Die Ankündigung „es ist wieder soweit“ deutet meistens auf ein Ereignis hin, dass regelmäßig und zum gleichen Zeitpunkt wiederkehrt, unabwendbar ist, niemanden besonders überrascht und darob gänzlich überflüssig ist. Die Ankündigung. Manchmal auch das Ereignis selbst. Manchmal beides. Derlei Ereignisse stehen in der kommenden Zeit (ich sag’s ungern, aber heute in acht Wochen ist Weihnachten. Oder „in zwei Monaten“, falls das weniger bedrohlich klingt) zahlreich an, keines ist dazu angetan, uns sonderlich zu überraschen, weil man kann eh nichts dagegen tun. Wer jetzt spontan Christkindlesmarkt, Stille Feiertage und Jahreswechselzinnober (gerade gelernt: Beim „Zinnober“ handelt es sich um ein aus der Verbindung von Quecksilber und Schwefel entstehendes rotes Mineral, denkt mal drüber nach!) im Sinn hat: ja, stimmt schon, aber – gemach! Erst einmal steht jetzt ein anderes Ereignis bevor, das absolut unabwendbar ist, jährlich sogar gleich zweimal wiederkehrt und uns dennoch von Mal zu Mal aufs Neue völlig überrascht. Mich zumindest. Die Rede ist selbstverständlich von der Zeitumstellung, denn jetzt, liebe Lesende, „ist es wieder soweit“. So gewiss wie das Ereignis selbst ist auch die Debatte, die so nicht im Vorfeld mindestens in den Folgewochen geführt werden wird. Abschaffen ja/nein, Winter- vs. Sommerzeit, alles ist auf einmal schrecklich, Deutschland im kollektiven Jetlag, von dem ich ja behaupte, es handele sich hierbei lediglich um eine willkommene Begründung für die seit Wochen mangels Sonnenlicht vermehrte Schläfrigkeit. Nachdem ich die ohnehin immer habe und den Rest das Digitaluhrwesen für mich regelt, könnte mir die Zeitumstellung weitestgehend schnurz sein. Ist sie auch. Doch was mich zweimal jährlich aufs äußerste beschäftigt ist: Wie wird eigentlich umgestellt? Eine Frage, die ich mir einfach nicht beantworten kann. Die ganz Schlauen kommen mir dann immer mit klugen Merksätzen, doch genau so gut könnte man mir die sprichwörtlichen „böhmischen Dörfer“ runterbeten. Ein besonders gern genutztes Beispiel ist das mit irgendwelchen Möbeln, die man je nach Saison in die Garage stellt oder in den Keller und bei Bedarf wieder herausholt. So war das doch, oder? Leider verstehe ich nicht, wie mir das als Eselsbrücke zur Zeitumstellung helfen soll. Bedeutet das: Im Winter hängen wir am besten alle Uhren ab oder werfen Tücher drüber, weil sowieso ist die Uhrzeit egal, wenn es den ganzen Tag nur finster ist? Schätze, so wird es gemeint sein. Morgens dunkel, abends auch, dazwischen Frieren, Dämmerung und Miesepeterei. Herrliche Aussichten! Insofern würde es mir völlig reichen, am Sonntag zu überhaupt irgendeiner Uhrzeit einmal aufzuwachen. Welche, ist mir schnuppe. Und überhaupt: Ich geh mir jetzt eine Tageslichtlampe kaufen. Dann bin ich frei von Raum und Zeit. Und damit auch von allem, wofür es „endlich wieder soweit ist“.
Freitag, 24. Oktober 2025
Freitag, 17. Oktober 2025
Müdigkeit
Na, auch noch nicht wach geworden? Es ist jetzt halb fünf am
Nachmittag, und wo andere Leute sagen würden „Ich habe gefühlt den ganzen Tag
geschlafen“ kann ich mit Fug und Recht und kein bisschen Stolz behaupten: Ich
HABE den ganzen Tag geschlafen. Eine analytische Ergründung der Ursache bin ich
mir bislang schuldig geblieben, aber ein, wenn nicht DER Grund, der mir von
Menschen, denen ich von meiner Unbill berichte, reflexhaft entgegengeschossen
wird, ist: das Wetter. Natürlich, es muss das Wetter sein. Das Wetter ist
hierzulande grundsätzlich an allem schuld. Kopfweh? Wetter! Leichter Schwindel?
Wetter! Nicht geschafft, einkaufen zu gehen? Wetter! Steuererklärung drei
Monate zu spät abgegeben? Na klar: Wetter! Ich möchte noch einen Schritt
weitergehen und gleich die ganze Saison unter Generealverdacht stellen,
allerlei Misslichkeiten zu verantworten hat, vor allem an denen, die mit
gesteigertem Schlafbedürfnis zu tun haben. Im Frühling ist es die
Frühjahrsmüdigkeit, die uns befällt, im Sommer prinzipiell die Hitze, die uns
lähmt. Im Winter ist es der Bär in uns, der seine Sehnsucht nach Winterschlaf
nicht abschütteln kann, und im Herbst ist eh grundsätzlich alles schwierig
(dunkel, nass, grau), so dass die Vorbereitung auf den Winterschlaf uns dann
noch den Rest gibt. Es gibt noch einen zweiten Grund, der ins Feld geführt wird
von befragtem Personal: Alter. Dagegen möchte ich mich strikt verwehren und
recke unter größter Anstrengung meinen gehobenen Zeigefinger als Zeichen
exorbitanter Empörung unter der Bettdecke hervor. Alterssymptome? Ich? Niemals!
Andere – meinetwegen, aber ich bin im Herzen forever 20 und im Körper ebenso. Es
ist halt einfach nur ganz praktisch, sich nur noch 20.15 Uhr-Filme auf den
Öffentlich-Rechtlichen anzuschauen, die pünktlich und vorhersehbar um 21.45 Uhr
enden und ein Zubettgehen um 22 Uhr ermöglichen. Es ist doch nur sinnvoll, sich
mit Freunden ausschließlich am Nachmittag zu treffen, damit es selbst nach
großer Ausschweifung problemlos möglich ist, am nächsten Tag pumperlfit zu sein,
weil schließlich war man um 20 Uhr zu Hause und um 22 Uhr (danke, ÖR) im Bett.
Es ist absolut klug, Unternehmungen jedweder Art mit mindestens einer Woche
Vorlauf zu planen, denn so hat man viel mehr Zeit, unter Verweis auf
Schläfrigkeit (s.o.) abzusagen anstatt am selben Tag sehr stressig sich erst zu
verabreden, dann lange mit der Verabredung zu hadern um schließlich kurzfristig
abzusagen. Und wenn man das oft genug so gehandhabt hat, kommt man bald auch
gar nicht mehr erst in die Verlegenheit, etwas absagen zu müssen, weil sich
ohnehin niemand mehr mit einem verabredet – win-win! Was also soll der Grund
sein für diese unendliche Müdigkeit? Ich ahne es: vermutlich mein seltsames
Leben als Tradwife, dem ich mich am vergangenen Wochenende hingegeben habe.
Aber davon erzähle ich ein andermal. Jetzt muss ich: schlafen.
Freitag, 10. Oktober 2025
Streaming
Der Mann ist glücklich. Das ist schön, denn meist bin ich
das dann auch, was wiederum gut für ihn ist, weil happy wife, happy life.
Prinzipiell. Aktuell geht die Rechnung aber irgendwie nicht auf. Doch während
ich noch darüber nachsinne, entwickelt der Mann großen Aktionismus. Kerzen
werden nach einigem Gewühl in einschlägigen Schubladen entzündet, das Ambilight
ebenfalls. Man braut Kräutertee, unterzieht Teekanne und Stövchen einer eiligen
Grundreinigung. Wärmflaschen werden aufgekocht, die schicke leichte
Musselindecke wird in denselben Untergrund verbannt, aus dem zugleich wärmende
und Heizdecken hervoroperiert werden. „ENDLICH“, schreit der Mann nach getaner
Arbeit, „FERNSEHEN!“ und schmeißt sich mit Effet aufs Kanapee, aus dem in einer
großen Staubwolke auch noch die letzten feinen Flöckchen Sommer emporstieben.
Durch den trüben Dunst erkenne ich eine wedelnde Fernbedienung, die mich
fröhlich auf die Couch einlädt … Ich kann die Freude durchaus nachvollziehen
und sogar teilen. Draußen stürmt und windet es, Regen verschiedenster
Darreichungsform kommt mal von links, mal von rechts und dann plötzlich von
unten. Kein Spaziergang ist zu tun, kein Biergarten zu besuchen, kein Garten zu
bestellen – ab jetzt wird gefaulenzt und fläzend kontempliert. Über den Sommer
haben sich Listen mit Film- und Serienempfehlungen angehäuft, die man jetzt
locker abarbeiten kann. Könnte. Denn mit dem einschalten der Flimmerkiste
öffnet sich gleichsam die Büchse der Pandora, und ich weiß: In zehn Minuten
habe ich Kopfschmerzen, tränende Augen und stehe kurz vor dem
Nervenzusammenbruch. Der Verursacher des Unzustandes? Glasklar:
Streamingdienste. Ich kann, das haben wir ja jetzt vielleicht schon
mitbekommen, mit Überangeboten nicht umgehen. Deswegen kauf ich lieber im
Zwergenladen um die Ecke ein – beim Betreten eines großen Supermarktes erleide
ich nach kurzer Zeit einen Schlaganfall, wenn ich nicht direkt verloren gehe.
So ist das auch beim Fernsehen, dessen lineare Variante ich stets vorziehe: Es
gibt ein Programm, das hat jemand kuratiert, und entweder schaff ich’s
pünktlich um 20.15 Uhr zum Samstagabendfilm oder nicht, entdecke dann beim
Zappen aber eine wunderbare Doku über die kirgisische Steinmaus und bin
zufrieden. Ganz anders das Streaming. „Gucken wir halt mal was es gibt!“
bedeutet nämlich, in wechselnder Reihenfolge sämtliche Angebote zu
durchforsten, währenddessen der Unmenge an Diensten gewahr zu werden, die man
peu a peu abonniert hat, und nach einer Stunde zwar immer noch keinen Film
gestartet zu haben, dafür aber 37 neue Sendungen auf eine Merkliste gesetzt zu
haben, an deren Auswahl man sich beim nächsten Mal nicht mehr erinnert und
schon geht’s wieder von vorne los … Während der Mann irgendwo ein Fußball
entdeckt hat, weine ich ein bisschen und wiege mich in den Schlaf. Das Setting
hierfür passt immerhin.
Freitag, 26. September 2025
Souvenirs
Souvenir, das: „Gegenstand, der als Erinnerung an ein
bestimmtes Ereignis, einen Ort oder eine Person mitgenommen und aufbewahrt wird.“
Typischer Vertreter dieser Gattung ist das Urlaubssouvenir, und hier gibt es
unterschiedliche Arten. Zum einen dasjenige, mit dem man sich selbst erfreuen
und den Urlaub so lange wie möglich strecken möchte. Hierzu gehören
traditionell landestypische kulinarische Erzeugnisse (Olivenöl, weil „das kriegst
du in der Qualität bei uns ja gar nicht; kistenweise Wein, weil „dieser
ökologische Ansatz und wie viel Mühe sich die da machen, das müssen wir
unbedingt unterstützen“; trockene Gebäckteilchen, weil „die halten sich echt
ewig und das wäre doch schön wenn wir die zu Weihnachten auf den Tisch stellen
könnten?“; Trüffel, weil „zu dem Preis echt unschlagbar, und wenn wir sie in
fünf Tupperdosen und einen Bleikoffer verpacken müssen wir nach der Fahrt auch
das Auto nicht kernsanieren …“). Kleidungsstücke, die am Urlaubsort zwar
absolut unabdinglich waren, am Heimatort aber schlagartig jedwede
Sinnhaftigkeit verlieren, stehen ebenfalls hoch im Kurs („Ach guck mal, die
tolle Elefantenpuffhose, die ist doch prima im Sommer daheim“, „o Gott schau
mal diese unfassbar cuten Boho-Kleider mit den Neon-Applikationen, die hier
alle anhaben, damit bin ich Queen zu Hause“, „diese Plateau-Sandalen mit den
putzigen Stickbommeln und den Zehensocken gibt’s bei uns ja noch gar nicht, da
bin ich endlich mal Trendsetterin“ usw. … ). Zum anderen gibt es diejenigen
Souvenirs, die man aus moralischer oder sonstiger Verpflichtung für
Daheimgebliebene mitnehmen zu müssen glaubt und die meist kurz vor der Abfahrt
oder spätestens an der letzten Tanke vor der Grenze erworben werden und darum
eventuell ein rechter Schmarrn sind („Aber wir MÜSSEN ihr doch irgendwas
mitbringen!“ – „Ja dann nimm halt diesen komischen Strand-Magneten und die
Kekse für 17 Euro, die nehmen nicht so viel Platz weg!“) und sich mit den
Postkarten, die man nebst horrend teurer Europabriefmarken strebsam am
Urlaubsbeginn gekauft, dann drei Wochen herumgezogen und schließlich auf dem
heimischen Wohnzimmertisch unter allerlei Unrat begraben hat, um sie „wenigstens
zu rahmen und hübsch aufzuhängen“, zu einem hübschen Souvenir-Paket vereinen.
Ich habe nichts dergleichen erworben (na gut, vielleicht ein, zwei
quietschbunte Boho-Kleider) und mir nicht einmal einen prächtigen Sonnenbrand
mit heim gebracht. Dafür Souvenirs der besonderen Art, die meinen Körper schmücken und mich an die schöne Zeit
erinnern. Tattoos? Also bitte! Nein: Mückenstiche! Gebissen von den fettesten, fiesesten
Viechern, die sich ein Mensch nur vorstellen kann. Von Kopf bis Fuß übersäht
liege ich nachts juckend wach und erinnere mich heftig kratzend an die schöne
Zeit. Das ist doch auch mal was, oder?
Freitag, 19. September 2025
Urlaubsvertretung
In einem ersprießlichen Gespräch mit einem der vielen
gütigen Kollegen, die hier Woche für Woche erst dafür zuständig sind, mich mit
Deadlines zu Höchstleistungen zu peitschen um dann anschließend an eben jenen
zu verzweifeln, behandelten wir unlängst im launigen Diskurs das Themenfeld
„Urlaubsvertretung“, denn ich sag einmal so: Selbst die lässigste aus dem Ärmel
geschüttelte Glosse tät ganz prinzipiell auch einmal gern einfach so auf einem
Sonnenstuhl herumliegen und nicht nur äußerlich einen mordsentspannten Eindruck
machen, sondern auch innerlich wirklich und echt wahr einfach einmal nichts zu
tun, zumal wenn’s außenrum gewaltig sommert. Einmal nichts zu denken – für
manche friedlicher Normalzustand, für mich jedoch das leere Hirn ein
unerreichter Sehnsuchtsort, an den ich zu gern einmal verreisen würde, ohne
dass ich mich zuvor auf einen höchst anstrengenden Weg der Meditation und
Erforschung der inneren Ruhe begeben muss. Auf meinen leichthin geäußerten
Gedanken also zuckte das Gesprächsgegenüber empfindlich zusammen und schrie.
„WASI!“, schrie es, „das kannst du knicken. Urlaubsvertretung! Es gibt auf der
ganzen Welt niemanden, der so schreibt wie du, also vergiss es!“ Ich versuchte
mich in Protest: „Aber …“ – „NICHTS ABER!“, schrie’s zurück, und mein feiner
Schnittlauchpony türmte sich im Gegenwind zur ondulierten Tolle auf. „Wenn du
jemanden findest, der dich vertritt und ich’s nicht merk, dann geb ich einen
aus! Und soll ich dir was sagen? Das wird ein billiger Abend – für mich! Und
jetzt geh denken!“ Jetzt muss ich sagen: Ich bin von Haus aus eher ökonomisch
veranlagt. Der Unwissende mag das mit Faulheit verwechseln, doch der
Erleuchtete weiß es besser. Mit minimalem Aufwand das maximale Ergebnis
erzielen – auf diese Weise bin ich schon eher versehentlich zu Latinum und
Abitur gekommen – kann nicht anders als als außerordentlich strebsam und klug
beurteilt werden. Gelegentlich jedoch packt mich ein großer Ehrgeiz nah am
Furor und ein „Dir werd ich’s schon zeigen!“ So auch jetzt. Meine Lieben – ein
Wettbewerb! Es ist ganz einfach: Sucht euch ein beliebiges Thema, saisonal, biographisch
oder völlig erfunden. Formuliert lose einen Gedanken. Blast diesen bis zur
Unkenntlichkeit auf, bemalt ihn, pudert ihn, behängt ihn mit Lametta,
Luftschlangen und Spaghetti. Googelt im Themenfeld, streut wahllos
bildungsbürgerliche Sujets ein. Lest Asterix, verwendet lateinische Wendungen
nach Gusto (gustum, -o: Geschmack, der), gelegentlich englische because it’s so
amazing. Ersetzt möglichst alle Punkte durch Komma, verstrickt euch in
Nebensatzstrukturen fünfter Ebene, findet nonchalant wieder heraus, vertraut
auf die Verwirrungstaktik. Überrascht mit lyrischen Exzessen und Onomatopoesie.
Schreibt, wie ihr sprecht und nicht wie das Amtsblatt. Niemand mag Amtsblätter.
Erweitert euren mickrigen Wortschatz von 200 auf 200 Millionen (Anm. d. Red.:
von dieser Aussage distanzieren wir uns nachdrücklich). Lügt. Und schickt mir
das Ergebnis. Dann wollen wir mal schauen, wer hier einen billigen Abend
verbringt und wer nicht. Lustig wird das allemal. Auf geht’s!
Freitag, 12. September 2025
La dure far tutti
Ach Leute, ich sag’s euch: Es könnte wirklich schlimmer sein
… Ich fläze ohne jede Körperspannung in der Hängematte, es herrschen äußerst
angenehme Temperaturen; gerade warm genug, um im Bikini nicht zu frösteln, aber
auch nicht so heiß, dass die Sonnencreme in die Augen laufen oder ich gar ins
Schwitzen geraten würde. Wenn ich die Augen schließe, höre ich nichts als
plätscherndes Wasser und haufenweise Kindergeschrei. Gelegentlich kommt mein
schöner Mann vorbei und befragt mich nach meinen Wünschen: ein kleines
Sandwich, kühle Getränke oder eine Runde Karteln? Mal sehen, ob ich den Tag
morgen wieder so verbringen darf oder lieber einen kulturell ansprechenden
Ausflug machen muss … Was ich möchte, denn schließlich ward mir versprochen:
zwei Wochen „La dolce far niente“ – das sprichwörtlich italienische süße
Nichtstun: schlendern, bummeln, hier ein Spritzchen, dort ein Gelato,
dazwischen sehr viel liegen und lesen und dabei wahnsinnig gut ausschauen. Ok,
letzteres gelingt mir freilich mit links. Ansonsten herrscht hier ein strenges
Regime. Von wegen süßes Nichtstun: „la dure far tutti“ lautet die Parole – das
harte Allesmachen! „Und hast du dir schon einen Plan überlegt für
Unternehmungen?“ frug der Mann kaum dass die Strada del Sole, sprich A9,
betreten worden war und wedelte drohend mit dem im euphorischen Überschwang
(oder schwachen Moment) erworbenen Reiseführer. Berge wollen bestiegen werden
und Schiffe auch, Museen durchstriffen und Gässchen erkundet, und über allem
(mir) schwebt das Damoklesschwert eines Freizeitparkbesuchs, um eine gewisse
Attraktion dort zu betreten und per Konfrontationstherapie zu erkunden, ob ich
die Nahtoderfahrung von vor einigen Jahren wiederholen oder mich heiter in den
Wind des Schreckens stellen kann und dort heiter mit den Ohren flattern. Das
ist also dieses „Urli“, von dem immer alle reden, und das einzige, was sich
grad dem süßen Nichtstun hingibt, ist meine Verdauung nach einer knappen Woche
monothematischer Ernährung mit Stangenweißbrot und Grissini … Immerhin:
Langweilig wird mir schon allein darum nicht, weil ich mir die
tätigkeitsreichste Art der Unterbringung ausgesucht habe. Camping. Schön im Igluzelt
auf Luftmatratzen und Dreibeinhockern? Natürlich nicht, aber auch im
festinstallierten Mobilheim hat man zwar ein Dach über dem Kopf, dafür aber
auch immer was zu tun. Allem voran, sich einer reduzierten und entschleunigten
Lebensweise rückzubesinnen – etwas, das einem im vollausgestatteten Luxus des
Eigenheims gelegentlich abhandenkommt. Die minimalistische Ausstattung sowie
der überschaubare Wohnraum machen’s möglich, und so mach ich zwar nicht niente,
dafür aber tutti in großer Langsamkeit und mit Bedacht, um nicht mehrfach
täglich einen kleinen Wutanfall zu erleiden, weil wichtiges Küchengerät nicht
zur Hand ist oder Kleidungsstücke im Klamottenchaos verschollen sind. Alles in
allem: tutto bene! Ciao!
Freitag, 5. September 2025
Strada del Sole
Ach Leute, ich sag’s euch: Es könnte wirklich schlimmer sein
… Ich fläze elegant auf einer höchst bequemen Liege, es herrschen äußerst
angenehme Temperaturen; gerade warm genug, um im Pailletten-Bikini nicht zu
frösteln, aber auch nicht zu heiß, dass mein extrahübsches Makeup verlaufen
oder ich gar ins Schwitzen geraten würde. Wenn ich die Augen schließe, höre ich
nichts als plätscherndes Wasser und gelegentlich ein glockenhelles
Kinderlachen. Gelegentlich kommt ein schöner Mann vorbei und befragt mich nach
meinen Wünschen: ein kleines Sandwich, kühle Getränke oder gar eine Massage?
Mal sehen, ob ich den Tag morgen wieder so verbringe oder lieber einen
kulturell ansprechenden Ausflug mache, aber ich denke, ich komme einfach wieder
an diesen wunderbar entspannenden Platz – im Hallenbad vom TSV Dingens, also
jedenfalls dem Sportverein um die Ecke … Stimmt doch gar nicht? Ja richtig,
stimmt eventuell gar nicht, und blitzgescheit, wie ihr seid, habt ihr natürlich
auch schon ausgerechnet, dass ich ja noch gar nicht weg sein kann. Erwischt!
Aber es gab diesen Moment, in dem ich mit hoher Sicherheit befunden habe, eben
dieses Hallenbad sei DIE Lösung für meine Sorgen hinsichtlich der
Urlaubsdestination. Es könnte sich bei diesem Moment um denjenigen gehandelt
haben, in dem ich den 187. Booking.com-Tab am Laptop öffnen wollte, um eine
weitere potenzielle FeWo einem kritischen Vergleich zu unterziehen, sich aber
statt den neuen Tab zu öffnen mein Rechner mit einem vernehmlichen Seufzen
geschlossen und weitere Dienstleistung verweigert hat. War es aber nicht.
Sondern ein anderer. „WIR MÜSSEN ZU HAUSE BLEIBEN, DAS GEHT SO ALLES NICHT!“
hab ich geschrien und mich dabei auf dem Boden gewälzt – so gut wie es ging,
denn da wo zuvor ein Boden war, liegt jetzt mein gesamter Hausstand in
thematisch passenden Haufen sortiert und wartet darauf, in thematisch sinnvolle
Taschen, Koffer und 37 Jutebeutel gepackt zu werden. In dem wahnwitzigen
Irrglauben, am Urlaubsort angekommen nur noch zielgerichtet lässig in die
passende Tasche greifen zu müssen und dort genau das eine Trum zu fassen zu
kriegen, nach dem mir grad der Sinn steht; anstatt wie sonst üblich sämtliches
Gepäck dreimal zu durchwühlen, anschließend mies gelaunt ins nächste Geschäft
zu fahren und dort mit Todesverachtung einen scheußlichen und zu kleinen Bikini
zu erwerben, da der eigene offenkundig daheim vergessen wurde (und sich dann
aber beim Auspacken nach Urlaubsende daheim natürlich in der Thementasche
„Baden“ wiederfindet) … Was soll ich sagen? Urlaub ist eben der blanke Stress.
Aber für den Rückzug ist es jetzt zu spät. Morgen früh geht’s los. Jetzt:
Reisesemmeln schmieren, die spätestens hinter Greding komplett verspeist sind.
Arrivederci! Strada del sole – ich komme!
Freitag, 29. August 2025
Urlaubsstress
Homo vacarendum est – auch wenn es meinen noch nicht verblichenen Lateinlehrern an dieser Stelle jetzt womöglich die Zehennägel hochrollt, zumindest inhaltlich hab ich schon recht: Der Mensch urlaubt. Aktuell sogar sehr heftig. Man radelt über die Alpen und paddelt in Slowenien, beachlifet in Griechenland oder, ganz hoch im Kurs, an der Ostsee, räkelt sich in Infinitypools oder glampt aufs Äußerste. Und das alles weiß ich sehr gut, denn der Mensch dokumentiert all das gewissenhaft im Instagram, dessen Name nicht umsonst zumindest im zweiten Wortbestandteil frappierend an „Verdruss“ erinnert. Insta-Gram. Ich zumindest gräme mich. Denn ich urlaube auch. Jedenfalls bald. Jedenfalls, wenn ich bis zu einem nahenden Zeitpunkt X meine pathologische Angst vor Urlaubsplanung überwunden haben sollte. „Du musst doch wissen, wo du hinwillst!“ ruft man mir verblüfft zu, und ich rudere hilflos mit den Armen und sage: „Ja, doch, nein.“ Ich weiß wie so oft vor allem, was ich NICHT will (Sand, Karst, Hitze), doch selbst nach Ausschluss dieser Kriterien bleiben immer noch verdammt viele Optionen offen – und mit Optionen kann ich nicht so gut, sonst wäre ich vermutlich auch Fan von Subway und würde nicht angesichts einer schier endlosen Liste von von mir zusammenzustellenden Zutaten weinend zusammenbrechen oder vor einem angepriesenen „reichhaltigen Buffet“ schreiend davonrennen und mich wimmernd an einer alten Breze festhalten. Ich möchte das nicht. Ich möchte Struktur, Plan und jemanden, der mir Dinge vorgibt. Zuviel Freiheit macht mir Angst (gleichwohl ich bei der geringsten Ahnung eines unfreiwilligen Beschnitts derselben sogleich in großen Zorn ausbrechen kann). Das war schon in der Uni so: Du kommst heraus aus einer Schule, die dich 13 Jahre lang gelehrt hat, einen Stundenplan artig zu befolgen und ja nicht irgendwo links und rechts auszubrechen, und wirst hineingeworfen in eine Uni, die sagt: „Hallo, hier hast du 754839 Optionen, um dein Studium so zu gestalten, wie es dir taugt, wir lassen dir alle Freiheiten, komm ja nicht auf die Idee nach einer Vorgabe zu fragen, tschüssi!“ Turns out: Statt eines Magisters in Germanistik und Soziologie hab ich einen in Schlossgarten und Kneipe. Quasi. Jetzt also Urlaub. Es soll Menschen geben, die es lieben, tage- und nächtelang Länder, Menschen, Abenteuer zu recherchieren, Buchungsplattformen zu vergleichen und sich die perfekte Zeit selbst zu komponieren. Ich nicht. Ich bin Typ „Aldi Reisen“: Ein picobello geschnürtes Paket, das mich erst einmal in Sicherheit wiegt – und über dessen freiheitsberaubendes Diktat ich mich vor Ort immer noch aufregen, mich allen Plänen widersetzen und mein eigenes Süppchen kochen kann … Es soll Leute geben, die urlauben am liebsten zu Hause. Ich verstehe das, denn damit fällt auch das nächste drohende Übel flach: packen. Mal sehen, mit welcher Entscheidung ich mich überrasche. Eine Woche hab ich noch.
Freitag, 22. August 2025
Fehler in der Matrix
Der Herrgott sei gepriesen, die Hitzewelle ist vorbei –
sagen manche. Ich nicht. Ich befinde mich stattdessen in einem Zustand, den man
sich am besten so vorstellen kann wie eine Szene aus Matrix, wenn Neo sich dem
Kontrahentenbeschuss ausweichend in Slowmotion horizontal in die Luft legt und
dort schwebend den nächsten Supermove vorbereitet und man schon weiß: gleich
scheppert’s gewaltig. Nur dass ich nicht bewaffnet unter Beschuss stehe,
sondern in Slomo in der Luft stehe, weil mir grade jemand ruckartig die
Picknickdecke unter den Füßen weggezogen hat und im nächsten Sekundenbruchteil
nicht nur ich scheppernd auf dem Boden lande, sondern mit mir auch eine große
Menge Sommerutensilien, die erst hoch in den Himmel stieben und dann rings um
mich herum hinabregnen. Da lieg ich jetzt also inmitten eines schönen Haufens
Dingen, die bis grade eben noch unabkömmlich bis existenziell wichtig waren und
jetzt von einem Moment auf den anderen absolut jeden auch noch so kleinen Sinn
verloren haben. Dabei war ich grade so richtig eingegroovt, nicht zuletzt dank
des Turboboosters einer Hardcore-Freibadwoche, die ich dank einer derzeit auch
eher arbeitsextensiven Freundin durchleben durfte. Es begann harmlos: Handtuch,
Wasser, Bikini und ein Wechselschlüpper für ältere Damen – also halt in etwa
so, wie Anfänger (ich) und Jugendliche (ich nicht) baden gehen. Es folgte ein
großer Neid und infolgedessen eine stetige Erweiterung des Gepäcks, bis ich an
Tag fünf mit zwei großen Sporttaschen und einer Kühltasche am Treffpunkt erschien
und die Freundin aus dem Staunen nicht mehr rauskam, als die Freibad-Mary
Poppins ihr Hab und Gut entblätterte: Ein großes Handtuch und dann noch eins
plus ein kleines, drei Bikinis für je nach Stimmung und Betätigung, ein Kissen
für den Kopf, eine portable Lehne, Fächer, tragbare Ventilatoren,
Trivialliteratur (zum Lesen) und Intellektuelles (zum Angeben), vorgekühlte
Melonenschnitzen, geeistes Wasser, belegte Semmeln, Spiele, Sonnenschirm und
dergleichen mehr. Was man halt so braucht, wenn man einen ganzen Tag in
Wahrheit nur bräsig im Baumschatten liegt und ratscht. Auch hinsichtlich der
Ernährung war ich gänzlich angepasst: Was braucht der Mensch außer Wassermelone
und Freibadpommes und hin und wieder mal ein Steckerleis? Richtig, gar nichts.
Jetzt frag ich mich: Wie soll das alles gehen? Was zieht man an wenn nicht
Tshirtshortsundschlappen? Was isst man so den ganzen Tag? Und vor allem: Was
TUT man? Ich ahne ein tiefes Loch am Horizont herannahen. Aber das passt ja
dann eigentlich ganz gut zum Tief. Und das sollte ich vielleicht dazu nutzen,
die Wohnung von einem Sommerfreizeitlagerstaustall wieder in irgendwas
Bewohnbares rückzuverwandeln. Hier liegt ja jetzt alles auf dem Boden herum.
Freitag, 15. August 2025
Sommer Fast Forward
Schönen guten Morgen zusammen. Es ist 8 Uhr 43, und ich habe mein Tagwerk im Prinzip vollbracht – wenn man vom Schreiben einer gewissen Kolumne absieht. Aber Schwamm drüber, hierzu kann ich mir auch später noch Gedanken machen. Als fleißige Hausfrau habe ich den dazugehörigen Halt mal eben schnell im Halbschlaf erledigt, denn ich bin im Morgengrauen nachgerade aus dem Bett geschnalzt, als eine mir nicht gleich bekannte Stimme mich angeschrien hat: „WIR HABEN DOCH KEINE ZEIT!“ Richtig, hab ich mich erinnert, keine Zeit. Weil völlig unerwartet finden wir uns in etwas wieder, das wir in den letzten Wochen, als wir uns mit Wärmflasche auf dem Kanapee eingekuschelt hatten, während Regenschirme, Hosen und Socken in der Wohnung verteilt versuchten, sich von ständiger Beregnung zu erholen. „Es riecht nach Herbst!“, schrieb mir eins kürzlich am Morgen. „Das war’s, der Sommer ist vorbei. Ich weine.“ UNSINN, hab ich mir da gedacht, der Sommer geht jetzt erst richtig los – nur, und das muss man ihm bei aller Liebe schon auch einmal kritisch mitteilen dürfen, hat er’s vielleicht doch bisschen zu locker angehen lassen. Und damit bringt er uns jetzt in eine feine Bredouille. Weil der Sommer gar so lang getrödelt hat, haben wir jetzt den Nudelsalat – und müssen alles, was die jahreszeittypische ToDo-Liste so bereithält, in Hyperduperüberschallgeschwindigkeit nachholen. „Schreibt Prioritäten-Listen, startet Doodles, kalkuliert irgendwas mit Excel. Aber BEEILT EUCH!“ möchte ich seit ein paar Tagen meinem kompletten Bekanntenkreis zurufen und am besten gleich eine kuratierte Auswahl möglicher Aktivitäten anreichen: In einem Fluss baden und auf einem anderen mit dem Schlauchboot paddeln. Die gesammelten „37x Grillen ohne Bratwürste und Wammerl“-Rezepte ausprobieren. Bräsig im Garten herumliegen. Im Gartenhaus übernachten. Wassermelone essen. Ins Freiluftkino gehen. Morgens an den See fahren und erst abends wieder zurück. Leicht bekleidet in allen innerstädtischen Brunnen planschen. Dubiose Sommergetränke testen. Fahrradtouren machen. Wassermelone essen. Hängematte dabeihaben und überall aufspannen. Spaghettieis zum Abendessen. Unter freiem Himmel tanzen. Biergärten mit Kastanienschatten auskundschaften. Eselswandern. Tretboot fahren. Wassermelone essen. Durch den Rasensprenger fliegen. Ein Bett auf dem Balkon bauen. Einen Fächer dabeihaben. Nach Sonnencreme duften. Nach Autan stinken. Wassermelone essen … Und das alles in drei, vier Wochen?! Puh, da wird mir gleich ein bisschen schwindlig. Was hilft? Genau: Tun, was eine Frau tun muss. Und deswegen ist jetzt auch keine Zeit mehr, denn ich .. Was? Ich kann euch nicht hören. Das Schwimmbad ruft so laut nach mir. Tschüssi!
Freitag, 8. August 2025
Dr. Osophila
Juhu, endlich Sommerferien! Na gut, für mich eigentlich
nicht, aber nachdem diese Phase zu den besseren bis besten Erinnerungen an
meine Schulzeit gehört, freu ich mich einfach weiter drüber. Ebenfalls in sehr
guter Erinnerung geblieben ist mir der Bio-LK. Hier habe ich viel gelernt, was
mich heute noch freut – man könnte auch sagen, hier habe ich einen nicht zu
kleinen Teil unnützen Wissens angehäuft, mit dem ich im Smalltalk und bei Tisch
brilliere. Dazu gehört neben kluger Schlagworte wie „Parthenogenese“ oder
„Klinefelter-Syndrom“ auch „Drosophila“ – wobei es sich nicht um einen
reüssierenden Mädchennamen aus der Antike handelt, sondern um eine lautliche
Wohltat für ganz und gar garstige Wesen. Diese sind winzigklein, blicken einen
bei mikroskopischer Betrachtung aus furchterregend roten Teufelsaugen an und
entzücken die Forschung seit Äonen wegen irgendwas im Genpool. Was genau,
erinnere ich nicht mehr, aber vermutlich ist es gerade dieser Wissensnebel, der
mir in höchstem Maße Sorgen bereitet. „Ich mach mir große Sorgen um die
Küchensituation“, hab ich dem Mann neulich gestanden. Seine Antwort wurde von
einem vielstimmigen Sirren davongetragen, derweil ich einer Szene beiwohnte,
die mich frappierend an biblische Plagen und umherziehende Schwärme Myriaden
gefräßiger Heuschrecken erinnerte, hinter dessen schwärmendem und zuckendem
Vorhang ich irgendwo den Mann vermutete. Grund für die alttestamentarische
Erschütterung war mein Leichtsinn, der mich naiv den Deckel zum Biomüll hatte
öffnen lassen und damit einen Vulkanausbruch auslöste: Apfelgriebs hinein, eine
Fantastilliarde Fruchtfliegen hinaus. Doch das war nicht mein Problem. „Weißt
du, ich trau mich nicht mehr, eine Falle zu installieren, weil mich beunruhigt
das Verhalten, das die bei den Fliegen auslöst.“ Während nämlich manche (dumme)
Individuen sich kopflos und gierig in die Suppe aus Apfelessig und Spüli
stürzte, um dort die ewige Ruhe zu finden, setzte sich ein anderer Teil frivol
an den Rand des Swimmingpools, baumelte mit den Beinen und zeigte mir die lange
Nase. „Ich habe Sorge, hier irgendeine problematische Form natürlicher Auslese
zu betreiben und im Begriff zu sein, eine Art Superfliege zu züchten“, führte
ich meine Bedenken weiter aus. 100 Eier täglich legt so eine Fliegenfrau,
fertig ist die Brut zehn Tage später. Wenn die von Generation zu Generation,
Darwin lässt grüßen, schlauer, größer, stärker werden, welches Unglück bringe
ich dann grade über die Menschheit? Werde ich dereinst über ein von mir
geschaffenes Heer hochintelligenter Riesenfliegen herrschen? Gehe ich ein in
die Historie als Dr. Osophila, Herrin der Fruchtfliegen, die ihre Schwärme
dorthin schickt, wo mal wieder richtig aufgeräumt gehört? So gesehen find ich
den Gedanken nicht mehr ganz so furchterregend. Ich geh mal Apfelessig kaufen.
Freitag, 1. August 2025
42
Wie wir wissen, lautet die Antwort auf fast alles: 42. Und
ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich das endlich
verstehe. 42 müsste die Antwort sein, vielleicht auch 41 oder 43, aber so um
den Dreh stimmt es – für mich jedenfalls. „Meine Güte, haben Sie schlechte
Augen!“ hat mir jetzt ein charmanter älterer Herr mit weißem Gewand und gelben
Haaren beschieden und dabei mit seinem Finger in verschiedenen Entfernungen vor
meinem unbebrillten Gesicht herumgewedelt. Auf dem Finger klebte eine Art
hautfarbenes Pflasterchen, in dessen Mitte sich eine winzige Nadel befand –
angeblich, weil gesehen hab ich sie nicht. Es könnte also sein, dass es sich
bei den Akupunkturpflastern, die ich seitdem auf dem Rücken kleben habe, um
nichts weiter als ein Placebo handelt. Ich werde es nie herausfinden, und so
bleibt mir nur, zu vertrauen. Aber ich hatte ja lang genug Zeit, zu lernen:
Wenn die Person in Weiß was sagt, hat es gewöhnlich irgendeine Richtigkeit. Ich
verlasse mich also auf Erfahrung, und wenn ich’s mir recht überlege, mache ich
genau das im Alltag ziemlich oft. Also zumindest immer dann, wenn ich keine
Brille aufhabe. Das ist wie bei vermutlich vielen Brillentragenden bei der
Morgen- und Abendtoilette der Fall – also das, wobei man sich allerlei für den
Tag unverzichtbare Mittelchen und Wässerchen und Sälblein ins Gesicht packt
oder von diesem wieder abwäscht. „Ich glaube“, habe ich zwischen zwei
Spülgängen dem Mann entgegengegurgelt, „die ganze erste Lebenshälfte ist nur
dafür da, bestimmte Handgriffe und Routinen des täglichen Bedarfs derart
einzuschleifen, dass man sie in der zweiten Lebenshälfte auch blind erledigen
kann“, hab ich gesagt und dabei Wasser aus dem Hahn dorthin laufen lassen, wo
ich die Öffnung einer Flasche vermutet hab … Tja, es ist, wie es ist: In den
letzten zwei, drei Jahren hat sich da eine gewisse, nicht mehr von der Hand zu
weisende Verschlechterung im Nahsichtbereich zugetragen, um ehrlich zu sein
auch im Weitsichtbereich, und so gibt es Situationen, durch die ich eher auf
Verdacht segle als wirklich zu wissen, was ich grade tue. Wasser warm/ kalt,
Zahnpasta auf das Bürstel, Hände eincremen – das funktioniert freilich
reibungslos. Was mich eher wundert, ist, wie man (ich) es fertigbringe, ein
komplettes Tagesmakeup im absoluten Blindflug aufzutragen. Es ist wie bei „1, 2
oder 3“: Ob alle Farbe richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht. Bzw. die
Brille auf der Nase sitzt – und ein hübsch bemaltes Antlitz zeigt oder eine
fein verschmierte Joker-Fratze … Nach dem Prinzip schreib ich übrigens auch
Kolumnen.
Freitag, 25. Juli 2025
Zucchini-Überschwemmung
Ich war mal auf einer Reha. Das ist sowas wie Schullandheim,
nur anders. Man wird den ganzen Tag bespaßt, latscht mehr oder minder
freiwillig irgendwo draußen herum, hängt ab und für Essen ist stets gesorgt.
Entweder im ersten Schullandheim (Weißenbrunn!) oder im ersten Skilager
(Wildschönau) hab ich eine Goldene Regel gelernt: Wenn du in Massenunterkünften
mit einer Großküche bist, halte dich fern von Fleischgerichten. Das hat mich
vor vielen unappetitlichen Überraschungen bewahrt, doch im Falle der Reha hätte
ich mir diese nach einiger Zeit sehnsüchtig gewünscht. Während alle anderen
Gäste Tag für Tag mit kulinarischer Abwechslung bekocht wurden, gab es für mich
tagein, tagaus das Gleiche: Variationen von Zucchini und Karotten. Die hatten
nämlich grade Hochsaison, und die sonst recht bayerisch-fleischige Küche wusste
sich offenbar nicht anders zu helfen, als das Gemüse zu raspeln, in Teig
einzuwickeln oder darunter zu mischen und alles mit Käse oder Tomatensoße zu
dekorieren. Sagen wir mal so: Meine vegetarischen Mistreiter und ich haben sehr
viel (hysterisch) gelacht in diesen vier Wochen und uns zum Abschied ein
Zucchini-Kochbuch geschenkt. Genau das brauche ich jetzt. Denn in meiner
dritten Saison als Garten-Bestellerin bin ich gerade dabei, das sonst so
leichthin dahergesagte Wort „Zucchini-Überschwemmung“ in seiner Gänze zu
begreifen. „Nicht so viele Zucchini-Pflanzen!“, hatte ich meinen Mitgartelnden
noch zugerufen, „darin ersäuft man doch bekanntlich im Sommer!“ und die
Co-Worker haben mich schief angeschaut. „Hä, wir liiiiiieeeeeeeeben Zucchini!
Wir könnten je-den Tag Zucchini essen!“ und steckten daraufhin drei unschuldige
Pflänzlein in eine Erde, nebst vieler weiterer Pflanzen. Diese gedeihen
spärlich: Der Kohlrabi fiel einer Schneckenherde zum Opfer, der Sellerie der
Ungeduld, der Basilikum hat den Behauptungskampf gegen den Salat gewonnen und
der Romanesco sich, einmal kurz nicht hingeschaut, in einen blühenden Strauß
verwandelt. Abgesehen vom Gewächshaus, in dem die Tomaten einen urzeitlichen Urwald
bilden, sprießt und gedeiht – wer? Richtig, drei prächtige Zucchini-Bäume, die
sich wie gefräßige Schlingpflanzen um alles winden, was greifbar ist und
oberschenkeldicke Früchte bilden. Und während die Zucchini-Freude anfangs groß
war, lässt die Begeisterung nach mehreren Wochen relativ einseitiger Ernährung
empfindlich nach: Pasta mit Zucchini gebraten, Pasta mit Zucchini-Creme,
Zucchini-Lasagne, Zucchini gefüllt und sogar ein Zucchini-Kuchen – mir steht’s
bis hier. Wer also Rezeptvorschläge hat, her damit! Wer Zucchini möchte –
gerne. Ich brat mir jetzt erstmal ein dickes Steak.
Freitag, 18. Juli 2025
Auch ein Eis!
Diese Woche hatte ich einen Flirt. Der ist mir in besonderer
Erinnerung geblieben, nicht weil das wie böse Zungen behaupten im gesetzten
Alter nur noch spärlich vorkommt. Sondern wegen seines Ausgangs. Die Sonne
schien, ein gleich losbrechendes Gewitter war nur wenig mehr als eine krude
Vorahnung, ich hatte Zeit und mischte mich unauffällig unter die
Touristenschar, um mit Turnschuhen und Rucksack durch die weltschönste aller
mittelalterlichen Gassen zu flanieren und ah und oh zu machen. Da kam mir ein junger
Mann entgegen, der, das war deutlich zu erkennen, mich schon aus weiter
Entfernung fixierte und tief in meine Augen sah, um mir im Vorbeigehen
begehrliche Blicke zuzuwerfen. Ich lächelte, freute mich des Lebens und ging
meiner Wege. Nur Sekunden später ertönte hinter mir ein tosendes Gebrüll, und
als ich mich umsah, warf sich ebenjener junge Mann verzweifelt von links nach
rechts, tobte auf dem Gassenboden und sorgte für ein rechts Gewese. Ich freute
mich und setzte meinen Weg unbeeindruckt fort, während hinter mir das Geschrei
immer lauter tönte: „MAMAPAPA ICH WILL AUCH EIN EI-HEI-HEI-HEI-HEEEEEEEIS!!“
Denn in Wahrheit war es natürlich nicht ich, die der Knabe mit seinen Augen verschlungen
hatte, sondern die Waffel mit der fürstlichen Kugel Eis darin, die ich mir kurz
zuvor gegönnt hatte. „Haha“, hab ich in mich reingegrinst, vielleicht auch ein
bisschen aus mir raus. „Ich hab mir einfach ein Eis gekauft, superunvernünftig auf
fast nüchternen Magen vor dem Mittagessen, und wahrscheinlich ist mir gleich ziemlich
oll, aber es musste sein, weil’s grad so schön gepasst hat in dieser schönen
Eisgerbergasse und weil ich Lust hatte – und weil ich’s KANN!“ Tu felix
Erwachsenenleben! Jaa, es gibt Sachen, die nerven gewaltig (Einkaufen,
Steuererklärung, Vorsorgeuntersuchungen). Aber es gibt vor allem auch Sachen,
die einfach nur wundervoll sind. Allem voran, dass ich mein eigenes Geld habe
und das ganz nach gusto ausgeben kann, wann und wie es mir gerade passt –
zumindest weitestgehend (Einkaufen, Steuer, Vorsorgeuntersuchungen) und ich in
lebenswichtigen Entscheidungen und Notwendigkeiten meine Eltern nur noch
einbeziehe, wenn ich möchte, und nicht, weil ich von ihnen abhängig bin. Man
stelle sich das als erwachsener Mensch nur mal vor, man bedürfe für die
Erfüllung eines jeden Wunsches und Bedürfnisses erst den elterlichen Segen!
„Mamapapa, ich bräuchte neue Turnschuhe.“ – „Iwo, Kind, da kleben wir Gaffa
drauf und dann gehen die noch.“ Oder „Papapapa ich brauch Geld fürs
Geschäftsessen heute!“ – „Ich habe dir doch gestern erst zwei Euro gegeben.
Mach dir eine Stulle!“ oder „Mamamama ich möchte heiraten!“ – „Also wirklich,
Kind, nur weil die anderen das jetzt machen heißt das doch nicht, dass du das
auch machen musst. Du bist auch so besonders!“ Nein, die Zeiten sind zum Glück
vorbei. Noch ein Eis jemand?
Freitag, 11. Juli 2025
Yoga im Park
Ich komm grade von einer Veranstaltung im Park.
Festivalfreunden werden hier sogleich die Ohren aufgehen: Rock, Hiphop, schön
auf einer Insel? Weit gefehlt, also um genau zu sein: diametral gefehlt. Im
Gegensatz zu gängigen Events auf Grünflächen handelte es sich in diesem Fall um
eine ausgesprochen leise Variante, und mit fünf Teilnehmenden war das Ganze
auch nicht direkt so gut besucht wie gängige Park-Veranstaltungen. Dafür hat es
bloß drei Euro gekostet und nicht wie der große Bruder am Dutzendteich 500 Euro
(250 Euro Ticket + 200 Euro Getränke + 50 Euro Speisen zweifelhafter Qualität)
und auch nur 90 Minuten gedauert (sonst: zwei Tage Vorbereitung, drei Tage
Festival, je nach Alter und Trainingszustand ein bis sieben Tage
Rekonvaleszenz) und keine größeren Opfer (Geldbeutel, Gesundheit, Beziehung)
gefordert außer dass ich recht gefröstelt hab und dann auch noch nasse Füße
bekommen. Dafür kann ich jetzt sehr gut Bauch-, Brust- und Wechselatmung und
hab mich mal wieder unter meinesgleichen getummelt (Frauen ü40, die mal „was
Neues ausprobieren“ möchten). Ich hatte mir also gedacht: Probier doch mal was
Neues aus!, und mich für einen „Spaziergang mit Yoga-Atemtechniken“, der zu
meiner großen Freude vom Seniorenzentrum ausgerufen worden war (meinesgleichen),
wo sich bekanntermaßen nicht nur Menschen meiner Haarfarbe tummeln, sondern
auch solche zu erwarten sind, die in einer ähnlichen Konditionsklasse wie ich
spielen und mich nicht in den sonst üblichen Konkurrenzdruck mit den gängigen
Yoga-Powergirls in Uniform (weiße Tennissocken, schwarze Leggins,
dorthineingestopftes lässiges Oberteil, aus dem ironische Tattoos blitzen,
Goldschmuck, Knödel auf dem Kopf und irgendwo irgendwas mit Leo-Print) zu
setzen drohte. „Heiterkeit, Lachen und viel Bewegung an der frischen Luft“
wurden mir versprochen und lediglich bequeme Kleidung vorausgesetzt – und hey,
wenn ich eins kann, dann „bequem gekleidet“. Also bin ich in der weltbequemsten
Klamotte (leider nicht der weltwärmsten) in den Park geschlurft, um mich dort
einer Gruppe gleichaltriger Damen zwischen 60 und 80 Jahren anzuschließen, die
bereits nach den ersten 100 Meter „gehen und ein- sowie ausatmen“ (ein häufiges
Kommando, das den altbekannten Blondinenwitz ad absurdum führt) erste
Ausfallerscheinungen zu beklagen hatte und eine der Damen wegen akuten
Schwindels auf eine Bank niederstreckte … Ich habe mich also gestreckt und
gedreht, meine Verdauung angeregt und mein Bewusstsein erweitert und sehr viel
geatmet. Die gute staubige Baustellenluft tief ein und den lieblichen
Gartenpflegearbeitslärm tieeeef wieder aus. Heitre war ich auch, und womöglich
ist mir mal ein kleines Lachen durchgerutscht. Jetzt bin ich sehr entspannt.
Und zum Glück nicht von einem bis sieben Tagen Kater bedroht.
Freitag, 4. Juli 2025
Mehr Omelette als Mensch
Zustandsbeshcvipvfäd … Huch. Entschuldigt bitte, aber ich
bin grade auf meiner Tastatur abgerutscht, ganz ähnlich irgendwie wie damals,
als ich in der fünften Klasse zum ersten Mal bei der Talent Night auftreten
sollte und vor Aufregung so geschwitzt habe, dass ich dauernd von den
Gitarrensaiten abgerutscht bin, dabei saß doch in der ersten Reihe mein großer
Schwarm und … naja. Also: schwitzen, genau. Zustandsbeschreibung: Es ist
Mittwoch, 2. Juli, 12 Uhr 26. Vor meinem Fenster ist ein
savannenbraungerösteter Glutofen, drinnen sitzt ein Omelette am Schreibtisch
und versucht, irgendwo im blubbernden Eintopf unter der Schädeldecke einen
halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Hab ich „Decke“ geschrieben? Pfui Deifi,
kein Mensch braucht eine Decke, höchstens in kaltes Wasser getauchte leichte
Leinen- oder Baumwollware. Im Nacken hab ich einen kalten Waschlappen, auf den
Beinen die zur Kühlflasche umfunktionierte Wärmi und über meinen Wasserhaushalt
hab ich den Überblick und womöglich auch die Kontrolle verloren wie über meine
restlichen Körperfunktionen auch. Manchmal, wenn ich denke, drin ist’s mir zu
warm, geh ich kurz auf den Balkon, um nach dem Schock der dort herrschenden 39°
schnell wieder in die angenehme Frische der 26° Innentemperatur zu flüchten.
Dass ich als echte Südländerin durchgehe (weißblondes Haar, blaue Augen,
Alabaster-Haut), erkennt man derzeit gut an meinem Tagesrhythmus: spätabends
putzmunter, morgens irgendwie auch, und tagsüber rette ich mich von einer
Siesta zur nächsten, die ich nur ungern unterbreche zur Aufnahme von
sogenannter Nahrung (Wasser, Gurke, Wassermelone). Die Siesta kann ich absolut
beliebig an beinahe jedem Ort und Unort abhalten und es ist nur eine Frage der
Zeit, bis ich unsanft geweckt werde vom Sicherheitsdienst eines Supermarktes,
wo ich mich erschöpft und willenlos zwischen Mozzarella und Kefir ins Kühlregal
in einen tiefen Schlaf werde fallengelassen haben … „Erinnerst du dich an
dieses Level aus Super Mario 3, in dem die Sonne versucht dich zu töten? Dieser
Tag ist heute!“ whatsappte mir heut ein Freund, und das ist ja im Prinzip das
gleiche wie der Satz, den Friedrich Nietzsche 1887 seinem Kumpel schrieb:
„Lieber Freund! Was für ein Sommer! Ich denke Sie mir im Zimmer sitzend, mehr
Omelette als Mensch!“ … Wer Zweifel hat am unglaublichen Nutzen von Bäumen in
der Stadt ist herzlich eingeladen, mich zu besuchen und den Unterschied
zwischen Südseite (verdorrte Welt, schmelzende Straßen, Mad Max) und Nordseite
(kühler Baumschatten, frische Luft, Ronja Räubertochter) zu fühlen. Insofern:
Kümmert euch um die Bäume – und um alle anderen, die das selbst nicht so gut
können, auch! Puh, war das jetzt ein anstrengendes Denken. Ich glaub, ich muss
sofort wieder schlafbmrööööö …
Freitag, 27. Juni 2025
Packstress
„Reisen ist purer Stress, ich sag’s ja immer! Und deswegen
lass ich es meistens!“ hat die Freundin konstatiert, als ich ihr von meiner
wenig ersprießlichen Rückfahrt aus dem Pinzgau berichtete, die es
fertiggebracht hatte, für läppische 350 Kilometer stolze acht Stunden in
Anspruch zu nehmen, Spezialunfall 200 Meter vor mir nebst einstündiger
Vollsperrung der Autobahn bei 35 Grad im Schatten inklusive – und das unmittelbar
nachdem ich das Ende der Wasservorräte festgestellt hatte … Nein, das war nicht
so schön. Umso schöner war die Woche vorher, mit blauen Seen und tiefen
Schluchten, schaukelnden Schifferln und schwankenden Seilbahnen, enormen
Gipfeln und beschaulichen Hütten mit Abend(b)rot. Da kehrt man doch gerne
zurück ins Lieblingsnürni, um tiefe Atemzüge staubtrockener Backofenluft zu
nehmen und erst einmal drei Tage damit beschäftigt zu sein, das Gepäck zu
reorganisieren und dabei vergnügt bis missmutig ganze Pakete ungetragener
Klamotten wieder zu verräumen. „Wann genau wollten wir eigentlich ‚abends fein
ausgehen‘ und ‚tagsüber lässig durch die Innenstadt flanieren‘?“ frug ich den
Mann, der seinerseits stapelweise Ungebrauchtes zurück in den Schrank
verstaute. Weil freilich hätten wir beide vorher ganz genau wissen können, dass
wir tagsüber in einer feinen Panade aus Schweiß, Sonnencreme und Granitstaub
durch die Gegend kraxeln und entsprechend abends viel zu platt sind, um
irgendwas anderes zustande zu bringen als die allernötigste Nahrungsversorgung
zu bewerkstelligen. Aber richtig, man weiß ja nie, was so passieren könnte, und
deswegen sagt der Mann „Wir haben ein Auto, wir können es vollmachen“, und das
lassen sich zwei Menschen, die mittlerweile schon Probleme haben, sich zu
disziplinieren, für einen kurzen Stadtpark-Besuch ohne Rucksack mit Wasser,
Decke, Snack und Regenjacke aufzubrechen, freilich nicht zweimal sagen … Ich
wünschte, ich wäre nicht so. Ich wünschte, es wäre mir gegeben, ein winziges
Tascherl mit dem Allernötigsten zu befüllen und dann frei von Gepäcksorgen
leichthin zu entschwinden. Leider ist mir das nicht gegeben. Leider gehöre ich
zur Fraktion „Man weiß ja nie“, und richtig, ich ernte seit 25 Jahren Spott und
Häme dafür, einen Besuch in der City nicht ohne große Wasserflasche und einen
Besuch im Park nicht ohne einen Sicherheitspullover absolvieren zu können. „Wir
sind in der STADT, du kannst dir überall was KAUFEN!“, heißt es dann, und ich
zucke schuldbewusst mit den Schultern und sage: „Verdurstungsangst“, und meine
das genau so ernst wie „Erfrierungsangst“. Entsprechend nervös bin ich jetzt
grade (10 Uhr): Gleich werde ich das Haus verlassen und es ist ungewiss, ob ich
es vor 18 Uhr noch einmal betrete und wie die Zeit dazwischen aussieht. Was
werde ich brauchen, wie wird das Wetter, wo bekomme ich etwas zu essen? Ich
pack mal lieber einen Rucksack. So ein Stress …
Freitag, 20. Juni 2025
Pumuckl und der Kini
Wir beginnen den Freitag mit dem Zitat eines der größten
Denker und klügsten Philosophen unserer Tage, drunter machen wir’s ja hier
nicht. „In den Bergen wohnt die Freiheit, in den Tälern wohnt der Neid“ sind
glasklar berühmte Zeilen aus – Pumuckl! Und im Gegensatz zu diesen seltsamen
Menschen, die es beständig in irgendein Flachland zieht, das dann zu lästigem,
alle Ritzen und Poren für immer auskleisterndem Sand wird, auf das ein entweder
zu warmes oder zu schmutziges oder sich auf rätselhafte Weise andauernd
füllstandshöhenmäßig als höchst unzuverlässig erweisendes Gewässer ohne gegenüberliegendes
Ufer folgt und angeblich DER Sehnsuchtsort schlechthin ist, obwohl es dem Auge
schlichtweg nichts zu bieten hat außer endlose und noch dazu meist aufs
lästigste lärmintensive Wellen (Meer, das) … hab ich mich jetzt doch glatt zu
einem Fadenverlust echauffiert, upsi. Na egal, ich gestern: Vier Stunden aus
einem Fenster geschaut und als ich wieder aufgewacht bin, war aus dem trockenen
Flachland des Mittelfränkischen eine saftig grüne, dicht bewaldete,
schneekuppige, das Auge mit Liebe und das Herz mit Sehnsucht füllende
Berglandschaft geworden: Tu felix Austria, auch wenn das mit dem eingangs
zitierten Kini, ich weiß, ich weiß, nur noch mit historischem Augenzwinkern zu
assoziieren ist. Hier ist Kaiser statt König, und so ähnlich fühle ich mich
auch, residiere ich doch by accident in einem wirklich prächtigen Hotel, in dem
man bis 10.30 Uhr frühstücken kann und dabei noch dazu ganz alleine ist. Was
daran liegen könnte, dass es sich um ein „Sport- und Aktiv-Hotel“ handelt,
weswegen man hier um 10 Uhr mutterseelenallein durchs lukullische Buffet pflügt,
weil der Rest der Gästeschaft seit 8 Uhr sportlich und aktiv ist. Ich hingegen
bin ja mittlerweile eher Freundin des sogenannten „Passiv-Urlaubs“, auch wenn
ich um ehrlich zu sein grade nicht ganz freiwillig am Schreibtisch mit Fenster
zu genau demjenigen Berg sitze, auf dessen Gipfel die anderen seit Stunden
herumkraxeln, und noch dazu ein bisschen schlafe, weil „Bergblick“ heißt auch
„Sonnenaufgangsblick“ und der war um 5.13 Uhr. Gähn … Dabei ist hier pretty
much to do, und damit man das nicht vergisst, bekommt man pünktlich um 8 Uhr
eine Email mit Unternehmungsvorschlägen: Bergbahn, Gipfelbesteigung,
Seedurchquerung, Wasserfallbestaunung, Walderforschung? Oder lieber
Aromapeeling, Zirbenvitalmassage, Algenpackung, Yinyoga und Poolschaukel im
Mystikraum, der Bio-Kräutersaunastube oder dem Amethysten-Dampfbad? Ich weiß es
nicht, und darum muss ich mich jetzt auch schweren Herzens hier verabschieden,
um mich um die weitere Tagesgestaltung zu kümmern bzw. diese zu treuen Händen
an meinen Adlaten weiterzureichen. Urli eben! Findet ihr blöd, weil ihr müsst
arbeiten? Na na, gemach! Oder wollt ihr, dass Pumuckl und der Kini recht
behalten?
Freitag, 13. Juni 2025
Schwung im Alltag
Der (alternde) Mensch braucht oftmals einen Impuls für „Mehr Schwung im Alltag“ – zumindest, wenn man den wiederkehrenden Überschriften in der SeniorenBRAVO (aka Apothekenumschau) Glauben schenkt. Was wir natürlich tun, seitdem wir festgestellt haben, dass im Laufe der Jahre zunehmend Themen darin auftauchen, die uns (mir) wie auf den Leib geschnitten sind. Eine Zeitschrift nur für mich? Nehm ich! Googelt man „Mehr Schwung in den Alltag bringen“, so identifiziert die fleißige KI hierfür drei Hauptkategorien: Bewegung & frische Luft, Abwechslung & neue Erfahrungen sowie „Gesunde Gewohnheiten“, und ich kann mit Fug & Recht behaupten, bereits einen Großteil der aufgeführten Tipps ausgeführt zu haben, obwohl es erst 11.47 Uhr ist. Zu verdanken habe ich das einer Art dyskalkulatorischer Funktionsstörung, die mich schon mein ganzes Leben begleitet und gelegentlich für allerhand Schwung in der Bude sorgt. Irgendwas stimmt bei der Übertragung von Zahlenwerten zwischen Augen/ Ohren und Gehirn nicht, so dass unter Umständen Ziffern lustig durcheinandergewürfelt werden. Beispiel: Ich höre „17 Uhr“, denke „17 Uhr!“ und merke mir dann „sieben Uhr abends“, weil die „7“ ist bei beidem mit dabei. Seit einigen Monaten – zumindest fällt es mir seitdem verstärkt auf – passiert etwas Neues, nämlich dass ich die verschiedenen Ziffern eines Termins untereinander heiter vermenge und dann ein Mordskuddelmuddel fabriziere. Heißt es „Dienstag, 13.5., 9.45 Uhr“ kann es also durchaus (zum Glück selten) passieren, dass ich zwar am Dienstag, jedoch erst um 13.05 Uhr erscheine … „Hierfür gibt es ja wohl Terminkalender mit Erinnerungsfunktion??“ schlaumeiern jetzt sicher verschiedene Personen, und ich sag: Ich weiß, doch auch hier kommt es gelegentlich zu Übertragungsfehlern, deren Auswirkungen mich dann irgendwann lustig überraschen. Man muss halt „9.7., 11 Uhr“ nicht nur richtig lesen, sondern auch richtig in den Kalender hineinbasteln. Oder man lässt es und hat sogleich mehr Schwung im Alltag. Ich wollte (neue Erfahrungen) ein Sportangebot im Park ausprobieren, habe mich darauf innerlich vorbereitet, den ganzen Tag um diesen Termin herumgebastelt und am Vorabend noch dreimal die Uhrzeit gegengecheckt. Dann folgte „Bewegung & frische Luft“ – aber anders als gedacht: „Kurze Spaziergänge, Treppe statt Aufzug, Morgensport & Fahrradfahren“ waren innerhalb 30 Minuten erledigt, dazwischen stand ich mal zehn Minuten frierend in Wind und Schatten und wunderte mich: Treffpunkt richtig, Uhrzeit richtig, aber weit und breit niemand zu sehen. Nochmal die Anmeldungsmail gecheckt, stimmt doch alles! Angerufen. „… ja, aber doch nicht heute, sondern am 9.7.!“ Ich glaube, den restlichen Tag widme ich einem weiteren wichtigen Punkt: Entspannung.
Freitag, 6. Juni 2025
WetterApps
Was ist der Deutschen liebstes Thema? Lüften, richtig, aber
das können wir ja dank Kippstellung jetzt erstmal wieder auf die lange
Herbstbank schieben. Was bleibt also? Genau: Wetter! Haben wir aktuell
vergleichsweise viel davon. Um und an Pfingsten haben wir traditionell
besonders viel davon, was Freunde des Festivals oder einschlägiger
Heimat-Kärwas leidlich wissen. Verwandelt sich das Bierzelt in einen Dampfgarer
(draußen Regen und Matsch, drinnen Schwitz und Dunst) oder in einen Schnellkochtopf
(draußen Hitze, drinnen noch schlimmer)? Muss ich mich fürs Festival mit
Gummistiefeln und Regenponcho behängen oder mit Wasserschläuchen und
Sonnenhüten? Man weiß es nicht, kann im Vorfeld eh nichts mehr daran ändern und
lebt also gezwungenermaßen im Moment. Hätte sich da in den vergangenen Jahren
nicht eine neue Spezies von Wetterexperten entwickelt. Früher war das so: Man
hörte oder tagesschaute am Vorabend einem Meteorologen bei der Arbeit zu,
danach wusste man zwar auch nicht mehr immerhin, in welcher Bandbreite sich das
Tagesequipment ungefähr bewegen sollte. Dann zerrte man meist einen Großteil
des Gepäcks umsonst herum, war aber auf alle Eventualitäten eingestellt. Seit
einiger Zeit hat sich in dieser bewährten Methode jedoch eine Änderung vollzogen,
die für Verwirrung, Aufruhr, Absagen, Planmodulationen und schlimmstenfalls
Streit sorgen. Diese Änderung heißt „WetterApp“, darin enthalten die besonders
wichtige Funktion „Regenradar“, dank derer Menschen sich dazu befleißigt
fühlen, zu echten Wetterexperten aufzusteigen. Weil: „Meine App hat immer
recht.“ Es ist ja gegen eine meteorologische Detailplanbarkeit ersteinmal
nichts einzuwenden. Ich schlepp auch ungern den Friesennerz durch Gluthitze.
Leider haben verschiedene Apps verschiedener Menschen verschieden recht, und
schon wird’s problematisch. Die eine sagt zielsicher Gewitter um 17.38 Uhr
voraus, die andere Trockenheit bis 21 Uhr. Die eine weiß von sicher Sonne bis
16 Uhr, die andere von sicher Nässe gegen 13.45 Uhr. Umstände, über die man
sich vortrefflich streiten kann, wenn es um Ausflüge, Seetage oder Gartenpartys
geht. Besonders wichtig ist es hierbei, keinesfalls nach der Devise „Jetzt
machen wir halt, dann sehen wir schon“ zu agieren, sondern möglichst dezidiert
und ausschweifend die jeweils aktuelle Meldung der App zu diskutieren: „Oh,
jetzt sagt sie plötzlich Regen um 16.19 Uhr.“ – „Hä nee meine ist immer noch
bei 17.38 Uhr.“ – „Also ich hab ja die Spezialapp die man eigentlich als
Normalo nicht herkriegt, und die sagt ganz klar: Schauer um 13.20 Uhr, danach
trocken.“ – „Und was machen wir jetzt?“ Immerhin: Wenn es nach stundenlanger
Diskussion über Unwetter und wann und wie doll endlich zu tröpfeln beginnt,
sind alle wieder vereint, denn alle haben irgendwie recht. Und wenn nicht, sind
alle irgendwie froh. Mir ist es egal. Ich war ja auf alle Eventualitäten
vorbereitet.
Freitag, 30. Mai 2025
Der längste Ohrwurm
Schönen guten Moren und herzlich willkommen in diesem
erneuten sehr schönen, weil vermutlich für die meisten sehr langem Wochenende,
an dem wir … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW, THAT THIS HAS NOTHING TO DO WITH
YOU … ähm Moment, was wollte ich sagen? Ach so, genau. An dem wir uns alle mal
wieder gemeinsam fühlen können wie eine Frau in den Wechseljahren. Mhm, wie
erkläre ich das jetzt am besten … IT’S PERSONAL MYSELF AND I, WE GOT SOME
STRAIGHTENING OUT TO DO … Naja, das Wetter der letzten Wochen ist wie
Hitzewallungen, findet ihr nicht? Am einen Tag schwitzt man wie verrückt, dann
wird man plötzlich patschnass und friert anschließend elendig. Normalerweise
würde man jetzt, wie soll ich’s sagen … AND I’M GONNA MISS YOU LIKE A CHILD
MISSES THEIR BLANKET … Um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung wie ich’s sagen
soll, geschweige denn was ich eigentlich sagen wollte, weil genau so störend
wie in diesem Text geht es in meinem Kopf zu … I HOPE YOU KNOW I HOPE YOU KNOW …
Wann immer er auch nur eine Mysekunde Gelegenheit dazu findet … IT’S TIME TO BE
A BIG GIRL NOW … AND BIG GIRLS DONT’T CRY … singt es darin nämlich dieses Lied
von Fergie. Mit dem ich mich keinesfalls tiefer verbunden fühle, ja, das ich
noch nicht einmal besonders gut leiden kann, aber … IT’S PERSONAL MYSELF AND I …
aus irgendeinem mir absolut unerfindlichen Grund von einer höheren Instanz
beschlossen wurde, dass ausgerechnet dieser Song aus dem Jahr 2006 zum
Soundtrack meines Lebens gereichen sollte. Und das nicht etwa nur in den
letzten Tagen, wie es anständige Ohrwürmer für gewöhnlich tun, bevor sie sich
wieder verkriechen und dem nächsten Kollegen Platz machen, sondern seit
Monaten! Ungelogen! Ich wache mit diesen Zeilen und der Melodie morgens auf und
gehe abends mit ihnen ins Bett. Ich habe sie im Supermarkt im Ohr, wo ich mich
doch eigentlich auf eine Einkaufsliste konzentrieren möchte, und höre sie
beständig, während ich einen Text für diese Spalte hier ersinnen soll. Ich höre
ihn unter der Dusche und beim Sport, beim Lesen und sogar Radio hören und es
gibt rein gar nichts, was ich dagegen tun kann. Und ich habe viel versucht. Auf
eine Phase belustigter Genervtheit folgte eine des rasenden Zorns und dann die
großer Verzweiflung. Nichts hat geholfen. Kein Dagegen-Ansingen. Kein lautes
Mitsingen. Auch die Entscheidung, das Lied als Teil von mir zu akzeptieren und freudig
zu umarmen brachte keine Besserung. Fergie bleibt und fühlt sich in meinem Kopf
pudelwohl. Google sagt „Der längste Ohrwurm der Welt war der
St.-Helena-Riesenohrwurm (Labidura herculeana), der bis zu 80 mm lang wurde“,
aber ich fürchte, das hilft mir auch nicht weiter. Was also tun? Vielleicht die
Botschaft annehmen: It’s time to be a big girl now – and big girls don’t cry!
Freitag, 23. Mai 2025
Escape Room
Es ist wie beim allseits beliebten Gesellschaftsspiel „Das
verrückte Labyrinth“: Das Ziel feste vor Augen hat man Hürden überwunden und
Gegner ausgetrickst, ist bereit für den finalen Spielzug und damit glorreichen
Sieg und – ZACK! kommt von links eins daher und macht den ganzen Pfad kaputt.
Wo grade noch ein schöner Weg entlangführte, ist jetzt nurmehr ein tiefer
Graben, eine hohe Mauer oder Stromschnelle, über die hinweg es schlichtweg
keine Möglichkeit gibt. Da steht man dann, als armer Tor, und ist so klug als
wie zuvor – und gezwungen, alles neu zu überdenken … So in der Art geht es mir,
seitdem ich inmitten Nürnbergs größter Baustelle lebe. Will sagen: Inmitten
Deutschlands größtem Escape Room. Das Prinzip dieser Livespiel-Einrichtungen
ist immer ähnlich. Menschengruppen wechselnder Größe werden in einen Raum
gesperrt, der gemäß eines Mottos gestaltet ist. Gruselschloss, Gefängniszelle
oder eben Baustelle. Den Menschen muss es nun innerhalb einer bestimmten Zeit
gelingen, sich mittels Rätseln und Geschicklichkeitsaufgaben aus dem Raum
hinauszuknobeln. Die Aufgabe hier: Gelange von deiner Haustür A in den
nahegelegenen Stadtpark B / die Apotheke C / den Supermarkt D, ohne dass es zu
Personenschäden, Handgemengen, Entleibungen oder Auffahrunfällen kommt.
Hindernisse wie Hängebrücken oder Fußgängerampeln dürfen genutzt, müssen aber
erst mal gefunden werden. Hindernisse wie klaffende Bodenlöcher, meterlange
Absperrungen oder breite Gräben dürfen keinesfalls überwunden werden, sondern
bedürfen einer weiträumigen Umgehung. Beinahe täglich versuche ich mich dieser
Aufgabe zu stellen – beinahe täglich werde ich mit neuen Herausforderungen
konfrontiert: Dort, wo gestern noch eine Verkehrsinsel war, ist heute eine
tiefe Grube. Da, wo ich neulich noch die Straße queren konnte, ist jetzt weit
und breit nur wutschnaubender Verkehr. An der Stelle, wo unlängst noch ein
Laden bequem umschifft werden konnte, ist jetzt eine Schikane in Form einer
Engstelle bierfilziger Größe, an der Passanten, Fahrräder, Kinder, Rollstühle
und Kleiderständer mit kreischbunten Sale-Angeboten lustiges Ballett tanzen.
Allen Aufgaben gemein ist, dass ich das Ziel zwar immer sehen kann –
beispielsweise den Supermarkt genau gegenüber auf der anderen Straßenseite –
allein der Weg dorthin gänzlich im Verborgenen liegt. Es gilt dann, geschickt
Strömungen und Bewegungen zu beobachten und daraus eine Lösung abzuleiten oder
sich zu Bedarfsgemeinschaften zusammen zu finden und gemeinsam zu pfadfindern.
Herrlich! Und sehr verbindend. In echten Escape Rooms kann sich die
Spielleitung einschalten und per Lausprecher Tipps geben, wenn die Verzweiflung
allzu groß wird. Ein Service, den ich mir für hier auch wünsche: „Mensch
Wasmeierin, geh halt noch einen Meter vorwärts, dann siehst du einen Wegweiser
und gleich dahinter die Ampel. Obacht: Um die Ecke ist eine gespannte
Hundeleine, von links kommt gleich ein Lastenrad und die Grünphase dauert nur
zwei Sekunden!“ So könnte das gehen.
Freitag, 16. Mai 2025
Rosa
Ich habe in letzter Zeit öfter mal ein Kompliment bekommen.
Das ist eine feine Sache. Wer bekommt nicht gerne Komplimente, auch wenn man
sie häufig zu selten selbst anderen macht und, vielleicht aus dem gleichen
Grund, im Annehmen eines solchen Kompliments ungeübt ist und deswegen sogleich
„gschamig“ reagiert: „Ach du lass mal, das ist nur das Licht.“ oder „Böh, das
muss daran liegen, weil ich vorhin mal wieder geduscht habe.“ Das jetzt
gemeinte Kompliment lautet sinngemäß immer irgendwie nach „du siehst so frisch
aus“, und irgendwann bin ich dahintergekommen, was der Anlass dafür sein muss:
mein Lieblingspullover, den ich zwar seit dem Winter besitze, ihn aber aus
Gründen bis vor kurzem unter geschichtetem Fleece und schlafsackgroßen Daunenmänteln
verborgen trug. Dieser Pullover erfüllt mich schon beim Anblick mit großer
Freude und Frische. Dabei ist die Farbe kein sonniges Gelb oder wärmendes
Orange, auch kein friedliches Blau oder hoffnungsvolles Grün, sondern: Rosa.
Die Farbe aufgestellter Polohemdkrägen und lässig um den Hals geschlungener
Strickware, vor allem aber die Farbe der Prinzessinnen und Tussis und somit der
Albtraum feministischer Erziehung der 80er Jahre, wie sie mir als Kind
angediehen und in die DNA implementiert worden war: Rosa ist
Geschlechterklischee und Rollentrennung und darob, pardon, scheiße. Meine
Kindheit war entsprechend nach Möglichkeit rosafrei und stattdessen voller
Cordbraun, Jeansblau oder Straßenstaubschmutzig, und zwar konnte ich den Eltern
mit Aufbegehr und unter Aufbietung großer Kräfte „die Farbe der anderen
Mädchen“ abtrotzen, war aber dennoch schon frühzeitig so idealistisch geimpft,
dass ich beispielsweise ein rosa Kleid, dass die Mutter nächtelang für mich
nähte, zwar gern kurz einmal anzog, es dann aber bei der ersten Konfrontation
mit Praxistauglichkeit (Skateboarden, Fußball, Räuberhöhle) nur zu gern wieder
gegen eine erdfarbene Latzhose austauschte. Irgendwann war das Thema
durchexerziert und die Farbe Rosa verschwand aus meinem Leben, wohinein ich sie
mit Anfang zwanzig gewaltsam zurückzerrte und in Form irgendeiner postinfantilen
Persönlichkeitsentwicklung als möglichst knallbunte Variante (Pink) installierte:
pinke Schals, pinkes Ohrgehänge, pinke Schuhe oder pinke Hirschgeweihe zierten
fortan meinen Alltag. Eine Art späte Überreaktion, vermutlich, auf die eine
lange Pause folgte. Nach ein paar verschämten Versuchen in Pastell habe ich
mich unlängst getraut, zurück zum Rosa zu kommen. Und was soll ich sagen? Ich
bin begeistert. Nicht nur, weil „Rosa“ so viele schöne Bedeutungen hat bis hin
zur Zuschreibung, es könne Aggression und Gewalt besänftigen. Jetzt füge ich
mich also nur zu gern selbstbewusst ein ins Frühlingsbild als große rosa Blüte.
Und wenn ich dafür noch Komplimente bekomme, dann soll mir das nur recht sein.
Freitag, 9. Mai 2025
Abendessen
Früher war alles besser. Nämlich in diesem „früher“, als
noch niemand von mir verlangt hat, alle drei Monate Steuerzettel zu sortieren.
Oder als man Dreckwäsche einfach auf den Boden fallen ließ und sie kurze Zeit
später als Frischwäsche im Schrank wiederfand. Oder als bei Nacht die Männlein
kamen und schwärmten, klappten und lärmten, rupften und zupften, hüpften und
trabten, putzten und schabten und ehe ich noch erwacht – war all mein Tagwerk
bereits gemacht. Und ganz besonders besser war es früher, als ich mir nicht
tagtäglich die lästigste aller Fragen stellen musste: Was gibt es heute Abend
zu essen? Eine Frage, die mir vor allem an Wochenenden spezialgroße Sorgen
bereitet, kommt doch das Wochenende immer mit diesem seltsamen Spagat daher,
einerseits kulinarische Anspräche zu erheben weil man hat ja Zeit, um lang und
ausgiebig zu kochen. Andererseits erweist sich das oft als Trugschluss, weil
man ja am Wochenende stets ausgesprochen viel anderes zu tun hat. Wie also auf
einen Nenner bringen? In einem Teil dieses „früher“ verbirgt sich natürlich
auch eine gewisse Diffizilität, nämlich aus der Zeit, zu der man gefälligst
isst, was auf den Tisch kommt, und wenn es sich dabei nicht um Pfannkuchen mit
Gummibärchen-Eis oder Nudeln mit Nutella und Käse handelt, hat man eben Pech
gehabt, geht hungrig ins Bett und lutscht dann später nach dem Zähneputzen
heimlich doch noch an einem alten Stück Kohlrabi. Das war ja vielleicht gar
nicht so viel besser. Aber tu felix adolescentia: Es gab ja auch noch eine Zeit
dazwischen. Nämlich die, in der Nahrungsaufnahme ein mehr oder weniger
notwendiges Übel war, um die ereignisextensiven Tage von Donnerstag bis Sonntag
zu überleben und am Montag auch noch halbwegs den Anschein zu erwecken, ein
Mensch zu sein. Vor allem die Frage nach dem sonntäglichen Abendessen war da
besonders einfach: Je nach Verlauf des Wochenendes gab es halt entweder
irgendwas für den Fett- und Elektrolyte-Haushalt, das man mit letzter Kraft dem
Essenslieferanten aus der Hand gepflückt hat, oder nichts, weil der Magen,
ggfs. noch gefüllt vom sehr dringend benötigten Snack im Morgengrauen (eine
Freundin trug gerne die ganze Nacht einen Cheeseburger in der Handtasche herum,
um ihn dort zu vergessen und sich zu gegebener Stunde über den nahrhaften Fund
zu freuen), gegen alles andere rebellierte. Fertig. Heute hingegen erfährt man
keinerlei Einschränkungen mehr außer durch die eigene Unzulänglich- und
Ideenlosigkeit, ringt dabei aber mit einem allzugroßen Wissen und Verständnis
über gesunde, ausgewogene Ernährung und einer aus Gewohnheit sonntäglichen
Faulheit und findet sich also Woche für Woche im selben Schlamassel wieder: Was
soll ich nur abends kochen (= planen, einkaufen, zubereiten)? Zum Glück gibt es
Restaurants – und Mütter, deren Lieblingsbeschäftigung die Kulinarik sowie
Versorgung des lebensunfähigen Nachwuchses sind! Danke für alles, Mama!
Freitag, 2. Mai 2025
Frühlingsgestank
Noch mehr Powersätze für den Frühling! Neben den bereits bekannten („Boah ist das heiß in der Sonne“, „Wenn die Sonne weg ist, ist es direkt total kalt“, „Wenn nur dieser kalte Wind nicht wäre“) möchte ich dringend noch einen ergänzend hinzufügen, nämlich: „O mei, und wie gut das hier rieeeeeecht!“ Selbstverständlich wissen wir alle, dass wenn der Frühling sein blaues Band durch die Lüfte flattern lässt, süße, wohlbekannte Düfte ahnungsvoll durchs Land streifen. Das war allerdings nicht ganz der Satz, den ich im Kopf hatte, als ich gestern aus der U-Bahn stieg. Sondern eher sowas wie „Fuck, haben die oben an der Baustelle jetzt die Kanalisation endlich versehentlich gesprengt oder was ist jetzt hier los?“ und verbarg meine Nase tief im Revers. Um mich herum grünte und blühte es gar wunderbar, doch leider stank es dazu auch wie inmitten der schönsten Klärgrube oder zumindest so, wie ich mir den Geruch da vorstelle. Mit leichtem Würgen begab ich mich auf eine kurze Suche nach dem Ursprung und hatte den Täter auch schnell identifiziert: Riesige, herrliche Büsche voller prächtig und prall leuchtend weißer Blüten – ein wahrer Augenschmaus, doch ganz sicher keiner für die Nase, denn der Geruch des „Eingriffeligen Weißdorn“ wird, hört hört!, von vielen Menschen als unangenehm empfunden, da er an „[…] verdorbenen Fisch erinnert“. Na danke! Zurück in der U-Bahn empfing mich ein weiterer Nasenschmaus, nämlich der tausender Jugendlicher, die erst in Schule und Polyester schwitzten und schließlich damit den öffentlichen Raum beglückten, während schnell ein kleines Mittagsdönerchen verdrückt wurde; wo sie aber, so viel darf gesagt sein, mit zahlreichen stolz gelüfteten Achseln um die Wette olfaktorisierten. Nach so einem ereignisreichen und warmen Frühlingstag kann man zum Feierabend schon einmal die Idee bekommen, unter dem Tisch im Straßencafé die heißen Mauken zu lüften – doch cave caseum! – nicht alles, was für so einen ausgewiesenen Schweißfuß gut ist, muss für Umsitzende auch angenehm sein. Man flüchtet also lieber eilig in den Park, wo unlängst von der Autorin selbst ein riesiges fischenes Ungeheuer im Teich gesichtet wurde, und neben diesem Wunder gibt es noch ein anderes, nämlich eines mit Odeur: Nach nur zwei Tagen Temperatur über 15°C schaffen es einschlägige Gewässer im Stadtgebiet, derart nach Tod und Teufel zu stinken, dass die Überlegung erlaubt sein soll, ob man dem Teich nicht prophylaktisch den Stöpsel zieht, bevor doch noch ein kostspieliger Giftgaseinsatz notwendig wird. Zur Beruhigung (oder Ablenkung) hat uns’ SÖR, gärtnerisch seiner Zeit seit jeher voraus, eine List ins Tulpenbeet gepflanzt: Was so riecht wie die Jahreshauptversammlung des ersten Cannabis Clubs ist nichts weiter als Fritillaria imperialis, die „Kaiserkrone“, mit royalem Namen, jedoch äußerst plebejischem Geruch … Frühling, ja du bist‘s. Dich hab ich vernommen!
Freitag, 25. April 2025
April macht was er will
April, April macht was er will! Vor ein paar Tagen wollte ich, o Wunder, das Haus verlassen. Wie so oft bin ich kurz zuvor auf den Balkon getreten, um eine ungefähre Ahnung der Temperatursituation zu bekommen, und wie so oft habe ich mich damit ordentlich aufs Kreuz gelegt. Als ich fünf Minuten später die Haustür verließ, überfiel mich sogleich ein Eisschauer, und die kommenden fünf Minuten konnten aufmerksame Nachbarn (und davon habe ich einige) ein seltsames Schauspiel beobachten. Nämlich die blonde Frau, die ein paar Meter vom Haus weggeht, stehenbleibt, ein paar Meter geht, stehenbleibt, umdreht, ein paar Meter zurück läuft, stehenbleibt, wieder umdreht, um weiter zur Straße zu gehen, um nach einem erneuten Stehenbleiben genervt aufzuschluchzen, zum Haus zurück zu eilen und zehn Minuten später in völlig anderer Montur, nämlich mit Daunenjacke und deutlich ausgebeultem Rucksack, endlich von dannen zu ziehen … Um einige Stunden später schwer schwitzend wieder heim zu kehren. Wie so oft bin ich dann also auf meinen eigenen Temperaturcheck hereingefallen, eignet sich mein Südbalkon doch nur begrenzt als Entscheidungshilfe für die Klamottenwahl. Völlig windgeschützt und von morgens bis abends der Sonnenwärme ausgesetzt, hat es dort gut und gerne mal locker zehn Grad mehr als auf der Rückseite des Hauses, die den ganzen Tag im Schatten und noch dazu im kühlenden Frisch zahlreicher Platanen liegt. Die Kunst ist es also, den Mittelweg auszutarieren. Was mir meistens misslingt. Und erschwerend eine mich stets begleitende massive Erfrierungsangst dazukommt. Nicht gerade gemäßigt wird dieses persönliche Defizit von der Witterung, wie sie uns aktuell wieder beglückt und die ich nur einigermaßen unbeschadet dank diverser Tricks wie auf Taschentuchgröße zusammenknüllbarer Leichtjacken überstehe. Der April macht halt, was er will, und garantiert nicht das, was mein Wetter-App-höriger Freundeskreis von ihm erwartet. „Am Sonntag soll so schönes Wetter werden“ akzeptiere ich unter keinen Umständen als ein an einem Mittwoch vorgetragenes Ausflugsargument, wenn noch nicht einmal gewährleistet ist, dass das schöne Wetter von heute Vormittag nicht am frühen Nachmittag schon keinen Bestand mehr haben wird. Ich nenne das gerne die „Wolfgang-Petry-Gedenk-Zeit“, nur dass ich nicht wie der Künstler kiloweise Bänder ums Handgelenk trage, sondern dafür gern einmal am Nachmittag zentnerweise Jacken, Pullis und Schals, die am Morgen noch dringend notwendig waren, formunschön um die Leibesmitte geschlungen herumschleppe. Doch nicht nur der April macht, was er will. Ich kann das auch. Deswegen lass ich mich nicht mehr ins Bockshorn jagen, sondern nehme in Protesthaltung gerne Platz auf dem Kanapee. Das ist sehr neu, sehr bequem und das wichtiges: absolut zuverlässig vorhersagbar.
Freitag, 11. April 2025
Mehlwurm
Ich wollte einen Kuchen backen. Um genau zu sein ein „Brot“,
denn so haben wir das alle vor ziemlich genau fünf Jahren gelernt: Lasse
Bananen so lange wie möglich liegen und vor sich hingammeln, ignoriere den
Prozess absichtlich und überrasche dich nach einiger Zeit selbst mit dem Reifegrad
deutlich über dem Verfallsdatum. Zermatsche die Bananen, füge allerlei einschlägige
Zutaten aus dem Segment „Backen“ hinzu samt einer ordentlichen, für „Brot“
genannte Erzeugnisse üblichen Portion Zucker, und fertig ist ein formidables Gebäck,
das nur Unwürdige als „Kuchen“ bezeichnen. Wahre Connaisseure hingegen sagen „Bananenbrot“
und schieben sich stündlich ein bis zwei dicke Ranken davon zwischen die
Kiemen, weil Brot ist gesund, und außerdem haben wir fünf Prozent des Weißmehls
durch Vollkorn ersetzt! Hätten wir. Denn dann haben wir eines der großen Gläser
geöffnet, in denen wir zum Schutze vor Befall durch Viecherkram alles, was
Nudel, Mehl, Reis & Co. heißt, aufbewahren, und hatten gottlob die gute
neue Brille auf und die Ruhe weg. Dank diesen (Ruhe und Brille) konnte nämlich
ein genauer, sehr genauer Blick ins Glas geworfen werden, und bei dieser
genauen Betrachtung begannen sich einzelne Mehlstäube plötzlich zu bewegen.
Gut, hab ich gedacht, es ist noch früh am Morgen, du hast vorhin auch einmal
heftig geatmet und draußen weht ein rechter Wind, da kann so ein Mehl schon
einmal in Bewegung geraten. Aber dass das Mehl von heftigen Luftstößen auch
kleine Beinchen und Köpfchen bekommen könnte, war mir dann doch ein bisschen
rätselhaft. Eilig hab ich das Glas geschlossen und es unschlüssig zur Seite
gestellt, wo es jetzt seit Tagen steht und seine mikroskopisch kleinen Bewohner
munter weiter Gräben und Tunnel ins Getreide bohren. Unerwünschten Tierbefall
im Lebensmittel – es ist ja nichts Neues. Regelmäßig hört man von Menschen, die
zum Großreinemachen in Küchen gezwungen werden, weil sich irgendwo ein feiner
Nistplatz aufgetan hat, aus dem sich dann die Viecher tummeln. Als besonders eindrücklich
habe ich einen Sesam in Erinnerung, der bei einem gemeinsamen Sushi-Event genau
so lange köstlich schmeckte, bis das Ursprungsglas zum Zwecke des Nachschlages
angereicht und darin nebst den schmackhaften Saaten noch allerlei schleimiges
Fadenzeugs gefunden wurde. Bon appetit! Dann kam eine Frage auf: Wenn doch
jetzt eh Insektenmehl & Co. en vogue sind, weil nachhaltig und Proteine,
wieso soll ich dann teuer kaufen, was eine Industrie erzeugt, wo ich doch
offenbar selbst sehr gut Insekten produzieren kann? Wie viel bleibt übrig von
der Milbe nach 60 Minuten bei 175 Grad (Umluft)? Und warum also soll ich also das
gute Mehl in den Müll schütten anstatt in die Rührschüssel? „Beim Menschen
konnten nach Verzehr [mit Mehlmilben] befallener Lebensmittel
Magen-Darmprobleme, asthmatische Erkrankungen der Atemwege und ekzemartige
Hauterkrankungen beobachtet werden“, sagt das Umweltbundesamt. Na gut.
Freitag, 4. April 2025
Spa-Crawl
Schönen guten Morgen zusammen, zum Wochenende präsentieren
wir Ihnen freudig die drei wichtigsten Sätze für Gespräche mit Oma, beim Bäcker
oder einfach mal so zwischendurch im freundlichen Selbstgespräch: „Wahnsinn,
die Sonne! Man muss sich halt nur echt schon eincremen.“, „Aber sobald die
Sonne weg ist, ist es furchtbar kalt.“ und „Es könnte so schön sein, wenn nicht
dieser scheußliche kalte Wind wäre!“ Da hab ich mir gedacht „Woanders kannst du
auch frieren!“ und bin letzte Woche freudig in ein Angebot für einen
Wochenend-Trip eingetaucht, das allerlei versprach („Drei Tage Luxury Spa &
Wellness“, „Vollverpflegung“, „zahlreiche Anwendungen inklusive“), vor allem
aber andere Tapeten, die man zwischendurch mal angucken kann. Kein echter
Urlaub, aber eine kleine Flucht. Mini-Urli. Urlini, sozusagen. „Das wird
entweder super“, wusste ich zu prophezeien, „oder eine Katastrophe, aber dann
haben wir wenigstens was zu lachen.“ Karlsbad also. Einer der Sehnsuchtsorte
vergangener wie heutiger Tage, der Inbegriff von Entschleunigung, Achtsamkeit
und Wellness aus einer Zeit, als diese Begriffe noch nicht erfunden waren. Die
meisten kennen den Ort sicher als Ursprung einer Waffelspezialität
(Bröselzucker zwischen zwei klebrigen Oblaten), viele andere vielleicht von
Großeltern oder sonstigen Bekannten älteren Semesters, denn hier kontempliert
es sich aufs Äußerste durch eine pittoreske Umgebung habsburgischen Pomps, und
statt wie früher von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und verschiedene Mischungen von
Spritz & Co. zu degustieren, latscht man (ich) hier mit einem kleinen
Schnabeltässchen einen Fluss entlang, an dem sich 15 Quellen feinsten
Heilwassers befinden, um abwechselnd heißes, sprudelndes oder stinkendes Nass
selbst abzuzapfen und sich daran zu laben und sofort zu gesunden. Soweit die
Theorie, die in der Praxis höchstens gestört wird von den zahlreichen
Becherovka-Ständen, um sich zwischendurch den Mund zu spülen. Links und rechts
ragen die prächtigsten Bauten auf, und der Höhepunkt ist ein 300 Jahre altes
Grandhotel, das an Prunk und Majestät seinesgleichen sucht. Und das ich
vorsichtshalber nur auf eine heiße Schokolade betreten habe, um anschließend
lieber mit einem müffelnden Bus ins Industriegebiet am Stadtrand zu schaukeln –
wo sich mein Hotel befand … Sagen wir mal so: zu lachen gab’s einiges, auch
wenn ich die Aktionsabende „Becherovka & Sie“ und „Caribbean Night“
zugunsten eines ausgezeichneten Nachtschlafs verpasst habe und das berühmte
Karlsbader „Bierbad“ sich als profanes Schaumbad herausstellte, zu dem ein
Krügerl Bier gereicht wurde. Der Erwerb einer überdimensionierten Gartenfigur
auf dem grenznahen Mode- und Designmarkt wurde mir allerdings verboten, ich
muss also unbedingt nochmal hin. Dann aber ins Grandhotel! Kommt jemand mit?
Freitag, 28. März 2025
Gamechanger
Seit einiger Zeit hat sich in meinem Umfeld ein Wort
etabliert, das mein Herz erwärmt: Gamechanger. Natürlich haben sich noch
weitere Wörter und Ausdrücke etabliert, die mich weit weniger froh machen.
Beispielsweise die grauenhafte Unsitte, Sätze mit „tatsächlich“ zu beginnen, so
als lebten die Sprecher in der steten Sorge, ihre Meinung, Erfahrung etc. pp.
würde sowieso angezweifelt und es sei es deswegen vonnöten, direkt von
vornherein in Verteidigungsstellung zu gehen. „Und was hast du gestern Abend
gegessen?“ – „Tatsächlich nur ein Schokomüsli.“ Oder „Was hast du am Wochenende
so vor?“ – „Tatsächlich noch nichts weiter.“ Oder „Wie fandest du den letzten
Franken-Tatort?“ – „Tatsächlich ganz gut.“ Das arme kleine Adverb weiß gar
nicht, wie ihm geschieht und ist so überfordert von der inflationären
Falschnutzung, dass es sich hilfesuchend an seinen Schicksalsgenossen
„ehrlicherweise“ wendet und um Hilfe bittet, denn diesem widerfährt ebenfalls
schon seit langem eine traurige Falschnutzung. „Ehrlicherweise finde ich dich
saudoof.“ ist einfach nicht das gleiche wie „Um ehrlich zu sein, finde ich dich
saudoof.“ Ganz anders und absolut korrekt angewendet findet sich also besagter
„Gamechanger“ in der Alltagssprache wieder, und ich begrüße ihn herzlich und
mit offenen Armen, besagt das Wort doch „eine Person, eine Sache oder ein
Ereignis, das eine grundlegende Veränderung bewirkt“, und genau so wird es auch
benutzt. Nun lang ich dieser Tage abends im Bett und war selig über meinen
neuen Gamechanger: ein dickes, herzförmiges Kissen, das man sich mit einer Art
gepolstertem Strumpfband um den Oberschenkel legen kann, um dann, wann immer im
Schlaf die Position von Rücken auf Seite gewechselt wird, ein prächtiges Kissen
zwischen den Knien klemmen zu haben anstatt die Decke dorthin zu stopfen (dann
Rücken frei, dann Rücken bedeckt, aber Füße frei … - man kennt das). Dann habe
ich überlegt, was eigentlich sonst so die Gamechanger der jüngeren
Vergangenheit waren, und nach einigem Sammeln traf mich eine Erkenntnis, die
mich seitdem vergnügt lächeln lässt: Bei allem, was mein Umfeld als
„Gamechanger“ bezeichnet, handelt es sich um eine Person, eine Sache oder ein
Ereignis, das schnurstracks den Alterungsprozess, körperlichen Verfall und die
schrittweise Akzeptanz derselben zum Thema haben. Kniekissen beispielsweise.
Aber auch die berühmten Gamechanger „Brille“ („Geil, ich brauch doch keinen
neuen Fernseher, plötzlich ist alles wieder scharf!“), „Einkaufslieferservice“
(„Ich schaff das einfach nicht mehr mit der Schlepperei in den vierten Stock
Altbau.“), „bügelloser BH“ („Kein Plan wie ihr das aushaltet mit den unbequemen
Dingern!“), „elektrische Fußwärmer“ („Keine Ahnung wie ich das früher ohne
überlebt hab.“) oder, einer meine absoluten Favoriten „Bodenkissen mit
Rückenlehne“ („Jetzt kann ich endlich wieder jugendlich am Boden sitzen, mein
Rücken macht das sonst einfach nicht mehr mit.“).
Freitag, 21. März 2025
Sonnencreme
Alles klar, das ging dieses Jahr unverhofft schnell: Just am
ersten Tag, der das Attribut „frühlingshaft“ mal wirklich verdient und der
Stadt zumal an windstillen Orten ordentlich Sonnenbumms beschert hat, war ich
natürlich auch am Start. Ich hielt mein süßes kleines Stupsnäschen beherzt in
die Wärme und schwitzte in dünnem Pulli und T-Shirt, während die noch im
Schatten stehenden Füße jämmerlich froren, und ignorierte fröhlich das leise
Zupfen an meinem Hosenbein. Dieses rührte, wie mir ein kurzer Blick bei der
ersten Störung verraten hatte, von einer kleinen gelben Tube, die aus meiner
Tasche lugte und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „HEY DU PSCHT!“,
wisperte es unter meinem Stuhl hervor, „du musst dich einschmieren! Schmier
dich ein, du kommst in Teufels Küche! Wenigstens das Gesicht, bitte!!“ flehte
die kleine Tube und zupfte weiter. Ich knurrte zwischen zu einem angestrengten
Lächeln gepressten Zähnen zurück. „Auf gar keinen Fall fangen wir jetzt schon
an mit dem Gebatzel, vergiss es!“ und schloss die Bedenken hinterm
Reißverschluss ein. Zu spät. „Bist du nicht eingecremt?“ erkundigten sich
Freundinnen verdutzt und ich schrie. „NEIN!“ schrie ich. „Geht weg, lasst mich
in Ruhe, ich hasse das, ich will nicht, ich KANN nicht!“ und ehe ich’s mich
versah, kullerte eine kleine Träne großen Zorns mein errötendes Bäckchen hinab.
Schon immer eher der nordische Typ, verfüge ich mittlerweile über eine
alabasterweiße Haut, nach der sich der gesamte sonnenkönigliche Hofstaat einst
die Finger geleckt hätte. Um genau zu sein dürfte ich wahrscheinlich keine drei
Minuten ungeschützt in die Sonne. Aber es will mir einfach nicht in den Kopf:
Wir fliegen auf den Mars, klonen Schafe und bauen Städte ins Wasser, sind aber
nicht in der Lage, einen Sonnenschutz zu erfinden, der nicht nur haut-, sondern
auch sozial- und alltagsverträglich ist? Nix! Alles klebt und pappt, verfärbt Möbel
und Utensil und verurteilt weiße Kleidung zu einem Leben mit Speckrand und Gilb.
Die letzte (hochwertige!) Sonnencreme, die ich fürs Gesicht erworben habe, hat
statt sich gleichmäßig zu verteilen derart ausgefusselt, dass ich aussah, als
hätte ich mein Gesicht in Kokosraspeln getunkt. Kannst du freilich sagen „So
lang’s hilft?!“ aber: nein. Es ist ja auch gesellschaftlich nicht anerkannt,
sich im Sommer zwischendurch einmal in eine Staubfläche oder Schlammpfütze zu
werfen wie ein Elefant, um die zarte Haut zu schützen. Wobei, wenn’s nach mir
ginge: auch nicht schlimmer als Sonnencreme, dafür praktisch immer verfügbar
und wenigstens kein Gepappe. Wenn wir uns hierauf einigen könnten – ich wär
dabei. So aber trag ich meine gerötete Stirn stolz durch den Frühling. Na gut,
und zugegebenermaßen eventuell auch einmal kurz in eine Drogerie.
Freitag, 14. März 2025
Frühjahrsputz
Kaum spähen die ersten schüchternen Knösplein aus der Erde,
flattert ein früherwachter Schmetterling durch die Prärie und traut sich eine
Kneipe, einen Stuhl vor die Tür zu stellen, schon schreit’s landauf, landab
„FRÜHJAHRSPUTZ!!!“ und emsige Diener und Dienerinnen der Reinlichkeit schwärmen
aus. Niedliche Schwämme, glitzernde Lappen und Hochglanzsprays finden jetzt
reißenden Absatz, und das Internet quillt schier über vor kluger Tipps und
Ratschläge: „Frühjahrsputz: 5 einfache Tipps, die das Putzen erleichtern“ heißt
es da, „Frühjahrsputz: So gehen Sie ihn richtig an!“ oder, was mir auf eine Art
besonders gut gefällt, „Frühjahrsputz: Checkliste mit allen Tipps und Aufgaben“.
Ich nehm das mal so an: „Wir empfehlen ein Wochenende mit typisch grauem
Schmuddelwetter“, so heißt es bei „Glamour“, und schon stellt sich eine
Erleichterung ein, schließlich war ich bereits im Begriff, sämtliche
Verabredungen fürs erste schöne Frühjahrsglück zu verweigern und mich
stattdessen über den Putz herzumachen. „Viele erledigen den Frühjahrsputz rund
um den kalendarischen Frühlingsanfang. Das heißt aber natürlich nicht, dass du
den großen Frühjahrsputz nicht auch noch im April erledigen kannst.“ Die
Erleichterung wird größer, denn schon bin ich geneigt, alle Pläne fürs
Großreinemachen zu canceln und gemütlich auf sagen wir Ende April zu
verschieben. „[…] leitest du den Frühjahrsputz am besten mit einem ausgiebigen
Frühstück ein“ stand als nächstes zu lesen, und so sitz ich hier an einer
opulenten Morgentafel und beschäftige mich mit dem Frühjahrsputz vorerst nur
rein theoretisch. „Plane genug Zeit ein und lass dich nicht stressen.“ Nein
danke, mach ich nicht, ganz lieb. Was hat es wohl auf sich mit dem
Frühjahrsputz? Die Herkunft leuchtet mir durchaus ein: Habe ich die
Wintermonate tagein, tagaus mit meiner 13-köpfigen Familie nebst Vieh und
Knecht im Duster meiner Ein-Raum-Stallung verbracht, ist es vielleicht am Ende
der Saison durchaus sinnvoll, ein bisschen Ordnung in die vier Wände zu
bringen. Jetzt wohn ich zwar nicht grade herrschaftlich, aber auch nicht direkt
in einer finsteren Höhle, so dass ich durchaus in der Lage war, meine
Quadratmeter einigermaßen rein zu halten. Wie mag es da wohl den anderen gehen,
die jetzt zum großen Kehraus rufen? Immerhin einer lässt sich von meinen
Zweifeln nicht beirren: „Schatz, dein Traum vom Haustier wird endlich wahr!“
kündete der Mann, und seitdem zieht Tag für Tag ein kleiner Roboter ächzend
seine Runden und saugt und wischt, was das Zeug hält. Frühjahrsputz? Die Dame
LÄSST putzen. Dabei beherzigt sie allerdings einen weiteren Tipp sehr gerne: „Lege
deine Lieblingsmusik auf. Wenn du beim Putzen lauthals mitsingst, ist das Ganze
nur halb so schlimm.“ Ich wähle Mary Poppins: „In jeder Arbeit, merkt euch das,
steckt auch ein kleines bisschen Spaß. Versteh den Spaß und schnapp, die Arbeit
klappt.“
Freitag, 7. März 2025
Sockenprepping
Der Mann hat sich empört. Das tut er gern und lautstark, primär dann, wenn die Empörung sich auf ein bewährtes Ziel richtet: mich und mein angeblich in manchen Teilen des Lebens diskutables Konsumverhalten. Dem beispielsweise der Umstand geschuldet ist, dass wir grad überlegen, ob mir 50x100 Zentimeter als Arbeitsbereich nicht eigentlich völlig ausreichen und ich deswegen künftig in der Vorratskammer tippen könnte, derweil die Bevorratung ein Ausmaß angenommen habe, um aus dem Arbeitszimmer einen hübschen Tante-Emma-Laden zu machen. Ich mache dann ein Geräusch so ähnlich wie „Bhapfff!“, was so viel bedeutet wie „Ich sehe kein Problem darin, drei Kilo Haferflocken oder zehn Packungen aus Italien importierte Pasta in der Wohnung zu lagern anstatt im Keller.“ oder auch „Lass mich doch in Ruhe.“ Bhapff hab ich deswegen auch jetzt gemacht, als eine andere des guten Dutzends Empörungsplatten aufgelegt wurde: „Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viele Socken wie du!“ Ich blicke in den Kleiderschrank und kann nichts Anrüchiges entdecken. Nur gleißende Vielfalt und eine, zugegebenermaßen für Außenstehende komplexe, feine Ordnung mit einem ausgeklügelten System, das schlichteren Gemütern scheint’s verborgen bleibt. Als da wären: dünne Socken und dicke. So weit, so einfach. Dann aber gibt es noch Sportsocken (kurz und lang), die zum Sport da sind, nebst spezieller Wandersocken, sowie Sportsocken (lang), die ausschließlich modische Zwecke erfüllen. Es gibt Socken, die kurz sind und solche, die so kurz sind, dass man sie mit Müh und Not an Zeh und Ferse einhaken muss und dann hoffen, dass sie auch dort verbleiben. Es gibt Kuschelsocken (Wolle und Fleece) und seit Weihnachten etwas namens „Bettsocken“, deren Zweck sich mir selbst noch nicht ganz erschlossen hat. Es gibt Socken, die man auf keinen Fall sehen soll und solche, die es nur gibt, damit man sie möglichst großflächig herzeigen kann. Diese wiederum gibt es in modern und klassisch, kurz und lang und selbstverständlich von uni bis floral in allen denkbaren Farben. Es gibt Anti-Rutsch-Socken für die Wohnung und spezielle solche nur für auf der Yogamatte, solche, die so dick sind, dass man damit noch nicht mal mehr in den ausgelatschtesten Hausschlappen hineinpasst und die, die so dünn sind, dass sie nur vom Anschauen beinahe zerreißen. Außerdem Produkte, die mich selbst verwundern, wie beispielsweise einen wenige Zentimeter breiten Socken-Streifen, den man sich für ein einziges spezielles Paar Schuhe um den Ballen streift – Fußschweißband, quasi, und ich bin mir ganz sicher, dass es irgendwas gibt, was lediglich die Zehen bedeckt. Alles höchst nützlich und sinnvoll. Und das Beste daran ist: Bald braucht man nichts mehr davon, weil bald ist wieder barfuß-in-Schlappen-Zeit! Juhu!
Freitag, 28. Februar 2025
Faschingsmuffel
Wenn man ein „Muffel“ ist, scheint es sich dabei um eine gute Nürnberger Tradition zu handeln. Zumindest finden sich unter dem zugehörigen Wikipedia-Eintrag genau drei Personen, und bei allen drei handelt es sich um Nürnberger. Sogar eine ganze Familie: die Muffel von Eschenau, eine der ältesten Patrizierfamilien, deren Macht und Wirken vom 13. bis ins 18. Jhdt. reicht. „Faschingsmuffel“? Keine Beleidigung also. Eigentlich bedauere ich es sogar ein Stück weit, dass nach Aschermittwoch nicht nur alle in Fastenzeit verschwinden, sondern vor allem auch die viele Farbe nicht mehr zu sehen ist – dabei könnten wir die jetzt grade mehr denn je gebrauchen. Ich habe mal einen Schauspieler getroffen, der auch als Krankenhausclown aktiv war. Der schenkte mir damals eine kugelrunde rote Nase und sagte, es sei doch erstaunlich, für wie viel gute Laune und lockere Atmosphäre dieses kleine Accessoire in verschiedensten Situationen sorgen würde, und riet mir, das auch mal auszuprobieren. Ich tat wie geheißen und setzte fortan die rote Nase auf, wann immer mir eine Situation zu ernst zu werden drohte. Zitiert der Steuerberater mich zum Gespräch, setz ich hurtig die rote Nase auf. Zwingt der Zahnarzt mich zum Mund-weit-Öffnen, so löse ich den Moment geschwind mit Clownsnase. Schimpft der Mann mich aus wegen irgendwelcher angeblich überflüssiger Anschaffungen, so blicke ich ihn über den roten Knödel auf der Nase treuherzig an, und bedroht mich die grantige Kassiererin mit ihrer Übellaune, so pack ich mir schnell die Clownsnase ins Gesicht und ihr am besten gleich mit. Das gibt zwar oft ein kleines Handgemenge, steigert die Gesamtlaune aber wirklich mindestens so ungemein wie die nervtötend endlose Online-Konferenz mittels roter Schaumstoffkugel etwas aufzulockern. Ich denke also, wenn mehr Menschen auch übers Jahr hinweg ein bisschen Jeck sein könnten, wäre die Welt gleich eine viel fröhlichere. Im letzten Jahr habe ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt und mir einen Tyrannosaurus gekauft. Der ist grün, zum Aufblasen und, besonders wichtig, zum Anziehen. Auf dem Dino ritt ich dann zum Gaudiwurm und war, ich kann’s nicht anders sagen, dort sogleich der Star, an den sich Kinder schmiegten und mit dem Polizisten gerne fürs Foto posierten. Mit schwingendem Dino-Hintern und wogendem Schwanz freute ich mich durch den Regen und wollte nichts lieber, als nie mehr ohne meinen neuen Gefährten das Haus zu verlassen, sondern künftig nur noch als T-Rex aufzutreten. Im Kaffeehaus oder Supermarkt, bei Bankgeschäften oder womöglich auch Trauerfeiern, so stellte ich mir vor, wäre die Stimmung geschwind eine sehr viel bessere, und meine Ausgangslage bei Gehaltsverhandlungen auch gleich viel positiver … Seitdem liegt der Dino zusammengeknüllt im Schrank. Am Sonntag erweck ich ihn zum Leben, und die gute Laune gleich mit. Nürnberg? Aha!
Freitag, 21. Februar 2025
Krapfenkalender
Das mit den Karpfen neulich hat mich auf einen Gedanken gebracht, für den nur ein winziger, aber doch kulinarisch folgenschwerer Buchstabendreher nötig war. Woran erkennen wir, dass die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ bald bevorsteht? Also mal davon ausgehend, man lebt nicht im Rheinland und ist auch kein Angehöriger einer karnevalistischen Enklave, die schon seit Wochen irgendwas von „Fasching“ faselt und hoch das Bein und Hossa? Richtig: Deutschlands berühmtester Foodblogger, im Nebenerwerb Staatsoberhaupt, überlegt öffentlich, welches witzige Kostüm in diesem Jahr angemessene Hybris ausstrahlt. Aber das meine gar nicht, sondern: Karpfen. Nein Schmarrn: Krapfen! Da waren also die letzten Brösel von Stollenkonfekt und Lebkuchen noch nicht aus der Auslage gekehrt, schon bevölkert die Bäckerschaft – allen voran ein kleiner, familiärer Handwerksbetrieb aus nördlich der Stadt – selbige mit einer Parade gefüllter Teigballen, die ihresgleichen sucht (und deren kunterbuntes Ausmaß immer wilderer Züge annimmt, aber dazu vielleicht ein andermal mehr). Grade will man sich noch genüsslich das letzte Stück Spekulatius, das übriggeblieben Kipferl in den Mund schieben, schon schreien einen Quark-, Vanille-, Schoko- und, am wichtigsten, Hiffenmarkkrapfen beim Kauf eines unschuldigen Vollkornbrotes an, und du ahnst stöhnend: Bald (also in drei Monaten) ist es wieder so weit, der Gaudiwurm befüllt die Stadt. Auf eine gewisse Art bin ich den Bäckern dankbar, weil sie weit vor allen anderen Gewerben zukunftsblickend von neuem künden, ein Krapfen-Orakel sozusagen: „Wir wissen, du willst es nicht wahrhaben, aber sieh den Tatsachen in die Augen!“ Es ist Gluthitze, der Herbst nur eine vage Ahnung am Horizont? Egal, beim Bäcker gibt’s Kürbis-Muffins und Karottenschnitte. Du freust dich im Oktober über goldenen Herbst und warme Abende? Egal, beim Bäcker bedroht man dich mit Plätzchen. Mit ähnlichem Druck agieren bekanntermaßen Supermärkte und Drogerien und lassen einen frühzeitig – sprich zwei bis drei Monate im Voraus – wissen, wann die Festivalsaison vor der Tür steht oder Halloween. Niemand braucht einen Kalender, der wenigstens gelegentlich zum Einkaufen geht. Man muss nur drauf hoffen, dass zumindest Bäckerei und Drogerie einen Kalender haben. Weil was wäre, wenn nicht? Wir klebten uns Goldtattoos und Flowerpower ins Gesicht für den Weihnachtsmarktbesuch, weil das liegt jetzt so in der Auslage. Wir dekorierten im Frühjahr die Wohnung mit Filzlaub und Styroporpilzen, verschmierten im August Lebkuchendekor mit Sonnencreme auf der Haut und suchten als Hexen verkleidet Ostereier im Garten. Neulich wurde mir ein Krapfen ohne Füllung verkauft. Das fand ich sehr unverschämt, aber auch sehr sinnbildlich. Typisch Februar eben: eine einzige, monatgewordene Enttäuschung.
Freitag, 14. Februar 2025
Fallentinstag
Ich hatte mal einen Opa, der hörte auf den schönen Namen
„Valentin“. Weil er aber ein Ur-Nürnberger war, sprach er von sich selbst stets
als „Fallentin“, und das erschien mir stets nur logisch, schließlich hatte der
Opa aufgrund irgendeiner unglücklichen Bewandnis viele Jahre früher nur noch
ein echtes und dazu ein komisches Puppen-Bein – und das musste man ja wohl
haben, wenn man „Fallentin“ hieß und offenbar ständig hinfiel? Ich weiß nicht
mehr, wie alt ich werden musste, um zu begreifen, dass Opa Fallentin und dieser
eine Tag im Jahr, in dem Menschen oft recht nervös werden und Blumen und
Geschenklein von A nach B transportieren wie emsige Ameisen, irgendwie
zusammengehören sollten, und selbst dann war mir eher ein Rätsel, warum der Opa
denn eigentlich einen eigenen besonderen Feiertag haben sollte. Der Opa ist
leider schon sehr lange nicht mehr da, so dass ich ihm meine späten
Erkenntnisse nicht mehr auseinandersetzen kann, aber mindestens einmal im Jahr
denk ich an ihn. Oder vielmehr: Ich werde an ihn gedacht. Der Valentinstag hat
in meiner frühfeministischen Emma-Erziehung einen ganz ähnlichen Stellenwert
wie Muttertag: hyperkommerzieller Ami-Käse, der nur darüber hinwegblenden soll,
dass man sich nicht so, wie sich das gefälligst gehört, ganzjährig um seine
Liebsten kümmert, sondern dann voller schlechtem Gewissen einmal im Jahr
armeweise Geschmeide, Pralinés und Blumenbouquets nach Hause karrt. Eine
Haltung, die mitnichten automatisch und generelles Unromantikergegrummel
bedeutet, sondern es sich so ähnlich verhält wie bei mir mit Karpfen: Ohne
jemals auch nur an einem gerochen zu haben, weise ich dieses Fischgericht
entschieden und mit größtem Nachdruck als ungenießbar von mir, nicht ohne mich
dazu demonstrativ gänsehautend zu schütteln. Wenn ich das hier, in
Karpfenhausen, laut ausspreche, kommt das einem Frevel gleich, und bei der
Spurensuche bin ich dem Grund auf die Schliche gekommen: Der Uropa, so geht die
Familiengeschichte, brachte vom Angeln stets Karpfen mit, der dann in der Badewanne
schwimmen und von den Kindern ausgenommen werden musste – eine Erfahrung, die
mir sozusagen weitervererbt worden ist. Transgenerationales Karpfentrauma. Und
so hab ich auch die Valentinstagsskepsis schlichtweg vererbt bekommen. Was mir
bislang nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil eine Vielzahl überraschender
und schöner Blumensträuße übers Jahr hinweg beschert hat und vor allem eine
ersprießliche Nicht-Anzahl von Enttäuschungen, die so ein vergessener
Valentinstag, einer mit teuren, aber schlechten Lokalen, Blumen von der Tanke
oder gar Mon Cheris mit sich bringt. In diesem Sinne: Opa, auf dein Wohl! Allen
Fallentins einen schönen Namenstag! Und allen Liebenden eine wärmende Umarmung!