Das allerliebste Kind hat seinen Wunschzettel übermittelt. Eine sehr wichtige Angelegenheit, der ich natürlich mit dem gebührenden Respekt begegnet bin. Schließlich handelt es sich hierbei um die vermutlich lebenswichtigen Begehrlichkeiten eines Fastfünfjährigen, deren Nichterfüllung bzw. Erfüllung womöglich wichtige Weichen im Leben stellen so wie bei mir damals, als dem vielmals dringend geäußerten Wunsch nach einer eigenen Katze schließlich stattgegeben wurde – in Form eines Stofftieres, was mich mit so großer Enttäuschung erfüllte, dass ich bis heute die Anschaffung eines Haustieres strickt verweigere. Man weiß ja nie, was man dann bekommt. Das Kind also äußerte mit staatstragender Miene seine Erwartungen ans Christkind, was sich im Original in etwa so anhört: „Jaalsoweißtdu Duuuu, Katha? Also ich möchte sehr gerne dieses […] haben weil OOOH FEUERWEHR SCHAUMAL! ich möchte dieses, dieses, dieses, also dieses hast du noch Gummibärchen können wir eigentlich später Pumuckl weiterlesen weil ich hab nämlich der Jordan und die Nöelle waren heute gemein zu mir weil der Luis hat mich geschubst und dann hab ich der Erzieherin gesagt dass die Mimi aber dann gabs zum Mittagessen Froschsuppe und ich hab dann dem KÖNNEN WIR KLEINER VAMPIR HÖREN BITTE dabei weiß ich eigentlich also weißt du dass Spiderman fliegen kann so mit den Händen und Kleber und DAS LIED MAG ICH NICHT MACH DAS WEG und ich hab heute eine Mamone Marome also Essknastanie gefunden und dann hat die Katja aber gesagt dass ich später und aber DUHUUUU KATHA haben wir noch Plätzchen weil Plätzchen sind mein Lieblings und der Wichtel …“ Nach circa zwei Stunden hatte ich dann die gewünschten Informationen und bin darob sogleich in eine inquisitorische Debatte mit dem kleinen Prinzen eingestiegen. Ein Fußballtrikot? Selbstverständlich, aber was ist jetzt das für ein Defekt, dass das ausgerechnet vom BVB sein muss? Zauberkräfte? Logo, wer hätte die nicht gerne? Ich kann immerhin machen, dass die Luft riecht, du auch? Und letztlich: einen Pokal. Den, so erklärte ich, müsse man sich für gewöhnlich erst einmal verdienen und bekäme den nicht einfach so geschenkt, woraufhin das Kind sich in die Brust warf und sprach: „Hab ich mir verdient!“ – „Aha, womit?“ – „Halt so.“ A star is born. Ich in dem Alter habe die Spielzeugkataloge durchforstet, aus diesen Abbildungen meiner größten Wünsche ausgeschnitten und dann den kompletten Katalog auf Zeichenpapier wieder neu zusammengesetzt. Das halte ich immer noch für eine ausgezeichnete Herangehensweise, nur dass ich heute statt Mattel und Fisher Price eher die Kataloge von Orthopädiehaus und Apotheke durchkämmen würde. Vielleicht mach ich das heute noch. Man hat ja sonst nichts zu tun in dieser Staden Zeit – oder? Wenn ihr irgendwo Zauberkräfte im Angebot entdeckt, sagt bitte Bescheid. Viermal werden wir noch wach, heissa dann ist Weihnachtstag!
Katharina Wasmeier - Runter vom Sofa!
ɾҽԃҽɳ ιʂƚ ʂιʅႦҽɾ> ʂƈԋɾҽιႦҽɳ ιʂƚ ɠσʅԃ
Freitag, 19. Dezember 2025
Freitag, 12. Dezember 2025
Adventskalender
Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei,
dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür! Ok, das ist jetzt
natürlich eine arg verkürzte Fassung vom schrööcklich langen Warten auf das
Christkind, auf dass es mir mit einem Glöcklein klingle und all meine
(materiellen) Wünsche erfülle. Weil wir wissen natürlich: 24 aufregende und
durchaus auch enttäuschende Etappen gilt es zu überwinden, bevor am Ende der
Türchen ein besonders großes, aber nicht minder geschmackarmes Stück Schokolade
zweifelhafter Qualität aus dem Karton gedrückt werden kann. Adventskalender,
der: „zeigt […] die verbleibenden Tage bis Weihnachten an.“
Dies kann er in unterschiedlichster Form tun. Da wäre natürlich zum einen
besagte schokoladene Enttäuschung, an deren Ende oft ein Kuchen steht, weil
irgendwie muss man die gegossenen Glöcklein, Elflein und Bäumlein ja doch
verarbeiten. Dann gibt es den hingebungsvoll selbstgenähten aus der Kindheit,
in dem sich Sackerl für Sackerl allerlei Leckeres, Nützliches und mit Glück
auch Süßes befindet – und das große Staunen, wie das alles wohl dort
hineingekommen sein mag. Dieser Magie ist vermutlich die Sehnsucht geschuldet,
auch im Erwachsenenalter von dem Wunderkalender durch den Advent begleitet zu
werden, und deswegen ist der Markt für die Großen in dem Segment enorm
gewachsen: Ganze Parfümerien und Autohandlungen werden in Schachteln und Formen
gestopft, um dann 24 Tage für große Augen zu sorgen, wobei man diese Varianten
entweder (faul) im Laden erwerben kann oder in stunden- und tagelanger
Sorgfaltsarbeit (fancy) und unter Aufbietung des halben Weihnachtsgeldes selbst
gestalten und befüllen. Das alles ist aber kein Vergleich zu der
Sorgfaltsarbeit, zu der sich in den vergangenen Jahren immer mehr Eltern selbst
verpflichten und einen lustigen kleinen Weihnachtswichtel daheim installieren.
Der kommt nachts, veranstaltet allerhand Unfug und hinterlässt neben
zahlreichen Spuren natürlich auch täglich ein Geschenklein. Elternmenschen
kriechen also Nacht für Nacht auf allen Vieren durch Wohnungen und ersinnen
Szenarien, die einen Roland Emmerich vor Neid erblassen lassen: Einbrüche
werden fingiert, Fußspuren getapst, Unfälle behauptet und der Interimsmitbewohner
Nacht für Nacht zum Leben erweckt. Mein Adventskalender ist auch lebendig, und
er ist, ich schwör’s, der entzückendste, den die Welt jemals gesehen hat. Abend
für Abend betritt er mein Wohnzimmer, wo ich bereits freudig warte. Der
Adventskalender schüttelt sich und rüttelt sich und führt ein kleines Tänzlein
auf und reckt mir all seine 24 Hosen- und Jackentaschen entgegen als Zeichen
für mich: Türl öffnen, los! Dann darf ich suchen – und finde Schoki, Gummibärln
und Riegelchen. So schön war ein Adventskalender noch nie! Ach übrigens: Und
wenn das fünfte Lichtlein brennt, dann hast du Weihnachten verpennt!
Freitag, 5. Dezember 2025
Weihnachtsstochastik
Es gab da mal diese Sache in Mathe. Also zu der Zeit, als Mathe nicht mehr Mathe hieß, sondern irgendwie Algebra und noch sowas, Geometrie oder so. Es ging darin sehr viel um Wahrscheinlichkeiten, mit Senf gefüllte Krapfen und irgendjemanden namens Bernoulli oder so. Irgendetwas sehr lästiges jedenfalls, das mir später im Gruselfach Statistik wiederbegegnet ist und auch da nicht sonderlich eingeleuchtet hat. Hier wie dort gab es etwas, das nannte der Lehrkörper Kombinatorik, und ich glaube, damit konnte man ausrechnen, wie viele Menschen ein Los kaufen müssen, um eine Million zu gewinnen. Naja, wahrscheinlich war’s anders, aber ihr wisst schon, was ich meine. In ähnlicher Form ist mir dieser theoretische Kladderadatsch nochmal später in Linguistik begegnet, nur wesentlich einfacher für mich als Dyskalkulatorin, wurde doch hier mit Buchstaben und Wörtern kombiniert und nicht mit dummen Zahlen. Wie dem auch sei: Ich wünschte, ich hätte das alles ein bisschen besser verstanden oder zumindest in den Stunden besser aufgepasst anstatt Comics Lewis Carrolls Jabberwocky als Comic auszuarbeiten. Denn stünde ich jetzt nicht wieder wie der Ochs vorm Berg bzw. wie der Wichtel vor der Weihnachtsplanung. Denn just am gestrigen Tage wurde die alljährliche Angstfrage gestellt: „Wie machen wir’s denn dieses Jahr mit Weihnachten?“ Plötzlich herrschte Stille im Raum, betreten wurde nicht nur geschwiegen, sondern eilig ein Fingernagel kontrolliert und hier und dort ein Stäubchen weggefegt. Tja, wie machen wir’s denn bloß? Früher war das einfach: Am 24.12. wallfahrteten die Hl. Drei Könige (aka meine Geschwister und ich) zum Elternhaus, um dort ein bis drei Tage zu verbleiben und hinterher als prallgefüllte Stopfmägen wieder nach Hause zu rollen. Jedes Jahr dasselbe Schema, keine Diskussionen, kein Chaos, dafür Zuverlässigkeit und wohlige Ordnung. Ein Umstand, nach dem man sich doch grade herzlich sehnt. Nur leider wird das nichts, sondern jedes Jahr schlimmer. Patchworkgroßfamilie macht’s möglich, denn die Verzweigungen und erwünschten (und nicht zu vergessen: unerwünschten!) Menschenkombinationen werden immer zahlreicher. Vatermutterkind? Pfeifendeckel! Es wird sich geschieden und neu verpartnert, Kinder werden erwachsen und ihr eigenes Familienzentrum. Opas versterben unerlaubt, Papas werden einsam und Omas immobil, und am Ende steht man da und muss siebzehn unterschiedliche und teils fremde Parteien irgendwie so unter einen Nikolaushut basteln, dass sich die einstige Kernfamilie wenigstens für ein paar Stunden sehen und singen kann. Es kann sich nur um Stunden handeln, bis mich ein Weihnachtsexcel erreicht oder ein Weihnachtsdoodle. Zum Glück bin ich so pflegeleicht: Ich folge einfach dem Ruf der Speisen. Wer diese zubereitet und gereicht – mir doch egal. Als praller Stopfmagen lieg ich dann auf irgendjemandes Canapé und überleg nochmal, wie dieses Fach gleich wieder hieß. Vielleicht war’s doch Stochastik?
Freitag, 28. November 2025
Das Imperium schlägt zurück
Herzlich willkommen zu unserer Serie „Nürnberg leuchtet“.
Nach der letztwöchigen Pilotfolge kommt heute schon Teil 2 in die Kinos. Äh,
Zeitungsseiten: „Das Imperium schlägt zurück“! Unsere Produzenten haben keine
Kosten und Mühen gescheut für ein Spektakel allererster Güte. Ok das ist
gelogen, in Wahrheit hat die Produzentin (ich) massiv Kosten und erstmal auch
sämtliche Mühen gescheut, war aber dennoch nicht willens, das Feld einfach
kommentarlos dem Feind zu überlassen, der inzwischen weiter aufgestockt und
seinen Wohnzimmerbalkon in eine wahre Bumsbude verwandelt hat. Skandal im
Sperrbezirk! Ich nehm’s sportlich und folge, wenn Nebelschwaden, Nieselschnee
und Baustellenschikanen mir mal wieder die Sicht versperren, einfach dem roten
Licht, um nach Hause zu gelangen. Beziehungsweise jetzt neuerdings meinem
eigenen. Nämlich in Gestalt einer diskret leuchtenden Funzel, die in warmweißem
Licht gedachte Sternderlformen mit größter Zurückhaltung an der Scheibe funkeln
lässt und höchstens deswegen blitzt und blinkt, weil jemand (…) nicht begreift,
wie die 6 Stunden Betrieb-18 Stunden Unbetrieb-Funktion der Zeitschaltuhr
funktioniert und deswegen allabendlich erst einmal ein Mordsblinkkonzert
veranstaltet, bis das Ding so läuft, wie ich das will. Und mich mit
Überraschungen auf Trab hält immer dann, wenn einer der Saugnäpfe, mit denen
die Leuchtsache ans Fenster gepappt ist, sich löst und mit Getöse und
Lichtblitzen durchs Wohnzimmer springt. Und während ich mir auf die Schulter
klopf wegen vorbildlichen Adventverhaltens samt Kranz in zurückhaltend Optik
protzen Freunde mit riesigen, opulent geschmückten Weihnachtsbäumen, die ihre
Wohnzimmer weit vor der Zeit in Stimmung bringen. Ich will nicht gehässig sein,
freue mich aber auf Fotos des Liebespaares unterm komplett abgenadelten
Baumskelett zu Weihnachten. Ha! Nun gut. Peanuts – weil schließlich schlägt das
wahre Imperium ab heute Abend ja wirklich zurück. Sobald die kindliche Kaiserin
von ihrem Elfenbeinturm hinab zum Volke spricht, alle Herrn und Fraun zu seinem
Markte einlädt und dann unverständlicherweise auch noch ausnahmslos alle
willkommen heißt (warum heißt es nicht „und wer da kommt, der soll willkommen
sein. Außer JGAs. Und Menschen mit hellen Mänteln. Und solche mit schlechter
Laune. Und die mit den blinkenden Rentierhauben.“? Ich mein, damit wäre doch
wirklich allen geholfen.) geht sie los, die lustige Wallfahrt hinein ins
weihnachtliche Epizentrum. Auf einen Hechtsprung rein ins Glühweinfassl, einmal
durchs Käsefondue gekrault, im Vorbeigehen kurz den Ärmel ins Schaschlik
getunkt, Rohrschachtest mit Senf und Winterjacke, und das alles mit kalten
Füßen und heißem Köpfchen, jede Menge Freunde und Bekannte treffen und alle
anderen in der FeuZaBo-Schlange kurzerhand zu solchen auserkiesen – ich freu
mich drauf. Ein Kerzerl gibt’s am Sonntag auch. Aber nur ein ganz diskretes.
Halleluja!
Freitag, 21. November 2025
Nürnberg leuchtet
Yippie Yah Yei ihr Schweinebacken! Endlich ergibt
alles einen Sinn. Die klirrende Kälte, die macht, dass man sich plötzlich sehr
für die Erfindung „beheizbarer Mantel“ interessiert und nicht so sehr für
nachmittägliche Spaziergänge. Die Lebkuchen, Schokonikoläuse,
Spekulatiuspackungen und Dominosteine, die uns seit August aus den
Supermarktregalen hinterhältig angrienen und die zu erwerben oder gar zu
verzehren wir uns seitdem hartnäckig geweigert haben. Die 17 offenen Tabs am
PC, die mein verzweifeltes Suchen nach „Tageslichtlampe“ und „beheizbares
Fußkissen“ bezeugen. Das nagende schlechte Gewissen, ob es, wirklich jetzt
schon in Ordnung ist, die Heizung ein kleines bisschen weiter aufzudrehen. Die
schaurige Dunkelheit, die Menschen (mich) zum sofortigen Darniederlegen zwingt
(nebst schauriger Erkenntnis, dass im Bürokomplex gegenüber gar nicht
ausschließlich wahnsinnige Highperformer arbeiten, sondern es nicht wie
vermutet mitten in der Nacht, sondern grade mal 17 Uhr ist). Die zahlreichen
Tipps zum Basteln der meisterlichsten Laternen, die meinen Instgram-Feed
fluten. Und der Umstand, dass in meiner Familie bereits ein-, zweimal das
Lieblingsthema „Wie machen wir’s eigentlich an Weihnachten?“ touchiert worden
ist. Alles, was grade noch völlig sinnbefreit erschien, leuchtet mir
urplötzlich ein. Und das im wahrsten Sinn des Wortes, denn: Nürnberg leuchtet!
Ganz besonders leuchtet es bei mir vor der Haustür. Überall auf der Welt sitzen
gerade vermutlich Agenten verschiedenster Geheimeinrichtungen vor ihren
Satellitenbildern und wundern sich. Nanu, denken sie, was ist denn das hier für
ein heller Fleck? und zoomen weiter, immer weiter hinein in die von Düsternis
gezeichnete Welt. Inmitten des schönsten Mitteleuropas leuchtet es strahlend,
der Zoom zeigt Deutschland, Bayern, Franken, Nürnberg, und urplötzlich irgendwo
zwischen Rathenauplatz und Stadtpark einen Feuerwehreinsatz! Oder ein schweres
Polizeiaufgebot? Anders können sie es sich nicht erklären, dass dort auf einmal
die wildesten Lichter zu sehen sind. Sie versuchen, die Morsezeichen im heftig
blinkenden Grell zu dechiffrieren, doch keine Chance. Handelt es sich
vielleicht um Deutschlands größte Disko, die mal kreischend orange, dann
ampelgrün, auf einmal alarmsignalrot und dann wieder neonblau erscheint? Hat
sich da jemand eine private Flugzeug-Landebahn gebaut, die es sogleich zu
melden gilt? Ach nein, liebe Geheimdienste, ich kann euch beruhigen: Es sind
nur meine Nachbarn, die ihre alljährliche Weihnachtsbeleuchtung installiert
haben, vermutlich um für „stimmungsvolles Ambinente“ zu sorgen. Fragt sich nur,
welche Stimmung da herbeigerufen werden soll. Immerhin klappt’s, ich fühl mich
schon sehr nach Glühwein aus dem Tetrapack und RTL2. Adveniat regnum tuum – ich
freu mich drauf!
Freitag, 14. November 2025
Superpower
Ich hatte mal eine Freundin mit einer ganz sehr besonders
speziellen Gabe. Ich würde sogar sagen: eine Superkraft. Diese Freundin konnte
nämlich allein kraft ihres Willens ihre Peristaltik kontrollieren und somit
ungeachtet aller äußeren Umstände ihre Verdauungsprozesse an diese anpassen. So
erfreute sie sich beispielsweise in einem zweiwöchigen Campingurlaub irgendwo
in der kroatischen Walachei eines ausgezeichneten Durch- und Langschlafs ohne
jegliche Verlegenheit, nächtliche Wanderungen durch Fröstel und Regen über den
Campingplatz zum nächsten Klohäusel unternehmen zu müssen und schlief bis spät
in den Tag hinein den Schlaf der Gerechten, ohne dass ein Hauch von Notdurftnot
sie aufzuwecken vermochte. Während wir anderen kaum dass wir uns hingelegt hatten
schon wieder den Schlafsack von uns schälen, uns mit Crocs und Gummistiefeln
oder Regenschirmen bewaffnen und die lästige Reise antreten musste und morgens
mit der ersten Regung Sonnenschein direkt auch sogleich einen dringenden
Klowunsch verspürten, der keinen Aufschub gestattete. An dieser Frau habe ich
gestern Abend gedacht. „Warum bin ich so, dass ich lieber eine halbe Stunde im
warmen Bett liege und versuche, etwas absolut Unausweichliches irgendwie durch
Denkarbeit sich in Luft auflösen zu lassen, obwohl ich weiß, dass ich ohnehin
verliere, anstatt einfach schnell aufzustehen und aufs Klo zu gehen?“ habe ich
laut durch den Palast gewehklagt. „Genau“, hat der Mann klug ergänzt, „und dann
schläfst du dabei ein und musst dafür nachts raus, du Dummerchen.“ Was mir
überraschenderweise lieber ist. Zumal im Winter. Gerade hat man sich endlich
vor der garstigen Dunkelheit und grausigen Kälte der Welt im Allgemeinen und
der Wohnung im Speziellen in die wunderschöne Bettwärme geflüchtet, das Nest
schön vorgeheizt von der Wärmi, alle Körperteile bis hinauf zur Nase sicher
unter Daunen verstaut, und dann drückt die Blase und man soll schon wieder
aufstehen, damit man nachts nicht mehr muss? Pah! Ich sitz bzw. lieg das aus!
Schnell einschlafen und die Blase überlisten ist die Devise, weil viel lieber
geh ich nachts aufs Klo, wo ich nicht über mögliche Kälte nachdenke, sondern
über gar nichts, mir deswegen auf dem Weg die Hand am Türgriff anhaue, den Kopf
am Regalvorsprung und den kleinen Zeh an einer unvermittelt aufgetauchten
Türschwelle. Zurück im Bett fühle ich mich dann gerettet und entspannt und noch
dazu um die große Freude beschenkt, noch drei oder fünf Stunden schlafen zu
können – ein großer Genuss! Meinem Bruder, derzeit in Nepal wanderurlaubend,
stellt sich die Frage nicht: „Es ist hier acht Uhr abends, ich lieg in voller
Merinomontur samt Mütze und Schal im Polarschlafsack in irgendeiner unbeheizten
Baracke, und wie jeden Abend bete ich, dass ich nicht heut Nacht bei
mittlerweile Minus zehn Grad aufs Klo muss“, reiseberichtete es gestern. So
gesehen: Es könnte alles schlimmer sein. Meine Superpower: schlafen!
Freitag, 7. November 2025
Stadttourismus
Letzte Woche war ich in der Stadt. Ich finde es
bemerkenswert, dass ich immer noch „in die Stadt fahren“ sage. In der ersten
Hälfte meines Lebens war das durchaus zutreffend: Im östlichen Speckgürtel
wohnhaft waren Ausflüge in die City etwas Besonderes, das zwar auch nur eine
zehnminütige S-Bahnfahrt nötig gemacht hatte, wofür man sich aber brav
herausgeputzt und für die große Reise fein gemacht hat. Heute lebe ich innen
mitten drinnen im zentralsten Zentrum, habe lange mit mir gerungen, bis ich
soweit war, mich für einen schnöden Besuch beim Discounter um die Ecke nicht
extra in den edlen Ausgangszwirn zu kleiden, sondern mit großer zur Schau
getragener Egaligkeit zum Einkauf auch mit Jogginghose und Unfrisur zu begeben,
und trage diesen Gammellook seit langem stolz als Zeichen echten Urbanismus vor
mir her, derweil ich herausgeputzte Menschen in der Innenstadt verächtlich als
offensichtlich Auswärtige identifiziere. Deren viele schlenderten an besagtem
Tag durch die Gassen und Winkel und störten mein Auge durch blanke Anwesenheit.
Nicht so sehr wegen des Herausputzes, sondern weil sie mein Vorhaben
zerstörten, als wahre Bohemienne mitten am schönsten Werktag durch
bedauernswerte Arbeitstierchen zu flanieren und nach links und rechts großzügig
mitleidige Blicke zu verschenken an all diejenigen, die das Flair nur kurz in
einer Mittagspause genießen durften, derweil ich frei von Zeit und Raum einfach
tun und lassen konnte, was ich wollte. Doch weit gefehlt: In der ganzen
Innenstadt wimmelte es nur so vor Müßiggängern, denen man den Stadttouristiker
schon von weitem ansah – die protestantische Feiertagsextraregelung macht’s
möglich. Meiner Exklusivität beraubt befiel mich ein Verdruss, und ich wandte
mich ab von all der obszön zur Schau gestellten Freizeit, um heimwärts zu
kehren und im stillen Kämmerlein ganz für mich alleine meine Freiheit zu
zelebrieren. Doch wie es der Zufall will wandte ich mich nicht etwa dem Heimweg
zu, sondern versehentlich einem riesengroßen gelben Bus, den ich kurzerhand
bestieg und damit meine Heimkehr um gut zwei Stunden nach hinten verschob … In
dieser Zeit habe ich viel geschaut, primär nämlich über Mauern, über die man
sonst nie schauen kann und hinter denen sich hübsche Gärten und unerwartete
Friedhöfe verbergen. Außerdem viel wichtiges über die Stadt gelernt und ebenso
viel wieder vergessen (bis auf die sehr wichtige Info, dass die beiden roten
Hasen des örtlichen Energieversorgers „Sitz und Flitz“ heißen) … Zwei Stunden
dauert es nämlich, mit der hiesigen „City Line“, einem riesigen gelben
Doppeldecker-Bus durch die Noris zu kreuzen und diese einmal ernsthaft aus
Touristenperspektive zu erfahren. Den Bus hatten wir quasi für uns alleine:
Während die Touris herausgeputzt die Gassen durchstriffen, saßen wir im
urbanistischen Gammellook im Oberdeck und schauten ihnen beim Wuseln zu. Öfter
mal Tourist in der eigenen Stadt sein? Klare Empfehlung! Dafür kann man sich
dann schon auch mal rausputzen.