Es gibt da diesen Moment, der in mir offenbar irgendeine
Sicherung durchbrennen lässt und mich viel vergessen lässt: Mühe, Schweiß,
Tränen, Zorn – alles fortgeblasen. Dieser Moment wird davon eingeleitet, dass
ich einem Gegenüber (Geburtstagskind / Schwiegermutter/ Finanzbeamter) zu einem
bestimmten Anlass (Geburtstag / Bestechung / Beschwichtigung) ein kleines
Fläschchen überreiche. In diesem Fläschchen wabert eine goldgelbe Flüssigkeit,
die in medizinischem Kontext womöglich Ekel erregen würde, im gemeinten aber zu
größter Freude – zumindest bei Connaisseuren und Connaisseusen uralten Wissens,
ewiger Naturgewalt und der Magie alles Seienden. Ich sag dann leger: „Schau,
für dich.“ und die Antwort so: „Selbstgemacht?“ und ich so: [Augenniederschlag,
Achselzuck] „Mhmnjoa?“ und dann so: „Aaaaaaaaaaaaaaaaawww!“ Dann durchströmt
mich warmes Glück sowie das Wissen: Es hat sich wieder mal alles gelohnt. Und
es schwingt für einen kurzen Moment nur mehr ganz zart und leise die ewigste
aller Fragen mit: Warum zum Geier freuen sich Menschen so sehr über
„Selbstgemachtes“? Gute Menschen, bitteschön! Die schlechten machen Dinge mit
Nasenflügeln, Augenbrauen und Mundwinkeln, was vermutlich ein Lächeln
darstellen soll, sagen „Ähä … Danke?!“ und lassen das suspekte Elixier eilig
verschwinden, während sie sich denken „Wenn ich sowas haben wollert, tät ich’s
mir halt kaufen.“ Ich für meinen Teil freue mich, weil in mir ein
Kräuterweiblein lebt, das meiner Omi (Gotthabsieselig) frappierend ähnlich
sieht. Alljährlich im Frühjahr und Frühsommer, also ziemlich genau jetzt,
erwacht die Omi aus einem Nickerchen, reibt sich kurz die Augen, sieht sich ein
bisschen um und ruft freudig aus: „NATUR! PRODUZIEREN! JETZT!“ Dann klatscht
die Omi in die Hände und versetzt mich in emsige Betriebsamkeit, denn es
bleiben nur wenige Tage, in denen die Natur uns die köstlichsten Dinge schenkt,
die es zu verarbeiten und konservieren gilt. Alsbald kann der aufmerksame
Beobachter eine Dame mittleren Alters (mich) durch Parkanlagen, Wälder und
Verkehrsinseln streifen sehen, die beispielsweise nach duftenden weißen Dolden
Ausschau hält, um sie daheim mit Wasser, Zucker und Feenstaub zu mischen und in
köstlichen Sirup zu verwandeln. Oder Erdbeeren in Marmelade, Rhabarber zu
Kompott, Johannisbeeren zu Gelee oder oder oder Ach wie kontemplativ! … Einige
Zeit später stehe ich rot vor Zorn und Hitzedampf in einem küchengroßen
Dampfkochtopf und hasse die Welt: Alles klebt, rote Spritzer zieren Boden und
Wände, jeder noch so kleine Fingerhut ist ausgekocht und befüllt, doch der Topf
wird einfach nicht leer … Irgendwie hat Oma es wie jedes Jahr geschafft, mich
zu blenden und diesen Teil der Aktion vor mir geheim zu halten. „Nie wieder!“
schwöre ich – und vergesse alles beim nächsten „Aaaaww!“. Danke, Oma.
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