Freitag, 6. Juni 2025

WetterApps

 

Was ist der Deutschen liebstes Thema? Lüften, richtig, aber das können wir ja dank Kippstellung jetzt erstmal wieder auf die lange Herbstbank schieben. Was bleibt also? Genau: Wetter! Haben wir aktuell vergleichsweise viel davon. Um und an Pfingsten haben wir traditionell besonders viel davon, was Freunde des Festivals oder einschlägiger Heimat-Kärwas leidlich wissen. Verwandelt sich das Bierzelt in einen Dampfgarer (draußen Regen und Matsch, drinnen Schwitz und Dunst) oder in einen Schnellkochtopf (draußen Hitze, drinnen noch schlimmer)? Muss ich mich fürs Festival mit Gummistiefeln und Regenponcho behängen oder mit Wasserschläuchen und Sonnenhüten? Man weiß es nicht, kann im Vorfeld eh nichts mehr daran ändern und lebt also gezwungenermaßen im Moment. Hätte sich da in den vergangenen Jahren nicht eine neue Spezies von Wetterexperten entwickelt. Früher war das so: Man hörte oder tagesschaute am Vorabend einem Meteorologen bei der Arbeit zu, danach wusste man zwar auch nicht mehr immerhin, in welcher Bandbreite sich das Tagesequipment ungefähr bewegen sollte. Dann zerrte man meist einen Großteil des Gepäcks umsonst herum, war aber auf alle Eventualitäten eingestellt. Seit einiger Zeit hat sich in dieser bewährten Methode jedoch eine Änderung vollzogen, die für Verwirrung, Aufruhr, Absagen, Planmodulationen und schlimmstenfalls Streit sorgen. Diese Änderung heißt „WetterApp“, darin enthalten die besonders wichtige Funktion „Regenradar“, dank derer Menschen sich dazu befleißigt fühlen, zu echten Wetterexperten aufzusteigen. Weil: „Meine App hat immer recht.“ Es ist ja gegen eine meteorologische Detailplanbarkeit ersteinmal nichts einzuwenden. Ich schlepp auch ungern den Friesennerz durch Gluthitze. Leider haben verschiedene Apps verschiedener Menschen verschieden recht, und schon wird’s problematisch. Die eine sagt zielsicher Gewitter um 17.38 Uhr voraus, die andere Trockenheit bis 21 Uhr. Die eine weiß von sicher Sonne bis 16 Uhr, die andere von sicher Nässe gegen 13.45 Uhr. Umstände, über die man sich vortrefflich streiten kann, wenn es um Ausflüge, Seetage oder Gartenpartys geht. Besonders wichtig ist es hierbei, keinesfalls nach der Devise „Jetzt machen wir halt, dann sehen wir schon“ zu agieren, sondern möglichst dezidiert und ausschweifend die jeweils aktuelle Meldung der App zu diskutieren: „Oh, jetzt sagt sie plötzlich Regen um 16.19 Uhr.“ – „Hä nee meine ist immer noch bei 17.38 Uhr.“ – „Also ich hab ja die Spezialapp die man eigentlich als Normalo nicht herkriegt, und die sagt ganz klar: Schauer um 13.20 Uhr, danach trocken.“ – „Und was machen wir jetzt?“ Immerhin: Wenn es nach stundenlanger Diskussion über Unwetter und wann und wie doll endlich zu tröpfeln beginnt, sind alle wieder vereint, denn alle haben irgendwie recht. Und wenn nicht, sind alle irgendwie froh. Mir ist es egal. Ich war ja auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Freitag, 30. Mai 2025

Der längste Ohrwurm

 

Schönen guten Moren und herzlich willkommen in diesem erneuten sehr schönen, weil vermutlich für die meisten sehr langem Wochenende, an dem wir … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW, THAT THIS HAS NOTHING TO DO WITH YOU … ähm Moment, was wollte ich sagen? Ach so, genau. An dem wir uns alle mal wieder gemeinsam fühlen können wie eine Frau in den Wechseljahren. Mhm, wie erkläre ich das jetzt am besten … IT’S PERSONAL MYSELF AND I, WE GOT SOME STRAIGHTENING OUT TO DO … Naja, das Wetter der letzten Wochen ist wie Hitzewallungen, findet ihr nicht? Am einen Tag schwitzt man wie verrückt, dann wird man plötzlich patschnass und friert anschließend elendig. Normalerweise würde man jetzt, wie soll ich’s sagen … AND I’M GONNA MISS YOU LIKE A CHILD MISSES THEIR BLANKET … Um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung wie ich’s sagen soll, geschweige denn was ich eigentlich sagen wollte, weil genau so störend wie in diesem Text geht es in meinem Kopf zu … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW … Wann immer er auch nur eine Mysekunde Gelegenheit dazu findet … IT’S TIME TO BE A BIG GIRL NOW … AND BIG GIRLS DONT’T CRY … singt es darin nämlich dieses Lied von Fergie. Mit dem ich mich keinesfalls tiefer verbunden fühle, ja, das ich noch nicht einmal besonders gut leiden kann, aber … IT’S PERSONAL MYSELF AND I … aus irgendeinem mir absolut unerfindlichen Grund von einer höheren Instanz beschlossen wurde, dass ausgerechnet dieser Song aus dem Jahr 2006 zum Soundtrack meines Lebens gereichen sollte. Und das nicht etwa nur in den letzten Tagen, wie es anständige Ohrwürmer für gewöhnlich tun, bevor sie sich wieder verkriechen und dem nächsten Kollegen Platz machen, sondern seit Monaten! Ungelogen! Ich wache mit diesen Zeilen und der Melodie morgens auf und gehe abends mit ihnen ins Bett. Ich habe sie im Supermarkt im Ohr, wo ich mich doch eigentlich auf eine Einkaufsliste konzentrieren möchte, und höre sie beständig, während ich einen Text für diese Spalte hier ersinnen soll. Ich höre ihn unter der Dusche und beim Sport, beim Lesen und sogar Radio hören und es gibt rein gar nichts, was ich dagegen tun kann. Und ich habe viel versucht. Auf eine Phase belustigter Genervtheit folgte eine des rasenden Zorns und dann die großer Verzweiflung. Nichts hat geholfen. Kein Dagegen-Ansingen. Kein lautes Mitsingen. Auch die Entscheidung, das Lied als Teil von mir zu akzeptieren und freudig zu umarmen brachte keine Besserung. Fergie bleibt und fühlt sich in meinem Kopf pudelwohl. Google sagt „Der längste Ohrwurm der Welt war der St.-Helena-Riesenohrwurm (Labidura herculeana), der bis zu 80 mm lang wurde“, aber ich fürchte, das hilft mir auch nicht weiter. Was also tun? Vielleicht die Botschaft annehmen: It’s time to be a big girl now – and big girls don’t cry!

Freitag, 23. Mai 2025

Escape Room

 

Es ist wie beim allseits beliebten Gesellschaftsspiel „Das verrückte Labyrinth“: Das Ziel feste vor Augen hat man Hürden überwunden und Gegner ausgetrickst, ist bereit für den finalen Spielzug und damit glorreichen Sieg und – ZACK! kommt von links eins daher und macht den ganzen Pfad kaputt. Wo grade noch ein schöner Weg entlangführte, ist jetzt nurmehr ein tiefer Graben, eine hohe Mauer oder Stromschnelle, über die hinweg es schlichtweg keine Möglichkeit gibt. Da steht man dann, als armer Tor, und ist so klug als wie zuvor – und gezwungen, alles neu zu überdenken … So in der Art geht es mir, seitdem ich inmitten Nürnbergs größter Baustelle lebe. Will sagen: Inmitten Deutschlands größtem Escape Room. Das Prinzip dieser Livespiel-Einrichtungen ist immer ähnlich. Menschengruppen wechselnder Größe werden in einen Raum gesperrt, der gemäß eines Mottos gestaltet ist. Gruselschloss, Gefängniszelle oder eben Baustelle. Den Menschen muss es nun innerhalb einer bestimmten Zeit gelingen, sich mittels Rätseln und Geschicklichkeitsaufgaben aus dem Raum hinauszuknobeln. Die Aufgabe hier: Gelange von deiner Haustür A in den nahegelegenen Stadtpark B / die Apotheke C / den Supermarkt D, ohne dass es zu Personenschäden, Handgemengen, Entleibungen oder Auffahrunfällen kommt. Hindernisse wie Hängebrücken oder Fußgängerampeln dürfen genutzt, müssen aber erst mal gefunden werden. Hindernisse wie klaffende Bodenlöcher, meterlange Absperrungen oder breite Gräben dürfen keinesfalls überwunden werden, sondern bedürfen einer weiträumigen Umgehung. Beinahe täglich versuche ich mich dieser Aufgabe zu stellen – beinahe täglich werde ich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Dort, wo gestern noch eine Verkehrsinsel war, ist heute eine tiefe Grube. Da, wo ich neulich noch die Straße queren konnte, ist jetzt weit und breit nur wutschnaubender Verkehr. An der Stelle, wo unlängst noch ein Laden bequem umschifft werden konnte, ist jetzt eine Schikane in Form einer Engstelle bierfilziger Größe, an der Passanten, Fahrräder, Kinder, Rollstühle und Kleiderständer mit kreischbunten Sale-Angeboten lustiges Ballett tanzen. Allen Aufgaben gemein ist, dass ich das Ziel zwar immer sehen kann – beispielsweise den Supermarkt genau gegenüber auf der anderen Straßenseite – allein der Weg dorthin gänzlich im Verborgenen liegt. Es gilt dann, geschickt Strömungen und Bewegungen zu beobachten und daraus eine Lösung abzuleiten oder sich zu Bedarfsgemeinschaften zusammen zu finden und gemeinsam zu pfadfindern. Herrlich! Und sehr verbindend. In echten Escape Rooms kann sich die Spielleitung einschalten und per Lausprecher Tipps geben, wenn die Verzweiflung allzu groß wird. Ein Service, den ich mir für hier auch wünsche: „Mensch Wasmeierin, geh halt noch einen Meter vorwärts, dann siehst du einen Wegweiser und gleich dahinter die Ampel. Obacht: Um die Ecke ist eine gespannte Hundeleine, von links kommt gleich ein Lastenrad und die Grünphase dauert nur zwei Sekunden!“ So könnte das gehen.

Freitag, 16. Mai 2025

Rosa

 

Ich habe in letzter Zeit öfter mal ein Kompliment bekommen. Das ist eine feine Sache. Wer bekommt nicht gerne Komplimente, auch wenn man sie häufig zu selten selbst anderen macht und, vielleicht aus dem gleichen Grund, im Annehmen eines solchen Kompliments ungeübt ist und deswegen sogleich „gschamig“ reagiert: „Ach du lass mal, das ist nur das Licht.“ oder „Böh, das muss daran liegen, weil ich vorhin mal wieder geduscht habe.“ Das jetzt gemeinte Kompliment lautet sinngemäß immer irgendwie nach „du siehst so frisch aus“, und irgendwann bin ich dahintergekommen, was der Anlass dafür sein muss: mein Lieblingspullover, den ich zwar seit dem Winter besitze, ihn aber aus Gründen bis vor kurzem unter geschichtetem Fleece und schlafsackgroßen Daunenmänteln verborgen trug. Dieser Pullover erfüllt mich schon beim Anblick mit großer Freude und Frische. Dabei ist die Farbe kein sonniges Gelb oder wärmendes Orange, auch kein friedliches Blau oder hoffnungsvolles Grün, sondern: Rosa. Die Farbe aufgestellter Polohemdkrägen und lässig um den Hals geschlungener Strickware, vor allem aber die Farbe der Prinzessinnen und Tussis und somit der Albtraum feministischer Erziehung der 80er Jahre, wie sie mir als Kind angediehen und in die DNA implementiert worden war: Rosa ist Geschlechterklischee und Rollentrennung und darob, pardon, scheiße. Meine Kindheit war entsprechend nach Möglichkeit rosafrei und stattdessen voller Cordbraun, Jeansblau oder Straßenstaubschmutzig, und zwar konnte ich den Eltern mit Aufbegehr und unter Aufbietung großer Kräfte „die Farbe der anderen Mädchen“ abtrotzen, war aber dennoch schon frühzeitig so idealistisch geimpft, dass ich beispielsweise ein rosa Kleid, dass die Mutter nächtelang für mich nähte, zwar gern kurz einmal anzog, es dann aber bei der ersten Konfrontation mit Praxistauglichkeit (Skateboarden, Fußball, Räuberhöhle) nur zu gern wieder gegen eine erdfarbene Latzhose austauschte. Irgendwann war das Thema durchexerziert und die Farbe Rosa verschwand aus meinem Leben, wohinein ich sie mit Anfang zwanzig gewaltsam zurückzerrte und in Form irgendeiner postinfantilen Persönlichkeitsentwicklung als möglichst knallbunte Variante (Pink) installierte: pinke Schals, pinkes Ohrgehänge, pinke Schuhe oder pinke Hirschgeweihe zierten fortan meinen Alltag. Eine Art späte Überreaktion, vermutlich, auf die eine lange Pause folgte. Nach ein paar verschämten Versuchen in Pastell habe ich mich unlängst getraut, zurück zum Rosa zu kommen. Und was soll ich sagen? Ich bin begeistert. Nicht nur, weil „Rosa“ so viele schöne Bedeutungen hat bis hin zur Zuschreibung, es könne Aggression und Gewalt besänftigen. Jetzt füge ich mich also nur zu gern selbstbewusst ein ins Frühlingsbild als große rosa Blüte. Und wenn ich dafür noch Komplimente bekomme, dann soll mir das nur recht sein.

Freitag, 9. Mai 2025

Abendessen

 

Früher war alles besser. Nämlich in diesem „früher“, als noch niemand von mir verlangt hat, alle drei Monate Steuerzettel zu sortieren. Oder als man Dreckwäsche einfach auf den Boden fallen ließ und sie kurze Zeit später als Frischwäsche im Schrank wiederfand. Oder als bei Nacht die Männlein kamen und schwärmten, klappten und lärmten, rupften und zupften, hüpften und trabten, putzten und schabten und ehe ich noch erwacht – war all mein Tagwerk bereits gemacht. Und ganz besonders besser war es früher, als ich mir nicht tagtäglich die lästigste aller Fragen stellen musste: Was gibt es heute Abend zu essen? Eine Frage, die mir vor allem an Wochenenden spezialgroße Sorgen bereitet, kommt doch das Wochenende immer mit diesem seltsamen Spagat daher, einerseits kulinarische Anspräche zu erheben weil man hat ja Zeit, um lang und ausgiebig zu kochen. Andererseits erweist sich das oft als Trugschluss, weil man ja am Wochenende stets ausgesprochen viel anderes zu tun hat. Wie also auf einen Nenner bringen? In einem Teil dieses „früher“ verbirgt sich natürlich auch eine gewisse Diffizilität, nämlich aus der Zeit, zu der man gefälligst isst, was auf den Tisch kommt, und wenn es sich dabei nicht um Pfannkuchen mit Gummibärchen-Eis oder Nudeln mit Nutella und Käse handelt, hat man eben Pech gehabt, geht hungrig ins Bett und lutscht dann später nach dem Zähneputzen heimlich doch noch an einem alten Stück Kohlrabi. Das war ja vielleicht gar nicht so viel besser. Aber tu felix adolescentia: Es gab ja auch noch eine Zeit dazwischen. Nämlich die, in der Nahrungsaufnahme ein mehr oder weniger notwendiges Übel war, um die ereignisextensiven Tage von Donnerstag bis Sonntag zu überleben und am Montag auch noch halbwegs den Anschein zu erwecken, ein Mensch zu sein. Vor allem die Frage nach dem sonntäglichen Abendessen war da besonders einfach: Je nach Verlauf des Wochenendes gab es halt entweder irgendwas für den Fett- und Elektrolyte-Haushalt, das man mit letzter Kraft dem Essenslieferanten aus der Hand gepflückt hat, oder nichts, weil der Magen, ggfs. noch gefüllt vom sehr dringend benötigten Snack im Morgengrauen (eine Freundin trug gerne die ganze Nacht einen Cheeseburger in der Handtasche herum, um ihn dort zu vergessen und sich zu gegebener Stunde über den nahrhaften Fund zu freuen), gegen alles andere rebellierte. Fertig. Heute hingegen erfährt man keinerlei Einschränkungen mehr außer durch die eigene Unzulänglich- und Ideenlosigkeit, ringt dabei aber mit einem allzugroßen Wissen und Verständnis über gesunde, ausgewogene Ernährung und einer aus Gewohnheit sonntäglichen Faulheit und findet sich also Woche für Woche im selben Schlamassel wieder: Was soll ich nur abends kochen (= planen, einkaufen, zubereiten)? Zum Glück gibt es Restaurants – und Mütter, deren Lieblingsbeschäftigung die Kulinarik sowie Versorgung des lebensunfähigen Nachwuchses sind! Danke für alles, Mama!

Freitag, 2. Mai 2025

Frühlingsgestank

Noch mehr Powersätze für den Frühling! Neben den bereits bekannten („Boah ist das heiß in der Sonne“, „Wenn die Sonne weg ist, ist es direkt total kalt“, „Wenn nur dieser kalte Wind nicht wäre“) möchte ich dringend noch einen ergänzend hinzufügen, nämlich: „O mei, und wie gut das hier rieeeeeecht!“ Selbstverständlich wissen wir alle, dass wenn der Frühling sein blaues Band durch die Lüfte flattern lässt, süße, wohlbekannte Düfte ahnungsvoll durchs Land streifen. Das war allerdings nicht ganz der Satz, den ich im Kopf hatte, als ich gestern aus der U-Bahn stieg. Sondern eher sowas wie „Fuck, haben die oben an der Baustelle jetzt die Kanalisation endlich versehentlich gesprengt oder was ist jetzt hier los?“ und verbarg meine Nase tief im Revers. Um mich herum grünte und blühte es gar wunderbar, doch leider stank es dazu auch wie inmitten der schönsten Klärgrube oder zumindest so, wie ich mir den Geruch da vorstelle. Mit leichtem Würgen begab ich mich auf eine kurze Suche nach dem Ursprung und hatte den Täter auch schnell identifiziert: Riesige, herrliche Büsche voller prächtig und prall leuchtend weißer Blüten – ein wahrer Augenschmaus, doch ganz sicher keiner für die Nase, denn der Geruch des „Eingriffeligen Weißdorn“ wird, hört hört!, von vielen Menschen als unangenehm empfunden, da er an „[…] verdorbenen Fisch erinnert“. Na danke! Zurück in der U-Bahn empfing mich ein weiterer Nasenschmaus, nämlich der tausender Jugendlicher, die erst in Schule und Polyester schwitzten und schließlich damit den öffentlichen Raum beglückten, während schnell ein kleines Mittagsdönerchen verdrückt wurde; wo sie aber, so viel darf gesagt sein, mit zahlreichen stolz gelüfteten Achseln um die Wette olfaktorisierten. Nach so einem ereignisreichen und warmen Frühlingstag kann man zum Feierabend schon einmal die Idee bekommen, unter dem Tisch im Straßencafé die heißen Mauken zu lüften – doch cave caseum! – nicht alles, was für so einen ausgewiesenen Schweißfuß gut ist, muss für Umsitzende auch angenehm sein. Man flüchtet also lieber eilig in den Park, wo unlängst von der Autorin selbst ein riesiges fischenes Ungeheuer im Teich gesichtet wurde, und neben diesem Wunder gibt es noch ein anderes, nämlich eines mit Odeur: Nach nur zwei Tagen Temperatur über 15°C schaffen es einschlägige Gewässer im Stadtgebiet, derart nach Tod und Teufel zu stinken, dass die Überlegung erlaubt sein soll, ob man dem Teich nicht prophylaktisch den Stöpsel zieht, bevor doch noch ein kostspieliger Giftgaseinsatz notwendig wird. Zur Beruhigung (oder Ablenkung) hat uns’ SÖR, gärtnerisch seiner Zeit seit jeher voraus, eine List ins Tulpenbeet gepflanzt: Was so riecht wie die Jahreshauptversammlung des ersten Cannabis Clubs ist nichts weiter als Fritillaria imperialis, die „Kaiserkrone“, mit royalem Namen, jedoch äußerst plebejischem Geruch … Frühling, ja du bist‘s. Dich hab ich vernommen!

Freitag, 25. April 2025

April macht was er will

April, April macht was er will! Vor ein paar Tagen wollte ich, o Wunder, das Haus verlassen. Wie so oft bin ich kurz zuvor auf den Balkon getreten, um eine ungefähre Ahnung der Temperatursituation zu bekommen, und wie so oft habe ich mich damit ordentlich aufs Kreuz gelegt. Als ich fünf Minuten später die Haustür verließ, überfiel mich sogleich ein Eisschauer, und die kommenden fünf Minuten konnten aufmerksame Nachbarn (und davon habe ich einige) ein seltsames Schauspiel beobachten. Nämlich die blonde Frau, die ein paar Meter vom Haus weggeht, stehenbleibt, ein paar Meter geht, stehenbleibt, umdreht, ein paar Meter zurück läuft, stehenbleibt, wieder umdreht, um weiter zur Straße zu gehen, um nach einem erneuten Stehenbleiben genervt aufzuschluchzen, zum Haus zurück zu eilen und zehn Minuten später in völlig anderer Montur, nämlich mit Daunenjacke und deutlich ausgebeultem Rucksack, endlich von dannen zu ziehen … Um einige Stunden später schwer schwitzend wieder heim zu kehren. Wie so oft bin ich dann also auf meinen eigenen Temperaturcheck hereingefallen, eignet sich mein Südbalkon doch nur begrenzt als Entscheidungshilfe für die Klamottenwahl. Völlig windgeschützt und von morgens bis abends der Sonnenwärme ausgesetzt, hat es dort gut und gerne mal locker zehn Grad mehr als auf der Rückseite des Hauses, die den ganzen Tag im Schatten und noch dazu im kühlenden Frisch zahlreicher Platanen liegt. Die Kunst ist es also, den Mittelweg auszutarieren. Was mir meistens misslingt. Und erschwerend eine mich stets begleitende massive Erfrierungsangst dazukommt. Nicht gerade gemäßigt wird dieses persönliche Defizit von der Witterung, wie sie uns aktuell wieder beglückt und die ich nur einigermaßen unbeschadet dank diverser Tricks wie auf Taschentuchgröße zusammenknüllbarer Leichtjacken überstehe. Der April macht halt, was er will, und garantiert nicht das, was mein Wetter-App-höriger Freundeskreis von ihm erwartet. „Am Sonntag soll so schönes Wetter werden“ akzeptiere ich unter keinen Umständen als ein an einem Mittwoch vorgetragenes Ausflugsargument, wenn noch nicht einmal gewährleistet ist, dass das schöne Wetter von heute Vormittag nicht am frühen Nachmittag schon keinen Bestand mehr haben wird. Ich nenne das gerne die „Wolfgang-Petry-Gedenk-Zeit“, nur dass ich nicht wie der Künstler kiloweise Bänder ums Handgelenk trage, sondern dafür gern einmal am Nachmittag zentnerweise Jacken, Pullis und Schals, die am Morgen noch dringend notwendig waren, formunschön um die Leibesmitte geschlungen herumschleppe. Doch nicht nur der April macht, was er will. Ich kann das auch. Deswegen lass ich mich nicht mehr ins Bockshorn jagen, sondern nehme in Protesthaltung gerne Platz auf dem Kanapee. Das ist sehr neu, sehr bequem und das wichtiges: absolut zuverlässig vorhersagbar.