Freitag, 4. April 2025

Spa-Crawl

 

Schönen guten Morgen zusammen, zum Wochenende präsentieren wir Ihnen freudig die drei wichtigsten Sätze für Gespräche mit Oma, beim Bäcker oder einfach mal so zwischendurch im freundlichen Selbstgespräch: „Wahnsinn, die Sonne! Man muss sich halt nur echt schon eincremen.“, „Aber sobald die Sonne weg ist, ist es furchtbar kalt.“ und „Es könnte so schön sein, wenn nicht dieser scheußliche kalte Wind wäre!“ Da hab ich mir gedacht „Woanders kannst du auch frieren!“ und bin letzte Woche freudig in ein Angebot für einen Wochenend-Trip eingetaucht, das allerlei versprach („Drei Tage Luxury Spa & Wellness“, „Vollverpflegung“, „zahlreiche Anwendungen inklusive“), vor allem aber andere Tapeten, die man zwischendurch mal angucken kann. Kein echter Urlaub, aber eine kleine Flucht. Mini-Urli. Urlini, sozusagen. „Das wird entweder super“, wusste ich zu prophezeien, „oder eine Katastrophe, aber dann haben wir wenigstens was zu lachen.“ Karlsbad also. Einer der Sehnsuchtsorte vergangener wie heutiger Tage, der Inbegriff von Entschleunigung, Achtsamkeit und Wellness aus einer Zeit, als diese Begriffe noch nicht erfunden waren. Die meisten kennen den Ort sicher als Ursprung einer Waffelspezialität (Bröselzucker zwischen zwei klebrigen Oblaten), viele andere vielleicht von Großeltern oder sonstigen Bekannten älteren Semesters, denn hier kontempliert es sich aufs Äußerste durch eine pittoreske Umgebung habsburgischen Pomps, und statt wie früher von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und verschiedene Mischungen von Spritz & Co. zu degustieren, latscht man (ich) hier mit einem kleinen Schnabeltässchen einen Fluss entlang, an dem sich 15 Quellen feinsten Heilwassers befinden, um abwechselnd heißes, sprudelndes oder stinkendes Nass selbst abzuzapfen und sich daran zu laben und sofort zu gesunden. Soweit die Theorie, die in der Praxis höchstens gestört wird von den zahlreichen Becherovka-Ständen, um sich zwischendurch den Mund zu spülen. Links und rechts ragen die prächtigsten Bauten auf, und der Höhepunkt ist ein 300 Jahre altes Grandhotel, das an Prunk und Majestät seinesgleichen sucht. Und das ich vorsichtshalber nur auf eine heiße Schokolade betreten habe, um anschließend lieber mit einem müffelnden Bus ins Industriegebiet am Stadtrand zu schaukeln – wo sich mein Hotel befand … Sagen wir mal so: zu lachen gab’s einiges, auch wenn ich die Aktionsabende „Becherovka & Sie“ und „Caribbean Night“ zugunsten eines ausgezeichneten Nachtschlafs verpasst habe und das berühmte Karlsbader „Bierbad“ sich als profanes Schaumbad herausstellte, zu dem ein Krügerl Bier gereicht wurde. Der Erwerb einer überdimensionierten Gartenfigur auf dem grenznahen Mode- und Designmarkt wurde mir allerdings verboten, ich muss also unbedingt nochmal hin. Dann aber ins Grandhotel! Kommt jemand mit?

Freitag, 28. März 2025

Gamechanger

 

Seit einiger Zeit hat sich in meinem Umfeld ein Wort etabliert, das mein Herz erwärmt: Gamechanger. Natürlich haben sich noch weitere Wörter und Ausdrücke etabliert, die mich weit weniger froh machen. Beispielsweise die grauenhafte Unsitte, Sätze mit „tatsächlich“ zu beginnen, so als lebten die Sprecher in der steten Sorge, ihre Meinung, Erfahrung etc. pp. würde sowieso angezweifelt und es sei es deswegen vonnöten, direkt von vornherein in Verteidigungsstellung zu gehen. „Und was hast du gestern Abend gegessen?“ – „Tatsächlich nur ein Schokomüsli.“ Oder „Was hast du am Wochenende so vor?“ – „Tatsächlich noch nichts weiter.“ Oder „Wie fandest du den letzten Franken-Tatort?“ – „Tatsächlich ganz gut.“ Das arme kleine Adverb weiß gar nicht, wie ihm geschieht und ist so überfordert von der inflationären Falschnutzung, dass es sich hilfesuchend an seinen Schicksalsgenossen „ehrlicherweise“ wendet und um Hilfe bittet, denn diesem widerfährt ebenfalls schon seit langem eine traurige Falschnutzung. „Ehrlicherweise finde ich dich saudoof.“ ist einfach nicht das gleiche wie „Um ehrlich zu sein, finde ich dich saudoof.“ Ganz anders und absolut korrekt angewendet findet sich also besagter „Gamechanger“ in der Alltagssprache wieder, und ich begrüße ihn herzlich und mit offenen Armen, besagt das Wort doch „eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das eine grundlegende Veränderung bewirkt“, und genau so wird es auch benutzt. Nun lang ich dieser Tage abends im Bett und war selig über meinen neuen Gamechanger: ein dickes, herzförmiges Kissen, das man sich mit einer Art gepolstertem Strumpfband um den Oberschenkel legen kann, um dann, wann immer im Schlaf die Position von Rücken auf Seite gewechselt wird, ein prächtiges Kissen zwischen den Knien klemmen zu haben anstatt die Decke dorthin zu stopfen (dann Rücken frei, dann Rücken bedeckt, aber Füße frei … - man kennt das). Dann habe ich überlegt, was eigentlich sonst so die Gamechanger der jüngeren Vergangenheit waren, und nach einigem Sammeln traf mich eine Erkenntnis, die mich seitdem vergnügt lächeln lässt: Bei allem, was mein Umfeld als „Gamechanger“ bezeichnet, handelt es sich um eine Person, eine Sache oder ein Ereignis, das schnurstracks den Alterungsprozess, körperlichen Verfall und die schrittweise Akzeptanz derselben zum Thema haben. Kniekissen beispielsweise. Aber auch die berühmten Gamechanger „Brille“ („Geil, ich brauch doch keinen neuen Fernseher, plötzlich ist alles wieder scharf!“), „Einkaufslieferservice“ („Ich schaff das einfach nicht mehr mit der Schlepperei in den vierten Stock Altbau.“), „bügelloser BH“ („Kein Plan wie ihr das aushaltet mit den unbequemen Dingern!“), „elektrische Fußwärmer“ („Keine Ahnung wie ich das früher ohne überlebt hab.“) oder, einer meine absoluten Favoriten „Bodenkissen mit Rückenlehne“ („Jetzt kann ich endlich wieder jugendlich am Boden sitzen, mein Rücken macht das sonst einfach nicht mehr mit.“).

 

Freitag, 21. März 2025

Sonnencreme

 

Alles klar, das ging dieses Jahr unverhofft schnell: Just am ersten Tag, der das Attribut „frühlingshaft“ mal wirklich verdient und der Stadt zumal an windstillen Orten ordentlich Sonnenbumms beschert hat, war ich natürlich auch am Start. Ich hielt mein süßes kleines Stupsnäschen beherzt in die Wärme und schwitzte in dünnem Pulli und T-Shirt, während die noch im Schatten stehenden Füße jämmerlich froren, und ignorierte fröhlich das leise Zupfen an meinem Hosenbein. Dieses rührte, wie mir ein kurzer Blick bei der ersten Störung verraten hatte, von einer kleinen gelben Tube, die aus meiner Tasche lugte und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. „HEY DU PSCHT!“, wisperte es unter meinem Stuhl hervor, „du musst dich einschmieren! Schmier dich ein, du kommst in Teufels Küche! Wenigstens das Gesicht, bitte!!“ flehte die kleine Tube und zupfte weiter. Ich knurrte zwischen zu einem angestrengten Lächeln gepressten Zähnen zurück. „Auf gar keinen Fall fangen wir jetzt schon an mit dem Gebatzel, vergiss es!“ und schloss die Bedenken hinterm Reißverschluss ein. Zu spät. „Bist du nicht eingecremt?“ erkundigten sich Freundinnen verdutzt und ich schrie. „NEIN!“ schrie ich. „Geht weg, lasst mich in Ruhe, ich hasse das, ich will nicht, ich KANN nicht!“ und ehe ich’s mich versah, kullerte eine kleine Träne großen Zorns mein errötendes Bäckchen hinab. Schon immer eher der nordische Typ, verfüge ich mittlerweile über eine alabasterweiße Haut, nach der sich der gesamte sonnenkönigliche Hofstaat einst die Finger geleckt hätte. Um genau zu sein dürfte ich wahrscheinlich keine drei Minuten ungeschützt in die Sonne. Aber es will mir einfach nicht in den Kopf: Wir fliegen auf den Mars, klonen Schafe und bauen Städte ins Wasser, sind aber nicht in der Lage, einen Sonnenschutz zu erfinden, der nicht nur haut-, sondern auch sozial- und alltagsverträglich ist? Nix! Alles klebt und pappt, verfärbt Möbel und Utensil und verurteilt weiße Kleidung zu einem Leben mit Speckrand und Gilb. Die letzte (hochwertige!) Sonnencreme, die ich fürs Gesicht erworben habe, hat statt sich gleichmäßig zu verteilen derart ausgefusselt, dass ich aussah, als hätte ich mein Gesicht in Kokosraspeln getunkt. Kannst du freilich sagen „So lang’s hilft?!“ aber: nein. Es ist ja auch gesellschaftlich nicht anerkannt, sich im Sommer zwischendurch einmal in eine Staubfläche oder Schlammpfütze zu werfen wie ein Elefant, um die zarte Haut zu schützen. Wobei, wenn’s nach mir ginge: auch nicht schlimmer als Sonnencreme, dafür praktisch immer verfügbar und wenigstens kein Gepappe. Wenn wir uns hierauf einigen könnten – ich wär dabei. So aber trag ich meine gerötete Stirn stolz durch den Frühling. Na gut, und zugegebenermaßen eventuell auch einmal kurz in eine Drogerie.

Freitag, 14. März 2025

Frühjahrsputz

 

Kaum spähen die ersten schüchternen Knösplein aus der Erde, flattert ein früherwachter Schmetterling durch die Prärie und traut sich eine Kneipe, einen Stuhl vor die Tür zu stellen, schon schreit’s landauf, landab „FRÜHJAHRSPUTZ!!!“ und emsige Diener und Dienerinnen der Reinlichkeit schwärmen aus. Niedliche Schwämme, glitzernde Lappen und Hochglanzsprays finden jetzt reißenden Absatz, und das Internet quillt schier über vor kluger Tipps und Ratschläge: „Frühjahrsputz: 5 einfache Tipps, die das Putzen erleichtern“ heißt es da, „Frühjahrsputz: So gehen Sie ihn richtig an!“ oder, was mir auf eine Art besonders gut gefällt, „Frühjahrsputz: Checkliste mit allen Tipps und Aufgaben“. Ich nehm das mal so an: „Wir empfehlen ein Wochenende mit typisch grauem Schmuddelwetter“, so heißt es bei „Glamour“, und schon stellt sich eine Erleichterung ein, schließlich war ich bereits im Begriff, sämtliche Verabredungen fürs erste schöne Frühjahrsglück zu verweigern und mich stattdessen über den Putz herzumachen. „Viele erledigen den Frühjahrsputz rund um den kalendarischen Frühlingsanfang. Das heißt aber natürlich nicht, dass du den großen Frühjahrsputz nicht auch noch im April erledigen kannst.“ Die Erleichterung wird größer, denn schon bin ich geneigt, alle Pläne fürs Großreinemachen zu canceln und gemütlich auf sagen wir Ende April zu verschieben. „[…] leitest du den Frühjahrsputz am besten mit einem ausgiebigen Frühstück ein“ stand als nächstes zu lesen, und so sitz ich hier an einer opulenten Morgentafel und beschäftige mich mit dem Frühjahrsputz vorerst nur rein theoretisch. „Plane genug Zeit ein und lass dich nicht stressen.“ Nein danke, mach ich nicht, ganz lieb. Was hat es wohl auf sich mit dem Frühjahrsputz? Die Herkunft leuchtet mir durchaus ein: Habe ich die Wintermonate tagein, tagaus mit meiner 13-köpfigen Familie nebst Vieh und Knecht im Duster meiner Ein-Raum-Stallung verbracht, ist es vielleicht am Ende der Saison durchaus sinnvoll, ein bisschen Ordnung in die vier Wände zu bringen. Jetzt wohn ich zwar nicht grade herrschaftlich, aber auch nicht direkt in einer finsteren Höhle, so dass ich durchaus in der Lage war, meine Quadratmeter einigermaßen rein zu halten. Wie mag es da wohl den anderen gehen, die jetzt zum großen Kehraus rufen? Immerhin einer lässt sich von meinen Zweifeln nicht beirren: „Schatz, dein Traum vom Haustier wird endlich wahr!“ kündete der Mann, und seitdem zieht Tag für Tag ein kleiner Roboter ächzend seine Runden und saugt und wischt, was das Zeug hält. Frühjahrsputz? Die Dame LÄSST putzen. Dabei beherzigt sie allerdings einen weiteren Tipp sehr gerne: „Lege deine Lieblingsmusik auf. Wenn du beim Putzen lauthals mitsingst, ist das Ganze nur halb so schlimm.“ Ich wähle Mary Poppins: „In jeder Arbeit, merkt euch das, steckt auch ein kleines bisschen Spaß. Versteh den Spaß und schnapp, die Arbeit klappt.“

 

Freitag, 7. März 2025

Sockenprepping

Der Mann hat sich empört. Das tut er gern und lautstark, primär dann, wenn die Empörung sich auf ein bewährtes Ziel richtet: mich und mein angeblich in manchen Teilen des Lebens diskutables Konsumverhalten. Dem beispielsweise der Umstand geschuldet ist, dass wir grad überlegen, ob mir 50x100 Zentimeter als Arbeitsbereich nicht eigentlich völlig ausreichen und ich deswegen künftig in der Vorratskammer tippen könnte, derweil die Bevorratung ein Ausmaß angenommen habe, um aus dem Arbeitszimmer einen hübschen Tante-Emma-Laden zu machen. Ich mache dann ein Geräusch so ähnlich wie „Bhapfff!“, was so viel bedeutet wie „Ich sehe kein Problem darin, drei Kilo Haferflocken oder zehn Packungen aus Italien importierte Pasta in der Wohnung zu lagern anstatt im Keller.“ oder auch „Lass mich doch in Ruhe.“ Bhapff hab ich deswegen auch jetzt gemacht, als eine andere des guten Dutzends Empörungsplatten aufgelegt wurde: „Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viele Socken wie du!“ Ich blicke in den Kleiderschrank und kann nichts Anrüchiges entdecken. Nur gleißende Vielfalt und eine, zugegebenermaßen für Außenstehende komplexe, feine Ordnung mit einem ausgeklügelten System, das schlichteren Gemütern scheint’s verborgen bleibt. Als da wären: dünne Socken und dicke. So weit, so einfach. Dann aber gibt es noch Sportsocken (kurz und lang), die zum Sport da sind, nebst spezieller Wandersocken, sowie Sportsocken (lang), die ausschließlich modische Zwecke erfüllen. Es gibt Socken, die kurz sind und solche, die so kurz sind, dass man sie mit Müh und Not an Zeh und Ferse einhaken muss und dann hoffen, dass sie auch dort verbleiben. Es gibt Kuschelsocken (Wolle und Fleece) und seit Weihnachten etwas namens „Bettsocken“, deren Zweck sich mir selbst noch nicht ganz erschlossen hat. Es gibt Socken, die man auf keinen Fall sehen soll und solche, die es nur gibt, damit man sie möglichst großflächig herzeigen kann. Diese wiederum gibt es in modern und klassisch, kurz und lang und selbstverständlich von uni bis floral in allen denkbaren Farben. Es gibt Anti-Rutsch-Socken für die Wohnung und spezielle solche nur für auf der Yogamatte, solche, die so dick sind, dass man damit noch nicht mal mehr in den ausgelatschtesten Hausschlappen hineinpasst und die, die so dünn sind, dass sie nur vom Anschauen beinahe zerreißen. Außerdem Produkte, die mich selbst verwundern, wie beispielsweise einen wenige Zentimeter breiten Socken-Streifen, den man sich für ein einziges spezielles Paar Schuhe um den Ballen streift – Fußschweißband, quasi, und ich bin mir ganz sicher, dass es irgendwas gibt, was lediglich die Zehen bedeckt. Alles höchst nützlich und sinnvoll. Und das Beste daran ist: Bald braucht man nichts mehr davon, weil bald ist wieder barfuß-in-Schlappen-Zeit! Juhu!

Freitag, 28. Februar 2025

Faschingsmuffel

 Wenn man ein „Muffel“ ist, scheint es sich dabei um eine gute Nürnberger Tradition zu handeln. Zumindest finden sich unter dem zugehörigen Wikipedia-Eintrag genau drei Personen, und bei allen drei handelt es sich um Nürnberger. Sogar eine ganze Familie: die Muffel von Eschenau, eine der ältesten Patrizierfamilien, deren Macht und Wirken vom 13. bis ins 18. Jhdt. reicht. „Faschingsmuffel“? Keine Beleidigung also. Eigentlich bedauere ich es sogar ein Stück weit, dass nach Aschermittwoch nicht nur alle in Fastenzeit verschwinden, sondern vor allem auch die viele Farbe nicht mehr zu sehen ist – dabei könnten wir die jetzt grade mehr denn je gebrauchen. Ich habe mal einen Schauspieler getroffen, der auch als Krankenhausclown aktiv war. Der schenkte mir damals eine kugelrunde rote Nase und sagte, es sei doch erstaunlich, für wie viel gute Laune und lockere Atmosphäre dieses kleine Accessoire in verschiedensten Situationen sorgen würde, und riet mir, das auch mal auszuprobieren. Ich tat wie geheißen und setzte fortan die rote Nase auf, wann immer mir eine Situation zu ernst zu werden drohte. Zitiert der Steuerberater mich zum Gespräch, setz ich hurtig die rote Nase auf. Zwingt der Zahnarzt mich zum Mund-weit-Öffnen, so löse ich den Moment geschwind mit Clownsnase. Schimpft der Mann mich aus wegen irgendwelcher angeblich überflüssiger Anschaffungen, so blicke ich ihn über den roten Knödel auf der Nase treuherzig an, und bedroht mich die grantige Kassiererin mit ihrer Übellaune, so pack ich mir schnell die Clownsnase ins Gesicht und ihr am besten gleich mit. Das gibt zwar oft ein kleines Handgemenge, steigert die Gesamtlaune aber wirklich mindestens so ungemein wie die nervtötend endlose Online-Konferenz mittels roter Schaumstoffkugel etwas aufzulockern. Ich denke also, wenn mehr Menschen auch übers Jahr hinweg ein bisschen Jeck sein könnten, wäre die Welt gleich eine viel fröhlichere. Im letzten Jahr habe ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt und mir einen Tyrannosaurus gekauft. Der ist grün, zum Aufblasen und, besonders wichtig, zum Anziehen. Auf dem Dino ritt ich dann zum Gaudiwurm und war, ich kann’s nicht anders sagen, dort sogleich der Star, an den sich Kinder schmiegten und mit dem Polizisten gerne fürs Foto posierten. Mit schwingendem Dino-Hintern und wogendem Schwanz freute ich mich durch den Regen und wollte nichts lieber, als nie mehr ohne meinen neuen Gefährten das Haus zu verlassen, sondern künftig nur noch als T-Rex aufzutreten. Im Kaffeehaus oder Supermarkt, bei Bankgeschäften oder womöglich auch Trauerfeiern, so stellte ich mir vor, wäre die Stimmung geschwind eine sehr viel bessere, und meine Ausgangslage bei Gehaltsverhandlungen auch gleich viel positiver … Seitdem liegt der Dino zusammengeknüllt im Schrank. Am Sonntag erweck ich ihn zum Leben, und die gute Laune gleich mit. Nürnberg? Aha!

Freitag, 21. Februar 2025

Krapfenkalender

Das mit den Karpfen neulich hat mich auf einen Gedanken gebracht, für den nur ein winziger, aber doch kulinarisch folgenschwerer Buchstabendreher nötig war. Woran erkennen wir, dass die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ bald bevorsteht? Also mal davon ausgehend, man lebt nicht im Rheinland und ist auch kein Angehöriger einer karnevalistischen Enklave, die schon seit Wochen irgendwas von „Fasching“ faselt und hoch das Bein und Hossa? Richtig: Deutschlands berühmtester Foodblogger, im Nebenerwerb Staatsoberhaupt, überlegt öffentlich, welches witzige Kostüm in diesem Jahr angemessene Hybris ausstrahlt. Aber das meine gar nicht, sondern: Karpfen. Nein Schmarrn: Krapfen! Da waren also die letzten Brösel von Stollenkonfekt und Lebkuchen noch nicht aus der Auslage gekehrt, schon bevölkert die Bäckerschaft – allen voran ein kleiner, familiärer Handwerksbetrieb aus nördlich der Stadt – selbige mit einer Parade gefüllter Teigballen, die ihresgleichen sucht (und deren kunterbuntes Ausmaß immer wilderer Züge annimmt, aber dazu vielleicht ein andermal mehr). Grade will man sich noch genüsslich das letzte Stück Spekulatius, das übriggeblieben Kipferl in den Mund schieben, schon schreien einen Quark-, Vanille-, Schoko- und, am wichtigsten, Hiffenmarkkrapfen beim Kauf eines unschuldigen Vollkornbrotes an, und du ahnst stöhnend: Bald (also in drei Monaten) ist es wieder so weit, der Gaudiwurm befüllt die Stadt. Auf eine gewisse Art bin ich den Bäckern dankbar, weil sie weit vor allen anderen Gewerben zukunftsblickend von neuem künden, ein Krapfen-Orakel sozusagen: „Wir wissen, du willst es nicht wahrhaben, aber sieh den Tatsachen in die Augen!“ Es ist Gluthitze, der Herbst nur eine vage Ahnung am Horizont? Egal, beim Bäcker gibt’s Kürbis-Muffins und Karottenschnitte. Du freust dich im Oktober über goldenen Herbst und warme Abende? Egal, beim Bäcker bedroht man dich mit Plätzchen. Mit ähnlichem Druck agieren bekanntermaßen Supermärkte und Drogerien und lassen einen frühzeitig – sprich zwei bis drei Monate im Voraus – wissen, wann die Festivalsaison vor der Tür steht oder Halloween. Niemand braucht einen Kalender, der wenigstens gelegentlich zum Einkaufen geht. Man muss nur drauf hoffen, dass zumindest Bäckerei und Drogerie einen Kalender haben. Weil was wäre, wenn nicht? Wir klebten uns Goldtattoos und Flowerpower ins Gesicht für den Weihnachtsmarktbesuch, weil das liegt jetzt so in der Auslage. Wir dekorierten im Frühjahr die Wohnung mit Filzlaub und Styroporpilzen, verschmierten im August Lebkuchendekor mit Sonnencreme auf der Haut und suchten als Hexen verkleidet Ostereier im Garten. Neulich wurde mir ein Krapfen ohne Füllung verkauft. Das fand ich sehr unverschämt, aber auch sehr sinnbildlich. Typisch Februar eben: eine einzige, monatgewordene Enttäuschung.

Freitag, 14. Februar 2025

Fallentinstag

Ich hatte mal einen Opa, der hörte auf den schönen Namen „Valentin“. Weil er aber ein Ur-Nürnberger war, sprach er von sich selbst stets als „Fallentin“, und das erschien mir stets nur logisch, schließlich hatte der Opa aufgrund irgendeiner unglücklichen Bewandnis viele Jahre früher nur noch ein echtes und dazu ein komisches Puppen-Bein – und das musste man ja wohl haben, wenn man „Fallentin“ hieß und offenbar ständig hinfiel? Ich weiß nicht mehr, wie alt ich werden musste, um zu begreifen, dass Opa Fallentin und dieser eine Tag im Jahr, in dem Menschen oft recht nervös werden und Blumen und Geschenklein von A nach B transportieren wie emsige Ameisen, irgendwie zusammengehören sollten, und selbst dann war mir eher ein Rätsel, warum der Opa denn eigentlich einen eigenen besonderen Feiertag haben sollte. Der Opa ist leider schon sehr lange nicht mehr da, so dass ich ihm meine späten Erkenntnisse nicht mehr auseinandersetzen kann, aber mindestens einmal im Jahr denk ich an ihn. Oder vielmehr: Ich werde an ihn gedacht. Der Valentinstag hat in meiner frühfeministischen Emma-Erziehung einen ganz ähnlichen Stellenwert wie Muttertag: hyperkommerzieller Ami-Käse, der nur darüber hinwegblenden soll, dass man sich nicht so, wie sich das gefälligst gehört, ganzjährig um seine Liebsten kümmert, sondern dann voller schlechtem Gewissen einmal im Jahr armeweise Geschmeide, Pralinés und Blumenbouquets nach Hause karrt. Eine Haltung, die mitnichten automatisch und generelles Unromantikergegrummel bedeutet, sondern es sich so ähnlich verhält wie bei mir mit Karpfen: Ohne jemals auch nur an einem gerochen zu haben, weise ich dieses Fischgericht entschieden und mit größtem Nachdruck als ungenießbar von mir, nicht ohne mich dazu demonstrativ gänsehautend zu schütteln. Wenn ich das hier, in Karpfenhausen, laut ausspreche, kommt das einem Frevel gleich, und bei der Spurensuche bin ich dem Grund auf die Schliche gekommen: Der Uropa, so geht die Familiengeschichte, brachte vom Angeln stets Karpfen mit, der dann in der Badewanne schwimmen und von den Kindern ausgenommen werden musste – eine Erfahrung, die mir sozusagen weitervererbt worden ist. Transgenerationales Karpfentrauma. Und so hab ich auch die Valentinstagsskepsis schlichtweg vererbt bekommen. Was mir bislang nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil eine Vielzahl überraschender und schöner Blumensträuße übers Jahr hinweg beschert hat und vor allem eine ersprießliche Nicht-Anzahl von Enttäuschungen, die so ein vergessener Valentinstag, einer mit teuren, aber schlechten Lokalen, Blumen von der Tanke oder gar Mon Cheris mit sich bringt. In diesem Sinne: Opa, auf dein Wohl! Allen Fallentins einen schönen Namenstag! Und allen Liebenden eine wärmende Umarmung!


Freitag, 7. Februar 2025

Zettelwirtschaft

 

Ich meine hier schonmal erwähnt zu haben, dass ich versuche, technisch so gut wie möglich auf der Höhe der Zeit zu sein, um nicht irgendwann das Nachsehen zu haben und als uralte 55-Jährige meinen Enkel oder Zivi anrufen zu müssen mit meinem Großtastentelefon, weil ich es wieder nicht geschafft habe, mit rhythmischem Augenzwinkern den Fernseher fürs Vorabendprogramm zu aktivieren oder der Kühlschrank mir partout nicht den richtigen Milchreis aushändigen will, weil ich es nicht schaffe, mir zu merken, in welchem Winkel zu ihm ich mit den Fingern schnipsen muss. Also versuche ich, mich up to date zu halten, mir allerlei neumodisches Gerät ins Haus zu schaffen und dann lauthals nach dem Mann zu brüllen, weil das Internet schon wieder kaputt ist oder der Fernseher von Geisterhand einen Sendersuchlauf begonnen hat. Als technisch völlig zeitgemäß weil schlichtweg ein Evergreen sind für mich deswegen: Zettel. Zettel gibt es immer. Sie sind unabhängig von Raum, Zeit und politischen Geschehnissen, einfach in der Handhabung und leicht zu verstauen. Vor allem aber sind sie leicht zu beschriften und leicht zu lesen, und deswegen lebe ich in einer Zettelwelt oder „Zettelwirtschaft“. In der Zettelwirtschaft finden sich Notizen aller Wichtigkeitsstufen – PINs, Passwörter, Namen, Telefonnummern, Filmtipps und, spezialwichtig: genialistische Einfälle für die Kolumne zur späteren Ausarbeitung. So einen habe ich gerade vor mir liegen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn der Zettelinhalt gibt mir Rätsel auf: „Gebiss auf Hüpfburg verloren“, steht da, und jetzt kann man mir viel nachsagen, aber nicht, dass es sich hierbei um eine Erinnerung an eine Schadensmeldung bei der Versicherung handeln könnte. Was aber dann? Ich habe kein Gebiss. Also doch, schon, aber kein solches, dessen man beim Toben unvermittelt verlustig würde. Ich habe mal ein Gebiss gefunden, ein halbes zumindest, und mich dann schon gefragt, wie sowas wohl passiert und ob man damit jetzt zur Polizei gehen muss oder zum Fundbüro. Meine Eltern haben eine Kuchenzange in Form eines Gebisses, die immer wieder für Freude sorgt und für Scherze gut ist, beispielsweise gegenüber Familienmitgliedern, die wirklich schon die Dritten tragen. Wann ich das letzte Mal auf einer Hüpfburg war, erinnere ich nicht, sicher nicht jedenfalls beim Abifest, wo reihenweise enge Hosen aufplatzten, das war mir nicht geheuer, und ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, in jüngerer bis älterer Vergangenheit Senior*innen beim Hüpfburgen beobachtet zu haben – ein Umstand, den ich sehr bedaure, denn das wär bestimmt ein Heidenspaß … Bitte, wenn sich jemand angesprochen oder gemeint fühlt: Melde dich! Ich hab zwar kein Gebiss gefunden, aber großes Interesse an der Geschichte!

Freitag, 31. Januar 2025

Winterinspiration

 Eine treue Leserin rief mich kürzlich zur Räson. Ich war grad in einem schönen Schwung angekommen, in dem ich über das Weh und Ach des Winters im Allgemeinen so wie im Speziellen vor mich hin lamentierte, da unterbrach sie mich. „Ach komm schon!“, rief sie aus. „Du brauchst doch den Winter!“ Ich hielt verdutzt inne und blickte sie fragend an: „Böh?“ Was das bedeuten solle, wollte ich gerne wissen, denn ich fühlte rein gar keinen Funken Wahrheit in dieser ehrenlosen Anschuldigung. „Du brauchst den Winter für deine Kolumne!“ – „Äh wieso jetzt das?“ – „Weil du sonst keine braunen Batzen auf der Straße finden würdest, nicht frieren würdest, keinen Zwiebellook bräuchtest und quasi keinen Stoff hättest!“, sprach sie und schenkte mir ein triumphierendes Augenblitzen. Ich schwieg. Angemessen beleidigt, wie ich fand, doch nach und nach schlich sich ein anderes kleines grünes Gefühl in die Empörung: ertappt. Ich war ertappt. „Du hast mich ertappt“, gestand ich, und schon gesellte sich eine ganz neue Empfindung zu den beiden anderen hinzu: Der blanke Stolz des Märtyrers. Ich, Katharina Wasmeier, stelle mich Tag für Tag heroisch den Herausforderungen der schrecklichsten aller Saisonse, um euch, liebe Leserinnen und Leser, zu unterhalten. Ich sehne mich nach Leid und Qual, die mich befällt, nach dem so grausigen Zustand vollständiger Lähmung des kompletten Körpers, sobald ich mit einem Hauch eisiger Luft konfrontiert werde. Ich suhle mich im Elend der schwärzesten aller Depressionen, die einen mangels Licht und Wärme befallen kann. Ich verehre den Verdruss, der die Menschheit zumal im Januar und Februar befällt, wenn sie erkennen, dass mit Silvester zwar das schöne Lichterglitzerfeierzeug vorbei ist, der Winter jedoch in Wahrheit noch nicht einmal richtig angefangen hat. Ich opfere dem Gott der Häme und Schadenfreude, der die Menschheit mit kurzen Sonnenblitzen beschießt um sie in den Glauben eines nahenden Frühlings zu versetzen, nur um kurz darauf mit vernehmlichem Schnalzen die sibirische Eispeitsche in die gerade noch lächelnden Gesichter zucken zu lassen. Ich empfinde nichts als reine Poesie und Lyrik, die wunderbarsten Farben und Kompositionen durchströmen mein Innerstes. Ganz in der Tradition eines van Gogh, eines Beethoven stehe ich und ziehe mein Glück aus der Seelenpein des Wintervolkes, vor allem aber aus meiner eigenen. Morgen für Morgen erwache ich voller Sorge, der Winter könnte vorbei und an seiner Stelle der Frühling getreten sein mit seinem ekelhaften Frohsinn, den Farben und wohlfeilen Blütendüften. Zeigt das Fenster mir dann nichts als tristes Grau, einen schönen Sprühregen und dick eingefrorene Autos, so werfe ich mich zurück aufs Bett, jaule einmal kurz auf und rufe „JUHU!“, ruf ich, „wieder eine Kolumne sicher! Bitte lieber Gott, lass den Winter noch ewig dauern!“ Ach, wie herrlich! 

Freitag, 24. Januar 2025

Alltagsrätsel

 It’s that beautiful time of the year where you cannot erkennen ob es sich bei dem braunen Batzerl auf dem Straßenboden um ein so altes, so trauriges Blatt handelt, übriggeblieben von den Stürmen des vergangenen Herbstes, die es getrennt haben vom Mutterbaum und allen Geschwistern, und das seitdem sein trauriges einsames Dasein fristet mit Füßen getreten, mit garstigen Besenborsten getriezt, die es wegkratzen wollen vom einzigen Halt, die ihm noch bleiben: dem kalten Asphalt, auf dem es liegt und liegt so lange, bis auch ich es mit meinen festen Sohlen piesacke und trete. Oder ist der braune Gatsch vielleicht ein Chinaböller, gefertigt von emsigen kleinen Arbeiterhändchen, zu Wasser und Land transportiert bis in die schöne Tschechei, wo es jemand bei einem schönen Kulturausflug in „die Tscheche“ einen kleinen, standardmäßigen Einkauf vor Silvester getätigt hat um dann, am großen Abend um Mitternacht, seine Bataillone Aufstellung nehmen zu lassen auf der Straße vor dem Haus und dann dem Robert und der Annalena mal so richtig zu zeigen, wo hier der Hammer hängt, und gegen 2.47 Uhr mit pfeifenden Ohren aber letztem Triumph den großen Kracher zu zünden, der sich seitdem allen Ordnungsbestrebungen widersetzt und dank höllischer Feuersbrunsten mit dem Asphalt zu einer untrennbaren Einheit zerschmolzen ist? Oder aber handelt es sich in Wahrheit bei den braunen Batzerln und Fleckerln, die die Straßen und Gehwege überziehen, um keine der vorangegangenen Substanzen, sondern eine solche, die man erst erkennt, wenn man den Stiefel daheim bereits an zwei Schuhabstreifern feste abgerieben hat und dann vielleicht noch einmal quer durch die Wohnung getapst ist, um die Einkäufe oder eine sonstige Last in der Küche abzustellen, ins Bad und auf die Toilette zu rasen wegen absoluter Urgency, und dann endlich erleichtert und entspannt die Stiefel von den Füßen ziehen möchte und dann merkst du plötzlich: nanu, merkst du, da ist aber noch viel dran an der Sohle von dem Blatt oder dem Böller, der sich da drangeklebt hat, dabei hast du doch schon so feste die Füße am Abstreifer gerieben, und es ist schon irgendwie auch komisch, wie sehr sich das ins Profil hineingearbeitet hat, und wenn du’s dir recht überlegst, dann ist der Geruch, der da auf einmal durch den Flur und aus der Küche und … PFUI DEIFI und dann springst du und rennst du und weißt nicht wohin weil plötzlich ist alles ganz grausig und kontaminiert und am liebsten möchtest du den Schuh wegwerfen und alle Teppiche und das Laminat noch dazu aber das geht ja nicht, deswegen hockst du dich auf den Balkon und kratzt würgend und entwürdigend mit einem Zweigerl oder Zahnstocher in einer Sohle umeinander und dann noch mit Wasser und dann bloß weg mit dem Schwamm, und dann den ganzen Boden und ach wie schön muss das sein, so einen süßen Hund zu besitzen und mit dem dann ein bisschen Gassi über die Straßen und Gehwege machen zu können!

Freitag, 17. Januar 2025

Winterstarre

 

„Ich möchte kein Eisbär sein, im kalten Polar. Dann müsste ich noch mehr schrei’n: Alles ganz furchtbar!“ Die Frage ist nur: Was bin ich dann? Am ehesten aktuell wohl grad ein wechselwarmes Tier. Vielleicht eine hübsch glänzende Schlange oder eine seidig schillernde Eidechse? So zumindest verhalte ich mich, denn ich bin in eine amtliche Kältestarre verfallen, die es mir unmöglich macht, mich draußen zu bewegen. Gerate ich in Kontakt mit der ach so guten „frischen Luft“, erstarre ich sofort zu Stein und finde aus diesem Zustand nur unter Zuhilfenahme zahlreicher Tricks wieder heraus. Diese Tricks reichen von anfängermäßigen wie heißer Tee und Wärmflasche über fortgeschrittene Hilfen wie Merino-Unterwäsche und Teddy-Fleece auch zu Hause bis zu echten Profi-Moves wie einer Heizdecke und so einem beheizbaren Fußding, das man sich unter den Schreibtisch stellt und dann schwitzend darin verheddert. Meine größte Angst ist das Lüften, denn damit holt man sich den ärgsten Feind gewissermaßen freiwillig in die Bude, die mit Müh und Not auf 20 Grad aufgeheizt ist und den restlichen Tag benötigt, diese Temperatur wieder ansatzweise herzustellen. Menschen, die sorglos bei mir klingeln, durchfährt ein großer Schreck, wenn die Tür sich öffnet, steht ihnen doch dann ein hoch aufgetürmter Sesamstraßen-Samson gegenüber, mit dicken Puschen und Ohrenkrempenmütze, aus der eine rottropfende Nase schüchtern hervorlinst. Im Gegensatz zu Eidechsen und Schlangen muss ich zu meinem größten Jammern ab und an dann doch das schützende Nest verlassen, um irgendwas zu besorgen oder zu erledigen. Hierbei ähnele ich den Amphibien dann wieder frappierend, schließlich kann ich mich nur in hölzerner Zeitlupe bewegen, mehr lässt die siebte Zwiebelschicht einfach nicht zu. Wenn mir etwas zu Boden fällt, so muss es leider dort verbleiben: Habt ihr schonmal versucht, euch mit einem knöchellangen, bis zum Bersten gespannten Daunenmantel zu bücken? Eben. Bin ich dann mal draußen, so sehe ich dort Verwunderliches, ja Erstaunliches gar. Menschlein in dünnen Mäntelchen und kurzen Jäckchen, ein Ausschnitt bis zum Bauchnabel, die Knöchel leuchten in der 15-Uhr-Dämmerung – und ich versteh die Welt nicht mehr. Ist es das Alter, das mich zur Frostbeule werden lässt, oder frieren Menschen einfach nicht gleich, und liegt das dann am Alter oder hab ich einfach schon zu oft die Apotheken-Umschau gelesen? Ach, am liebsten wäre ich zwar kein Eisbär, wohl aber ein Braunbär, Murmeltier oder Zwiesel. Ich läge zufrieden schlummernd in meinem Bau, während ich von meiner im Sommer angereicherten Nährschicht zehrte statt Tag für Tag auf die Jagd gehen zu müssen, wäre umgeben von wärmendem Laub und Fell und krabbelte erste wieder ins Tageslicht, wenn dieses diese Bezeichnung auch verdient.