Freitag, 11. Juli 2025

Yoga im Park

 

Ich komm grade von einer Veranstaltung im Park. Festivalfreunden werden hier sogleich die Ohren aufgehen: Rock, Hiphop, schön auf einer Insel? Weit gefehlt, also um genau zu sein: diametral gefehlt. Im Gegensatz zu gängigen Events auf Grünflächen handelte es sich in diesem Fall um eine ausgesprochen leise Variante, und mit fünf Teilnehmenden war das Ganze auch nicht direkt so gut besucht wie gängige Park-Veranstaltungen. Dafür hat es bloß drei Euro gekostet und nicht wie der große Bruder am Dutzendteich 500 Euro (250 Euro Ticket + 200 Euro Getränke + 50 Euro Speisen zweifelhafter Qualität) und auch nur 90 Minuten gedauert (sonst: zwei Tage Vorbereitung, drei Tage Festival, je nach Alter und Trainingszustand ein bis sieben Tage Rekonvaleszenz) und keine größeren Opfer (Geldbeutel, Gesundheit, Beziehung) gefordert außer dass ich recht gefröstelt hab und dann auch noch nasse Füße bekommen. Dafür kann ich jetzt sehr gut Bauch-, Brust- und Wechselatmung und hab mich mal wieder unter meinesgleichen getummelt (Frauen ü40, die mal „was Neues ausprobieren“ möchten). Ich hatte mir also gedacht: Probier doch mal was Neues aus!, und mich für einen „Spaziergang mit Yoga-Atemtechniken“, der zu meiner großen Freude vom Seniorenzentrum ausgerufen worden war (meinesgleichen), wo sich bekanntermaßen nicht nur Menschen meiner Haarfarbe tummeln, sondern auch solche zu erwarten sind, die in einer ähnlichen Konditionsklasse wie ich spielen und mich nicht in den sonst üblichen Konkurrenzdruck mit den gängigen Yoga-Powergirls in Uniform (weiße Tennissocken, schwarze Leggins, dorthineingestopftes lässiges Oberteil, aus dem ironische Tattoos blitzen, Goldschmuck, Knödel auf dem Kopf und irgendwo irgendwas mit Leo-Print) zu setzen drohte. „Heiterkeit, Lachen und viel Bewegung an der frischen Luft“ wurden mir versprochen und lediglich bequeme Kleidung vorausgesetzt – und hey, wenn ich eins kann, dann „bequem gekleidet“. Also bin ich in der weltbequemsten Klamotte (leider nicht der weltwärmsten) in den Park geschlurft, um mich dort einer Gruppe gleichaltriger Damen zwischen 60 und 80 Jahren anzuschließen, die bereits nach den ersten 100 Meter „gehen und ein- sowie ausatmen“ (ein häufiges Kommando, das den altbekannten Blondinenwitz ad absurdum führt) erste Ausfallerscheinungen zu beklagen hatte und eine der Damen wegen akuten Schwindels auf eine Bank niederstreckte … Ich habe mich also gestreckt und gedreht, meine Verdauung angeregt und mein Bewusstsein erweitert und sehr viel geatmet. Die gute staubige Baustellenluft tief ein und den lieblichen Gartenpflegearbeitslärm tieeeef wieder aus. Heitre war ich auch, und womöglich ist mir mal ein kleines Lachen durchgerutscht. Jetzt bin ich sehr entspannt. Und zum Glück nicht von einem bis sieben Tagen Kater bedroht.

Freitag, 4. Juli 2025

Mehr Omelette als Mensch

 

Zustandsbeshcvipvfäd … Huch. Entschuldigt bitte, aber ich bin grade auf meiner Tastatur abgerutscht, ganz ähnlich irgendwie wie damals, als ich in der fünften Klasse zum ersten Mal bei der Talent Night auftreten sollte und vor Aufregung so geschwitzt habe, dass ich dauernd von den Gitarrensaiten abgerutscht bin, dabei saß doch in der ersten Reihe mein großer Schwarm und … naja. Also: schwitzen, genau. Zustandsbeschreibung: Es ist Mittwoch, 2. Juli, 12 Uhr 26. Vor meinem Fenster ist ein savannenbraungerösteter Glutofen, drinnen sitzt ein Omelette am Schreibtisch und versucht, irgendwo im blubbernden Eintopf unter der Schädeldecke einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Hab ich „Decke“ geschrieben? Pfui Deifi, kein Mensch braucht eine Decke, höchstens in kaltes Wasser getauchte leichte Leinen- oder Baumwollware. Im Nacken hab ich einen kalten Waschlappen, auf den Beinen die zur Kühlflasche umfunktionierte Wärmi und über meinen Wasserhaushalt hab ich den Überblick und womöglich auch die Kontrolle verloren wie über meine restlichen Körperfunktionen auch. Manchmal, wenn ich denke, drin ist’s mir zu warm, geh ich kurz auf den Balkon, um nach dem Schock der dort herrschenden 39° schnell wieder in die angenehme Frische der 26° Innentemperatur zu flüchten. Dass ich als echte Südländerin durchgehe (weißblondes Haar, blaue Augen, Alabaster-Haut), erkennt man derzeit gut an meinem Tagesrhythmus: spätabends putzmunter, morgens irgendwie auch, und tagsüber rette ich mich von einer Siesta zur nächsten, die ich nur ungern unterbreche zur Aufnahme von sogenannter Nahrung (Wasser, Gurke, Wassermelone). Die Siesta kann ich absolut beliebig an beinahe jedem Ort und Unort abhalten und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich unsanft geweckt werde vom Sicherheitsdienst eines Supermarktes, wo ich mich erschöpft und willenlos zwischen Mozzarella und Kefir ins Kühlregal in einen tiefen Schlaf werde fallengelassen haben … „Erinnerst du dich an dieses Level aus Super Mario 3, in dem die Sonne versucht dich zu töten? Dieser Tag ist heute!“ whatsappte mir heut ein Freund, und das ist ja im Prinzip das gleiche wie der Satz, den Friedrich Nietzsche 1887 seinem Kumpel schrieb: „Lieber Freund! Was für ein Sommer! Ich denke Sie mir im Zimmer sitzend, mehr Omelette als Mensch!“ … Wer Zweifel hat am unglaublichen Nutzen von Bäumen in der Stadt ist herzlich eingeladen, mich zu besuchen und den Unterschied zwischen Südseite (verdorrte Welt, schmelzende Straßen, Mad Max) und Nordseite (kühler Baumschatten, frische Luft, Ronja Räubertochter) zu fühlen. Insofern: Kümmert euch um die Bäume – und um alle anderen, die das selbst nicht so gut können, auch! Puh, war das jetzt ein anstrengendes Denken. Ich glaub, ich muss sofort wieder schlafbmrööööö …

Freitag, 27. Juni 2025

Packstress

 

„Reisen ist purer Stress, ich sag’s ja immer! Und deswegen lass ich es meistens!“ hat die Freundin konstatiert, als ich ihr von meiner wenig ersprießlichen Rückfahrt aus dem Pinzgau berichtete, die es fertiggebracht hatte, für läppische 350 Kilometer stolze acht Stunden in Anspruch zu nehmen, Spezialunfall 200 Meter vor mir nebst einstündiger Vollsperrung der Autobahn bei 35 Grad im Schatten inklusive – und das unmittelbar nachdem ich das Ende der Wasservorräte festgestellt hatte … Nein, das war nicht so schön. Umso schöner war die Woche vorher, mit blauen Seen und tiefen Schluchten, schaukelnden Schifferln und schwankenden Seilbahnen, enormen Gipfeln und beschaulichen Hütten mit Abend(b)rot. Da kehrt man doch gerne zurück ins Lieblingsnürni, um tiefe Atemzüge staubtrockener Backofenluft zu nehmen und erst einmal drei Tage damit beschäftigt zu sein, das Gepäck zu reorganisieren und dabei vergnügt bis missmutig ganze Pakete ungetragener Klamotten wieder zu verräumen. „Wann genau wollten wir eigentlich ‚abends fein ausgehen‘ und ‚tagsüber lässig durch die Innenstadt flanieren‘?“ frug ich den Mann, der seinerseits stapelweise Ungebrauchtes zurück in den Schrank verstaute. Weil freilich hätten wir beide vorher ganz genau wissen können, dass wir tagsüber in einer feinen Panade aus Schweiß, Sonnencreme und Granitstaub durch die Gegend kraxeln und entsprechend abends viel zu platt sind, um irgendwas anderes zustande zu bringen als die allernötigste Nahrungsversorgung zu bewerkstelligen. Aber richtig, man weiß ja nie, was so passieren könnte, und deswegen sagt der Mann „Wir haben ein Auto, wir können es vollmachen“, und das lassen sich zwei Menschen, die mittlerweile schon Probleme haben, sich zu disziplinieren, für einen kurzen Stadtpark-Besuch ohne Rucksack mit Wasser, Decke, Snack und Regenjacke aufzubrechen, freilich nicht zweimal sagen … Ich wünschte, ich wäre nicht so. Ich wünschte, es wäre mir gegeben, ein winziges Tascherl mit dem Allernötigsten zu befüllen und dann frei von Gepäcksorgen leichthin zu entschwinden. Leider ist mir das nicht gegeben. Leider gehöre ich zur Fraktion „Man weiß ja nie“, und richtig, ich ernte seit 25 Jahren Spott und Häme dafür, einen Besuch in der City nicht ohne große Wasserflasche und einen Besuch im Park nicht ohne einen Sicherheitspullover absolvieren zu können. „Wir sind in der STADT, du kannst dir überall was KAUFEN!“, heißt es dann, und ich zucke schuldbewusst mit den Schultern und sage: „Verdurstungsangst“, und meine das genau so ernst wie „Erfrierungsangst“. Entsprechend nervös bin ich jetzt grade (10 Uhr): Gleich werde ich das Haus verlassen und es ist ungewiss, ob ich es vor 18 Uhr noch einmal betrete und wie die Zeit dazwischen aussieht. Was werde ich brauchen, wie wird das Wetter, wo bekomme ich etwas zu essen? Ich pack mal lieber einen Rucksack. So ein Stress …

Freitag, 20. Juni 2025

Pumuckl und der Kini

 

Wir beginnen den Freitag mit dem Zitat eines der größten Denker und klügsten Philosophen unserer Tage, drunter machen wir’s ja hier nicht. „In den Bergen wohnt die Freiheit, in den Tälern wohnt der Neid“ sind glasklar berühmte Zeilen aus – Pumuckl! Und im Gegensatz zu diesen seltsamen Menschen, die es beständig in irgendein Flachland zieht, das dann zu lästigem, alle Ritzen und Poren für immer auskleisterndem Sand wird, auf das ein entweder zu warmes oder zu schmutziges oder sich auf rätselhafte Weise andauernd füllstandshöhenmäßig als höchst unzuverlässig erweisendes Gewässer ohne gegenüberliegendes Ufer folgt und angeblich DER Sehnsuchtsort schlechthin ist, obwohl es dem Auge schlichtweg nichts zu bieten hat außer endlose und noch dazu meist aufs lästigste lärmintensive Wellen (Meer, das) … hab ich mich jetzt doch glatt zu einem Fadenverlust echauffiert, upsi. Na egal, ich gestern: Vier Stunden aus einem Fenster geschaut und als ich wieder aufgewacht bin, war aus dem trockenen Flachland des Mittelfränkischen eine saftig grüne, dicht bewaldete, schneekuppige, das Auge mit Liebe und das Herz mit Sehnsucht füllende Berglandschaft geworden: Tu felix Austria, auch wenn das mit dem eingangs zitierten Kini, ich weiß, ich weiß, nur noch mit historischem Augenzwinkern zu assoziieren ist. Hier ist Kaiser statt König, und so ähnlich fühle ich mich auch, residiere ich doch by accident in einem wirklich prächtigen Hotel, in dem man bis 10.30 Uhr frühstücken kann und dabei noch dazu ganz alleine ist. Was daran liegen könnte, dass es sich um ein „Sport- und Aktiv-Hotel“ handelt, weswegen man hier um 10 Uhr mutterseelenallein durchs lukullische Buffet pflügt, weil der Rest der Gästeschaft seit 8 Uhr sportlich und aktiv ist. Ich hingegen bin ja mittlerweile eher Freundin des sogenannten „Passiv-Urlaubs“, auch wenn ich um ehrlich zu sein grade nicht ganz freiwillig am Schreibtisch mit Fenster zu genau demjenigen Berg sitze, auf dessen Gipfel die anderen seit Stunden herumkraxeln, und noch dazu ein bisschen schlafe, weil „Bergblick“ heißt auch „Sonnenaufgangsblick“ und der war um 5.13 Uhr. Gähn … Dabei ist hier pretty much to do, und damit man das nicht vergisst, bekommt man pünktlich um 8 Uhr eine Email mit Unternehmungsvorschlägen: Bergbahn, Gipfelbesteigung, Seedurchquerung, Wasserfallbestaunung, Walderforschung? Oder lieber Aromapeeling, Zirbenvitalmassage, Algenpackung, Yinyoga und Poolschaukel im Mystikraum, der Bio-Kräutersaunastube oder dem Amethysten-Dampfbad? Ich weiß es nicht, und darum muss ich mich jetzt auch schweren Herzens hier verabschieden, um mich um die weitere Tagesgestaltung zu kümmern bzw. diese zu treuen Händen an meinen Adlaten weiterzureichen. Urli eben! Findet ihr blöd, weil ihr müsst arbeiten? Na na, gemach! Oder wollt ihr, dass Pumuckl und der Kini recht behalten?

Freitag, 13. Juni 2025

Schwung im Alltag

Der (alternde) Mensch braucht oftmals einen Impuls für „Mehr Schwung im Alltag“ – zumindest, wenn man den wiederkehrenden Überschriften in der SeniorenBRAVO (aka Apothekenumschau) Glauben schenkt. Was wir natürlich tun, seitdem wir festgestellt haben, dass im Laufe der Jahre zunehmend Themen darin auftauchen, die uns (mir) wie auf den Leib geschnitten sind. Eine Zeitschrift nur für mich? Nehm ich! Googelt man „Mehr Schwung in den Alltag bringen“, so identifiziert die fleißige KI hierfür drei Hauptkategorien: Bewegung & frische Luft, Abwechslung & neue Erfahrungen sowie „Gesunde Gewohnheiten“, und ich kann mit Fug & Recht behaupten, bereits einen Großteil der aufgeführten Tipps ausgeführt zu haben, obwohl es erst 11.47 Uhr ist. Zu verdanken habe ich das einer Art dyskalkulatorischer Funktionsstörung, die mich schon mein ganzes Leben begleitet und gelegentlich für allerhand Schwung in der Bude sorgt. Irgendwas stimmt bei der Übertragung von Zahlenwerten zwischen Augen/ Ohren und Gehirn nicht, so dass unter Umständen Ziffern lustig durcheinandergewürfelt werden. Beispiel: Ich höre „17 Uhr“, denke „17 Uhr!“ und merke mir dann „sieben Uhr abends“, weil die „7“ ist bei beidem mit dabei. Seit einigen Monaten – zumindest fällt es mir seitdem verstärkt auf – passiert etwas Neues, nämlich dass ich die verschiedenen Ziffern eines Termins untereinander heiter vermenge und dann ein Mordskuddelmuddel fabriziere. Heißt es „Dienstag, 13.5., 9.45 Uhr“ kann es also durchaus (zum Glück selten) passieren, dass ich zwar am Dienstag, jedoch erst um 13.05 Uhr erscheine … „Hierfür gibt es ja wohl Terminkalender mit Erinnerungsfunktion??“ schlaumeiern jetzt sicher verschiedene Personen, und ich sag: Ich weiß, doch auch hier kommt es gelegentlich zu Übertragungsfehlern, deren Auswirkungen mich dann irgendwann lustig überraschen. Man muss halt „9.7., 11 Uhr“ nicht nur richtig lesen, sondern auch richtig in den Kalender hineinbasteln. Oder man lässt es und hat sogleich mehr Schwung im Alltag. Ich wollte (neue Erfahrungen) ein Sportangebot im Park ausprobieren, habe mich darauf innerlich vorbereitet, den ganzen Tag um diesen Termin herumgebastelt und am Vorabend noch dreimal die Uhrzeit gegengecheckt. Dann folgte „Bewegung & frische Luft“ – aber anders als gedacht: „Kurze Spaziergänge, Treppe statt Aufzug, Morgensport & Fahrradfahren“ waren innerhalb 30 Minuten erledigt, dazwischen stand ich mal zehn Minuten frierend in Wind und Schatten und wunderte mich: Treffpunkt richtig, Uhrzeit richtig, aber weit und breit niemand zu sehen. Nochmal die Anmeldungsmail gecheckt, stimmt doch alles! Angerufen. „… ja, aber doch nicht heute, sondern am 9.7.!“ Ich glaube, den restlichen Tag widme ich einem weiteren wichtigen Punkt: Entspannung.

Freitag, 6. Juni 2025

WetterApps

 

Was ist der Deutschen liebstes Thema? Lüften, richtig, aber das können wir ja dank Kippstellung jetzt erstmal wieder auf die lange Herbstbank schieben. Was bleibt also? Genau: Wetter! Haben wir aktuell vergleichsweise viel davon. Um und an Pfingsten haben wir traditionell besonders viel davon, was Freunde des Festivals oder einschlägiger Heimat-Kärwas leidlich wissen. Verwandelt sich das Bierzelt in einen Dampfgarer (draußen Regen und Matsch, drinnen Schwitz und Dunst) oder in einen Schnellkochtopf (draußen Hitze, drinnen noch schlimmer)? Muss ich mich fürs Festival mit Gummistiefeln und Regenponcho behängen oder mit Wasserschläuchen und Sonnenhüten? Man weiß es nicht, kann im Vorfeld eh nichts mehr daran ändern und lebt also gezwungenermaßen im Moment. Hätte sich da in den vergangenen Jahren nicht eine neue Spezies von Wetterexperten entwickelt. Früher war das so: Man hörte oder tagesschaute am Vorabend einem Meteorologen bei der Arbeit zu, danach wusste man zwar auch nicht mehr immerhin, in welcher Bandbreite sich das Tagesequipment ungefähr bewegen sollte. Dann zerrte man meist einen Großteil des Gepäcks umsonst herum, war aber auf alle Eventualitäten eingestellt. Seit einiger Zeit hat sich in dieser bewährten Methode jedoch eine Änderung vollzogen, die für Verwirrung, Aufruhr, Absagen, Planmodulationen und schlimmstenfalls Streit sorgen. Diese Änderung heißt „WetterApp“, darin enthalten die besonders wichtige Funktion „Regenradar“, dank derer Menschen sich dazu befleißigt fühlen, zu echten Wetterexperten aufzusteigen. Weil: „Meine App hat immer recht.“ Es ist ja gegen eine meteorologische Detailplanbarkeit ersteinmal nichts einzuwenden. Ich schlepp auch ungern den Friesennerz durch Gluthitze. Leider haben verschiedene Apps verschiedener Menschen verschieden recht, und schon wird’s problematisch. Die eine sagt zielsicher Gewitter um 17.38 Uhr voraus, die andere Trockenheit bis 21 Uhr. Die eine weiß von sicher Sonne bis 16 Uhr, die andere von sicher Nässe gegen 13.45 Uhr. Umstände, über die man sich vortrefflich streiten kann, wenn es um Ausflüge, Seetage oder Gartenpartys geht. Besonders wichtig ist es hierbei, keinesfalls nach der Devise „Jetzt machen wir halt, dann sehen wir schon“ zu agieren, sondern möglichst dezidiert und ausschweifend die jeweils aktuelle Meldung der App zu diskutieren: „Oh, jetzt sagt sie plötzlich Regen um 16.19 Uhr.“ – „Hä nee meine ist immer noch bei 17.38 Uhr.“ – „Also ich hab ja die Spezialapp die man eigentlich als Normalo nicht herkriegt, und die sagt ganz klar: Schauer um 13.20 Uhr, danach trocken.“ – „Und was machen wir jetzt?“ Immerhin: Wenn es nach stundenlanger Diskussion über Unwetter und wann und wie doll endlich zu tröpfeln beginnt, sind alle wieder vereint, denn alle haben irgendwie recht. Und wenn nicht, sind alle irgendwie froh. Mir ist es egal. Ich war ja auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Freitag, 30. Mai 2025

Der längste Ohrwurm

 

Schönen guten Moren und herzlich willkommen in diesem erneuten sehr schönen, weil vermutlich für die meisten sehr langem Wochenende, an dem wir … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW, THAT THIS HAS NOTHING TO DO WITH YOU … ähm Moment, was wollte ich sagen? Ach so, genau. An dem wir uns alle mal wieder gemeinsam fühlen können wie eine Frau in den Wechseljahren. Mhm, wie erkläre ich das jetzt am besten … IT’S PERSONAL MYSELF AND I, WE GOT SOME STRAIGHTENING OUT TO DO … Naja, das Wetter der letzten Wochen ist wie Hitzewallungen, findet ihr nicht? Am einen Tag schwitzt man wie verrückt, dann wird man plötzlich patschnass und friert anschließend elendig. Normalerweise würde man jetzt, wie soll ich’s sagen … AND I’M GONNA MISS YOU LIKE A CHILD MISSES THEIR BLANKET … Um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung wie ich’s sagen soll, geschweige denn was ich eigentlich sagen wollte, weil genau so störend wie in diesem Text geht es in meinem Kopf zu … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW … Wann immer er auch nur eine Mysekunde Gelegenheit dazu findet … IT’S TIME TO BE A BIG GIRL NOW … AND BIG GIRLS DONT’T CRY … singt es darin nämlich dieses Lied von Fergie. Mit dem ich mich keinesfalls tiefer verbunden fühle, ja, das ich noch nicht einmal besonders gut leiden kann, aber … IT’S PERSONAL MYSELF AND I … aus irgendeinem mir absolut unerfindlichen Grund von einer höheren Instanz beschlossen wurde, dass ausgerechnet dieser Song aus dem Jahr 2006 zum Soundtrack meines Lebens gereichen sollte. Und das nicht etwa nur in den letzten Tagen, wie es anständige Ohrwürmer für gewöhnlich tun, bevor sie sich wieder verkriechen und dem nächsten Kollegen Platz machen, sondern seit Monaten! Ungelogen! Ich wache mit diesen Zeilen und der Melodie morgens auf und gehe abends mit ihnen ins Bett. Ich habe sie im Supermarkt im Ohr, wo ich mich doch eigentlich auf eine Einkaufsliste konzentrieren möchte, und höre sie beständig, während ich einen Text für diese Spalte hier ersinnen soll. Ich höre ihn unter der Dusche und beim Sport, beim Lesen und sogar Radio hören und es gibt rein gar nichts, was ich dagegen tun kann. Und ich habe viel versucht. Auf eine Phase belustigter Genervtheit folgte eine des rasenden Zorns und dann die großer Verzweiflung. Nichts hat geholfen. Kein Dagegen-Ansingen. Kein lautes Mitsingen. Auch die Entscheidung, das Lied als Teil von mir zu akzeptieren und freudig zu umarmen brachte keine Besserung. Fergie bleibt und fühlt sich in meinem Kopf pudelwohl. Google sagt „Der längste Ohrwurm der Welt war der St.-Helena-Riesenohrwurm (Labidura herculeana), der bis zu 80 mm lang wurde“, aber ich fürchte, das hilft mir auch nicht weiter. Was also tun? Vielleicht die Botschaft annehmen: It’s time to be a big girl now – and big girls don’t cry!

Freitag, 23. Mai 2025

Escape Room

 

Es ist wie beim allseits beliebten Gesellschaftsspiel „Das verrückte Labyrinth“: Das Ziel feste vor Augen hat man Hürden überwunden und Gegner ausgetrickst, ist bereit für den finalen Spielzug und damit glorreichen Sieg und – ZACK! kommt von links eins daher und macht den ganzen Pfad kaputt. Wo grade noch ein schöner Weg entlangführte, ist jetzt nurmehr ein tiefer Graben, eine hohe Mauer oder Stromschnelle, über die hinweg es schlichtweg keine Möglichkeit gibt. Da steht man dann, als armer Tor, und ist so klug als wie zuvor – und gezwungen, alles neu zu überdenken … So in der Art geht es mir, seitdem ich inmitten Nürnbergs größter Baustelle lebe. Will sagen: Inmitten Deutschlands größtem Escape Room. Das Prinzip dieser Livespiel-Einrichtungen ist immer ähnlich. Menschengruppen wechselnder Größe werden in einen Raum gesperrt, der gemäß eines Mottos gestaltet ist. Gruselschloss, Gefängniszelle oder eben Baustelle. Den Menschen muss es nun innerhalb einer bestimmten Zeit gelingen, sich mittels Rätseln und Geschicklichkeitsaufgaben aus dem Raum hinauszuknobeln. Die Aufgabe hier: Gelange von deiner Haustür A in den nahegelegenen Stadtpark B / die Apotheke C / den Supermarkt D, ohne dass es zu Personenschäden, Handgemengen, Entleibungen oder Auffahrunfällen kommt. Hindernisse wie Hängebrücken oder Fußgängerampeln dürfen genutzt, müssen aber erst mal gefunden werden. Hindernisse wie klaffende Bodenlöcher, meterlange Absperrungen oder breite Gräben dürfen keinesfalls überwunden werden, sondern bedürfen einer weiträumigen Umgehung. Beinahe täglich versuche ich mich dieser Aufgabe zu stellen – beinahe täglich werde ich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Dort, wo gestern noch eine Verkehrsinsel war, ist heute eine tiefe Grube. Da, wo ich neulich noch die Straße queren konnte, ist jetzt weit und breit nur wutschnaubender Verkehr. An der Stelle, wo unlängst noch ein Laden bequem umschifft werden konnte, ist jetzt eine Schikane in Form einer Engstelle bierfilziger Größe, an der Passanten, Fahrräder, Kinder, Rollstühle und Kleiderständer mit kreischbunten Sale-Angeboten lustiges Ballett tanzen. Allen Aufgaben gemein ist, dass ich das Ziel zwar immer sehen kann – beispielsweise den Supermarkt genau gegenüber auf der anderen Straßenseite – allein der Weg dorthin gänzlich im Verborgenen liegt. Es gilt dann, geschickt Strömungen und Bewegungen zu beobachten und daraus eine Lösung abzuleiten oder sich zu Bedarfsgemeinschaften zusammen zu finden und gemeinsam zu pfadfindern. Herrlich! Und sehr verbindend. In echten Escape Rooms kann sich die Spielleitung einschalten und per Lausprecher Tipps geben, wenn die Verzweiflung allzu groß wird. Ein Service, den ich mir für hier auch wünsche: „Mensch Wasmeierin, geh halt noch einen Meter vorwärts, dann siehst du einen Wegweiser und gleich dahinter die Ampel. Obacht: Um die Ecke ist eine gespannte Hundeleine, von links kommt gleich ein Lastenrad und die Grünphase dauert nur zwei Sekunden!“ So könnte das gehen.

Freitag, 16. Mai 2025

Rosa

 

Ich habe in letzter Zeit öfter mal ein Kompliment bekommen. Das ist eine feine Sache. Wer bekommt nicht gerne Komplimente, auch wenn man sie häufig zu selten selbst anderen macht und, vielleicht aus dem gleichen Grund, im Annehmen eines solchen Kompliments ungeübt ist und deswegen sogleich „gschamig“ reagiert: „Ach du lass mal, das ist nur das Licht.“ oder „Böh, das muss daran liegen, weil ich vorhin mal wieder geduscht habe.“ Das jetzt gemeinte Kompliment lautet sinngemäß immer irgendwie nach „du siehst so frisch aus“, und irgendwann bin ich dahintergekommen, was der Anlass dafür sein muss: mein Lieblingspullover, den ich zwar seit dem Winter besitze, ihn aber aus Gründen bis vor kurzem unter geschichtetem Fleece und schlafsackgroßen Daunenmänteln verborgen trug. Dieser Pullover erfüllt mich schon beim Anblick mit großer Freude und Frische. Dabei ist die Farbe kein sonniges Gelb oder wärmendes Orange, auch kein friedliches Blau oder hoffnungsvolles Grün, sondern: Rosa. Die Farbe aufgestellter Polohemdkrägen und lässig um den Hals geschlungener Strickware, vor allem aber die Farbe der Prinzessinnen und Tussis und somit der Albtraum feministischer Erziehung der 80er Jahre, wie sie mir als Kind angediehen und in die DNA implementiert worden war: Rosa ist Geschlechterklischee und Rollentrennung und darob, pardon, scheiße. Meine Kindheit war entsprechend nach Möglichkeit rosafrei und stattdessen voller Cordbraun, Jeansblau oder Straßenstaubschmutzig, und zwar konnte ich den Eltern mit Aufbegehr und unter Aufbietung großer Kräfte „die Farbe der anderen Mädchen“ abtrotzen, war aber dennoch schon frühzeitig so idealistisch geimpft, dass ich beispielsweise ein rosa Kleid, dass die Mutter nächtelang für mich nähte, zwar gern kurz einmal anzog, es dann aber bei der ersten Konfrontation mit Praxistauglichkeit (Skateboarden, Fußball, Räuberhöhle) nur zu gern wieder gegen eine erdfarbene Latzhose austauschte. Irgendwann war das Thema durchexerziert und die Farbe Rosa verschwand aus meinem Leben, wohinein ich sie mit Anfang zwanzig gewaltsam zurückzerrte und in Form irgendeiner postinfantilen Persönlichkeitsentwicklung als möglichst knallbunte Variante (Pink) installierte: pinke Schals, pinkes Ohrgehänge, pinke Schuhe oder pinke Hirschgeweihe zierten fortan meinen Alltag. Eine Art späte Überreaktion, vermutlich, auf die eine lange Pause folgte. Nach ein paar verschämten Versuchen in Pastell habe ich mich unlängst getraut, zurück zum Rosa zu kommen. Und was soll ich sagen? Ich bin begeistert. Nicht nur, weil „Rosa“ so viele schöne Bedeutungen hat bis hin zur Zuschreibung, es könne Aggression und Gewalt besänftigen. Jetzt füge ich mich also nur zu gern selbstbewusst ein ins Frühlingsbild als große rosa Blüte. Und wenn ich dafür noch Komplimente bekomme, dann soll mir das nur recht sein.

Freitag, 9. Mai 2025

Abendessen

 

Früher war alles besser. Nämlich in diesem „früher“, als noch niemand von mir verlangt hat, alle drei Monate Steuerzettel zu sortieren. Oder als man Dreckwäsche einfach auf den Boden fallen ließ und sie kurze Zeit später als Frischwäsche im Schrank wiederfand. Oder als bei Nacht die Männlein kamen und schwärmten, klappten und lärmten, rupften und zupften, hüpften und trabten, putzten und schabten und ehe ich noch erwacht – war all mein Tagwerk bereits gemacht. Und ganz besonders besser war es früher, als ich mir nicht tagtäglich die lästigste aller Fragen stellen musste: Was gibt es heute Abend zu essen? Eine Frage, die mir vor allem an Wochenenden spezialgroße Sorgen bereitet, kommt doch das Wochenende immer mit diesem seltsamen Spagat daher, einerseits kulinarische Anspräche zu erheben weil man hat ja Zeit, um lang und ausgiebig zu kochen. Andererseits erweist sich das oft als Trugschluss, weil man ja am Wochenende stets ausgesprochen viel anderes zu tun hat. Wie also auf einen Nenner bringen? In einem Teil dieses „früher“ verbirgt sich natürlich auch eine gewisse Diffizilität, nämlich aus der Zeit, zu der man gefälligst isst, was auf den Tisch kommt, und wenn es sich dabei nicht um Pfannkuchen mit Gummibärchen-Eis oder Nudeln mit Nutella und Käse handelt, hat man eben Pech gehabt, geht hungrig ins Bett und lutscht dann später nach dem Zähneputzen heimlich doch noch an einem alten Stück Kohlrabi. Das war ja vielleicht gar nicht so viel besser. Aber tu felix adolescentia: Es gab ja auch noch eine Zeit dazwischen. Nämlich die, in der Nahrungsaufnahme ein mehr oder weniger notwendiges Übel war, um die ereignisextensiven Tage von Donnerstag bis Sonntag zu überleben und am Montag auch noch halbwegs den Anschein zu erwecken, ein Mensch zu sein. Vor allem die Frage nach dem sonntäglichen Abendessen war da besonders einfach: Je nach Verlauf des Wochenendes gab es halt entweder irgendwas für den Fett- und Elektrolyte-Haushalt, das man mit letzter Kraft dem Essenslieferanten aus der Hand gepflückt hat, oder nichts, weil der Magen, ggfs. noch gefüllt vom sehr dringend benötigten Snack im Morgengrauen (eine Freundin trug gerne die ganze Nacht einen Cheeseburger in der Handtasche herum, um ihn dort zu vergessen und sich zu gegebener Stunde über den nahrhaften Fund zu freuen), gegen alles andere rebellierte. Fertig. Heute hingegen erfährt man keinerlei Einschränkungen mehr außer durch die eigene Unzulänglich- und Ideenlosigkeit, ringt dabei aber mit einem allzugroßen Wissen und Verständnis über gesunde, ausgewogene Ernährung und einer aus Gewohnheit sonntäglichen Faulheit und findet sich also Woche für Woche im selben Schlamassel wieder: Was soll ich nur abends kochen (= planen, einkaufen, zubereiten)? Zum Glück gibt es Restaurants – und Mütter, deren Lieblingsbeschäftigung die Kulinarik sowie Versorgung des lebensunfähigen Nachwuchses sind! Danke für alles, Mama!

Freitag, 2. Mai 2025

Frühlingsgestank

Noch mehr Powersätze für den Frühling! Neben den bereits bekannten („Boah ist das heiß in der Sonne“, „Wenn die Sonne weg ist, ist es direkt total kalt“, „Wenn nur dieser kalte Wind nicht wäre“) möchte ich dringend noch einen ergänzend hinzufügen, nämlich: „O mei, und wie gut das hier rieeeeeecht!“ Selbstverständlich wissen wir alle, dass wenn der Frühling sein blaues Band durch die Lüfte flattern lässt, süße, wohlbekannte Düfte ahnungsvoll durchs Land streifen. Das war allerdings nicht ganz der Satz, den ich im Kopf hatte, als ich gestern aus der U-Bahn stieg. Sondern eher sowas wie „Fuck, haben die oben an der Baustelle jetzt die Kanalisation endlich versehentlich gesprengt oder was ist jetzt hier los?“ und verbarg meine Nase tief im Revers. Um mich herum grünte und blühte es gar wunderbar, doch leider stank es dazu auch wie inmitten der schönsten Klärgrube oder zumindest so, wie ich mir den Geruch da vorstelle. Mit leichtem Würgen begab ich mich auf eine kurze Suche nach dem Ursprung und hatte den Täter auch schnell identifiziert: Riesige, herrliche Büsche voller prächtig und prall leuchtend weißer Blüten – ein wahrer Augenschmaus, doch ganz sicher keiner für die Nase, denn der Geruch des „Eingriffeligen Weißdorn“ wird, hört hört!, von vielen Menschen als unangenehm empfunden, da er an „[…] verdorbenen Fisch erinnert“. Na danke! Zurück in der U-Bahn empfing mich ein weiterer Nasenschmaus, nämlich der tausender Jugendlicher, die erst in Schule und Polyester schwitzten und schließlich damit den öffentlichen Raum beglückten, während schnell ein kleines Mittagsdönerchen verdrückt wurde; wo sie aber, so viel darf gesagt sein, mit zahlreichen stolz gelüfteten Achseln um die Wette olfaktorisierten. Nach so einem ereignisreichen und warmen Frühlingstag kann man zum Feierabend schon einmal die Idee bekommen, unter dem Tisch im Straßencafé die heißen Mauken zu lüften – doch cave caseum! – nicht alles, was für so einen ausgewiesenen Schweißfuß gut ist, muss für Umsitzende auch angenehm sein. Man flüchtet also lieber eilig in den Park, wo unlängst von der Autorin selbst ein riesiges fischenes Ungeheuer im Teich gesichtet wurde, und neben diesem Wunder gibt es noch ein anderes, nämlich eines mit Odeur: Nach nur zwei Tagen Temperatur über 15°C schaffen es einschlägige Gewässer im Stadtgebiet, derart nach Tod und Teufel zu stinken, dass die Überlegung erlaubt sein soll, ob man dem Teich nicht prophylaktisch den Stöpsel zieht, bevor doch noch ein kostspieliger Giftgaseinsatz notwendig wird. Zur Beruhigung (oder Ablenkung) hat uns’ SÖR, gärtnerisch seiner Zeit seit jeher voraus, eine List ins Tulpenbeet gepflanzt: Was so riecht wie die Jahreshauptversammlung des ersten Cannabis Clubs ist nichts weiter als Fritillaria imperialis, die „Kaiserkrone“, mit royalem Namen, jedoch äußerst plebejischem Geruch … Frühling, ja du bist‘s. Dich hab ich vernommen!

Freitag, 25. April 2025

April macht was er will

April, April macht was er will! Vor ein paar Tagen wollte ich, o Wunder, das Haus verlassen. Wie so oft bin ich kurz zuvor auf den Balkon getreten, um eine ungefähre Ahnung der Temperatursituation zu bekommen, und wie so oft habe ich mich damit ordentlich aufs Kreuz gelegt. Als ich fünf Minuten später die Haustür verließ, überfiel mich sogleich ein Eisschauer, und die kommenden fünf Minuten konnten aufmerksame Nachbarn (und davon habe ich einige) ein seltsames Schauspiel beobachten. Nämlich die blonde Frau, die ein paar Meter vom Haus weggeht, stehenbleibt, ein paar Meter geht, stehenbleibt, umdreht, ein paar Meter zurück läuft, stehenbleibt, wieder umdreht, um weiter zur Straße zu gehen, um nach einem erneuten Stehenbleiben genervt aufzuschluchzen, zum Haus zurück zu eilen und zehn Minuten später in völlig anderer Montur, nämlich mit Daunenjacke und deutlich ausgebeultem Rucksack, endlich von dannen zu ziehen … Um einige Stunden später schwer schwitzend wieder heim zu kehren. Wie so oft bin ich dann also auf meinen eigenen Temperaturcheck hereingefallen, eignet sich mein Südbalkon doch nur begrenzt als Entscheidungshilfe für die Klamottenwahl. Völlig windgeschützt und von morgens bis abends der Sonnenwärme ausgesetzt, hat es dort gut und gerne mal locker zehn Grad mehr als auf der Rückseite des Hauses, die den ganzen Tag im Schatten und noch dazu im kühlenden Frisch zahlreicher Platanen liegt. Die Kunst ist es also, den Mittelweg auszutarieren. Was mir meistens misslingt. Und erschwerend eine mich stets begleitende massive Erfrierungsangst dazukommt. Nicht gerade gemäßigt wird dieses persönliche Defizit von der Witterung, wie sie uns aktuell wieder beglückt und die ich nur einigermaßen unbeschadet dank diverser Tricks wie auf Taschentuchgröße zusammenknüllbarer Leichtjacken überstehe. Der April macht halt, was er will, und garantiert nicht das, was mein Wetter-App-höriger Freundeskreis von ihm erwartet. „Am Sonntag soll so schönes Wetter werden“ akzeptiere ich unter keinen Umständen als ein an einem Mittwoch vorgetragenes Ausflugsargument, wenn noch nicht einmal gewährleistet ist, dass das schöne Wetter von heute Vormittag nicht am frühen Nachmittag schon keinen Bestand mehr haben wird. Ich nenne das gerne die „Wolfgang-Petry-Gedenk-Zeit“, nur dass ich nicht wie der Künstler kiloweise Bänder ums Handgelenk trage, sondern dafür gern einmal am Nachmittag zentnerweise Jacken, Pullis und Schals, die am Morgen noch dringend notwendig waren, formunschön um die Leibesmitte geschlungen herumschleppe. Doch nicht nur der April macht, was er will. Ich kann das auch. Deswegen lass ich mich nicht mehr ins Bockshorn jagen, sondern nehme in Protesthaltung gerne Platz auf dem Kanapee. Das ist sehr neu, sehr bequem und das wichtiges: absolut zuverlässig vorhersagbar. 

Freitag, 11. April 2025

Mehlwurm

 

Ich wollte einen Kuchen backen. Um genau zu sein ein „Brot“, denn so haben wir das alle vor ziemlich genau fünf Jahren gelernt: Lasse Bananen so lange wie möglich liegen und vor sich hingammeln, ignoriere den Prozess absichtlich und überrasche dich nach einiger Zeit selbst mit dem Reifegrad deutlich über dem Verfallsdatum. Zermatsche die Bananen, füge allerlei einschlägige Zutaten aus dem Segment „Backen“ hinzu samt einer ordentlichen, für „Brot“ genannte Erzeugnisse üblichen Portion Zucker, und fertig ist ein formidables Gebäck, das nur Unwürdige als „Kuchen“ bezeichnen. Wahre Connaisseure hingegen sagen „Bananenbrot“ und schieben sich stündlich ein bis zwei dicke Ranken davon zwischen die Kiemen, weil Brot ist gesund, und außerdem haben wir fünf Prozent des Weißmehls durch Vollkorn ersetzt! Hätten wir. Denn dann haben wir eines der großen Gläser geöffnet, in denen wir zum Schutze vor Befall durch Viecherkram alles, was Nudel, Mehl, Reis & Co. heißt, aufbewahren, und hatten gottlob die gute neue Brille auf und die Ruhe weg. Dank diesen (Ruhe und Brille) konnte nämlich ein genauer, sehr genauer Blick ins Glas geworfen werden, und bei dieser genauen Betrachtung begannen sich einzelne Mehlstäube plötzlich zu bewegen. Gut, hab ich gedacht, es ist noch früh am Morgen, du hast vorhin auch einmal heftig geatmet und draußen weht ein rechter Wind, da kann so ein Mehl schon einmal in Bewegung geraten. Aber dass das Mehl von heftigen Luftstößen auch kleine Beinchen und Köpfchen bekommen könnte, war mir dann doch ein bisschen rätselhaft. Eilig hab ich das Glas geschlossen und es unschlüssig zur Seite gestellt, wo es jetzt seit Tagen steht und seine mikroskopisch kleinen Bewohner munter weiter Gräben und Tunnel ins Getreide bohren. Unerwünschten Tierbefall im Lebensmittel – es ist ja nichts Neues. Regelmäßig hört man von Menschen, die zum Großreinemachen in Küchen gezwungen werden, weil sich irgendwo ein feiner Nistplatz aufgetan hat, aus dem sich dann die Viecher tummeln. Als besonders eindrücklich habe ich einen Sesam in Erinnerung, der bei einem gemeinsamen Sushi-Event genau so lange köstlich schmeckte, bis das Ursprungsglas zum Zwecke des Nachschlages angereicht und darin nebst den schmackhaften Saaten noch allerlei schleimiges Fadenzeugs gefunden wurde. Bon appetit! Dann kam eine Frage auf: Wenn doch jetzt eh Insektenmehl & Co. en vogue sind, weil nachhaltig und Proteine, wieso soll ich dann teuer kaufen, was eine Industrie erzeugt, wo ich doch offenbar selbst sehr gut Insekten produzieren kann? Wie viel bleibt übrig von der Milbe nach 60 Minuten bei 175 Grad (Umluft)? Und warum also soll ich also das gute Mehl in den Müll schütten anstatt in die Rührschüssel? „Beim Menschen konnten nach Verzehr [mit Mehlmilben] befallener Lebensmittel Magen-Darmprobleme, asthmatische Erkrankungen der Atemwege und ekzemartige Hauterkrankungen beobachtet werden“, sagt das Umweltbundesamt. Na gut.

Freitag, 4. April 2025

Spa-Crawl

 

Schönen guten Morgen zusammen, zum Wochenende präsentieren wir Ihnen freudig die drei wichtigsten Sätze für Gespräche mit Oma, beim Bäcker oder einfach mal so zwischendurch im freundlichen Selbstgespräch: „Wahnsinn, die Sonne! Man muss sich halt nur echt schon eincremen.“, „Aber sobald die Sonne weg ist, ist es furchtbar kalt.“ und „Es könnte so schön sein, wenn nicht dieser scheußliche kalte Wind wäre!“ Da hab ich mir gedacht „Woanders kannst du auch frieren!“ und bin letzte Woche freudig in ein Angebot für einen Wochenend-Trip eingetaucht, das allerlei versprach („Drei Tage Luxury Spa & Wellness“, „Vollverpflegung“, „zahlreiche Anwendungen inklusive“), vor allem aber andere Tapeten, die man zwischendurch mal angucken kann. Kein echter Urlaub, aber eine kleine Flucht. Mini-Urli. Urlini, sozusagen. „Das wird entweder super“, wusste ich zu prophezeien, „oder eine Katastrophe, aber dann haben wir wenigstens was zu lachen.“ Karlsbad also. Einer der Sehnsuchtsorte vergangener wie heutiger Tage, der Inbegriff von Entschleunigung, Achtsamkeit und Wellness aus einer Zeit, als diese Begriffe noch nicht erfunden waren. Die meisten kennen den Ort sicher als Ursprung einer Waffelspezialität (Bröselzucker zwischen zwei klebrigen Oblaten), viele andere vielleicht von Großeltern oder sonstigen Bekannten älteren Semesters, denn hier kontempliert es sich aufs Äußerste durch eine pittoreske Umgebung habsburgischen Pomps, und statt wie früher von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und verschiedene Mischungen von Spritz & Co. zu degustieren, latscht man (ich) hier mit einem kleinen Schnabeltässchen einen Fluss entlang, an dem sich 15 Quellen feinsten Heilwassers befinden, um abwechselnd heißes, sprudelndes oder stinkendes Nass selbst abzuzapfen und sich daran zu laben und sofort zu gesunden. Soweit die Theorie, die in der Praxis höchstens gestört wird von den zahlreichen Becherovka-Ständen, um sich zwischendurch den Mund zu spülen. Links und rechts ragen die prächtigsten Bauten auf, und der Höhepunkt ist ein 300 Jahre altes Grandhotel, das an Prunk und Majestät seinesgleichen sucht. Und das ich vorsichtshalber nur auf eine heiße Schokolade betreten habe, um anschließend lieber mit einem müffelnden Bus ins Industriegebiet am Stadtrand zu schaukeln – wo sich mein Hotel befand … Sagen wir mal so: zu lachen gab’s einiges, auch wenn ich die Aktionsabende „Becherovka & Sie“ und „Caribbean Night“ zugunsten eines ausgezeichneten Nachtschlafs verpasst habe und das berühmte Karlsbader „Bierbad“ sich als profanes Schaumbad herausstellte, zu dem ein Krügerl Bier gereicht wurde. Der Erwerb einer überdimensionierten Gartenfigur auf dem grenznahen Mode- und Designmarkt wurde mir allerdings verboten, ich muss also unbedingt nochmal hin. Dann aber ins Grandhotel! Kommt jemand mit?

Freitag, 28. März 2025

Gamechanger

 

Seit einiger Zeit hat sich in meinem Umfeld ein Wort etabliert, das mein Herz erwärmt: Gamechanger. Natürlich haben sich noch weitere Wörter und Ausdrücke etabliert, die mich weit weniger froh machen. Beispielsweise die grauenhafte Unsitte, Sätze mit „tatsächlich“ zu beginnen, so als lebten die Sprecher in der steten Sorge, ihre Meinung, Erfahrung etc. pp. würde sowieso angezweifelt und es sei es deswegen vonnöten, direkt von vornherein in Verteidigungsstellung zu gehen. „Und was hast du gestern Abend gegessen?“ – „Tatsächlich nur ein Schokomüsli.“ Oder „Was hast du am Wochenende so vor?“ – „Tatsächlich noch nichts weiter.“ Oder „Wie fandest du den letzten Franken-Tatort?“ – „Tatsächlich ganz gut.“ Das arme kleine Adverb weiß gar nicht, wie ihm geschieht und ist so überfordert von der inflationären Falschnutzung, dass es sich hilfesuchend an seinen Schicksalsgenossen „ehrlicherweise“ wendet und um Hilfe bittet, denn diesem widerfährt ebenfalls schon seit langem eine traurige Falschnutzung. „Ehrlicherweise finde ich dich saudoof.“ ist einfach nicht das gleiche wie „Um ehrlich zu sein, finde ich dich saudoof.“ Ganz anders und absolut korrekt angewendet findet sich also besagter „Gamechanger“ in der Alltagssprache wieder, und ich begrüße ihn herzlich und mit offenen Armen, besagt das Wort doch „eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das eine grundlegende Veränderung bewirkt“, und genau so wird es auch benutzt. Nun lang ich dieser Tage abends im Bett und war selig über meinen neuen Gamechanger: ein dickes, herzförmiges Kissen, das man sich mit einer Art gepolstertem Strumpfband um den Oberschenkel legen kann, um dann, wann immer im Schlaf die Position von Rücken auf Seite gewechselt wird, ein prächtiges Kissen zwischen den Knien klemmen zu haben anstatt die Decke dorthin zu stopfen (dann Rücken frei, dann Rücken bedeckt, aber Füße frei … - man kennt das). Dann habe ich überlegt, was eigentlich sonst so die Gamechanger der jüngeren Vergangenheit waren, und nach einigem Sammeln traf mich eine Erkenntnis, die mich seitdem vergnügt lächeln lässt: Bei allem, was mein Umfeld als „Gamechanger“ bezeichnet, handelt es sich um eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das schnurstracks den Alterungsprozess, körperlichen Verfall und die schrittweise Akzeptanz derselben zum Thema haben. Kniekissen beispielsweise. Aber auch die berühmten Gamechanger „Brille“ („Geil, ich brauch doch keinen neuen Fernseher, plötzlich ist alles wieder scharf!“), „Einkaufslieferservice“ („Ich schaff das einfach nicht mehr mit der Schlepperei in den vierten Stock Altbau.“), „bügelloser BH“ („Kein Plan wie ihr das aushaltet mit den unbequemen Dingern!“), „elektrische Fußwärmer“ („Keine Ahnung wie ich das früher ohne überlebt hab.“) oder, einer meine absoluten Favoriten „Bodenkissen mit Rückenlehne“ („Jetzt kann ich endlich wieder jugendlich am Boden sitzen, mein Rücken macht das sonst einfach nicht mehr mit.“).

 

Freitag, 21. März 2025

Sonnencreme

 

Alles klar, das ging dieses Jahr unverhofft schnell: Just am ersten Tag, der das Attribut „frühlingshaft“ mal wirklich verdient und der Stadt zumal an windstillen Orten ordentlich Sonnenbumms beschert hat, war ich natürlich auch am Start. Ich hielt mein süßes kleines Stupsnäschen beherzt in die Wärme und schwitzte in dünnem Pulli und T-Shirt, während die noch im Schatten stehenden Füße jämmerlich froren, und ignorierte fröhlich das leise Zupfen an meinem Hosenbein. Dieses rührte, wie mir ein kurzer Blick bei der ersten Störung verraten hatte, von einer kleinen gelben Tube, die aus meiner Tasche lugte und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „HEY DU PSCHT!“, wisperte es unter meinem Stuhl hervor, „du musst dich einschmieren! Schmier dich ein, du kommst in Teufels Küche! Wenigstens das Gesicht, bitte!!“ flehte die kleine Tube und zupfte weiter. Ich knurrte zwischen zu einem angestrengten Lächeln gepressten Zähnen zurück. „Auf gar keinen Fall fangen wir jetzt schon an mit dem Gebatzel, vergiss es!“ und schloss die Bedenken hinterm Reißverschluss ein. Zu spät. „Bist du nicht eingecremt?“ erkundigten sich Freundinnen verdutzt und ich schrie. „NEIN!“ schrie ich. „Geht weg, lasst mich in Ruhe, ich hasse das, ich will nicht, ich KANN nicht!“ und ehe ich’s mich versah, kullerte eine kleine Träne großen Zorns mein errötendes Bäckchen hinab. Schon immer eher der nordische Typ, verfüge ich mittlerweile über eine alabasterweiße Haut, nach der sich der gesamte sonnenkönigliche Hofstaat einst die Finger geleckt hätte. Um genau zu sein dürfte ich wahrscheinlich keine drei Minuten ungeschützt in die Sonne. Aber es will mir einfach nicht in den Kopf: Wir fliegen auf den Mars, klonen Schafe und bauen Städte ins Wasser, sind aber nicht in der Lage, einen Sonnenschutz zu erfinden, der nicht nur haut-, sondern auch sozial- und alltagsverträglich ist? Nix! Alles klebt und pappt, verfärbt Möbel und Utensil und verurteilt weiße Kleidung zu einem Leben mit Speckrand und Gilb. Die letzte (hochwertige!) Sonnencreme, die ich fürs Gesicht erworben habe, hat statt sich gleichmäßig zu verteilen derart ausgefusselt, dass ich aussah, als hätte ich mein Gesicht in Kokosraspeln getunkt. Kannst du freilich sagen „So lang’s hilft?!“ aber: nein. Es ist ja auch gesellschaftlich nicht anerkannt, sich im Sommer zwischendurch einmal in eine Staubfläche oder Schlammpfütze zu werfen wie ein Elefant, um die zarte Haut zu schützen. Wobei, wenn’s nach mir ginge: auch nicht schlimmer als Sonnencreme, dafür praktisch immer verfügbar und wenigstens kein Gepappe. Wenn wir uns hierauf einigen könnten – ich wär dabei. So aber trag ich meine gerötete Stirn stolz durch den Frühling. Na gut, und zugegebenermaßen eventuell auch einmal kurz in eine Drogerie.

Freitag, 14. März 2025

Frühjahrsputz

 

Kaum spähen die ersten schüchternen Knösplein aus der Erde, flattert ein früherwachter Schmetterling durch die Prärie und traut sich eine Kneipe, einen Stuhl vor die Tür zu stellen, schon schreit’s landauf, landab „FRÜHJAHRSPUTZ!!!“ und emsige Diener und Dienerinnen der Reinlichkeit schwärmen aus. Niedliche Schwämme, glitzernde Lappen und Hochglanzsprays finden jetzt reißenden Absatz, und das Internet quillt schier über vor kluger Tipps und Ratschläge: „Frühjahrsputz: 5 einfache Tipps, die das Putzen erleichtern“ heißt es da, „Frühjahrsputz: So gehen Sie ihn richtig an!“ oder, was mir auf eine Art besonders gut gefällt, „Frühjahrsputz: Checkliste mit allen Tipps und Aufgaben“. Ich nehm das mal so an: „Wir empfehlen ein Wochenende mit typisch grauem Schmuddelwetter“, so heißt es bei „Glamour“, und schon stellt sich eine Erleichterung ein, schließlich war ich bereits im Begriff, sämtliche Verabredungen fürs erste schöne Frühjahrsglück zu verweigern und mich stattdessen über den Putz herzumachen. „Viele erledigen den Frühjahrsputz rund um den kalendarischen Frühlingsanfang. Das heißt aber natürlich nicht, dass du den großen Frühjahrsputz nicht auch noch im April erledigen kannst.“ Die Erleichterung wird größer, denn schon bin ich geneigt, alle Pläne fürs Großreinemachen zu canceln und gemütlich auf sagen wir Ende April zu verschieben. „[…] leitest du den Frühjahrsputz am besten mit einem ausgiebigen Frühstück ein“ stand als nächstes zu lesen, und so sitz ich hier an einer opulenten Morgentafel und beschäftige mich mit dem Frühjahrsputz vorerst nur rein theoretisch. „Plane genug Zeit ein und lass dich nicht stressen.“ Nein danke, mach ich nicht, ganz lieb. Was hat es wohl auf sich mit dem Frühjahrsputz? Die Herkunft leuchtet mir durchaus ein: Habe ich die Wintermonate tagein, tagaus mit meiner 13-köpfigen Familie nebst Vieh und Knecht im Duster meiner Ein-Raum-Stallung verbracht, ist es vielleicht am Ende der Saison durchaus sinnvoll, ein bisschen Ordnung in die vier Wände zu bringen. Jetzt wohn ich zwar nicht grade herrschaftlich, aber auch nicht direkt in einer finsteren Höhle, so dass ich durchaus in der Lage war, meine Quadratmeter einigermaßen rein zu halten. Wie mag es da wohl den anderen gehen, die jetzt zum großen Kehraus rufen? Immerhin einer lässt sich von meinen Zweifeln nicht beirren: „Schatz, dein Traum vom Haustier wird endlich wahr!“ kündete der Mann, und seitdem zieht Tag für Tag ein kleiner Roboter ächzend seine Runden und saugt und wischt, was das Zeug hält. Frühjahrsputz? Die Dame LÄSST putzen. Dabei beherzigt sie allerdings einen weiteren Tipp sehr gerne: „Lege deine Lieblingsmusik auf. Wenn du beim Putzen lauthals mitsingst, ist das Ganze nur halb so schlimm.“ Ich wähle Mary Poppins: „In jeder Arbeit, merkt euch das, steckt auch ein kleines bisschen Spaß. Versteh den Spaß und schnapp, die Arbeit klappt.“

 

Freitag, 7. März 2025

Sockenprepping

Der Mann hat sich empört. Das tut er gern und lautstark, primär dann, wenn die Empörung sich auf ein bewährtes Ziel richtet: mich und mein angeblich in manchen Teilen des Lebens diskutables Konsumverhalten. Dem beispielsweise der Umstand geschuldet ist, dass wir grad überlegen, ob mir 50x100 Zentimeter als Arbeitsbereich nicht eigentlich völlig ausreichen und ich deswegen künftig in der Vorratskammer tippen könnte, derweil die Bevorratung ein Ausmaß angenommen habe, um aus dem Arbeitszimmer einen hübschen Tante-Emma-Laden zu machen. Ich mache dann ein Geräusch so ähnlich wie „Bhapfff!“, was so viel bedeutet wie „Ich sehe kein Problem darin, drei Kilo Haferflocken oder zehn Packungen aus Italien importierte Pasta in der Wohnung zu lagern anstatt im Keller.“ oder auch „Lass mich doch in Ruhe.“ Bhapff hab ich deswegen auch jetzt gemacht, als eine andere des guten Dutzends Empörungsplatten aufgelegt wurde: „Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viele Socken wie du!“ Ich blicke in den Kleiderschrank und kann nichts Anrüchiges entdecken. Nur gleißende Vielfalt und eine, zugegebenermaßen für Außenstehende komplexe, feine Ordnung mit einem ausgeklügelten System, das schlichteren Gemütern scheint’s verborgen bleibt. Als da wären: dünne Socken und dicke. So weit, so einfach. Dann aber gibt es noch Sportsocken (kurz und lang), die zum Sport da sind, nebst spezieller Wandersocken, sowie Sportsocken (lang), die ausschließlich modische Zwecke erfüllen. Es gibt Socken, die kurz sind und solche, die so kurz sind, dass man sie mit Müh und Not an Zeh und Ferse einhaken muss und dann hoffen, dass sie auch dort verbleiben. Es gibt Kuschelsocken (Wolle und Fleece) und seit Weihnachten etwas namens „Bettsocken“, deren Zweck sich mir selbst noch nicht ganz erschlossen hat. Es gibt Socken, die man auf keinen Fall sehen soll und solche, die es nur gibt, damit man sie möglichst großflächig herzeigen kann. Diese wiederum gibt es in modern und klassisch, kurz und lang und selbstverständlich von uni bis floral in allen denkbaren Farben. Es gibt Anti-Rutsch-Socken für die Wohnung und spezielle solche nur für auf der Yogamatte, solche, die so dick sind, dass man damit noch nicht mal mehr in den ausgelatschtesten Hausschlappen hineinpasst und die, die so dünn sind, dass sie nur vom Anschauen beinahe zerreißen. Außerdem Produkte, die mich selbst verwundern, wie beispielsweise einen wenige Zentimeter breiten Socken-Streifen, den man sich für ein einziges spezielles Paar Schuhe um den Ballen streift – Fußschweißband, quasi, und ich bin mir ganz sicher, dass es irgendwas gibt, was lediglich die Zehen bedeckt. Alles höchst nützlich und sinnvoll. Und das Beste daran ist: Bald braucht man nichts mehr davon, weil bald ist wieder barfuß-in-Schlappen-Zeit! Juhu!

Freitag, 28. Februar 2025

Faschingsmuffel

 Wenn man ein „Muffel“ ist, scheint es sich dabei um eine gute Nürnberger Tradition zu handeln. Zumindest finden sich unter dem zugehörigen Wikipedia-Eintrag genau drei Personen, und bei allen drei handelt es sich um Nürnberger. Sogar eine ganze Familie: die Muffel von Eschenau, eine der ältesten Patrizierfamilien, deren Macht und Wirken vom 13. bis ins 18. Jhdt. reicht. „Faschingsmuffel“? Keine Beleidigung also. Eigentlich bedauere ich es sogar ein Stück weit, dass nach Aschermittwoch nicht nur alle in Fastenzeit verschwinden, sondern vor allem auch die viele Farbe nicht mehr zu sehen ist – dabei könnten wir die jetzt grade mehr denn je gebrauchen. Ich habe mal einen Schauspieler getroffen, der auch als Krankenhausclown aktiv war. Der schenkte mir damals eine kugelrunde rote Nase und sagte, es sei doch erstaunlich, für wie viel gute Laune und lockere Atmosphäre dieses kleine Accessoire in verschiedensten Situationen sorgen würde, und riet mir, das auch mal auszuprobieren. Ich tat wie geheißen und setzte fortan die rote Nase auf, wann immer mir eine Situation zu ernst zu werden drohte. Zitiert der Steuerberater mich zum Gespräch, setz ich hurtig die rote Nase auf. Zwingt der Zahnarzt mich zum Mund-weit-Öffnen, so löse ich den Moment geschwind mit Clownsnase. Schimpft der Mann mich aus wegen irgendwelcher angeblich überflüssiger Anschaffungen, so blicke ich ihn über den roten Knödel auf der Nase treuherzig an, und bedroht mich die grantige Kassiererin mit ihrer Übellaune, so pack ich mir schnell die Clownsnase ins Gesicht und ihr am besten gleich mit. Das gibt zwar oft ein kleines Handgemenge, steigert die Gesamtlaune aber wirklich mindestens so ungemein wie die nervtötend endlose Online-Konferenz mittels roter Schaumstoffkugel etwas aufzulockern. Ich denke also, wenn mehr Menschen auch übers Jahr hinweg ein bisschen Jeck sein könnten, wäre die Welt gleich eine viel fröhlichere. Im letzten Jahr habe ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt und mir einen Tyrannosaurus gekauft. Der ist grün, zum Aufblasen und, besonders wichtig, zum Anziehen. Auf dem Dino ritt ich dann zum Gaudiwurm und war, ich kann’s nicht anders sagen, dort sogleich der Star, an den sich Kinder schmiegten und mit dem Polizisten gerne fürs Foto posierten. Mit schwingendem Dino-Hintern und wogendem Schwanz freute ich mich durch den Regen und wollte nichts lieber, als nie mehr ohne meinen neuen Gefährten das Haus zu verlassen, sondern künftig nur noch als T-Rex aufzutreten. Im Kaffeehaus oder Supermarkt, bei Bankgeschäften oder womöglich auch Trauerfeiern, so stellte ich mir vor, wäre die Stimmung geschwind eine sehr viel bessere, und meine Ausgangslage bei Gehaltsverhandlungen auch gleich viel positiver … Seitdem liegt der Dino zusammengeknüllt im Schrank. Am Sonntag erweck ich ihn zum Leben, und die gute Laune gleich mit. Nürnberg? Aha!

Freitag, 21. Februar 2025

Krapfenkalender

Das mit den Karpfen neulich hat mich auf einen Gedanken gebracht, für den nur ein winziger, aber doch kulinarisch folgenschwerer Buchstabendreher nötig war. Woran erkennen wir, dass die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ bald bevorsteht? Also mal davon ausgehend, man lebt nicht im Rheinland und ist auch kein Angehöriger einer karnevalistischen Enklave, die schon seit Wochen irgendwas von „Fasching“ faselt und hoch das Bein und Hossa? Richtig: Deutschlands berühmtester Foodblogger, im Nebenerwerb Staatsoberhaupt, überlegt öffentlich, welches witzige Kostüm in diesem Jahr angemessene Hybris ausstrahlt. Aber das meine gar nicht, sondern: Karpfen. Nein Schmarrn: Krapfen! Da waren also die letzten Brösel von Stollenkonfekt und Lebkuchen noch nicht aus der Auslage gekehrt, schon bevölkert die Bäckerschaft – allen voran ein kleiner, familiärer Handwerksbetrieb aus nördlich der Stadt – selbige mit einer Parade gefüllter Teigballen, die ihresgleichen sucht (und deren kunterbuntes Ausmaß immer wilderer Züge annimmt, aber dazu vielleicht ein andermal mehr). Grade will man sich noch genüsslich das letzte Stück Spekulatius, das übriggeblieben Kipferl in den Mund schieben, schon schreien einen Quark-, Vanille-, Schoko- und, am wichtigsten, Hiffenmarkkrapfen beim Kauf eines unschuldigen Vollkornbrotes an, und du ahnst stöhnend: Bald (also in drei Monaten) ist es wieder so weit, der Gaudiwurm befüllt die Stadt. Auf eine gewisse Art bin ich den Bäckern dankbar, weil sie weit vor allen anderen Gewerben zukunftsblickend von neuem künden, ein Krapfen-Orakel sozusagen: „Wir wissen, du willst es nicht wahrhaben, aber sieh den Tatsachen in die Augen!“ Es ist Gluthitze, der Herbst nur eine vage Ahnung am Horizont? Egal, beim Bäcker gibt’s Kürbis-Muffins und Karottenschnitte. Du freust dich im Oktober über goldenen Herbst und warme Abende? Egal, beim Bäcker bedroht man dich mit Plätzchen. Mit ähnlichem Druck agieren bekanntermaßen Supermärkte und Drogerien und lassen einen frühzeitig – sprich zwei bis drei Monate im Voraus – wissen, wann die Festivalsaison vor der Tür steht oder Halloween. Niemand braucht einen Kalender, der wenigstens gelegentlich zum Einkaufen geht. Man muss nur drauf hoffen, dass zumindest Bäckerei und Drogerie einen Kalender haben. Weil was wäre, wenn nicht? Wir klebten uns Goldtattoos und Flowerpower ins Gesicht für den Weihnachtsmarktbesuch, weil das liegt jetzt so in der Auslage. Wir dekorierten im Frühjahr die Wohnung mit Filzlaub und Styroporpilzen, verschmierten im August Lebkuchendekor mit Sonnencreme auf der Haut und suchten als Hexen verkleidet Ostereier im Garten. Neulich wurde mir ein Krapfen ohne Füllung verkauft. Das fand ich sehr unverschämt, aber auch sehr sinnbildlich. Typisch Februar eben: eine einzige, monatgewordene Enttäuschung.

Freitag, 14. Februar 2025

Fallentinstag

Ich hatte mal einen Opa, der hörte auf den schönen Namen „Valentin“. Weil er aber ein Ur-Nürnberger war, sprach er von sich selbst stets als „Fallentin“, und das erschien mir stets nur logisch, schließlich hatte der Opa aufgrund irgendeiner unglücklichen Bewandnis viele Jahre früher nur noch ein echtes und dazu ein komisches Puppen-Bein – und das musste man ja wohl haben, wenn man „Fallentin“ hieß und offenbar ständig hinfiel? Ich weiß nicht mehr, wie alt ich werden musste, um zu begreifen, dass Opa Fallentin und dieser eine Tag im Jahr, in dem Menschen oft recht nervös werden und Blumen und Geschenklein von A nach B transportieren wie emsige Ameisen, irgendwie zusammengehören sollten, und selbst dann war mir eher ein Rätsel, warum der Opa denn eigentlich einen eigenen besonderen Feiertag haben sollte. Der Opa ist leider schon sehr lange nicht mehr da, so dass ich ihm meine späten Erkenntnisse nicht mehr auseinandersetzen kann, aber mindestens einmal im Jahr denk ich an ihn. Oder vielmehr: Ich werde an ihn gedacht. Der Valentinstag hat in meiner frühfeministischen Emma-Erziehung einen ganz ähnlichen Stellenwert wie Muttertag: hyperkommerzieller Ami-Käse, der nur darüber hinwegblenden soll, dass man sich nicht so, wie sich das gefälligst gehört, ganzjährig um seine Liebsten kümmert, sondern dann voller schlechtem Gewissen einmal im Jahr armeweise Geschmeide, Pralinés und Blumenbouquets nach Hause karrt. Eine Haltung, die mitnichten automatisch und generelles Unromantikergegrummel bedeutet, sondern es sich so ähnlich verhält wie bei mir mit Karpfen: Ohne jemals auch nur an einem gerochen zu haben, weise ich dieses Fischgericht entschieden und mit größtem Nachdruck als ungenießbar von mir, nicht ohne mich dazu demonstrativ gänsehautend zu schütteln. Wenn ich das hier, in Karpfenhausen, laut ausspreche, kommt das einem Frevel gleich, und bei der Spurensuche bin ich dem Grund auf die Schliche gekommen: Der Uropa, so geht die Familiengeschichte, brachte vom Angeln stets Karpfen mit, der dann in der Badewanne schwimmen und von den Kindern ausgenommen werden musste – eine Erfahrung, die mir sozusagen weitervererbt worden ist. Transgenerationales Karpfentrauma. Und so hab ich auch die Valentinstagsskepsis schlichtweg vererbt bekommen. Was mir bislang nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil eine Vielzahl überraschender und schöner Blumensträuße übers Jahr hinweg beschert hat und vor allem eine ersprießliche Nicht-Anzahl von Enttäuschungen, die so ein vergessener Valentinstag, einer mit teuren, aber schlechten Lokalen, Blumen von der Tanke oder gar Mon Cheris mit sich bringt. In diesem Sinne: Opa, auf dein Wohl! Allen Fallentins einen schönen Namenstag! Und allen Liebenden eine wärmende Umarmung!


Freitag, 7. Februar 2025

Zettelwirtschaft

 

Ich meine hier schonmal erwähnt zu haben, dass ich versuche, technisch so gut wie möglich auf der Höhe der Zeit zu sein, um nicht irgendwann das Nachsehen zu haben und als uralte 55-Jährige meinen Enkel oder Zivi anrufen zu müssen mit meinem Großtastentelefon, weil ich es wieder nicht geschafft habe, mit rhythmischem Augenzwinkern den Fernseher fürs Vorabendprogramm zu aktivieren oder der Kühlschrank mir partout nicht den richtigen Milchreis aushändigen will, weil ich es nicht schaffe, mir zu merken, in welchem Winkel zu ihm ich mit den Fingern schnipsen muss. Also versuche ich, mich up to date zu halten, mir allerlei neumodisches Gerät ins Haus zu schaffen und dann lauthals nach dem Mann zu brüllen, weil das Internet schon wieder kaputt ist oder der Fernseher von Geisterhand einen Sendersuchlauf begonnen hat. Als technisch völlig zeitgemäß weil schlichtweg ein Evergreen sind für mich deswegen: Zettel. Zettel gibt es immer. Sie sind unabhängig von Raum, Zeit und politischen Geschehnissen, einfach in der Handhabung und leicht zu verstauen. Vor allem aber sind sie leicht zu beschriften und leicht zu lesen, und deswegen lebe ich in einer Zettelwelt oder „Zettelwirtschaft“. In der Zettelwirtschaft finden sich Notizen aller Wichtigkeitsstufen – PINs, Passwörter, Namen, Telefonnummern, Filmtipps und, spezialwichtig: genialistische Einfälle für die Kolumne zur späteren Ausarbeitung. So einen habe ich gerade vor mir liegen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn der Zettelinhalt gibt mir Rätsel auf: „Gebiss auf Hüpfburg verloren“, steht da, und jetzt kann man mir viel nachsagen, aber nicht, dass es sich hierbei um eine Erinnerung an eine Schadensmeldung bei der Versicherung handeln könnte. Was aber dann? Ich habe kein Gebiss. Also doch, schon, aber kein solches, dessen man beim Toben unvermittelt verlustig würde. Ich habe mal ein Gebiss gefunden, ein halbes zumindest, und mich dann schon gefragt, wie sowas wohl passiert und ob man damit jetzt zur Polizei gehen muss oder zum Fundbüro. Meine Eltern haben eine Kuchenzange in Form eines Gebisses, die immer wieder für Freude sorgt und für Scherze gut ist, beispielsweise gegenüber Familienmitgliedern, die wirklich schon die Dritten tragen. Wann ich das letzte Mal auf einer Hüpfburg war, erinnere ich nicht, sicher nicht jedenfalls beim Abifest, wo reihenweise enge Hosen aufplatzten, das war mir nicht geheuer, und ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, in jüngerer bis älterer Vergangenheit Senior*innen beim Hüpfburgen beobachtet zu haben – ein Umstand, den ich sehr bedaure, denn das wär bestimmt ein Heidenspaß … Bitte, wenn sich jemand angesprochen oder gemeint fühlt: Melde dich! Ich hab zwar kein Gebiss gefunden, aber großes Interesse an der Geschichte!

Freitag, 31. Januar 2025

Winterinspiration

 Eine treue Leserin rief mich kürzlich zur Räson. Ich war grad in einem schönen Schwung angekommen, in dem ich über das Weh und Ach des Winters im Allgemeinen so wie im Speziellen vor mich hin lamentierte, da unterbrach sie mich. „Ach komm schon!“, rief sie aus. „Du brauchst doch den Winter!“ Ich hielt verdutzt inne und blickte sie fragend an: „Böh?“ Was das bedeuten solle, wollte ich gerne wissen, denn ich fühlte rein gar keinen Funken Wahrheit in dieser ehrenlosen Anschuldigung. „Du brauchst den Winter für deine Kolumne!“ – „Äh wieso jetzt das?“ – „Weil du sonst keine braunen Batzen auf der Straße finden würdest, nicht frieren würdest, keinen Zwiebellook bräuchtest und quasi keinen Stoff hättest!“, sprach sie und schenkte mir ein triumphierendes Augenblitzen. Ich schwieg. Angemessen beleidigt, wie ich fand, doch nach und nach schlich sich ein anderes kleines grünes Gefühl in die Empörung: ertappt. Ich war ertappt. „Du hast mich ertappt“, gestand ich, und schon gesellte sich eine ganz neue Empfindung zu den beiden anderen hinzu: Der blanke Stolz des Märtyrers. Ich, Katharina Wasmeier, stelle mich Tag für Tag heroisch den Herausforderungen der schrecklichsten aller Saisonse, um euch, liebe Leserinnen und Leser, zu unterhalten. Ich sehne mich nach Leid und Qual, die mich befällt, nach dem so grausigen Zustand vollständiger Lähmung des kompletten Körpers, sobald ich mit einem Hauch eisiger Luft konfrontiert werde. Ich suhle mich im Elend der schwärzesten aller Depressionen, die einen mangels Licht und Wärme befallen kann. Ich verehre den Verdruss, der die Menschheit zumal im Januar und Februar befällt, wenn sie erkennen, dass mit Silvester zwar das schöne Lichterglitzerfeierzeug vorbei ist, der Winter jedoch in Wahrheit noch nicht einmal richtig angefangen hat. Ich opfere dem Gott der Häme und Schadenfreude, der die Menschheit mit kurzen Sonnenblitzen beschießt um sie in den Glauben eines nahenden Frühlings zu versetzen, nur um kurz darauf mit vernehmlichem Schnalzen die sibirische Eispeitsche in die gerade noch lächelnden Gesichter zucken zu lassen. Ich empfinde nichts als reine Poesie und Lyrik, die wunderbarsten Farben und Kompositionen durchströmen mein Innerstes. Ganz in der Tradition eines van Gogh, eines Beethoven stehe ich und ziehe mein Glück aus der Seelenpein des Wintervolkes, vor allem aber aus meiner eigenen. Morgen für Morgen erwache ich voller Sorge, der Winter könnte vorbei und an seiner Stelle der Frühling getreten sein mit seinem ekelhaften Frohsinn, den Farben und wohlfeilen Blütendüften. Zeigt das Fenster mir dann nichts als tristes Grau, einen schönen Sprühregen und dick eingefrorene Autos, so werfe ich mich zurück aufs Bett, jaule einmal kurz auf und rufe „JUHU!“, ruf ich, „wieder eine Kolumne sicher! Bitte lieber Gott, lass den Winter noch ewig dauern!“ Ach, wie herrlich! 

Freitag, 24. Januar 2025

Alltagsrätsel

 It’s that beautiful time of the year where you cannot erkennen ob es sich bei dem braunen Batzerl auf dem Straßenboden um ein so altes, so trauriges Blatt handelt, übriggeblieben von den Stürmen des vergangenen Herbstes, die es getrennt haben vom Mutterbaum und allen Geschwistern, und das seitdem sein trauriges einsames Dasein fristet mit Füßen getreten, mit garstigen Besenborsten getriezt, die es wegkratzen wollen vom einzigen Halt, die ihm noch bleiben: dem kalten Asphalt, auf dem es liegt und liegt so lange, bis auch ich es mit meinen festen Sohlen piesacke und trete. Oder ist der braune Gatsch vielleicht ein Chinaböller, gefertigt von emsigen kleinen Arbeiterhändchen, zu Wasser und Land transportiert bis in die schöne Tschechei, wo es jemand bei einem schönen Kulturausflug in „die Tscheche“ einen kleinen, standardmäßigen Einkauf vor Silvester getätigt hat um dann, am großen Abend um Mitternacht, seine Bataillone Aufstellung nehmen zu lassen auf der Straße vor dem Haus und dann dem Robert und der Annalena mal so richtig zu zeigen, wo hier der Hammer hängt, und gegen 2.47 Uhr mit pfeifenden Ohren aber letztem Triumph den großen Kracher zu zünden, der sich seitdem allen Ordnungsbestrebungen widersetzt und dank höllischer Feuersbrunsten mit dem Asphalt zu einer untrennbaren Einheit zerschmolzen ist? Oder aber handelt es sich in Wahrheit bei den braunen Batzerln und Fleckerln, die die Straßen und Gehwege überziehen, um keine der vorangegangenen Substanzen, sondern eine solche, die man erst erkennt, wenn man den Stiefel daheim bereits an zwei Schuhabstreifern feste abgerieben hat und dann vielleicht noch einmal quer durch die Wohnung getapst ist, um die Einkäufe oder eine sonstige Last in der Küche abzustellen, ins Bad und auf die Toilette zu rasen wegen absoluter Urgency, und dann endlich erleichtert und entspannt die Stiefel von den Füßen ziehen möchte und dann merkst du plötzlich: nanu, merkst du, da ist aber noch viel dran an der Sohle von dem Blatt oder dem Böller, der sich da drangeklebt hat, dabei hast du doch schon so feste die Füße am Abstreifer gerieben, und es ist schon irgendwie auch komisch, wie sehr sich das ins Profil hineingearbeitet hat, und wenn du’s dir recht überlegst, dann ist der Geruch, der da auf einmal durch den Flur und aus der Küche und … PFUI DEIFI und dann springst du und rennst du und weißt nicht wohin weil plötzlich ist alles ganz grausig und kontaminiert und am liebsten möchtest du den Schuh wegwerfen und alle Teppiche und das Laminat noch dazu aber das geht ja nicht, deswegen hockst du dich auf den Balkon und kratzt würgend und entwürdigend mit einem Zweigerl oder Zahnstocher in einer Sohle umeinander und dann noch mit Wasser und dann bloß weg mit dem Schwamm, und dann den ganzen Boden und ach wie schön muss das sein, so einen süßen Hund zu besitzen und mit dem dann ein bisschen Gassi über die Straßen und Gehwege machen zu können!

Freitag, 17. Januar 2025

Winterstarre

 

„Ich möchte kein Eisbär sein, im kalten Polar. Dann müsste ich noch mehr schrei’n: Alles ganz furchtbar!“ Die Frage ist nur: Was bin ich dann? Am ehesten aktuell wohl grad ein wechselwarmes Tier. Vielleicht eine hübsch glänzende Schlange oder eine seidig schillernde Eidechse? So zumindest verhalte ich mich, denn ich bin in eine amtliche Kältestarre verfallen, die es mir unmöglich macht, mich draußen zu bewegen. Gerate ich in Kontakt mit der ach so guten „frischen Luft“, erstarre ich sofort zu Stein und finde aus diesem Zustand nur unter Zuhilfenahme zahlreicher Tricks wieder heraus. Diese Tricks reichen von anfängermäßigen wie heißer Tee und Wärmflasche über fortgeschrittene Hilfen wie Merino-Unterwäsche und Teddy-Fleece auch zu Hause bis zu echten Profi-Moves wie einer Heizdecke und so einem beheizbaren Fußding, das man sich unter den Schreibtisch stellt und dann schwitzend darin verheddert. Meine größte Angst ist das Lüften, denn damit holt man sich den ärgsten Feind gewissermaßen freiwillig in die Bude, die mit Müh und Not auf 20 Grad aufgeheizt ist und den restlichen Tag benötigt, diese Temperatur wieder ansatzweise herzustellen. Menschen, die sorglos bei mir klingeln, durchfährt ein großer Schreck, wenn die Tür sich öffnet, steht ihnen doch dann ein hoch aufgetürmter Sesamstraßen-Samson gegenüber, mit dicken Puschen und Ohrenkrempenmütze, aus der eine rottropfende Nase schüchtern hervorlinst. Im Gegensatz zu Eidechsen und Schlangen muss ich zu meinem größten Jammern ab und an dann doch das schützende Nest verlassen, um irgendwas zu besorgen oder zu erledigen. Hierbei ähnele ich den Amphibien dann wieder frappierend, schließlich kann ich mich nur in hölzerner Zeitlupe bewegen, mehr lässt die siebte Zwiebelschicht einfach nicht zu. Wenn mir etwas zu Boden fällt, so muss es leider dort verbleiben: Habt ihr schonmal versucht, euch mit einem knöchellangen, bis zum Bersten gespannten Daunenmantel zu bücken? Eben. Bin ich dann mal draußen, so sehe ich dort Verwunderliches, ja Erstaunliches gar. Menschlein in dünnen Mäntelchen und kurzen Jäckchen, ein Ausschnitt bis zum Bauchnabel, die Knöchel leuchten in der 15-Uhr-Dämmerung – und ich versteh die Welt nicht mehr. Ist es das Alter, das mich zur Frostbeule werden lässt, oder frieren Menschen einfach nicht gleich, und liegt das dann am Alter oder hab ich einfach schon zu oft die Apotheken-Umschau gelesen? Ach, am liebsten wäre ich zwar kein Eisbär, wohl aber ein Braunbär, Murmeltier oder Zwiesel. Ich läge zufrieden schlummernd in meinem Bau, während ich von meiner im Sommer angereicherten Nährschicht zehrte statt Tag für Tag auf die Jagd gehen zu müssen, wäre umgeben von wärmendem Laub und Fell und krabbelte erste wieder ins Tageslicht, wenn dieses diese Bezeichnung auch verdient.