Uhr aufgestanden, um dem Göttergatten eine feine Vesperdose zu kreieren. Dann habe ich mich geduscht, sorgfältiges Makeup aufgelegt, das mich für alle Eventualitäten des Tages rüstet (Postbote, Müllabfuhr, spontane Videodrehs), mein Schnittlauchhaar gebürstet und geglättet, mich anschließend in ein figurbetonendes Mieder gezwungen und darüber das feine Blümchenkleid samt Petticoat gedrillt und dazu die leichten Alltagsstöckel mit nur 8 cm Absatzhöhe gewählt. So stehe ich hier den ganzen Tag, schäle und zermuse Äpfel und warte, dass der Göttergatte nach Hause kehrt und ich ihm das Abendessen zum den staubigen Bart schmieren kann …“ Dann höre ich, wie es am anderen Ende der Leitung schwer schluckt, lache in mich hinein und schaue an mir herunter: eine konturenlose Jogginghose, ein altes Shirt voller Mehl und Butter, Kuschelsocken in Plüschlatschen, auf dem Kopf eine formvollendete Frisur namens „grade aufgestanden“, mit der ich eigentlich niemandem begegnen will. Wer Essen will, braucht keine Frisur. Auch das habe ich mit dem Eichhörnchen gemein.

Freitag, 24. Oktober 2025

Zeitumstellung

Die Ankündigung „es ist wieder soweit“ deutet meistens auf ein Ereignis hin, dass regelmäßig und zum gleichen Zeitpunkt wiederkehrt, unabwendbar ist, niemanden besonders überrascht und darob gänzlich überflüssig ist. Die Ankündigung. Manchmal auch das Ereignis selbst. Manchmal beides. Derlei Ereignisse stehen in der kommenden Zeit (ich sag’s ungern, aber heute in acht Wochen ist Weihnachten. Oder „in zwei Monaten“, falls das weniger bedrohlich klingt) zahlreich an, keines ist dazu angetan, uns sonderlich zu überraschen, weil man kann eh nichts dagegen tun. Wer jetzt spontan Christkindlesmarkt, Stille Feiertage und Jahreswechselzinnober (gerade gelernt: Beim „Zinnober“ handelt es sich um ein aus der Verbindung von Quecksilber und Schwefel entstehendes rotes Mineral, denkt mal drüber nach!) im Sinn hat: ja, stimmt schon, aber – gemach! Erst einmal steht jetzt ein anderes Ereignis bevor, das absolut unabwendbar ist, jährlich sogar gleich zweimal wiederkehrt und uns dennoch von Mal zu Mal aufs Neue völlig überrascht. Mich zumindest. Die Rede ist selbstverständlich von der Zeitumstellung, denn jetzt, liebe Lesende, „ist es wieder soweit“. So gewiss wie das Ereignis selbst ist auch die Debatte, die so nicht im Vorfeld mindestens in den Folgewochen geführt werden wird. Abschaffen ja/nein, Winter- vs. Sommerzeit, alles ist auf einmal schrecklich, Deutschland im kollektiven Jetlag, von dem ich ja behaupte, es handele sich hierbei lediglich um eine willkommene Begründung für die seit Wochen mangels Sonnenlicht vermehrte Schläfrigkeit. Nachdem ich die ohnehin immer habe und den Rest das Digitaluhrwesen für mich regelt, könnte mir die Zeitumstellung weitestgehend schnurz sein. Ist sie auch. Doch was mich zweimal jährlich aufs äußerste beschäftigt ist: Wie wird eigentlich umgestellt? Eine Frage, die ich mir einfach nicht beantworten kann. Die ganz Schlauen kommen mir dann immer mit klugen Merksätzen, doch genau so gut könnte man mir die sprichwörtlichen „böhmischen Dörfer“ runterbeten. Ein besonders gern genutztes Beispiel ist das mit irgendwelchen Möbeln, die man je nach Saison in die Garage stellt oder in den Keller und bei Bedarf wieder herausholt. So war das doch, oder? Leider verstehe ich nicht, wie mir das als Eselsbrücke zur Zeitumstellung helfen soll. Bedeutet das: Im Winter hängen wir am besten alle Uhren ab oder werfen Tücher drüber, weil sowieso ist die Uhrzeit egal, wenn es den ganzen Tag nur finster ist? Schätze, so wird es gemeint sein. Morgens dunkel, abends auch, dazwischen Frieren, Dämmerung und Miesepeterei. Herrliche Aussichten! Insofern würde es mir völlig reichen, am Sonntag zu überhaupt irgendeiner Uhrzeit einmal aufzuwachen. Welche, ist mir schnuppe. Und überhaupt: Ich geh mir jetzt eine Tageslichtlampe kaufen. Dann bin ich frei von Raum und Zeit. Und damit auch von allem, wofür es „endlich wieder soweit ist“.

Freitag, 17. Oktober 2025

Müdigkeit

 

Na, auch noch nicht wach geworden? Es ist jetzt halb fünf am Nachmittag, und wo andere Leute sagen würden „Ich habe gefühlt den ganzen Tag geschlafen“ kann ich mit Fug und Recht und kein bisschen Stolz behaupten: Ich HABE den ganzen Tag geschlafen. Eine analytische Ergründung der Ursache bin ich mir bislang schuldig geblieben, aber ein, wenn nicht DER Grund, der mir von Menschen, denen ich von meiner Unbill berichte, reflexhaft entgegengeschossen wird, ist: das Wetter. Natürlich, es muss das Wetter sein. Das Wetter ist hierzulande grundsätzlich an allem schuld. Kopfweh? Wetter! Leichter Schwindel? Wetter! Nicht geschafft, einkaufen zu gehen? Wetter! Steuererklärung drei Monate zu spät abgegeben? Na klar: Wetter! Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und gleich die ganze Saison unter Generealverdacht stellen, allerlei Misslichkeiten zu verantworten hat, vor allem an denen, die mit gesteigertem Schlafbedürfnis zu tun haben. Im Frühling ist es die Frühjahrsmüdigkeit, die uns befällt, im Sommer prinzipiell die Hitze, die uns lähmt. Im Winter ist es der Bär in uns, der seine Sehnsucht nach Winterschlaf nicht abschütteln kann, und im Herbst ist eh grundsätzlich alles schwierig (dunkel, nass, grau), so dass die Vorbereitung auf den Winterschlaf uns dann noch den Rest gibt. Es gibt noch einen zweiten Grund, der ins Feld geführt wird von befragtem Personal: Alter. Dagegen möchte ich mich strikt verwehren und recke unter größter Anstrengung meinen gehobenen Zeigefinger als Zeichen exorbitanter Empörung unter der Bettdecke hervor. Alterssymptome? Ich? Niemals! Andere – meinetwegen, aber ich bin im Herzen forever 20 und im Körper ebenso. Es ist halt einfach nur ganz praktisch, sich nur noch 20.15 Uhr-Filme auf den Öffentlich-Rechtlichen anzuschauen, die pünktlich und vorhersehbar um 21.45 Uhr enden und ein Zubettgehen um 22 Uhr ermöglichen. Es ist doch nur sinnvoll, sich mit Freunden ausschließlich am Nachmittag zu treffen, damit es selbst nach großer Ausschweifung problemlos möglich ist, am nächsten Tag pumperlfit zu sein, weil schließlich war man um 20 Uhr zu Hause und um 22 Uhr (danke, ÖR) im Bett. Es ist absolut klug, Unternehmungen jedweder Art mit mindestens einer Woche Vorlauf zu planen, denn so hat man viel mehr Zeit, unter Verweis auf Schläfrigkeit (s.o.) abzusagen anstatt am selben Tag sehr stressig sich erst zu verabreden, dann lange mit der Verabredung zu hadern um schließlich kurzfristig abzusagen. Und wenn man das oft genug so gehandhabt hat, kommt man bald auch gar nicht mehr erst in die Verlegenheit, etwas absagen zu müssen, weil sich ohnehin niemand mehr mit einem verabredet – win-win! Was also soll der Grund sein für diese unendliche Müdigkeit? Ich ahne es: vermutlich mein seltsames Leben als Tradwife, dem ich mich am vergangenen Wochenende hingegeben habe. Aber davon erzähle ich ein andermal. Jetzt muss ich: schlafen.

Freitag, 10. Oktober 2025

Streaming

 

Der Mann ist glücklich. Das ist schön, denn meist bin ich das dann auch, was wiederum gut für ihn ist, weil happy wife, happy life. Prinzipiell. Aktuell geht die Rechnung aber irgendwie nicht auf. Doch während ich noch darüber nachsinne, entwickelt der Mann großen Aktionismus. Kerzen werden nach einigem Gewühl in einschlägigen Schubladen entzündet, das Ambilight ebenfalls. Man braut Kräutertee, unterzieht Teekanne und Stövchen einer eiligen Grundreinigung. Wärmflaschen werden aufgekocht, die schicke leichte Musselindecke wird in denselben Untergrund verbannt, aus dem zugleich wärmende und Heizdecken hervoroperiert werden. „ENDLICH“, schreit der Mann nach getaner Arbeit, „FERNSEHEN!“ und schmeißt sich mit Effet aufs Kanapee, aus dem in einer großen Staubwolke auch noch die letzten feinen Flöckchen Sommer emporstieben. Durch den trüben Dunst erkenne ich eine wedelnde Fernbedienung, die mich fröhlich auf die Couch einlädt … Ich kann die Freude durchaus nachvollziehen und sogar teilen. Draußen stürmt und windet es, Regen verschiedenster Darreichungsform kommt mal von links, mal von rechts und dann plötzlich von unten. Kein Spaziergang ist zu tun, kein Biergarten zu besuchen, kein Garten zu bestellen – ab jetzt wird gefaulenzt und fläzend kontempliert. Über den Sommer haben sich Listen mit Film- und Serienempfehlungen angehäuft, die man jetzt locker abarbeiten kann. Könnte. Denn mit dem einschalten der Flimmerkiste öffnet sich gleichsam die Büchse der Pandora, und ich weiß: In zehn Minuten habe ich Kopfschmerzen, tränende Augen und stehe kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Der Verursacher des Unzustandes? Glasklar: Streamingdienste. Ich kann, das haben wir ja jetzt vielleicht schon mitbekommen, mit Überangeboten nicht umgehen. Deswegen kauf ich lieber im Zwergenladen um die Ecke ein – beim Betreten eines großen Supermarktes erleide ich nach kurzer Zeit einen Schlaganfall, wenn ich nicht direkt verloren gehe. So ist das auch beim Fernsehen, dessen lineare Variante ich stets vorziehe: Es gibt ein Programm, das hat jemand kuratiert, und entweder schaff ich’s pünktlich um 20.15 Uhr zum Samstagabendfilm oder nicht, entdecke dann beim Zappen aber eine wunderbare Doku über die kirgisische Steinmaus und bin zufrieden. Ganz anders das Streaming. „Gucken wir halt mal was es gibt!“ bedeutet nämlich, in wechselnder Reihenfolge sämtliche Angebote zu durchforsten, währenddessen der Unmenge an Diensten gewahr zu werden, die man peu a peu abonniert hat, und nach einer Stunde zwar immer noch keinen Film gestartet zu haben, dafür aber 37 neue Sendungen auf eine Merkliste gesetzt zu haben, an deren Auswahl man sich beim nächsten Mal nicht mehr erinnert und schon geht’s wieder von vorne los … Während der Mann irgendwo ein Fußball entdeckt hat, weine ich ein bisschen und wiege mich in den Schlaf. Das Setting hierfür passt immerhin.