„Als Nahtoderfahrung […] wird ein breites Spektrum
tiefgreifender persönlicher Erfahrungen bis hin zu […] Transzendenzerfahrungen
bezeichnet, die von Menschen gemacht werden, die sich in einer
lebensbedrohlichen Situation befunden haben.“ So steht’s geschrieben im
digitalen Brockhaus, und darin hab ich nachgeblättert auf der Suche nach einer
Erklärung für meine letzte Woche gemachte Erfahrung. Ich habe die Situation in
der Tat „er-fahren“, saß ich doch im Moment der allergrößten Furcht in einer
Gondel. Bis zu diesem Punkt ähnelt das NTE (s.o.) demjenigen, das ich einst im
schönen Gardaland er-fuhr und mich vermutlich zum meistschreienden, vielleicht
auch meistausgelachten Gast der Freizeitpark-Attraktion „Raptor“ gemacht hat:
Eine grauenhafte Achterbahn, die sehr viel mit kein Boden unter den Füßen,
jähen Kurven und steilem Abfall zu tun hat und in der Menschen mit
extraterrestrischer Höhenangst (ich) nichts zu suchen haben. Im Gegensatz zur
letztwöchig getanen Fahrt hatte diese jedoch einen großen Vorteil: Sie ging
derart rasant vonstatten, dass ich mich an Einzelheiten schon beim Verlassen
des Sitzes nicht mehr erinnern konnte. Ganz anders jetzt. „Genießen Sie die
Fahrt!“ hörte ich eine ferne Stimme rufen nur Sekunden, nachdem mir eine
Sitzfläche in die Kniekehlen geschossen und mein Schicksal besiegelt worden
war. Ich schwob von dannen, unter mir die Welt sehr klein, vor mir ein Berg
sehr hoch und in mir drin der tönende Nachklang von „30 Minuten Fahrt,
Entspannung, Ruhe, Genuss“. „Da rauf“ ist der Kufsteiner Stadtberg, ein
winzigkleiner Bruder des Wilden Kaisers, für gehschwache Personen ausgestattet
mit einem Sessellift, der in zwei Etappen auf 1272 Meter führt und oben mit
Einkehr, Spazierwegen und Postkarten-Panorama lockt. Geblendet von solcherlei
Versprechen war für mich das perfekte Ausflugsziel identifiziert, und ich
schnürte ein Sackerl und begab mich zum Berg. Wo mich die Aussicht auf Aussicht
bei Kaiserwetter derart blendete, dass das Wort „Sessellift“ jede Bedeutung
verlor. Was es bedeutet, bemerkte ich erst, als ich meinen Körper verließ und
über die Gipfel transzendierte: ein windiger Ein-Personen-Sitz mit einem
Strohhalm als Sicherung und einer Stahlseilaufhängung, wo man beim Hinaufblick
sagt, da hängt jeder Kleiderbügel in meinem Schrank stabiler. Hinaufgeblickt
hab ich viel, denn hinunter ging es 5 bis 50 Meter in die Wälder, und dort
baumelte ich, während ich mit 2m/s sanft in den sicheren Tod entgegenschaukelte
und mir sicher war, wenn nicht im Absturz, dann im Infarkt zu enden … Ich
transzendierte. Schwob auf den Gipfel und dort durch eine Postkarte, spazierte,
kehrte ein und wieder aus und schaukelte später ganz und gar außerkörperlich
den Berg wieder hinab. Fühle mich seitdem weise und erhellt. Der Raptor soll
ruhig kommen!
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