Ihr Herren und Frauen, ich sag mal so: Das ging jetzt alles doch ein bisschen plätz- nein: plötzlich! Da bist du grade eben erst noch hemdsärmelig im Biergarten umeinandergesessen und hast mit einem Auge die schlimmen Folgen der Erderwärmung diskutiert, mit dem anderen aber halt auch schon irgendwie ganz geil gefunden, und dann hat jemand an einer großen Uhr gedreht und statt nur auf Winter- direkt auf Weihnachtszeit umgestellt. Sogleich Doppeltunddreifachstress wegen gleichzeitig vom Endlossommer erholen und Couch und Suppe und Steuererklärung und dazu aber auch noch Adveniat! und FeuZaBo@CKM und ja mei du, wirklich sauschön dass du auch noch einmal auf Heimatbesuch kommst vorm Weihnachten, freu ich mich echt, aber macht’s dir was aus wenn wir uns nicht exklusiv sondern zusammen mit allen anderen 37 Besuchern treffen könnten? und dazu noch Denken beim Schenken und Basteln statt Hasteln und das alles auch noch immer mit in einer Hand die Wetter-App und in der anderen das allzeit-bereit-Paket aus Schirm, Tasse und Notizpapier. Selbstverständlich aber hab ich diese Unbill mit dieser ganz speziellen Effizienz bewältigt, die ich am besten anhand des sich soeben ereigneten Vorfalls skizziere, dank dessen meine bislang von jeglicher Weihnachtsatmosphäre verschonte Wohnung sich im Bruchteil einer Sekunde in eine olfaktorische Adventswolke verwandelt hat, weil ich ganz vielleicht beim Umeinandereffizienten aus Versehen ein klitzekleinesbisschen an eine Orangenöl-Duftsache hinangehutzt bin. Atemlos durch die Weihnacht, und schwindlig auch, dabei hab ich doch noch eine Geschichte vorbereitet, bei der ihr euch das Ende aussuchen könnt: Letzte Woche Einkaufshölle, angemessene Überfüllung, Stimmung & Ausbeute, Rückfahrt nach knapp vier Stunden, Fahrrad im Eisregen, innige Sehnsucht nach warmem Zuhause. Plötzlich Schikanensituation, sprich alte Dame mittig im Weg und dank Einkaufstaschen links und rechts kein zügiges Vorbeikommen möglich. Jetzt Rätsel: Was habe ich gemacht? A) Ich klingele hektisch und drängele mich, weil keine prompte Reaktion erfolgt, zwischen lahmer alter Tatterin und Blumenkasten vorbei, wobei ich ihr einen Taschenhenkel aus der Hand sowie die halbe Pflanze umreiße. Kein Grund zur Aufregung, die Alte steht schließlich noch und soll halt gefälligst morgens einkaufen gehen statt wenn arbeitendes Volk unterwegs ist, oder sich was bringen lassen, vom Alten oder Kindern oder Caritas oder so. Fünf Minuten später bin ich daheim und kann endlich vor die Glotze, darin empörende Scripted-Reality-Reportage über Gesellschaftsverrohung. B) Ich sehe, dass die Dame hinkt und die Hände blau sind, wegen schwerer Taschen und Kälte. Wenn ich ehrlich bin hab ich keine Eile. Auf meine Frage, ob ich helfen kann, sagt sie „Das kann ich nicht verlangen.“ Ich sage „Tun Sie ja auch gar nicht“, und auf dem 15-minütigen Weg zu ihrer Wohnung berichtet sie mir nicht nur freundlich von ihrem langen Leben, von Flucht, vom Beinbruch, von den Kindern, die immer noch arbeiten, wenn sie anruft, von der einsamen Wohnung, vom Nichtzurlastfallenwollen, sondern bleibt gelegentlich stehen. Um das Bein auszuruhen. Und um Sachen zu sagen wie „Dass es so jemanden wie Sie noch gibt!“, „Sind Sie ein Weihnachtsengel?“ oder „Ich hätte nicht gedacht dass ich so etwas noch einmal erlebe!“, was mich gleichsam zutiefst rührt wie beschämt. Die Dame möchte sich erkenntlich zeigen, doch ich nehme nur das warme Gefühl mit nach Hause und deck mich damit zu. Also: A oder B – was hab ich gemacht? Und: Was hättet ihr getan? Mit diesem kleinen Rätsel entlasse ich euch fürs erste. In eine weitestgehend friedliche, freundliche, freudige, warme, vergnügliche, zufriedene und achtsame Vor- und dann auch noch Weihnachtszeit. Von der mir mal jemand erzählt hat, dass es da gar nicht immer schon nur um teure Geschenke und opulente Speisen ging, sondern um irgendwas anderes; ich glaub auch, dass das was mit diesem seltsamen „Christentum“ zu tun hat, von dem neuerdings immer alle so wichtig reden. Was war das nur gleich wieder? Hm … Ich muss mal raus und atmen gehen, mir ist ganz blümerant. Frohes Fest!
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