Freitag, 9. Juni 2023

Morgen goods wedder

 

Gestern ist etwas Dramatisches passiert: Ich wurde einfach so, ratzifatzi nonchalant im Vorbeigehen einer der Säulen meines Lebens beraubt. Entsprechend bin ich markerschüttert, und weil ich aufgrund erzkatholischer Erziehung nächstenliebend an die anderen denke, möchte ich diese Erschütterung directement mit euch teilen. „Ich hab gelesen das mit dem Aufessen und dem schönen Wetter stimmt überhaupt nicht“ lautete ein tiefsinniger Wortbeitrag in geselliger Runde. Ich, ebenso tiefsinnig: „Nicht. Haha. Soso.“ Weil es ist freilich ein Schmarrn. Seit Kindesbeinen an hab ich gelernt: Iss schön auf, sonst wird morgen das Wetter schlecht. Schlechtes Wetter?! Kann keiner wollen, vor allem kann niemand dran schuld sein wollen, und schon gleich dreimal nicht dann, wenn man grad zu einer mehrtägigen Ferienreise in El Paradiso angekommen ist, dem parkähnlichen Blumen-, Wiesen- und Gemüsefeld der Großeltern, dessen Adventure Score auf fröhlichen 100 Prozent leuchtete und damit im direkten Vergleich mit dem Hausinneren trotz zahlreicher Räume voller potenzieller Abenteuer und Geheimnisse und Dasgehtdichnichtsans schwer vorne lag (außerdem gab es in diesem Innen nur einen Fernseher namens „NEINERSTABENDS!“). Ergo hab ich aufgegessen, und siehe da: Der Sommer brannte lichterloh und brachte endlose Tage voll Gelato, Chlorgeruch und Freibadpommes (aufgegessen!). Dank dieser oekotrophologischen Frühförderung habe ich zeitig gelernt, ein „satt“-Gefühl mit Bravour zu ignorieren und stattdessen weiterhin aufs Brävste aufzuessen, und als das Wetter begann, keine ganz so dominierende Rolle in meinem Leben zu spielen, übernahmen erst flugs der Geiz („Lieber den Magen verrenkt als dem Wirt was geschenkt.“) und später Weltrettungsfantasien („Das können wir doch jetzt nicht wegschmeißen, komm tu her!“), wofür ich ja dank Überfressungstraining von Kindesbeinen an bestens vorbereitet war, im Hinterkopf immer ein leichtes Gefühl der Schuld, wenn‘s am Tag nach einer verschmähten Garniturtomate dann doch einmal geregnet hat … Und jetzt das: „Das ist irgendwie nur ein Übersetzungsfehler von irgendwo, das heißt irgendwie ganz anders.“ Geschwind befragte ich das mobile Weltwissen, und siehe da: „Die Redensart beruht nämlich auf einer missverstandenen plattdeutschen Formulierung. Im Plattdeutschen lautete diese: ‚Et dien Töller leddig, dann givt dat morgen goods wedder.‘ Daraus wurde im Hochdeutschen dann schnell der Ausdruck ‚Iss deinen Teller leer, dann gibt das morgen gutes Wetter‘. Doch bei dieser Übersetzung unterlief ein Fehler: Denn ‚wedder‘ heißt gar nicht ‚Wetter‘, sondern ‚wieder‘. Eigentlich müsste es also korrekt heißen: ‚Iss deinen Teller leer, dann gibt das auch morgen wieder etwas Gutes.‘“ In diesem Sinne wünsche ich gesegneten Appetit. Und wenn’s doch mal regnet: Das wünschen wir uns doch heutzutage alle.

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