Freitag, 29. Dezember 2017

Hüttenkoller

Zum Ende des Jahres macht der Mensch gern einen Rückblick. Mir ist das leider nicht möglich, befinde ich mich doch in einem postmortalen Zustand retrograder Amnesie, der mir ein Erinnern weitestgehend unmöglich macht. In etwa dürften die vergangenen Tage aber wie folgt ausgesehen haben: Heiliger Abend mit sehr unheiligem Magenkollaps, bei dem schlimmeres nur vermieden werden konnte aufgrund geschickter Zuführung von Magenbitter in wohldosierten Mengen. Dann Sonntag, nochmal Sonntag mit weitestgehendem Aufenthalt auf deutschen Autobahnen. Dann Zusammenbruch mit eiligem Diätplan, der wegen „Schau mal, ich hab dir das und das und das und das schon eingedost, magst du dir das nicht für heute / morgen Abend mitnehmen?“ leider eben so eilig wieder eingestellt werden musste. Deswegen Zirkulation des Blutes weitestgehend in der Peristaltik statt im Gehirn, deswegen … genau. Jetzt aber wird alles besser, weil jetzt kann ich nämlich einen Jahresvorausblick liefern. Denn ich weiß: Ich werde das neue Jahr als Buddhist beginnen. Oder als gebrochener Mensch. Oder beides. Weil Silvester angeblich ein Abend wie jeder andere ist, weiß jeder, dass es sich hierbei selbstverständlich um eine Lüge handelt. Im gegenseitigen zwar nicht Einvernehmen, dafür aber Aufputschen ist es spezialwichtig, die Party des Jahrhunderts keinesfalls verpassen zu dürfen. Deswegen immer Stress. Jetzt ist man aber neuerdings wahnsinnig erwachsen und reflektiert und hat deswegen etwas getan, was für sehr viele Menschen den weltallergrößten Traum darstellt. Für sehr, sehr viele andere die Apokalypse. Nämlich werde ich den Jahreswechsel in einer Hütte verbringen. So weit, so gut, doch tu ich das freilich nicht allein, und da liegt auch der Hase im Sternspeier. Neben mir finden sich dort zusätzliche circa 20 Personen ein, und ich sage „circa“ durchaus bewusst, ist mir doch völlig der Überblick verloren gegangen. Einzig weiß ich, dass es sich bei ungefähr der Hälfte der Exkursion um Halblinge zwischen 0,5 und 16 Jahren handelt. Seit grade eben weiß ich außerdem, dass drei Personen um potenzielle Wirte eines beachtlichen Magen-Darm-Virus‘ sind. Mehr als eh schon bin ich jetzt darum in Eile, gilt es doch, sich um Joghurt und Schnur zu kümmern, um in Senner-Tradition mit den verschiedenen Abteilungen und Trakten kommunizieren zu können, möglichst ohne sich dabei begegnen zu müssen. Im besten Fall schneit es uns ein, dann kann man auch noch Mauern errichten und verhaltensoriginellen Kindern einen Austobeort zubereiten. Oder eine Stille Treppe. Ich werde, habe ich mir so überlegt, meine Liebe zu ausgedehnten einsamen Waldspaziergängen entdecken und vielleicht endlich eine neue Sprache erlernen. „Hüttenkoller“ auf Esperanto bietet sich zum Einstieg an. Oder  · · · − − − · · · Es bleibt also alles anders, nämlich ereignisreich, spannend und unvorhersehbar, und im besten dieser Sinne wünsche ich mir und euch auch das neue Jahr, in dem ich euch gesund und munter, glücklich und zufrieden wiedersehen – es reicht ja, wenn ich als Wrack beginne. Ach so: Und weil jetzt schon wieder so ein irrelanges Zelebrierwochenende ist, könnt ihr noch ein letztes Mal selber schauen, wie ihr darin klarkommt. Ich weiß ja, was ich mache. Ätsch und guten Rutsch! 

Freitag, 22. Dezember 2017

O du fröhliche ...

Es ist stille Nacht, heilige Nacht. Im Haus duftet es nach Maronen und Braten, die Kinder spielen friedlich unterm Baum, ein jedes haucht einer anderen handgeschnitzten Holzfigur Leben ein. Papa schaukelt friedlich Gedichte rezitierend im Stuhl, während draußen leise der Schnee rieselt und Mama liebevoll das Haar der Tochter bürstet. So schön, so harmonisch. So theoretisch. Weil bitte, wo sieht denn ein Weihnachten so aus außer ganz vielleicht in einem sehr, sehr seltsamen Bilderbuch? Eben. In Wahrheit ist das nämlich, und da müssen wir uns überhaupt nichts vormachen, folgendermaßen: Das einzige, was rieselt, sind die Nadeln von dem Baum, den man sich wegen auf den letzten Drücker hat andrehen lassen. Im Haus duftet es sehr wohl, allerdings nach Feuerzangenbowle und Glühwein und so ziemlich allem, was man eilig angereicht hat, um möglichst  bereits vor der Kindermesse einen kleinen Schwips zu haben, um das unsägliche Krippenspiel eben so heiter durchzustehen wie den Umstand, dass Herr M. wie seit Anbeginn der Zeit in der ersten Reihe nicht sehr schön, dafür aber schön laut singt. Beim Austeilen der Speisen daheim beginnt sogleich ein erbitterter Kampf der freilich längst erwachsenen Kinder, die in alter Tradition unter steter Benachteiligungs- und Verhungerungsangst leiden, derweil die Mutter tobt, dass die Küche eh immer schon zu klein war, was aber nur dem Umstand obliegt, dass sie wegen Vorgenanntem stets doppelt so viel wie erforderlich zu kochen pflegt. Der Vater hat sich heimlich in den Flur verkrümelt, um noch eilig die letzten Sonderangebotspreisschilder von den Gaben zu knibbeln, während ein anderes Kind seit Stunden nicht gesehen ward. Nach längerem Suchen findet man es ausgezehrt und mit den Nerven am Ende im elterlichen Arbeitszimmer, wo es vergeblich versucht, Mutters neuen Drucker ans Wlan zu bringen, während einem weiteren Kind eingefallen ist, dass es im Keller doch noch sein altes Schlagzeug stehen hat, woraufhin der Vater lieber mal das festliche Radio lauter dreht, damit dann auch die Nachbarn was von der schönen Musik haben. Nachdem unter großem Gewese und unter Zuhilfenahme ebensolcher Gesten mindestens drei Weihnachtsgeschichten, die allen Anwesenden bis dato freilich völlig unbekannt waren, vorgelesen wurden, entdeckt das nächste Kind seine ungebrochene Liebe zum Klavier und sogleich die restliche Familie die zum Gesang, der begleitet wird von allem, was die hauseigene Kapelle so hergibt. Zwischendurch wird freundlich dem Nachbarn gewinkt, der anscheinend was mit den Ohren hat. Also spätestens jetzt. Nach mehrmaligem Durchexerzieren des kompletten internationalen Weihnachtsliedgutes entbrennt erst ein Streit ums Gesellschaftspiel der Wahl und anschließend einer um den rechtmäßigen Gewinner, bei dem es sich, komme was wolle, keinesfalls um den Vater handeln darf, denn der hat eh immer schon geschummelt. Vergeblich versucht die Mutter zu schlichten und durch Anreichen von garantiert leichten Nachtischen und teuren Weinen den Weltfrieden wiederherzustellen. Zweimal werden wir noch wach, heissa dann ist Weihnachtstag! Ich freu mich wahnsinnig! Und hoffe wirklich, dass ihr auch ein friedliches, glückliches und gesundes Weihnachtsfest habt und ein paar ruhige, zufriedene Tage – die meinethalben ausnahmsweise gerne mal weitestgehend auf dem Sofa verbrach werden dürfen. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten, Halleluja und Habe die Ehre! 

Freitag, 15. Dezember 2017

Schenkertypologie

So, Herrschaften. Zu meinem und hoffentlich auch eurem Entsetzen muss festgehalten werden, dass wir uns bereits im Endspurt auf die Weihnachtszielgerade befinden. Das kam auch für mich etwas überraschend, ist aber an und für sich nicht weiter verwunderlich, weil nachdem der November, wir erinnern uns, ein tiefes und vor allem endloses Tal der Tränen war, das wir gemeinsam durchwandern mussten, ist der Dezember sozusagen ratzofatzovollesrohrmäßig am Start. Folgerichtig müssen wir jetzt das wichtige Stichwort anbringen: Geschenke. Wer an dieser Stelle einen kleinen Schlaganfall, mindestens jedoch einen mittelschweren Schluckauf erleidet, dicht gefolgt von einem stroboskopartigen Heißkaltschauer, dem kann ich beruhigend den Kopf tätscheln und wohlmeinende Worte sprechen: Jetzt ist’s auch schon wurscht. Denn wir alle wissen, dass wer jetzt noch nicht mal eine Idee hat, der zaubert halt auch bis zum 24. eher keinen weißen Hasen aus dem Zylinder. Wovon dringend abgesehen werden sollte, sind Internetbestellungen jedweder außer gutscheinlicher Art. Nicht, weil der Paketbote als solcher derzeit eine gefährdete Spezies ist, sondern schlichtweg eine überarbeitet, weswegen jetzt eher eine gute Gelegenheit wäre, sich um ein pünktlich erscheinendes Ostergeschenk zu bemühen. Was sich in der Vergangenheit dafür als vergleichsweise erfolgversprechend herausgestellt hat, ist die Taktik, sich mit irgendjemandem gegen Mittag in der Innenstadt tapfer „auf einen Glühwein und dann Shopping“ zu verabreden, um zehn Glühwein später bester Laune in irgendein Ladengeschäft zu ausfallschritten, kurzerhand „einmalalles“ zu erstehen und die Verteilung auf zu beschenkende Personen hernach einfach auszuwürfeln. Weitere Glühweine nicht ausgeschlossen. Ich für meinen Teil habe zumindest mich selbst bereits beschenkt. Zum einen mit dem nunmehr dritten und bis dato herausragendsten Foto von mir und einer gewissen Dame mit Rauschgoldlocken und monströser Goldkrone, dessen Unheiligkeit vielleicht im nächsten Jahr noch getoppt werden kann, wenn ich sie huckepack oder endgültig auf den Arm nehme. Ach und die vorsorglich vor sechs Wochen bestellte Tasche kommt ganz vielleicht auch mal an zu Weihnachten. Und sonst? Eine Typologie: der Pragmatische („Ach, es gibt grad USB-Sticks / Kofferwaagen / Spielesammlung im Angebot. Nehm ich doch mal je fünf mit.“), die Resignierte („Bitte nimm das Geld und kauf dir einfach selber was!“), der Sparsame („Ich hab euch allen mal das neue Album von XY gebrannt.“), der Charmante („Ich hatte so viele Ideen und konnte mich nicht entscheiden. Jetzt hab ich nix – aber dich soooo lieb!“), der Unverbesserliche („Ich hab von 23. bis 24.12. keine Zeit weil da muss ich Fotokalender basteln.“). Ach. Jetzt hab ich auch schon eine Geschenkidee: Ich bastle ein Heilig-Abend-Bingo! Das wird super! 

Freitag, 8. Dezember 2017

Kinderbörse

Neues vom Pubertier – tät ich wirklich gern mal wieder verkünden. Und in die Tasten hauen, um all das Wirren zu verarbeiten, das aus dem Kind tagtäglich in die Welt hinausbüchst. Jedoch: Das Pubertierchen spielt da nicht mehr mit. Scheints über den Sommer hat es circa sieben Entwicklungsstufen übersprungen und präsentiert sich neuerdings als vernunftbegabtes, ja nachgerade ödes Wesen. Man verrichtet seine Schul- und Hausarbeiten, schreibt Noten, die man direkt als gut bezeichnen könnte („Ich hab ne 2 in Geschichte!“ – „Geil! Worum ging’s?“ – „Keine Ahnung.“ – „…“ – Ja irgendwas mit Grenzen.“ – „Von wem?“ – „Äh Deutschland.“ – „Und wann?“ – „Ja früher halt.“ ), nickt verständig auf die Bitte, ob ganz womöglich am Folgemorgen um 5 Uhr auf die ondulatorische Komplettbehandlung und damit einhergehende Lärmbelästigung verzichtet werden können, anstatt sich responsiv brüllend auf den Boden zu werfen. Singen die Alten verzweifelt die einzig memorierte Melodie von „Arielle“, so wird nicht augenrollend das Weite gesucht sondern hilfsbereit gegoogelt und geduldig abgewartet, bis der letzte schiefe Ton von „Unter dem Meer“ verklungen ist. Erklärungen, Mahlzeiten würden zügiger gereicht, wenn alle mithülfen statt auf dem Kanapee Ergebnisse zu fordern, haben sofortigen Dienstantritt zur Folge statt lautes „PECH!!“-Gebrüll und Bühnenabtritt, man kehrt quasi pünktlich aus dem Ausgang heim, zeigt sich nicht nur einsichtig, sondern proaktiv bei der Entscheidung „Abschlussballkleid: hochgeschlossen-elegant vs. Hugh-Hefner-Gedenkparty“, erläutert weise die fade Eindimensionalität von „Stadtmenschen“ und meint damit Altersgenossinnen, deren Leben ein stetiges und sinnloses und alkophiles Abhängen in der City beinhaltet sowie die Anfertigung von Augenbrauen mittels Nike-Schablone. Einzig der eigenmächtige und spontane Wechsel des Radiosenders von Wissensradiobayernzwei auf Hitradioichkreischdenganzentagnurschwachsinn findet statt, aber auch das, ich bin zuversichtlich, wird sich ändern. Kurzum: Gscheid langweilig ist’s geworden. Hab ich mir mal eine List überlegt. Und das Kind, das ich bald nicht mehr so nennen darf, in ein Gespräch verwickelt. Nach fast zwei Stunden, in denen weder geweint noch gebrüllt noch gemotzt noch ferngesehen noch gehandyt, sondern sich einfach nur unterhalten wurde, hab ich meinen Joker gezogen und ein hochnotpeinliches Gespräch über Körper im Allgemeinen und Vermeidung der Entstehung eines unerwünschten kleinen neuen solchen im Speziellen begonnen. Jede Wette, hab ich gedacht, jetzt steigt sie aus, das erträgt doch kein Mensch. Tja, was soll ich sagen? Auch eine halbe Stunde später saßen wir einträchtig auf dem Kanapee. Bald schauen wir gemeinsam Tagesschau statt Contouring-Tutorials, lesen Zeitung statt Jodel-Witze und gehen ins Museum statt den Ponyhof. Ich langweile mich jetzt schon zu Tode.  

Freitag, 1. Dezember 2017

Adveniat!

Eine Woche ist vergangen und nichts hat sich geändert. Um sieben Uhr morgens ist es dunkel, um halb elf mittags auch und um fünf am Nachmittag schon wieder, man lässt den Schlafanzug am besten durchgängig an. Funktioniert gut, wenn man sich eine Mordsgrippe eingefangen hat, dank derer man den November weitestgehend im Bett verbracht hat. Miniwinterschlaf, sozusagen. Leider ist man dann etwas überraschend plötzlich wieder gesund und ergo aufgefordert, am täglichen Leben aktiv teilzunehmen. Dabei ist das Spannendste, was zwischen der ganzen Enttäuschung passiert, dass mir immer noch Menschen zur Schwangerschaft (Stichwort „Tomate“) gratulieren, was beim Zahnarzt noch irgendwie verständlich ist, spektakulär hingegen, wenn der Frauenarzt einem jovial auf die Schulter haut und sich erkundigt, ob der Nachwuchs wohlauf ist. Gottlob erscheint bald ein Licht am Ende des Tunnels dieser Düsternis, um nicht zu sagen ein Scheinwerfer, der mit Myriaden Lumen den Weg zum einzigen, wahren Nabel der Welt weist. Weil da kann der gesamtrestdeutsche Großkapitalist seinen Weihnachtsmarkt wegen verkürztem Advent so früh aufmachen wie er will, im zuchtundordentlichen Nürnberg wird prologisiert am Freitag vor dem ersten, basta und adveniat! Nachdem wir uns alle als Dosenheringe verkleidet und in Senf und Glühwein gebadet sowie die Hälse verrenkt und den ein oder anderen Kindergummistiefel sorgsam aus dem eigenen Auge geklaubt haben, statt ganz entspannt im Seitengasserl oder gar BR eifrig darauf zu warten, ob uns bittebittenichtendlicheinmal so ein Christkindlein ein klitzeklitzekleines minibisserl Verhaspler gönnen könnt, man tät’s ihm wirklich nachsehen, dem Engerl, und in die Annalen eingehen tät’s doch auch sogleich, hat das Leben des Nürnbergers endlich wieder einen Sinn. Urplötzlich zum Leben erweckt wünschelrutet er sich nämlich nach vollbrachtem Tagwerk hinein in den Hauptmarkt anstatt mit letzter Kraft auf ein Kanapee, wobei den Klugen die über den Straßen schwebenden, zu bizarren Leuchtformen gewundenen Kunstmose den Weg weisen, den ganz Gewitzten die Schilder für die Busse, die den Touri fröhlich jauchzend mittenhineinkarren ins heilige Bohei. Ach das klingt jetzt problematisch. Pardon. Dort angekommen widmet er sich dem Studium des Glühweinzyklus, der weit weniger kompliziert ist als der der Zitronensäue, dafür ungleich kostspieliger. Wie genau die Wunderformel aussieht, erklär ich gerne nach der nächsten Maus, jetzt findet ihr’s mal selber raus. Und was sich reimt, ist immer gut. Kleine Anleitung zum Beliebtmachen am Rande: Prolog auf dem Hauptmarkt im Beisein möglichst vieler Freunde delizieren. Sicherstellen, dass um 17.30 jeder eine volle Tasse in der Hand hat. Diese bei jedem von der Empore tönenden „Ihr Herren und Frauen“ glücklich prostend aneinanderstoßen. Motzenden Touristen mitteilen, sie hätten ja nicht herkommen brauchen. Einheimischen auch. Toi toi toi! 

Freitag, 24. November 2017

Tag der Enttäuschung

Es gibt so Tage. In deren Verlauf man von Minute zu Minute weiter schrumpft, bis man am Ende ein so kleiner Haufen Elend ist, dass man sich nichts sehnlicher wünscht, als dass der Tag bittebitte nur endlich vorbei sein möge. Diese Tage kommen mit relativer Häufigkeit im November vor, was erstens naheliegend ist und zweitens insofern äußerst günstig, als so ein Novembertag doch vergleichsweise frühzeitig vorbei geht, was man immer dann merkt, wenn man sich bei finsterster Dunkelheit im fertigen Abenddress, bestehend aus einem flauschigen Strampelanzug, Fleecesocken und Privatfrisur auf der Couch für die Tagesschau einfindet, um dann festzustellen, dass es eigentlich erst 17 Uhr und bei genauer Betrachtung eigentlich noch gar nicht wirklich zu spät für Erledigungen und gesellschaftliche Betätigungen ist. Es stellt sich alsgleich eine Enttäuschung ein, und damit endet der Tag, wie er sich gestaltet hat: enttäuschend. Morgens sieht man dabei zu, wie sich die Frühstücksleinsamen den gleichen eigenwilligen Weg suchen wie später die ölige Salatsoße: statt ins vorgesehene Gefäß hinein nämlich lieber daneben, vorzugsweise in mit Lappen schwer zugängliche Regionen wie Arbeitsplattenritzen. Man stellt fest, dass die Gangschaltung des Fahrrads eingefroren ist, verpasst den Bus, darf im nächsten Knaben beim Dönerfrühstück beiwohnen. Im Büro gibt’s statt Schwarzem oder Grünem Tee nur Kaminzauber und Vanilla Cheesecake, aus dem daraus resultierenden nervösen Jucken auf der Oberlippe entwickelt sich ein Mordsherpes, denn die Rettungssalbe liegt daheim. Dass Schuhekaufen immer eine gute Idee ist, stellt sich spätestens dann heraus, wenn man statt zehn Minuten Weg 45 Minuten Stau hinter sich gebracht hat und dann auch die dritte Verkäuferin erklärt, es gebe dieses eine Wunschmodell wirklich in allen Farben des Regenbogens, nur nicht der gewünschten, und die nächste, dass es urplötzlich beim fünften Mal leider nicht mehr geht, ein bestimmtes Teil ohne Quittung zu reklamieren und durch ein neues zu ersetzen. Eine Email teilt mit, dass die heißersehnte Taschenbestellung sich erneut in der Lieferung verspätet, vor der Haustür haben Elefanten defäkiert, beim Bäcker gibt es nur noch Dinge mit Rosinen, der Mediathekfilm darf erst ab 22 Uhr angeschaut werden, und im fortfolgenden scheint die einzige Rettung darin zu liegen, endlich Omas Sauerkrautsuppe zu kochen. Um viel Aufwand später zu erkennen, dass die Maßeinheit „1 Glas“ für Weinbrand in der Spezifizierung vielleicht noch verbesserungswürdig wäre. Immerhin: Mit einem winzigkleinen Schwips trägt sich so ein Tag der Enttäuschungen gleich viel wohliger zu Grabe. Also Bette. Da bleib ich am besten auch gleich, weil schließlich ist dieses Wochenende eh schon wieder alles sehr traurig. 

Freitag, 17. November 2017

Drei Affen

Am Sonntag wird im Volk endlich mal getrauert. Der ein oder andere mag jetzt die alljährliche Platte der Beschneidung der persönlichen Freiheit durch garstiges Tanzverbot auflegen, doch seien all jene an dieser Stelle daran erinnert, dass man vergleichsweise selten mitbekommt, dass jemand sich an einem Ostermontag, Tag der Arbeit oder zweiten Weihnachtsfeiertag trotzig auf den Boden wirft und danach verlangt, Kirche und Staat bitteschön voneinander getrennt zu halten. Jetzt also ein stiller Feiertag, hochoffiziell, was mir grade recht kommt, weil das Volk trauert von sich aus nämlich offensichtlich eher wenig. Dabei hat es allen Grund. In den kommenden Woche wird es ausnehmend viel um Ausländer, also Nichtdeutsche gehen. Ein Franzose hat uns schon heimgesucht, die Kinder ihm dankend den Weg erhellt und eifrig die Taschen aufgehalten. Ein Türke wird bald kommen, für die einen im Gewand einer US-amerikanischen Coladose, für die anderen – Österreicher, Bayern, Kroaten, Italiener und viele mehr – in Begleitung des Krampus, der, hoffentlich, dem ein oder anderen gehörig den Hintern versohlen wird. Folgen werden ein Israeli, dessen Existenz zwar nur peripher bedeutend, aber doch nicht ganz unwichtig ist für das lebkuchenglühweinduftende Lichtergeschenkbohei, das unübersehbar grade Anlauf nimmt, sowie gewisse Afrikaner, Perser und Syrer, denen der Bürger hierzulande seltsamerweise nur zu gern die Türe öffnet statt sie zu vertreiben, weil schließlich gehört sich das so, dass dann die Initialen auf dem Türstock prangen, was sollen sonst die Leute denken. Christus segne dieses Haus. Das hat sich auch die AfD gedacht und pünktlich zum Beginn des Ausländerreigens ihren höchsteigenen Liebesbrief verteilt. Der heißt „Deutschland Kurier“, und so wie man erst meint, die „Titanic“ habe expandiert, so schnell darf man feststellen, dass in dem Gratispapier gar nicht mal so viel Witziges versteckt ist. Bis auf die bebilderte Komplettvorstellung der 92 „endlich wieder eine Opposition“-Abgeordneten, die man möglicherweise dereinst noch fürs „Ich bin kein Nazi, aber“-Bingo verwenden möchte. Nun ist es nicht das erste Mal, dass eine Gratiszeitung zweifelhaften Ursprungs und Inhalts einfach so im Postkasten steckt, ohne dass man sie bestellt hätte. Die BILD macht sowas dauernd. Ebenso dauernd jedoch barst die (soziale) Medienlandschaft vor Empörung, Wut und guten Tipps, wie sich dieser scheußlichen Hetzzeitung postwendend zu entledigen sei. Und jetzt? Seit bald acht Wochen warte ich, dass einmal einer aufsteht und sagt: Freunde, jetzt langt’s, jetzt packen wir’s mal an. Stattdessen muss ich dauernd wichtig lesen dass ein jede Frau auch schon einmal von einem Mann anzüglich angeschaut worden ist. Es ist halt einfach, couchlagernd in ein Telefon „Ihr seid nicht das Volk!“ hineinzutippen. Aber langsam muss man vielleicht sagen: Ihr aber anscheinend auch nicht. Sondern die drei Affen, das geht auch mit dem Handy. Wenn das so ist, kann man den Volkstrauertag ja abschaffen. Oder anstatt übers Tanzverbot zu maulen ein bisschen nachzudenken, wie das jetzt eigentlich alles so weitergehen soll. 

Freitag, 10. November 2017

Sparschwein

Wie so oft an einem schönen Donnerstagnachmittag bin ich in maximaler Eile, hab ich doch aus Gründen der Prokrastination dringend meinem Lieblingshobby nachgehen müssen: dem Einkaufen. Um genau zu sein: dem Retournieren, aber das setzt naturgemäß ja einen Einkauf voraus. Beseelt vom Wahnsinnsglücksgefühl, das sich einstellt, nachdem ich Pfandflaschen zurückgegeben habe, streife ich durch die schöne Welt der Nutzlosigkeit und werf mal dies, mal jenes in den Einkaufswagen, wohlwissend, dass ich das meiste davon daheim nicht mehr besitzen, sondern schnellstmöglich wieder zurückgeben möchte. Schuld daran ist wie an so vielem eine Bank, hat die mich doch frühkindlich darauf geprägt, dass es wenig Schöneres gibt, als monatelang zu entsagen, nicht jeden, sondern nur jeden zweiten Tag die sauer erbettelten Taschengeldkröten in Süßkramtüten zu investieren, und stattdessen einmal jährlich mit stolz geschwellter Brust eine Summe unbegreiflicher Höhe aus einem Sparschweinbauch herauszutrümmern, um diese umgehend in ein rotes Buch eintragen zu lassen. Eine Angewohnheit, die ich bis heute beibehalten habe. „Es gäbe möglicherweise auch lukrativere Möglichkeiten der Geldanlage“, lästert eine Freundin gerne, „als Monat für Monat einer Stromgesellschaft Unsummen sinnlos in den Rachen zu werfen“, und palavert dann von Zins und Zinseszins und Dividenden. Wie herzlich egal mir das doch ist, denn ich weiß, dass es kaum Befriedigenderes gibt als die magischen Worte „mithin sind zuviel entrichtet“ sowie die alljahresendliche Ausschüttung meiner persönlichen Gewinnsumme. Wird der Stromanbieter frech und entscheidet eigenmächtig über eine Abschlagssenkung, sehe ich mich und meinen Frieden bedroht und veranlasse umgehend die sofortige Wiedererhöhung desselben. Weiters entledige ich mich tagtäglich aller Münzen ins gute alte Sparschwein hinein und trag das stolz wie anno dazumal auf eine Bank, um schwer gespannt dem Münzrattern zu lauschen und in kindlichen Jubel auszubrechen. So auch also die Retoure, zu der sich der sportliche Ehrgeiz gesellt, von der Rückgabe ausgeschlossene Produkte sehr wohl zurückzugeben. Dieser Wettkampf hat heute eine neue Stufe erklommen, reichte der Warenhändler meines Vertrauens doch zu jedem 10-Euro-Einkauf ein Rubbellos mit Wahnsinnspreisen. Meine Stunde war gekommen: Waren umtauschen UND dabei, todsicher, gewinnen! Nun, was soll ich sagen? Fünf Stunden später hab ich Hausverbot, dafür aber immerhin astrein eine VR-Brille gewonnen. Die restlichen Sachen geb ich dann vielleicht lieber ein andermal zurück. Und trage derweil mein Sparschwein ins Wochenende. „

Freitag, 3. November 2017

Die große Plage

Es war einmal eine edle Jungfrau, die beging einen schlimmen Fehler: Sie sandte eine Depesche aus. In der war zu lesen, welch garstige Kreaturen Spinnentiere doch seien, und wie viel schöner die Welt wäre ohne das achtbeinige Gezücht. Selbstsüchtig und hochmütig war die edle Jungfrau, und so verbreitete sie die Kunde im ganzen Land, schlug sie an schwarze Bretter und Kirchtore und wollte nichts lieber, als dass die Nachricht einen jeden erreiche. So auch den lieben Gott, der wie immer freitags freudig nach seiner Lieblingslektüre blätterte, wohlwissend, dass er sich von seinem wolkig-weichen Kanapee eh nicht wegbewegen würde. Heute aber sprang er auf. „WAS?“, zürnte der liebe Gott, und die Englein stoben furchtvoll auseinander. „Wie kann sie es wagen, dieses Weib? Jedes meiner Geschöpfe hat seine Existenzberechtigung!“ und der liebe Gott schwor sich, der edlen Jungfrau eine Lektion zu erteilen. Arglos spazierte diese in die Welt, durchwanderte die schöne Schöpfung, zählte Bienchen, pflückte Blümchen, aß Kirschen und las Pilze. „O seht nur, ein Fuchs!“, rief sie aus und verharrte leise, um das scheue Tier nicht zu vertreiben. Das aber ruhte still. „Nanu, du liebes Füchslein, schläfst du wohl?“ schlich die Maid ans Tier heran und verstummte im Schreck. Nicht der sanfte Schlaf war es, der den Fuchs in seiner Umarmung hielt, sondern der Tod, mit dem das Tierchen tanzte und rang, von Zuckungen gebeutelt. Dicke Fliegen umschwirrten den Sterbenden, lauernd sich im Pelz festkrallend, auf dass endlich die Eier hineingelegt werden und die madige Brut sich am Fleische laben könne. Tränenblind stob die Jungfrau davon, zu schwach, um das Tier zu erlösen. Zu dumm, um das Zeichen zu erkennen. Der liebe Gott aber lehnte sich bequem zurück und wartete ab. „Du wirst schon sehen …“ grummelte er in seine Kuschelwolke hinein. Und die Maid sah. Eine Spinne erst, die wurde sorgsam hinaus getragen, eine weitere dann, und noch eine. Dann eine Fliege. Winzigklein, und doch so lästig, und die Maid zerschlug das Vieh und vergaß es. Bald aber kamen immer mehr Fliegen. In der Küche erst, dann in der Kemenate, in der guten Stube und unterm Waschzuber. Bald lag eine Fliege im Honig, bald eine im Wein. Bald fand sich eine unter dem Bettfell, bald kroch eine andere aus einem Buch hervor. „Fliegen, Fliegen, überall Fliegen!“, wunderte sich die Jungfrau und zerquetschte sorgfältig eine nach der anderen. Doch der Strom riss nicht ab. Fortan war die Jungfrau begleitet von Fliegen. Die gingen mit ihr zur Arbeit, die kauften mit ihr Schuhe. Die winkten bald, aus dem Gasthausmahl, bald wechselten sie den Fernsehsender. Und Gott lachte. „Bitte!“, rief die Jungfrau endlich aus. „Wo sind denn all die Spinnen? Ich brauche Spinnen, die sich laben an den Fliegen und fett und rund werden und mich bewahren vor dem Schwarm!“ Und Gott legte schmunzelnd die Füße hoch, schickte Spinnen, und alle waren’s zufrieden. Fortan lebten die edle Jungfrau und die vielbeinigen Tierchen in Eintracht und geteiltem Glück. Ob sich die vielen Füße jedoch auch als von Vorteil beim Bodenwischen herausgestellt hat oder es zu Krawallen am Schuhregal kam, ist bislang nicht überliefert. 

Freitag, 27. Oktober 2017

Fußvolk

Heute Morgen bin ich seit längerem einmal wieder quer durchs schöne Frankenland gefahren. Es handelt sich hierbei eher um ein gefühltes als ein reelles Wissen, das ausschließlich auf den zwei Tatsachen beruht, dass ich an Ort A in ein Auto hinein- und an Ort B aus diesem wieder hinausgestiegen bin und daraus schlau schussfolgere, in der Zwischenzeit aktiv einen Ortswechsel vorgenommen zu haben. Gesehen habe ich in der Zeit nämlich akkurat eins, nämlich: nichts. Was dem, so sprach das kluge Bildungsradio, sogenannten „Hochnebel“ geschuldet war, was ich für einen meteorologisch-psychologischen Trick zur Rettung der Reststimmung der Gesamtbevölkerung halte, die sich mutmaßlich umgehend sofort nach einem Strick umschauen würde, konfrontierte man sie in gleichhoher Frequenz mit dem Wort „Tiefwolken“. Denn nichts anderes war’s, was ich da durchschneist habt. Hier und da war die Autobahn hübsch dekoriert, leuchtend Rot vorzugsweise, was sich bei genauerem Hinsehen stets herausstellte als leider nicht von den Herrschaften von der Autobahnunterhaltung arrangiertes Ornament, sondern verunfalltes Wild. Auch wenn es für den letzten unermüdlichen Optimisten wieder etwas überraschend kommen mag, so ist dann jetzt halt doch mal Herbst, was unter anderem bedeutet, dass sich in Edeleinrichtungsgeschäften mit rot-gelbem Emblem die lustigen Hallooweenartikel mit denen für den selbstgebastelten Adventskalender um die Auszeichnung für größte Geschmacklosigkeit kloppen. Jetzt mag so manch einer alsgleich in große Trübsal verfallen und zu lamentieren beginnen, die Platte vom Auswandern auflegen et cetera, mir doch bedeutet die kalte Jahreszeit das größte Glück. Nämlich werde ich ab sofort verschont von des Menschen schlimmstem Körperteil: dem Fuß. Schwere Zeiten liegen hinter mir, in denen ich andauernd mit fremder Extremität konfrontiert worden bin. Gelbe Zehen, verwachsene Nägel, schrundige Fersen, blätternder Lack. Hammerzeh, Platt-, Senk- und Spreizfuß. Stolz wie Bolle wird die schlimme Sache in der Gegend umeinanderpräsentiert, anstatt sie dort hin zu stecken, wo sie hineingehört (vgl. Schuh, geschlossener), und als wäre das nicht schlimm genug, muss die Quadratlatsche auch andauernd noch fotografiert werden, weil sie gar so wohlgeraten ist. So sitzt der Mensch schwer atmend im vermeintlich geschützten Raum, will sagen: daheim, wo er sich vor der Podophilie in Sicherheit gebracht hat, sucht Zerstreuung in diesem Internet, und was muss er sehen? Füße im Sand, Füße auf Wiese. Füße in Booten, Himmeln, Flussläufen, Eisbechern, Grilltellern. So viel Gänsehaut kann überhaupt kein Mensch ertragen. Jetzt aber kehrt wieder Ruhe ein in die geplagte Seele. Die kalte Jahreszeit ist der Freund. Und hoffentlich lang genug, um all die scheußlichen Anblicke zu vergessen. 

Freitag, 20. Oktober 2017

Peeptoes

In unserer schönen Stadt geschieht gerade absonderliches: Die Straßencafés explodieren vor Besuchern, die wie jedes Jahr die letzten schönen Tage aufsaugen wie ein großer Schwamm, nicht ohne sich dabei andauernd gegenseitig zu versichern, dass es schließlich Oktober, die warme Witterung daher ungehörig und selbstverständlich dem Klimawandel geschuldet sei, aber wenn man dann doch bitte gleich den Heizpilz anschalten könne, Herr Ober, super, danke. Bienen und Wespen ringen um die letzten Blütenstäube, Spinnen bleiben verwirrt auf Türschwellen stehen, und abends zwitschern die Vögel wie im schönsten Maiglückchen. Tagsüber erkennt man den Langschläfer geschwind am leichten Gewand, den Frühaufsteher daran, dass er eselsgleich bepackt mit Koffern voller Jacken, Schals und Handschuhen durch die Hitze streift, die in schweren Stiefeln verpackten Zehen linsen neidisch zur Sandale am Nebentisch, sind jedoch am Abend fein raus, weil „wenn die Sonne weg ist, wird’s schon frisch“. Ein wichtiger Satz dieser Tage. An Wichtigkeit und epochaler Bedeutsamkeit nicht zu überbieten aktuell ist ein Kleidungsstück, das  sicher zu den wundersamsten in unseren Breiten gehört. Nämlich: die Daunenweste. Die wirklich unsinnigste Erfindung überhaupt, so ähnlich, als würde man lammfellgefütterten Winterstiefeln Peeptoes verpassen. Auf dass die Knöchel warm, die Zehen aber blaugefroren seien. Wo ich’s grad so hinschreibe, fällt mir ein, dass es das sicher schon gibt. Ich will’s gar nicht wissen. Für Daunenwesten gibt es pro Jahr exakt zwei Tage und an denen exakt drei Stunden, in denen eine Daseinsberechtigung besteht. Die Innereien warm geschützt, die Ärmchen frei für all die wichtigen Herbstaktivitäten, denen man solcherart praktisch gewandet uneingeschränkt nachgehen kann. Nämlich: im Straßencafé sitzen. Jetzt Problem: Man kann 363 Tage im Jahr Daunenwesten für das dämlichste halten, was die Modewelt je erfunden hat, weil was soll das sein, Jacke ohne Ärmel, schwitzen in der Mitte, frieren außenrum, Schneehosen gehen ja auch eher selten nur bis zum Knie. An exakt genau den übrigen beiden Tagen aber sitzt der Mensch im Straßencafé, friert im Shirt, schwitzt in der Winterjacke, blickt neidisch an den Nebentisch und denkt sich: Ja Mensch, so eine Daunenweste, das wär’s jetzt, und eilt bei nächster Gelegenheit zum Kauf der selben, auf dass sie im Anschluss 358 Tage im Schrank verstaube und bis zur nächsten Einsatzmöglichkeit vergessen werde. Kein Wunder, dass so viel Glücksgefühl herrscht grad in der Stadt: Das ist der Jubel der Daunenwesten, die endlich einmal aus ihrem Schrank herausdürfen. Da hol ich doch meine gleich mal mit dazu. Stopft sich auch gleich viel besser in die Handtasche, so ein Westchen. Auf auf! 

Freitag, 13. Oktober 2017

Maskaaara

Seitdem ich im Café wohne, habe ich viel Zeit, über mein Leben nachzudenken. Es ist ein Leben voller Enttäuschungen und Entbehrungen, voller Verzweiflung und Ratlosigkeit, vergeblicher Suche und unerhörter Hilferufe. Kurz gesagt: Es ist ein Leben der „Dinge, die aus dem Sortiment genommen worden sind.“ Als echte Nestbeschmutzerin hasse ich Handtaschen und den Kauf derselben ungefähr genau so inbrünstig wie den Erwerb von Kosmetika. Habe ich einmal ein Produkt gefunden, bin ich zufrieden und glücklich und möchte fortan nichts anderes mehr verwenden. Nun trägt sich leider ständig zu, dass auf dem Markt der Gesichtsdekorationsmittel andauernd das Rad neu erfunden werden muss, und gutgläubig wie ich bin, fällt mir eher selten ein, vom Lieblingsprodukt einen Lebensvorrat zu erstehen. Über kurz oder lang bin ich also zur Nachschubsbesorgung verdammt, um dann stets erkennen zu müssen, dass es den Kajal / Lippenstift / Nagellack meines Urvertrauens nicht mehr gibt und ich mich durch Myriaden von Artikeln testen muss. Oft lege ich mich dann in Embryonalhaltung auf den Regalboden und hoffe, dass jemand anderes mir was raussucht und zuwirft. Diese Praxis hat sich im Alltag als eher wenig zielführend erwiesen, und so muss ich zuweilen dann doch selbst ran. Dreimal Versuchsabbruch, weinend. Denn ungefähr das schlimmste nach dem Erwerb eines neuen Deos ist der einer Wimperntusche, die, so lehrten mich viele verächtliche hochgezogene Kosmetikfachverkäuferinnenaugenbrauen, natürlich Maskaaara heißt und deren Erwerb das Durchhaltevermögen wie zur Luhmann-Lektüre erfordert, mit dem Unterschied, dass man ohne vorgenannte gut durchs Leben kommt. Ohne Wi… Maskaaara nicht. Beim ersten Lesen durch die Regale noch emotionslose Ungläubigkeit: The Colossal Big Shot, The Colossal Go Extreme!, Push up Drama, Push up Angel, Great Lash, The Colossal Smoky Eyes, The Colossal Spider Effect, The Rocket Volume Express, Supersize False Lash, Supreme Lash, Supercurler, Supreme Lash Fresh (mit Gurke!), Supreme Lash Volume Colourist, Volcano, Volcano Precise, Volcano Extra, Volcano Deluxe, 5-D Star, Push Up Neoprene, Glam Deluxe, Upper Lower Lash Shine Skinny … Ja, es sind alles Namen für Maskaara. Langsam steigt hysterisches Glucksen in den Hals, das sich verstärkt beim Studium der zur Auswahl stehenden Bürstchen, kurz unterbrochen wird von einer kleinen Dame, die mir mitteilt, dass ich im Weg stehe, indem sie mir eine Packung Klopapier in die Kniekehlen pfeffert. Ich kippe vornüber ins Regal und kann so nah die Farben auch gleich viel besser lesen. Suche „Schwarz“. Ganz einfach, sollste meinen, doch weit gefehlt: black, very black, intense black, richest black, luxurious black, black drama, dangerous smoky black, lift up black, turbo boost very black … Werde hysterisch lachend vom Sicherheitsdienst vor die Tür getragen. Gehe wieder in mein Café und schmiere mir Blaubeerkuchen auf die Augen. Auch hübsch. 

Freitag, 6. Oktober 2017

Spinnerei

Heute Morgen konnte ich fast beinahe ungefähr überhaupt das Haus nicht verlassen. Man kennt das von Menschen, die hypersensibel und völlig überarbeitet sind, da geht das ganz plötzlich eines Tages zack!, kommst nicht mehr aus der Tür und musst dich fortan auf dem Boden in Embryonalhaltung gekrümmt selbst wiegen und wimmern, bis zufällig jemand kommt und dich findet und rettet. Ganz genau so war das bei mir auch. Also es war nämlich so, dass ich um 8.30 in megamotiviert die Tür aufgerissen hab und die zweite Hälfte meines Tagwerks angehen wollte, dann jedoch direkt versteinert bin und kein bisschen Fuß über eine Schwelle hab tun können. Weil da hat das Böse gelauert, das arachnoide. Es ist fei wirklich überhaupt gar nicht so, dass ich prinzipiell was gegen Spinnen hätt. Ich find die super, beispielsweise hinter Panzerglas oder ausgestopft. Oder wenn sie sich gemütlich von einer Blume abseilen. Oder wenn sie ganz arg friedlich oben an einer Klodecke wohnen. Oder wenn sie Weberknecht heißen und ein bisschen dumm sind und dauernd ein Bein verlieren. Überhaupt kein Problem. Aber jetzt ist halt so, dass ich so einem superfeinen, urfränkischen Hexenhaus aufgewachsen bin. So mit ganz viel Natur außenrum. Und in dem Superhaus hat’s nicht nur mir gut gefallen, sondern auch den Spinnen, und zwar den mordsekligen fetten mit den haarigen Rücken und Haxen, weil „die wollen halt im Winter auch lieber ins Warme.“ Jetzt ist so, dass ich für sowas prinzipiell schon Verständnis hab, aber das halt auch seine Grenzen hat. Zum Beispiel, wenn man morgens ein Auge öffnet und dann über einem hängt so ein achtbeiniger Batzen und glotzt dich aus 37 schwarzen Kugeln an und du siehst ganz genau wie der Batzen überlegt, ob er nicht auch lieber in einem Bett liegen möcht. Oder du rückst das Kanapee ein bisschen vor und so schnell kannst du gar nicht kreischen wie das braune Teil dir über den Fuß flitzt. Oder es hängt halt dauernd eins fies an einer Wand herum und hat die Angewohnheit, wenn du’s einfangen willst, sich einfach mit Effet fallen zu lassen. Oder, spezialfies: Hab ich mal eine Picknickdecke gewaschen, mit allem Pipapo. Die dann auf die Leine, und am nächsten Tag so „sakradi, hängt da immer noch ein Zweigerl“, und das dann wegpopeln wollen und auf einmal entfaltet sich das Zweigerl und rennt dir mit allen acht Beinen über die Hand. Contenance wird überbewertet. Jetzt weißt du aber also, dass sehr wahrscheinlich der Türwächter dermaßen saublöd auf der Schwellenkante sitzt, dass er überallhin türmen wird, bloß nicht ins Einfangglas. Was also tun? Genau: abhauen und den Feind aushungern. Seitdem sitz ich im Café um die Ecke. Auch schön. Irgendwie. 

Freitag, 29. September 2017

Unterhosen

Donnerstagmittag. Ich wie immer in schrecklicher Stresssituation den Kopf gegen eine Wand schlagend, weil vorgenannte Abrissbirne vor allem ein schwarzes Loch ist, das zwar Themen und Ideen aufsaugt wie ein Schwamm, diese aber nicht oder nur äußerst ungern wieder ausspuckt. Oder um es mit Robert Smith zu sagen: Thursday watch the walls instead. Und als wäre nicht eh schon alles schlimm genug, besitzt auch noch dieses Facebook, mein vermeintlich treuer Begleiter in allen themensuchenden Lebenslagen, die Chuzpe, mir als Vorschlag fürs Wochenende nicht etwa eine fancy Vernissage, ein fettes Konzert oder eine unfassbar coole Geheimparty vorzuschlagen, sondern einen Spielenachmittag für Senioren. Und da soll man dann geistreich und wortgewandt sein, wo man eigentlich mit gebrochenem Herzen eine Zeit der inneren Einkehr herbeisehnt. Wobei es jetzt nicht so ist, dass ich mich inhaltlich nicht mit vorgenannter Zielgruppe identifizieren könnte. Das führt mich jedoch so elegant wie direkt zu einer Lästerei im Unterhosensegment. Eine kurze Umfrage im Umfeld hat nämlich ergeben, dass sich da bei den Herren der Erschöpfung lustiges zuträgt: Jahrzehntelang trägt der Jungmann Boxershorts vom Durchmesser eines herkömmlichen Badehandtuches und wehrt Nachfragen, ob das nicht mühsam sei, immer dieses viele Stoffgewurschtel in der Hose ordnen zu müssen, lässig ab. Mit der Zeit scheint dann die Erkenntnis zu kommen, dass so eine enganliegende „Pants“ irgendwie doch praktischer, und nach und nach werden von dieser nicht nur die Beine enger, sondern auch kürzer, bis der Mann von Welt eines Tages nonchalant akzeptiert, dass Slips das einzig Wahre sind und man sich von den bisherigen Vorurteilen zur Großvaterunterhose nachdrücklich distanziert. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, wann Boxershortfans von damals die Stringtangaträger von bald sein werden. [Es gibt übrigens auch noch etwas namens „Jock“. Eine Haftung meiner Person für mögliche Schäden beim Googeln dieses Wortes ist hiermit ausgeschlossen.] Bei Frauen ergibt sich interessanterweise ein umgekehrtes Bild. Kaum der Blümchenunterhose entaltert, wird zum Stringtanga gegriffen. Der zwickt zwar überall und sitzt nie richtig, muss aber halt. Angeblich. Dann irgendwann Sinneswandel: Während die spitzseidenen Fadenprodukte immer weiter unten im Schrank verschwinden, gesellen sich immer hautbedeckendere und –schonendere Gewebe zur Sammlung, und über kurz oder lang will man nichts lieber, als sich in eine möglichst den ganzen Hintern umhüllende weil wärmende Baumwollschicht zu schmieren, die im besten Fall noch bis über die Nieren reicht wegen einer neuerdings auftretenden Tendenz zur Blasenentzündung. Und mit dieser fühl ich mich auch gleich wieder bestens aufgehoben beim Seniorennachmittag. Was ihr nachts macht, ist mir wurscht. 

Freitag, 22. September 2017

Stromlos

Noch mehr Neues vom Pubertier! Als ich letzthin erzählt hatte von der Schockstarre der Erlebnisgefahr, hab ich einen Punkt verschwiegen, der mutmaßlich ausschlaggebend gewesen wäre. Nämlich, dass die Jugend gezwungen war, den Abend unter Verzicht auf das Allerheiligste zu verbringen, das Elixier des Lebens, das Manna der Welt: das Smartphone. Wegen ein bisschen dumm war’s wichtig, beide Akkus mit einander whatsappen und wichtigen Spielen zu entleeren und so sah man sich dann vom Umstand eines schwarzen Displays ohne Powerbank frappiert. Weil man sich also hätte ver- und damit Gefahr laufen können, mich nicht herbeiwhatsappen zu können, zog man es vor, gar nicht erst zu gehen. Und entspricht damit einer Behauptung, die meine Lehrerfreundin schon lang vertritt: „Die sind heut so: Wenn ich ein Problem nicht mittels Smartphone lösen kann, dann löse ich es eben gar nicht.“ Um diese Hypothese zu verifizieren, hab ich neulich einen Versuch im Freibad aufgebaut. Die Jugend war schwer erschöpft. Zwei Stunden schwimmen, rutschen, Speckbrettl spielen, Staudämme bauen und das Bad erkunden – das kann schon anstrengen, wenn man den Erwachsenen dauernd dabei zuschauen muss, derweil man doch nur vergeistigt auf der Decke liegen möcht. Um dieser erneuten Zumutung zu entwischen, beschloss das junge Paar schlau, einen von uns lästigen Aktivisten möglichst weit entfernten Platz zu beziehen. Noch schlauer befand es, es würde uns nicht auffallen und gar ein Verbot nach sich ziehen, wenn der Umzug zwar vor unseren Augen, jedoch schweigend vonstattengehen würde. Verwundert hab ich ihnen nachgeblickt und mich gefragt, ob in den verwirrten Hirnen tatsächlich der Glaube herrscht, ich hätte den Umzug jetzt nicht bemerkt. Ich: maulig. Gruppenkompetenz gleich Null, Social Skills eben so, was wäre, wenn ich jetzt dann hätt das Bad verlassen mögen?! Jetzt Experiment: Was die können, können wir schon lange, und Umzug mit Sack und Pack in einen Schatten – 50 Meter weg vom ursprünglichen Ort. Dann Spannung: Was wird geschehen? Ich denke, ich hätte folgendes getan: Absuchen des kompletten Bades, zurückkehren zum alten Platz, heulen, vom Bademeister gefunden werden, Eltern ausrufen lassen, Rettung. Doch weit gefehlt! Nach einer Stunde: Erscheinen der Eminenzen auf der Versuchsbühne. Kurzes Umblicken. Innehalten. Handy klingelt. Handy klingelt. Whatsapp. Ansteuern einer Treppe, ermattetes Fallenlassen. Warten. Nach zehn Minuten nochmal umblicken. Sitzend. Handy klingelt. Starre. Dann zündende Idee: erheben, loslaufen und – den Kiosk ansteuern, der weithin sichtbar eine Gyros-Box anpreist. Betreten der Restauration. Verschwunden bleiben. Nach weiteren 30 Minuten Auflösung des Experiments. Man habe doch angerufen und das ganze Bad abgesucht und dann davon Hunger bekommen. Natürlich. Es erfolgte dann eine kurze Einweisung in „Sozialkompetenz: Basiswissen“, „Stromlos glücklich: überleben ohne Handy“ und „Elektrische Fußfessel versus Rückholleine – Pubertät gegen Menschenrechte“. Demnächst Praxistest. Bericht folgt. 

Freitag, 15. September 2017

Kindergeburtstag

Also früher Kindergeburtstag. Da hat man doch immer so Spiele machen müssen, gell? Also ich zumindest, weil da war nix mit Gruppenausflug zu Mäcces oder in ein Hüpfland oder zum Gemeinschaftszocken. Da wurde noch im Wald geschnitzeljagdet und dann verlaufen und Geschrei und Knie aufschürfen und schlimm und Zeug. Also bei anderen Kindern jedenfalls, bei mir nich, wegen Winterkind und da im Schneegrau bei Minus zehn Grad halt doch auch nicht so richtig juheissa bei der Schnitzeljagd, außerdem findet ja kein Mensch die Hinweise mehr wegen der Schneewehe. Jetzt wollt ich nur „Wehe“ schreiben und hab mich dann gewundert wegen der Mehrdeutigkeit. Aber „Otter“ ist auch so und macht mit „Kreuz“ und „Fisch“ ganz andere Sachen. Also jedenfalls weiß ich das noch, weil bis heut jährlich das Klagelied ertönt, wie eine gewisse Person in nächtelangen Mühen pädagogisch wertvolle Geburtstagsspiele vorbereitet hat und der undankbare Kindermob alles links liegen gelassen und stattdessen den ganzen Nachmittag „Der rote Stier jagt die Einhörner“ gespielt. Sorry, Mama! Eh glaub ich, dass das Kind diese Spieldinger überhaupt nicht sehr zu schätzen weiß, weil sind wir mal ehrlich: Am Ende allen Einsatzes steht halt immerzu eine Schokolade oder ein Würstel, und da arbeitet so ein Achtjähriger wohl gemeinhin eher zielorientiert, möchte ich jetzt mal forsch behaupten. Das ganze Potential an Peinlichkeit erschließt sich so einem gefräßigen Zwerg doch überhaupt nicht, und es ist ihm schnuppe, ob er hernach klatschnass oder in Mehl getunkt ist, Hauptsach, der Belohnungskinderriegel schmeckt. Beim Altmenschen hingegen, mein lieber Scholli! Der Gedanke an einen Haufen sogenannter Erwachsener beim Kinderquatsch bereitet mir so großes Freude, dass ich kurz ein Tränchen des Glücks wegdrücken muss. Stell dir vor, du lädst, sagen wir mal so 20 bis 30 schön mit beiden Beinen im Leben stehenden honorige Personen ein, und dann so an der Tür „Schön dass du da bist!“ und dann Clownsnase und Partyhut und ich hab da mal was vorbereitet und ab geht die Luzi, weil was ich leider versäumt hab auf die Einladung zu schreiben ist dass das Motto „Kindergeburtstag“ ist. Und dann schaust du zu, wie die Amtspersonen als Blinde Kuh auf dem Boden umeinanderkriechen und Füße statt Töpfe schlagen, Würstel schnappen, einen Apfel aus einem Wasserbad nur mit dem Mund herauszufischen versuchen, mit kompletter Wintersportausstattung Schokolade aus einer zentimeterdicken Verpackung rauswerken und sich beim Sackhüpfen einer nach dem anderen auf die Schnauze elegantet. Man müsst nur ganz vielleicht gleich zu Beginn eine große Runde mit sehr viel Wodka versetzter Götterspeise reichen, dann seh ich da überhaupt keine Probleme. Nur halt ganz vielleicht hernach die Notwendigkeit einer Grundsanierung. Haha! Das ist so saugut, ich muss sofort feiern! 

Freitag, 8. September 2017

Kanapee

Wie der geneigte Leser möglicherweise zur Kenntnis genommen hat, verfügt die verehrte Zeitung derzeit über eine Leiharbeiterin, deren zauberhafter Charme im Schriftlichen wie auch Persönlichen möglicherweise auf den unüberhörbaren Zungenschlag ihres Herkunftslandes zurückzuführen ist. In errlichstöm Fronzösischdeutsch parliert die junge Dame, so dass du gar nicht anders kannst, als umgehend dahinzuschmelzen. Nun trug sie neulich an mich heran, dass bei aller Wunderbarkeit, die sie in und über Nürnberg erführe, auch die Wunderlichkeit sich daruntermische, dass der Einwohner sich französischer Wörter bediene, und das habe sie, nein wirklich, so nicht erwartet, dass da andauernd ein „Merci!“ in sie hineintrötet. Hab ich gleich einmal sagen müssen, dass die von ihr gewählte Betonung selbstverständlich völlig falsch ist und bitte statt eines fließenden „Mörsieee!“ ein gemütliches „Mersse!“ zu wählen sei, mit stampfender Betonung auf der ersten Silbe. Nachdem wir das ein paar Mal und unter großer Beachtung des Außenrums geübt hatten, hab ich angehoben zu einem umfassenden Referat über die Verbreitung des Französischen im Bairischen und dass da aber ein Nord-Süd-Gefälle herrsche, das zum einen auf den Neid des absolutistischen Münchners auf den Sonnenkönig zurückzuführen ist, dessen Glanz halt schon auch gern in der Hauptstadt hätt gesehen werden wollen, und ein bisserl mehr glänzen kann man hier und dort, wenn man sich der jeweils hippsten Sprache bedient (vgl. heute: Denglisch, das). Im nächsten Schub brach ein Männlein von kleiner Statur, doch größtem Ego in die blauweißen Landen und gab ihm schnell den Rest. Seither trägt der Bayer und auch, obgleich bedauerlich wenig, der Franke den Franzosen ganz tief in sich, zumindest, was die Linguistik angeht. Aus einer Zeit, aus der der Franzose auch sonst gern in eine Deutsche eingedrungen wär, stammt möglicherweise das Wort „Fisimatenten“ – in solche nämlich ward am End gebracht, wer der abendlichen Einladung des charmanten Besatzers ins Zelt folgte: „Visitez ma tente!“ Seitdem blamieren, schikanieren oder tratzen wir uns, fluchen „Sakradi!“, kaufen ein Billet, laufen auf dem Trottoir, holen ein Kuvert aus dem Portemonnaie, rufen den Gendarm und manchmal, da pressiert’s uns sauber. Mir jetzt beispielsweise pressiert’s runter vom Sofa – das ab sofort bitte sehr royal „Kanapee“ genannt werden möchte. Auf welches ich mich jetzt lege, mich dabei, um alsgleich ein neues Wort falsch einzuführen, von Decke, Ingwertee und womöglich dem saisonersten Kürbisgericht akkompagnieren zu lassen und dem Wochenende ein fröhliches „En garde!“ entgegenzuschmettern. Hätt ich jetzt gern noch ein schlaues frankophones Schlusswort dahergezaubert, doch fühl ich mich von all der Schlaumeierei schon ganz malad, und schlepp ich mich besser leis zurück aufs Kanapee. Au revoir und habe die Ehre! 

Freitag, 1. September 2017

Puberliebe

Neues vom Pubertier! Dem ja mittlerweile, ich bedauere das irgendwie, sogar ein Film gewidmet ist, doch davon ahnt es genau so wenig wie von seiner Zeitungsprominenz, sind ja keine Emojis auf dem Plakat. Zum 18., hab ich mir gedacht, ist vielleicht ein guter Anlass, um die gesammelten Werke zu übergeben. Bis dahin darf es ruhig und vermeintlich unbeobachtet vor sich hin gehirnbaustellen, weil alles andere würde womöglich den Versuchsaufbau beeinflussen. Und das kann ja keiner wollen. So. A propos ruhig. War’s ja gewissermaßen zuletzt um den Halbling. Besorgte Nachfragen um sein Wohlergehen konnte ich stets beschwichtigen, so auch jetzt, haben wir doch seit nunmehr einem halben Jahr einen Freund. Ich sage bewusst „wir“, weil der Freund nicht von der Seite des Tierchens weicht, was freilich schön ist, gewissermaßen aber auch langweilt, ergibt sich doch aus diesem Umstand nach langjährigem Scheitern jedweder Maßregelungsversuche endlich eine probate Repressalie. Nach „Handyverbot? Mir doch egal.“, „Fernsehverbot? Wen juckt‘s?“, „Hausarrest? Dein Pech!“ zeigt allein die Androhung einer Kontaktsperre mit dem Burschen meist ganz erstaunliche Wirkung statt Tobsuchtsanfall, was neben dem überraschenden Erreichen des Klassenziels („Entweder du reißt dich jetzt zusammen oder gehst über die Sommerferien in Klausur.“) auch allerlei andere Wunderlichkeiten nach sich zieht. Die Pubertiere nämlich sind sich selbst genug. Verlangte das Kind früher dauernd nach Bespaßung und Partizipation, so stellt nun ein gemeinsames Abendessen eine ausgesprochen lästige Unterbrechung des Ganztagstelefonats dar – das übrigens in Form eines Austausches von Voicemails statt eines profanen Dialogs stattfindet. Wenn nicht miteinander gehandyt wird, so wird etwas unternommen. So zumindest heißt es im Jargon. Denn die dem Pubertier zueigene Faulheit, pardon: Dauerschwäche potenziert sich. Man liegt gemeinsam auf der Couch, gemeinsam im Bett, gemeinsam auf dem Boden, vereint im Weltschmerz der allgemeinen Gesamtungerechtigkeit, die sich in empörenden Aufforderungen wie „Kommt ihr zum essen?“ manifestiert. Hab ich sie damals auf die Blaue Nacht mitgenommen. Gesagt: Los, rumräubern, Sachen entdecken, Mist bauen, was auch immer! In drei Stunden wieder hier. Hättest von mir früher höchstens noch eine Staubwolke gesehen. Also: gesagt, getan? Denkste! Das junge Elend verbrachte den Abend in Demutshaltung, nämlich zu unseren Füßen liegend, schweigend leidend unter der Zumutung der Aufforderung, etwas zu erleben, womöglich gar ein Abenteuer. Unerhört! Zum Glück geht die Schule bald wieder los, das gibt Struktur und man muss schon nur noch den halben Tag gegen schlimmen Freizeitzwang von außen kämpfen. 

Freitag, 25. August 2017

BrotZeit

Ein Jahr ist es jetzt genau her, dass ich meine neue Wohnung bezogen habe. Seitdem ist alles ganz wunderbar. Keine gestörten Bonzenstudenten feiern mehr 24-Stunden-Parties, kein wahnsinniger Nachbar renoviert seit 20 Jahren sein Haus, niemand stößt mehr zu nachtschreienden Zeiten in ein Horn oder anderswo hinein, und anstatt der Feuerwehr rückt nur noch der Rettungsdienst mehrmals täglich aus. Es gibt Tage, an denen kein Gärtner eine Hecke stutzt, solche, an denen die ordnungsverwirrte junge Dame unter mir Wohnungs- und Balkontür geschlossen hält und ich mal die Fenster aufmachen kann, und das musikalische Nachwuchstalent irgendwo über mir darf gegen 22 Uhr ins Bett gehen und entsprechend seine Exerzitien auf einem der fünf so inbrünstig wie erfolglos zu bewältigenden Instrumente einstellen. Ich freu mich schon, wenn bald wieder damit begonnen wird, Weihnachtslieder auf der Gitarre zu misshandeln. Am allerschönsten jedoch ist, dass ich nicht mehr täglich um Punkt sieben Uhr von einem Presslufthammer geweckt werde, der gleich einem Panzer durch mein Bett und mich aus diesem heraus fährt, sondern es nur noch eine klitzekleine, entzückende, aufreizend nette Omi ist, die mir den Schlaf raubt. Und da kann man halt nichts machen. Jeden Morgen zwischen 6 und 7 Uhr geruht – nein: gelärmt die sympathische ältere Dame nämlich, eine Brotschneidemaschine direkt in meinen Schädel einzustecken. Dank der Architektur der ineinander verschachtelten Häuser ist ihr das ein Leichtes. Im Anschluss werden akkurat und deutlich vernehmbar zwischen zwei und vier Scheiben Brot geschnitten. Die Omi frühstückt, ich bin wach. Montag, Freitag, Sonntag, ob Regen oder Sonnenschein, lass mich bloß nicht schlafend sein. Manchmal verpasse ich den Zauber dieses Augenblicks, dann bin ich traurig und fühl mich leer. Hin und wieder, weil ich halt schon aufstehen hab müssen, dann würd ich gern gegen die Wand klopfen und sagen, huhu, alles gut, du kannst trotzdem broteln. Meist aber, weil die liebe Omi vermutlich ganz arg ordentlich ist, oder zornig, man weiß es nicht, und deswegen spezialgerne im Morgengrauen mit Geschirr herumwirft. Tja. Was soll man da also machen? Jüngeren Menschen tät man alsgleich das Fell über die Ohren ziehen, eh klar. So jedoch greift der gleiche „Respekt vor dem Alter“-Reflex, der mich auch im Bus hat vom Sitz aufspringen lassen, sobald ein U-Hu eingestiegen ist, obwohl ich mit frisch geschnitztem Knie selbst hätt eher liegen sollen. Vielleicht bekleb ich einfach die Trennwand mit Eierkartons. Davon gibt’s vermutlich grad recht viele, und die halten Schallwellen ab und sehen dabei auch noch saugut aus. 

Freitag, 18. August 2017

Kinderquatsch

Beseelt von der aufrichten Anteilnahmen nach letztem Freitag, den liebevollen Glückwünschen und interessierten Nachfragen, die ich nach einem genüsslichen Schluck kühlen Biers freilich nur zu gerne beantworten wollte und nur hoffen kann, dass auch wirklich jeder, der mich am Wochenende gesehen hat beim sehr unschwangeren Auftreten, die Chuzpe und Geistesgegenwart besessen hat, mich lieber einmal selbst zu fragen anstatt das Sofa bis zum Ende durchzulesen, hab ich alsgleich lauter schöne Dinge unternehmen müssen, um herauszufinden, wie das eigentlich so ist, wenn man nicht nur Mutter vieler hübscher Tomaten, sondern eines Menschenkindes ist. Begonnen hab ich die Expedition mit dem klugen Einfall, an einem Sonntagnachmittag ein Freilandaquarium zu besuchen. Zum Einstand hat mir ein Knirps, der halt gefunden hat, dass er viel wichtiger in eine Glasscheibe hineinschauen muss als ich, zärtlich mit dem Hinterkopf die Nase gebrochen und dafür das angemessene Lob seiner Mutter erhalten. Zum Abschied hab ich einem anderen den wohlwollenden Hinweis erteilt, dass wenn eine Schlange schläft, das dann bedeutet, dass sie lieber schlafen gelassen werden möchte anstatt ohne Unterlass an die Bettstatt getockert zu bekommen. Dankbarer Blick einer Oma, immerhin, wo doch nebenan ein vermeintlich ausgewachsenes Exemplar Mensch sich daran erheiterte, wie eine dumme Schildkröte nach ihm schnappte, wann immer er ans Schaufenster schlug. Nächste Station: Minigolfanlage. Derweil ich lockerflockig meinen sogenannten Gegner besiegte und mich an seiner Schmach ergötzte, zwischendurch siegerfahnenschwenkend das Areal umrundete und kurze Tänze des Triumphs aufführte, führte sich ungefähr ein jedes Kind auf, als sei’s der einzige Mensch der Welt – ein Umstand, der ihm vermutlich elternhausseitig vermittelt wird. Spielregeln kennen wir nicht und betrachten es außerdem als unter unserer Würde, uns an solche zu halten, die „Bitte Fläche nicht betreten“-Schilder können wir nicht lesen, weil wir die Buchstaben C bis Z noch nicht gelernt haben, und unsere Eltern auch nicht, aber wir können ganz ausgezeichnet brüllen wie am Spieß, wenn wir anstatt uns zu bemühen halt schon wieder einmal verloren haben und zum Dank des darauffolgenden Ballverschlagens überraschenderweise nicht noch ein Eis bekommen. Als letzte Station fand ich mich an einem Spielplatz ein, der zu meinem Entsetzen voller Sand war, sogleich ich dann auch, als könnt man das nicht einfach alles hübsch betonieren. Als ich mich wieder ausgegraben und in Unweite ein Telefonat zu führen hatte, krachte mir unversehens mit Effet ein Skateboard in die Hacken. „Das macht gar nichts“, hab ich freundlich reagiert, „ich steh hier ja auch wirklich sehr ungünstig als einziger Mensch weit und breit auf dem Riesenplatz“ und hätt fastbeinahe dem süßen Fratz den Kopf gekrault, bevor ich merkte, dass es sich dabei um die Mutterperson gehandelt hatte. Meine Umschulung zur Kindergärtnerin muss ich vielleicht doch nochmal überdenken. Oder mit meinen Tomaten besprechen. 

Freitag, 11. August 2017

Mutterschutz

„Befinde mich ab sofort im Mutterschutz!“ hab ich neulich verkünden dürfen und in der dafür erforderlichen Depesche ein Bild verschicken, bei dessen Anblick mein Herz auch heut noch Purzelbäume schlägt vor Glück. Deutlich darauf zu erkennen nämlich ist ein winzigkleines Rund von so atemberaubender Schönheit, dass alles andere nicht mehr wichtig ist. Noch nur eine Andeutung vom späteren, rosigen Dasein, die entzückenden Ansätze der bald zu sehenden Pracht des Lebens, das schon schier pulsiert vor Freude. Wie lang hatte ich darauf gewartet! Ab sofort, wurde mir alsgleich empfohlen, dürfe ich nicht mehr schwer heben, müsse mich in eine Art Krankenstatus begeben, Literatur wälzen, das Internet auslesen, um ja nichts falsch zu machen, schließlich sind Mutterfreuden eh nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, und die späten schon gleich gar nicht. Seitdem bewege ich mich vorzugsweise nur noch in höchstens einem Radius von hundert Metern um meine Wohnung herum, treffe lieber kaum mehr Verabredungen, und wenn ich einer doch nicht aus dem Weg gehen kann, verabschiede ich mich unter Vorwänden frühzeitig nach Hause, nachdem ich stundenlang am als Spaßgetränk getarnten Alkoholfreien genippt habe. Man muss ja schließlich fit bleiben und ist nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch fürs schutzlose, neue Leben, das da hängt an seinem Mutterkuchen und damit auch an mir. Die Mühen, die Entbehrungen, ja völlige Selbstaufgabe haben sich gelohnt. Mein Nachwuchs wächst und gedeiht, tagtäglich beglückt er mich mit neuen Regungen und Entwicklungen. Meine Lieblingsbeschäftigung ist freilich jetzt, ins Fachgeschäft zu fahren, nichts ist mir zu teuer, kein Weg – mit dem Auto zu bestreiten, freilich. Fahrrad? Viel zu gefährlich! – zu weit, nur das Beste ist gut genug für meinen ganzen Stolz. Was freilich nicht ausbleibt, ist der unvermeidliche Rat sogenannter erfahrener Mütter. Doch da hör ich lieber gar nicht hin, schließlich weiß ich selbst am besten was uns gut tut. Und die Wirklichkeit gibt mir recht. Mehr und mehr werden es, meine kleinen, wunderschönen Kinderchen, immer röter werden sie und praller, manche gar gestreift. Platzen könnte ich vor Glück, gar nicht mehr aufhören kann ich, hinzuglotzen. Doch wie das so ist mit Müttern und gar denen von Mehrlingen, kann ich um ehrlich zu sein einen gewissen Stress nicht von der Hand weisen, gilt es doch jetzt, die Bedürfnisse von so vielen unterschiedlichen Individuen zu erfüllen. Wer braucht wann wie viel Wasser, kriegen alle genug Sonne ab oder gar zu viel, muss ich düngen, ausgeizen, schmutzige Witze erzählen?  Immerhin werden bald wir alle gleichermaßen auf eine harte Probe gestellt: Eine einwöchige Trennung steht bevor. Bin mir nicht sicher, wer davon mehr Schaden genommen haben wird. Werde berichten. Jetzt muss ich weg. Der Gießplan sagt, ich bin schon eine halbe Stunde überfällig. 

Freitag, 4. August 2017

Kein! Gewitter!

Menschenskinder, hab ich da neulich ein Gewitter erlebt! Gewummst hat’s bis zum sauberen Tinnitus, die Blitze haben sich eingebrannt bis übermorgen in die Netzhaut, Baumverbiegungen hat’s gegeben wo du neugierig sagst, schon auch schön, so ein Gummibaum, wie lang das wohl noch hält? Und ein Regen wie unterm schönsten Freibadmassagestrahl. Der Wahnsinn, was ich da gesehen hab. Also auf einem Video von einem Menschen von ein bisschen außerhalb. Weil ich selbst kenn dieses „Weltuntergang“ eigentlich eher nur so vom Hörensagen, oder vielleicht einmal mit viel Glück von aus einem Urlaub, vorzugsweise dann aber von aus einem Campingzelt, wegen Feeling und Realness. Das ist aber gut so, weil sonst tät ich sagen müssen, dass „Unwetter“ fei eine nostradamus’sche Scharlatanerei ist, die’s in Wahrheit überhaupt gar nicht gibt. Leb ich schließlich auf der Insel der Glückseligen, wo man schon sehen kann, dass hier und da so eine ausgewachsene Gewitterfront uns anvisiert, sich dann aber lieber denkt: „Nein, also hier im schönen Nürnberg, da geh ich doch nicht runter, spinn ich denn? Da bieg ich lieber vorher links ab oder auch einmal nach rechts herum und veranstalte da ein Mordsunheil.“ Dann schebert’s angeblich im Norden und im Süden, manchmal auch schon vorher im Westen, da kommt’s ja schon meistens immer her, dieses sogenannte Unwetter, von dem immer alle reden, und dann ganz aufgeregt und „amtliche Warnung“ mit ganz vielen Ausrufezeichen und „bitte fei lieber nicht aus dem Haus“ und dann Apokalypse und es wird umeinandergerannt und geräumt und Balkonmöbel festgezurrt und der Biergarten lieber gleich ganz zugelassen und der Badeausflug verschoben und den ganzen Tag im Türstock gesessen. Also wenn man nicht schon ein bisschen länger Nürnberger ist, dann macht man das so. Der Altgediente hingegen hockt sich superentspannt in ein Draußen und schaut hier und da nach oben und ganz vielleicht zieht er einmal kurz den Plastikponcho an, damit ihm die fünf Nieseltropfen nicht die Frisur ruinieren. Wenn sich eins sorgt ob der Nonchalance, dann lacht er heiser auf und sagt „Gewitter? Ich bitte dich. Wir sind in Nürnberg.“ Und dann kriegt er freilich recht, und sogar auf dem Regenradar kannst zuschauen, wie so ein glutrotes Trum von links auf uns zurast, und dann so kurz vor der Insel der Glückseligen wird scharf abgebremst und sich entweder direkt aufgelöst oder halt eben vorsichtshalber abgebogen. Warum genau das so ist, hat mir bis heut niemand ausreichend erklären können oder mögen. Aber es ist mir schon auch ein bisschen gleich, weil so lang ich mordsentspannt zuschauen kann, wie sich ein schwarzer Wolkenbruch über mir teilt wie das Meer einst um Moses herum, bin ich glückselig auf meiner Wetterinsel. Das muss jetzt nur noch der Wetterbericht auch einsehen und mit der „amtlichen Warnung“ vielleicht ein bisschen dezenter umgehen. So a bisserl Regen ist fei nämlich was anderes als ein Mordsunwetter. Ich hab’s gesehen. Auf dem Video. 

Freitag, 28. Juli 2017

Tatort Dialekt

In meinem wahnsinnig prominenten Schaffen hat sich’s neulich zugetragen, dass ich dem wahnsinnig prominenten Regisseur Max Färberböck begegnen durfte. Also in Wahrheit hab ich aus Sitzreihe fünf seinen Ausführungen gelauscht. Aber der Glanz ist bis hinter zu mir abgestrahlt. Jetzt Moment, ihr wisst eh wieder nicht, von wem ich sprech. Der Herr Färberböck ist der helle Geist, der beispielsweise den großartigen Film „Aimee & Jaguar“ gezaubert und zuletzt den Alptraum vieler Franken realisiert und ihn „Tatort“ genannt hat, wo man sagt, ja mei, so ein heller Regisseursgeist, der verausgabt sich halt vielleicht auch einmal und dann kommt halt sowas dabei raus nach 20 Jahren. Der Herr Färberböck hat sich beim Vortrag aber vor allem verausgabt, indem er episch ausgeführt hat, wie sehr er den Franken schätzt, den Liebreiz und die Herzlichkeit und die Stärke der Frauen, die war ihm spezialwichtig, und wie er sich hineinverliebt hat in uns hier, und da versteht man dann schon ein bisschen, dass bei so viel Begeisterung für ein Völkchen man das Bedürfnis entwickelt, ihm ordentlich eins vor den Latz zu knallen, also dem Volk, wegen sonst Größenwahn, und deswegen lieber Filme zu machen, wo der Franke als besonders deppert und unsympathisch rauskommt. Also Satire, quasi. Ganz besonders herausgehoben hat der Herr Färberböck außerdem den irrsinnssympathischen Zungenschlag des Mittelfranken, und das war schön, weil da ist dir dann auf einmal klargeworden, wieso er so viel Wert darauf legt, den irrsinnssympathischen Zungenschlag bei jeder sich nicht bietenden Gelegenheit besonders zum Zuge kommen zu lassen. Musst ich ihn gleich einmal befragen, weil ich das so nett find. Wie das so geht mit dem Dialekt, und wie er das so laufen lässt, wollt ich gerne wissen, und hab gehört, dass der Herr Färberböck, der übrigens ein Oberbayer ist und deswegen auf dem Gebiet des Fränkischen mit seinen so hauchfeinen Unterschieden, dass ausschließlich der Eingeborene zu hören vermag, ob er mit einem Nürnberger, Fürther oder gar gräußlichen Oberfranken parliert, von Natur aus eh sehr firm, also dass der das immer einfach ganz natürlich laufen lässt und deswegen weiß, dass alle Mimen immer und die ganze Zeit ausschließlich ganz natürlich sprechen würden und deswegen alles hernach immer ganz natürlich klingt. Und dass wenn ein Darsteller oder eine -in einmal wie in der schönsten „Mondebuldschano-Wallbollidschella-Binogrridscho“-Übung und dann 50 Minuten Theaterhochdeutsch und dann lieber nocheinmal etwas einflechten muss, das klingt wie „Rrrindsbulliong“ oder „Rriffllblech“, dass das dann alles nur ganz natürlich wär. Ganz beseelt von diesen olympischen Worten also im Sinne von vom Olymp zu mir herabgesprochen war ich. Und umso mehr gefreut hab ich mich jetzt, wie ich eine ganz natürlich fränkisch Sprechende im Film dabei erwischt hab, wie sie ganz natürlich geniederbayert hat. 

Freitag, 21. Juli 2017

Sommerduft

An einem dieser schönen Eintagssommertage, die es hier grad immer mal wieder im Sonderangebot gibt, war’s so, dass ich mit dem Radl umeinanderschlawanzt bin um die Mittagszeit und nach einer Mahlzeit Ausschau gehalten hab. Also nicht dass es mich grad schlimm verlangt hat nach einer, aber interessiert hätt’s mich schon. Das Interesse hat aber dann bald rapide abnehmen müssen und sich mit einem dringenden Gefühl einer bevorstehenden Magenausstülpung konfrontiert sehen, weil je mehr ich hingeschaut hab nach da, wo Menschen Mahlzeiten eingenommen haben, desto greißlicher ist mir geworden. Also jetzt mal abgesehen davon, dass „Zwaa Jägermeister, und dann lässt nochamal bidde die Luft aus meim Bilzglas!“ womöglich nicht direkt in Einklang geht mit den Empfehlungen des Bundesgesundheitsministers zur adäquaten Wasseraufnahme bei großer Hitze, geht für mich mit letztgenannter einher, dass man sich von bestimmten Nahrungsmitteln tunlichst fernzuhalten habe. Sitzen die also in der Gluthitze und krachen sich Döner, Schäufele und Grillplatten ins Gesicht, dass es eine wahre, also nicht natürlich, Freude ist. Aber gut, ich mein, nach meinem wirklich stets wenn überhaupt dann nur sehr zurückhaltend geäußerten Dafürhalten sollte es ja gesellschaftliche Konsense geben über das friedliche Zusammenleben in einer aufgeheizten Phase über 30. Also Grad Celsius. Die Ü30-Gesellschaft also habe bitte umgehend darauf zu verzichten, Vanille-Duftbäume in Autos herumzufahren und mittels geöffneter Fenster neben hipper Chartmukke einen allgegenwärtigen Geruch von Weihnachtsbackstube zu verbreiten. Weiters ist spätestens jetzt für alle Liebhaber schwerer Parfums, deren Produktion eigentlich seit dem Milleniumswechsel eingestellt sein sollte, wie „Joop Homme“, „Gaultier Le Male“ sowie weibliche Varianten, die Zeit gekommen, einzusehen, dass man sich für das Tragen dieser … Düfte … ähnlich zu schämen hat wie beim Zahnarzt, wenns zum Frühstück noch schön Zwiebelaufschnitt mit Aioli gab. In der U-Bahn lassen wir den Arm unten. So Zeug. Jetzt kannst du sagen, das ist ja aber alles Zeug, was wegen Luftdings mehr Menschen betrifft und deswegen Rücksicht, da kann dir doch sauber egal sein, ob ein Einzelmensch bei Ü30 ein greißliches Winterfutter in sich reintut. Das ist freilich ein bisschen richtig. Aber … Aber! Was mir eher einleuchten würde, wär, wenn einer sagen tät: Du, das ist halt vielleicht so wie im Arabien mit dem heißen Tee, den trinken die ja da auch wegen Abkühlung dann irgendwie, vielleicht funktioniert das mit dem Döner und dem Schäufele auch so, und in Wahrheit bist du die Angeschmierte. Darauf wüsst ich dann jetzt auch keine schlaue Antwort. 

Freitag, 14. Juli 2017

Bamiflü

Dass der Adlatus einfach stehengeblieben war, das hab ich erst nach ein paar Metern gemerkt. Umgedreht hab ich mich dann und irritiert in zwei Augen geschaut, die glaub ich aber schon noch sehr viel irritierter in mich hineingeschaut haben. „Was hast du da grade bitte gesagt?“ wollte man wissen, und ich hab in die Drogerie gesonnen, in die ich grad hineingehen hab wollen, und nachgedacht und wiederholt: „Na dass ich da noch schnell hab hineingehen wollen und eine wasserfeste Wimpi kau… oh“, hab ich mich unterbrechen müssen und bemerken, dass mir da scheint’s ein sehr seltsames Wort aus sehr längst vergangenen Kindertagen über die Lippen gehuscht war. Eine Wimpi, das war früher das, was wir heut elitär „Mascara“ nennen und nicht wissen, ob es die oder der heißt, Hauptsache das erwachsene Wort benutzt. Früher, da hatten wir viele Wörter, die sag ich heut schon auch noch aus Versehen, aber wenn dann eigentlich nur in Verbindung mit ironischem Gelächter und den Freundinnen von damals, die auch noch die von heute sind. Damals, da hatten wir wichtigeres zu tun als uns mit Wörtern aufzuhalten, deswegen war’s wohl erforderlich, alles so kurz zu schrauben wie möglich, und zudem mit einem Klang zu versehen, der den Wörtern den Schrecken der Realität zu nehmen vermochte. Wir schrieben morgen eine „Schulze“ und mussten dann noch „Hausi“ machen, wir wurden ins „Seki“ gerufen und wenn’s blöd lief auch zum „Direx“. Wir brauchten einen „Bleier“ und hatten den „Ratze“ nie dabei, konnten uns an selbigem aber sehr gut morgens treffen, und taten noch in der Kollegstufe der Lehrerin kund, „sponti“ zu entscheiden, ob man gleich den Leistungskurs mit unserer Anwesenheit zu beehren gedachte. Und wenn, dann um erstmal nach der „Wimpi“ der Sitznachbarin zu verlangen. Heute haben wir eigentlich auch keine Zeit mehr, um ordentlich zu sprechen, nur ist uns der Sinn für die Weichheit und Sympathie der Akronyme verlorengegangen. Voller Härte und Verachtung spucken wir Brocken wie „Arge“ in die Welt, anstatt freundlich „Agemei“ zu sagen, „Ich hab Post vom Agemei“, da geh ich doch gleich viel lieber hin, und dass ein „Bamf“ nun wirklich keine herzliche Einrichtung sein kann, das hört wohl jedes Kind. Bamf. Pampf. Matsch. Quatsch. Ein „Bamiflü“ hingegen, da würde man doch gern einmal vorbeiradeln und vielleicht ein paar Hors d'œuvre dabei haben für alle oder Schnitten mit freundlicher Clownwurst. Vor einiger Zeit hab ich mit dem Bürgermeisteramt telefoniert wegen meiner Überlegung, einen kommunalen Außendienst zu installieren, die von der Stadtspitze freundlicherweise geteilt wird. Wegen proaktiv hab ich auch gleich eine gute Bezeichnung parat gehabt, mittels derer die Institution dem Volksmund geläufig gemacht werden könnte. Da war das Bürgermeisteramt dann doch gar nicht mehr so begeistert. Aber gut. Vielleicht wäre „Komadi“ wirklich freundlicher als „KomA“. 

Freitag, 7. Juli 2017

Bühnenoutfitwechsel

„Bei ihren Auftritten kann es vorkommen, dass sie ihre Outfits bis zu neun Mal wechselt“, hab ich einen jubilierenden Satz in einem eben solchen Artikel gelesen, wohlwollend nickend mich zurückgelehnt und mir gedacht: „Ja, so ist das manchmal“ und wieder ein bisschen mehr gefunden, dass die Helene Fischer und ich schon wirklich sehr viel gemeinsam haben. Wenn man nämlich von den Übereinstimmungen hinsichtlich Frisur und Gesangstalent absieht bleibt noch das mit den Klamotten. Und hey – easy. Früher, als ich noch in der schrecklichen Straße gewohnt hab, da hab ich mir oft wegen schwerem Narzissmus vorstellen müssen, dass also wenn an jedem Fenster ein sagen wir mal ohne diskriminierend werden zu wollen Rentner sitzt und hinausblickt wegen beispielsweise Verkehrsversündigung, dann kriegt der quasi inklusive einen ausgewachsenen Bühnenoutfitswechsel von mir zu sehen. Weil es gibt schon Tage, die sind so: Frühmorgens Haus verlassen wegen Arztbesuch; Kleidung: irgendwas. Heimkommen, Haus verlassen zum Sport; Kleidung: passend. Heimkommen, wieder raus kommen; Kleidung: Interviewtermin. Merken, dass zwischenzeitlich seit morgens Temperaturerhöhung um 15 Grad, also heim und kurz darauf wieder raus; Kleidung: Interviewtermin sommerlich. Rückkunft, später erneut Haus verlassen; Kleidung: casual sommerlich, sprich kurze Hose & Schlappen. Dann wieder heim weil wieder erinnert dass wenn Sonne weg dann frisch, also kurz darauf wieder raus und Kleidung: casual sommerlich-bedacht, sprich kurze Hose, Schlappen, Pulli und Beutel mit Socken. Voila! Jetzt war’s früher immer ein einsamer Spaß, weil hab ich mich nur mit mir alleine auslachen können wegen keine Balkone weit und breit und in die Fenster reinschauen schwierig. Jetzt müssen der Narzissmus und ich uns aber einer völlig neuen Situation stellen. Nämlich der, dass ich mich unversehens in einer Gegend wiederfinde, in der außer mir völlig unerwartet ausschließlich Privatiers zu wohnen scheinen, auf die bei Gelegenheit noch genauer eingegangen werden muss. Die Privatiers sind schwer damit beschäftigt, entweder zu balkonieren oder auf Bänken vor Häusern Meetings abzuhalten, um nächste unternehmerische Schritte zu besprechen. Kannst jetzt sagen: Ja, Wasmeierin, werden die schon anderes zu tun haben als dich in deiner Helenefischerei zu beobachten. Ich pariere: Neulich Zuruf vom Balkon auf mich herab von einem Menschen, ich schwör, mit dem ich noch nie ein Wort gesprochen hab geschweige denn mich vorgestellt. Er so: „Mensch Kati, du kommst auch nicht zur Ruhe, ha?“ Nee … 

Freitag, 30. Juni 2017

Radlerliebe

So. Wetter. Haben wir grade und irgendwie immer, und irgendwie immer wird schon irgendwas damit nicht passen. Jetzt grad beispielsweise. Oder letzte Woche. Seitdem wir aber ein Wetter haben, über das zumindest in einigen Teilen der Bevölkerung ein weitestgehend positiver Konsens herrscht, haben wir noch was anderes, und zwar nämlich Liebe und Harmonie im Straßenverkehr, weil jetzt sind wieder mehr Vertreter aller Parteien unterwegs und verbreiten untereinander gute Laune. Auto, Fußgang oder Rollstuhl ist egal, es wird kreuz und quer durcheinandergeherzt. Quasi heterogene Multiphilanthropie. Aber auch innerhalb der Peergroups spezialviel Liebe, zum Beispiel: Fahrradfahrer. Gibt’s ja solche, die fahren andauernd, und solche, die nicht so oft. Selbstverständlich ein mordsrücksichtsvoller Umgang jeweils miteinander. Kaum Klassenunterschiede, nein wirklich, das ist so eine feine Melange, eine Emulsion nachgerade, da merkst du keine Differenzen raus. Als Unbeteiligter. So aus dem Auto heraus, zum Beispiel. Da sitzt du nämlich in deiner Kiste und sprichst groß auf über den Fahrradfahrer als solchen, der eh klar zum Autofahrererzfeind erklärt wird, und machst dir gar nicht bewusst, dass da untereinander auch nicht alles Liebe was radelt. Gut zu beobachten ist das auf der Fahrradautobahn Wöhrder See – Meistersingerhalle, zum Beispiel. Da mischt sich alles, was zwei Räder hat, um sich inbrünstig zu verachten. Es gibt den Berufsradler, Kuriere beispielsweise, denen sind eh alle immer zu langsam, und wenn so einer auf dich zugerast kommt von hinten, machst du am besten die Augen zu stoßgebetest. Der hasst alle, wegen zu alles. Leicht zu erkennen an der Montur. Eben so leicht zu erkennen an der Montur ist der Sonntagsradler. Meist um die 65, ausgestattet mit dem feinsten, was der Stadler zu bieten hat, sowie einem „E“, radelt er eifrig umeinander und muss andere Personen belehren über Ein- und Zweispurigkeiten, düst an der grünen Ampel e-betrieben davon, produziert aber Auffahrunfälle an der nächsten Kreuzung, weil er ausgerechnet hat, dass hier gleich Rot ist, ergo Vollbremsung. Dann gibt’s die Spätzünder und Angstfahrer, die vom Radl springen, wenn man sie von hinten behutsam anklingelt oder den Überholmindestabstand von fünf Metern unterschreitet. Kindschauffeure, die um ihre Anhänger gern einen Stacheldraht und Dolche bauen täten, diesen Mangel dann durch Blicke ersetzen. Und noch viele mehr. Und dann freilich mich, die sich stets korrekt verhält und artig bedankt beim von hinten behutsam angeklingelten Fußgänger, der im Schrecksprung auf die Seite hechtet, um dort ein bisschen zu atmen. Ein Glück: Nachts sind alle Radler grau! Und jetzt hab ich wieder meinen Einsatz mit der „Internationalen Orgelwoche“ verpasst, zefixnocheins. Gut, dann halt nächste Woche irgendwas mit Vögeln. 

Freitag, 23. Juni 2017

Pubertanten

Als Tochter vergesse man gern einmal, dass die Mutter ja auch nur eine Tochter sei – so steht es in dem wunderbaren Buch „Altes Land“, das sich um die Generationenkonflikte vorgenannten Umstandes dreht. Was aber passiert, wenn die Tochter plötzlich zur Erziehungsperson der eigentlichen Erziehungsperson avanciert, nicht. Wie geschehen in Extremsituationen. Wie einer gemeinsamen Städtereise. Angetreten von einer offiziellen Tochter und zwei inoffiziellen „Nornen“, wie ich liebevoll zu sagen pflege in Anlehnung an die mystischen Hexengestalten, die kichernd Schicksalsfäden weben. Da findet man sich also unversehens sowohl in einer wildfremden Metropole als auch der unbekannten Situation wieder, sich Sätze sagen zu hören wie „Jetzt tu halt amal das Handy weg und schau aus dem Fenster!“, sich gleichzeitig über iPad-Fotografie der einen zu amüsieren und der anderen die Bedienung einer 20 Jahre alten Digicam zu erklären. Man überredet mit sanftem Nachdruck zwei spätabends vor Müdigkeit vom Stuhl fallende Damen zu einer Heimkehr, um sie dann dabei zu erwischen, wie sie im auf dem Weg liegenden Spätkauf statt der Flasche Wasser lieber eine solche mit Rotwein erstehen. Man geht nachtschreiend ins Bett und wird morgenschreiend davon aufgeweckt, dass sich dringend in aller Herrgottsfrüh über Haarstyling ausgetauscht werden muss. Man frühstückt figurbewusst nur ein Ei und drei Brotkrumen, begibt sich mit dieser kompakten Grundlage auf eine Wanderung über acht Stunden und 1500 Höhenmeter, lässt sich dann auseinandersetzen, dass Bier schon seit jeher in Bayern als Grundnahrungsmittel angesehen wird, deswegen drei davon eine Tagesmahlzeit vorzüglich ersetzen und der Wasserhaushalt damit einwandfrei in Gleichklang gebracht würde. Man lotst Damen mit Bierzeltstimmung klassenlehrergleich durchs fremde Straßenlabyrinth, bekommt dabei andauernd beschienen, dass man 1. vor Hunger sterbe und aber 2. eine Einkehr in ein Döner-Restaurant unter der damenhaften Würde sei und man 3. ausschließlich gourmetzuspeisen gedenke.  Man erwischt die wandelnden Renitenzen dabei, wie sie angereichte Wasserflaschen heimlich in Blumenkübel entleeren. Wie sie in der Pizzeria um 22.30 Uhr erst einmal eine Flasche Wein bestellen. Man spricht mit Engelszungen über Abflug- und damit einhergehende Aufstehzeiten, wird dann aber von fröhlicher Meute zum Wachbleiben bis kurz vor Reisezeit gezwungen. Man fühlt sich sehr alt. „Je oller, je doller“, so das Wiktionary, „drückt aus, dass manche Menschen mit zunehmendem Alter unvernünftiger werden.“ Ich sage dazu: „Und es ward geboren ein neues Wort: die Pubertante.“ Hältste nich aus. Also los! Die Nacht ist jung – im Gegensatz zu … mir. 

Samstag, 17. Juni 2017

Kindlewälzer

Gestern habe ich ein neues Buch zu lesen begonnen. Nicht dass das etwas allzu ausgefallenes wäre, geschieht nämlich ungefähr alle ein bis zwei Wochen, wegen weitestgehender Fernsehverweigerung wegen sonst Gefahr von Ausschlag, Epilepsie oder Weltschmerz. Buch also. Dass dieses Buch mich unversehens in eine Extremsituation katapultiert hat, in der ich mich erstmal zurechtfinden muss, hab ich mir beim Kauf so nicht vorstellen können, jetzt jedoch sah ich mich unversehens in der wundersamen Lage wieder, während des Lesens gleichzeitig Sport betreiben zu müssen, und das mögen jetzt vielleicht Leute wenig sonderbar finden, die auf Hometrainern Netflix gucken, ich für meinen Teil halt’s da aber wie mit der Trennkost: entweder-oder. Stolze 966 Gramm bringt der Wälzer auf die Küchenwaage, bei einer Dicke von sechs Zentimetern für meine Begriffe ein beachtliches Trum. Jetzt Haltungsprobleme. Hat schon mal jemand versucht, einen fastvollen Maßkrug auf dem Rücken liegend mit einer Hand im 45°-Winkel nach oben zu halten? „Mit Zittern“ güldet nicht und wär ja eh also wirklich, wer soll denn da lesen? Auf dem Bauch geht auch nicht, weil kein Mensch, also doch, vielleicht schon, aber ich nicht meinen Hals dauernd so weit nach oben umeinanderrecken kann, um auf die Spitze des Buchbergs schielen zu können, dass da nicht in kürzester Zeit ein bis sieben Wirbel einen Veitstanz aufführen. Freilich hab ich alte Amazone mich dem Kampf gestellt, um dann direkt am Morgen danach mit aus den Haltungsproblemen resultierenden Haltungsschäden schief und krumm in ein Rückenschulungsprogramm zu hatschen und dem schmerzverzerrten Gesicht im Spiegel dabei zu assistieren, die Rückseite wieder in ein einigermaßenes Gleichgewicht zu bringen. „Ich versteh beim besten Willen nicht“, merkt ein Brudermensch regelmäßig an, „warum du und deine Mutter euch nicht einfach ein Kindle zulegt.“ Alle Bücher der Welt auf 207 Gramm verteilt, ist ein Werk ausgelesen, beamt ein Klick drei neue hinein, die ganze Bibliothek stets in der Hosentasche. Da geht’s jedoch schon los mit der Crux: Ich will keine Bibliothek in der Hosentasche, sondern Papier um mich herum. Regale voll Erinnerungen, Stapel voll Gefühl, zärtliches Streichen über hunderte von Buchrücken, ein Vermögen voller Glück. Inmitten dieser Buchstabenarmada steht der Beweis: Seit gut einem Jahr besitze ich ein digitales Lesegerät. Einmal aus und an hab ich’s geschaltet, für später aufgeladen, ins Buchregal gestellt und dann gleich noch wieder in den Lieferkarton hinein, damit der glatte Kunststoff nicht so stört in der papierenen Optik. Und vergessen. Gestern ist’s mir kurz wieder eingefallen: Der Wälzer, der von Seite zu Seite immer schwerer wurde, den könnte man doch vielleicht ausnahmsweise mal … NEIN!! hab ich alle Artgenossen aus den Regalen schreien hören, das lässt du schön bleiben und kämpfst dich da durch. Du weißt genau, danach fühlst du dich gut! Wie Sport halt. So denn … Braucht jemand ein Kindle? Was ich allerdings schon verstehen könnte, wäre, wenn jemand meine gesammelten Werke als eBook … Naja. 

Freitag, 9. Juni 2017

Trennungsschmerz

Ich bin furchtbar aufgeregt. Mein Herz klopft, ich schlafe schlecht. Man darf intensive emotionale Bindungen einfach nicht eingehen, das hab ich schon immer gewusst, sonst droht über kurz oder lang ein großer Schmerz. Und obwohl ich mir das schon dauernd vormantraisiere, kann ich einfach nichts dagegen tun, dass mich die bevorstehende Trennung von meinen Babys aufs Äußerste beutelt. Eigens hab ich eine Pflegerin installiert, die muss sogar zum Probekümmern kommen und ist eigentlich eine Vertrauensperson, aber es hilft nicht, sie ist halt nicht ich. Nicht die Mama. Als winzige kleine, hilf- und schutzlose Würmchen hatte ich vor vier Wochen sechs zarte Pflänzlein zu mir nach Hause transportiert. Schon länger bin ich hauptberuflich Balkonière, habe ein karges Rechteck in einen grünen Dschungel verwandelt, auf dem alles wächst und gedeiht, was gleißende Hitze mag. Die Auswahl an Kräutern und „Ich pflanz einfach mal alles ein, was ich so finde, und gucke, was passiert“, wird ergänzt von meiner eigenen Minihecke, für die ich im festen Glauben, darüber, dass das eh nichts wird, und nach dem Motto „Viel hilft viel“ in einen Pflanzkasten Sämereien für circa 30 Quadratmeter Wiesenfläche ausgebracht habe und nun nicht nur einen sehr hübschen, einmeterhohen Sichtschutz, sondern bald auch einen Nebenverdienst als Floristin habe und meine eigenen Blumen zu pittoresken Sträußen winde. Und als wär ich nicht eh schon genug beschäftigt mit der Gärtnerei hab ich jetzt also auch noch eine Gemüseplantage: Tomaten und Paprika leben an der Stelle, an der vormals ein Besucherstuhl stand. Den ich aber nicht mehr brauche, weil ich keine Zeit mehr habe für Besuch. Muss nämlich pflegen. Und hätte ohnehin keine finanziellen Möglichkeiten mehr, den Gast zu verköstigen, geht doch alles Geld jetzt in die Pflege derjenigen Pflanzen, die ich dereinst in Gold aufzuwiegen gedenke. Allein der Ankauf aller Töpfe und Untertöpfe hat fast mich ein Monatsgehalt gekostet, mindestens jedenfalls so viel, dass ich mir dafür zwei Jahre lang fertige Tomaten hätte kaufen können. Dazu nur feinste Bio-Erde, eh klar, die so öko ist, dass es mich wundert, dass noch kein olfaktorisch aufmerksamer Nachbar die Polizei geschickt hat, um sich nach meinem Wohlergehen zu erkunden. Mein erster Gedanke morgens gilt den Kindern – haben sie die Nacht gut überstanden? – abends bring ich sie ins Bett. Singend. Meine Nebenkostenabrechnung hat sich mutmaßlich verzehnfacht im letzten Monat – für das, was die Kleinen saufen, nehmen andere dreimal täglich ein Vollbad. Ich hingegen dusche – einmal wöchentlich mit dem Wasser, das die Süßen übriglassen. Aber gell, es geht ja um das Erlebnis statt Ergebnis. Und jetzt erstmal das Überlebnis meiner Abwesenheit. Puh … „Tanz.Indie.Nacht“ (Stereo, Klaragasse), „Querbeat“ (KK, Königstraße), „Xylotrip W/Perel“ (Z-Bau, Frankenstraße), „Offset“ (Rakete, Vogelweiherstraße) und am Samstag „MUZ Sommerfest“ (Fürther Straße), „Scratch BBQ Open Air“ (Hirsch, Vogelweiherstraße), „4 Jahre Singleparty“ (T90, Flughafen), „Next Generation Bass“ (KK), „Not Another Saxo Beat“ (Desi, Brückenstraße), „King Kong Kicks“ (Stereo). Wenn’s von einem Balkon herzzerreißend runterschluchzt, bitte stehenbleiben und trösten. Im Zweifel ist’s ein Trennungsschmerz.

Freitag, 2. Juni 2017

Hummelnase

Hab ich neulich mein Auto gesucht. Wegen alte Dame und gelegentlich bewegen müssen wegen der Gelenke, ihr wisst schon. Also das Auto. Nicht mich. Hab ich das Auto lang gesucht. Weil muss man wissen, dass ich nicht in einer Gegend wohne, wo man sagt, ja schau, wie im Hollywoodfilm: immer ein Platzerl frei vor der Haustür, sondern eher so, dass man jedes Mal ein Kerzlein entzünden möchte, wenn man im Anwohnerareal auf einem Hektar überhaupt sich im Konkurrenzkampf „17 Parkplätze auf 784 Autos“ hat behaupten können. Bin ich also durch die Straßen geirrt und schier verzweifelt, weil hat mir einfach nirgendwo mein strahlend blaues Gefährt zugewinkt, und da kann man dann schon mal stutzig werden, weiß man ja nie, wo der Pole grad sein Unwesen treibt. Schließlich hab ich’s doch gefunden: Beim fünften Vorbeilatschen hat mein Hirn die wohlbekannte Form registriert, die jedoch in sattem Gelb sich präsentierte. Mit dem für Notfälle solcher Art neben mehreren Litern Frostschutz im Kofferraum lagernden Besen hab ich die Kiste dann ausgraben können und mit Hilfe von Spritzwasser auch die Frontscheibe erst in ein gelbes, gatschiges Massaker und schließlich halbwegs sichtfrei verwandeln. Mei, hab ich mir gedacht, dieses „Natur“, das ist schon eine schöne Sache. Einmal im Jahr wird uns gezeigt, was wir über den Rest der Tage gar nicht bemerken würden, nämlich, wie schön ein Leben ohne Pollenflug ist. Leg ich das Handy grad für zwei Minuten ab, muss es danach unter den Hochdruckreiniger sowie auch die Hand, die es umfasste. Die Sonnenbrille ist stets mit dem UV-Schutz „plus“ bezogen, in aller Klamotte hängt ein feiner Gelbstich und nicht nur auf meinem Balkontisch wogen sich sanft die gelben Dünen, sondern auch in meiner Wohnung, sprich unter meinen Fußsohlen, sprich kommst mit dem Saubermachen nicht mehr hinterher. Jetzt muss ich sagen: Gottseisgedankt gehör ich nicht zur Fraktion „Heuschnupfen“, diese armen Menschlein, die jetzt statt freudig auf der Frühlingswiese balgend sich im Keller verschanzen und auf den November warten. Jedoch muss ich sagen, auch meine weitestgehend gesunde Nase droht zuweilen einzubrechen, wie eine in den Aalzug gestellte Reuse schaufelt sie die Pollen nur so in sich hinein, dass ich mir vorstell, dass es innen in meiner Nase grad so aussieht wie am feisten Hummelhintern: Pul‘ ich ein bisschen dran herum, kann ich mir frischen Honig auf die Semmel schmieren. Ach, machen Hummeln ja gar nicht. Dann doch lieber Nutella. 

Samstag, 27. Mai 2017

Vatertagsvorabend

„Ich verstehe nicht“, wird grad deutlich hörbar und nicht zum ersten Male neben mir reklamiert, „was das mit dem Unsinn soll, dass man AN Feiertagen frei hat und nicht am Tag DANACH!“ Wo doch wirklich jeder wisse, dass AN den Feiertagen selbst sich derart verausgabt werden müsse, dass es im Anschluss eine Erholungsphase unabdinglich sei, siehe erster Mai. Und so wie am ersten Mai die Arbeit gefeiert wird, obwohl man grad gar keiner nachgeht, wird an der Himmelfahrt scheint’s gefeiert, dass man noch einmal davongekommen ist, mit dem Vatersein. Während der Muttertag bekanntlich dazu dient, der eigenen Frau Mama zu huldigen, sie einmal im Jahr zu umgarnen, ins nächste Café zu schieben und zumindest irgendwie den Anschein zu wahren, die Mutterschaft zu preisen, preist am Vatertag der Knabe weitestgehend sich selbst für seine ruhmreiche Existenz. Zumindest könnte man ganz vielleicht zu dieser sicher völlig falschen Annahme kommen, wenn man sich mal so ein bisschen anschaut, was da eigentlich so umeinanderfeiert an diesem Vatertag. Jetzt muss ich von weiteren gesellschaftskritischen Betrachtungen leider nachdrücklich Abstand halten, und auch jedwedem Soziologen und anderem Menschenforscher sei geraten, mit Erkenntnissen hinsichtlich der menschlichen Natur, die nicht ergeben, dass wir alle gleich sind, lieber hinterm Berg zu halten, haben doch jüngste Vorkommnisse irgendwo im fernen Norden gezeigt, dass wer die Wahrheit sagt, fürderhin besser ewig schweigen möge. Sag ich jetzt also nicht, dass egal ob Pöbel oder Akademiker, das Vatertagsgewese keinen Unterschicht, äh, Unterschied macht, nein, im Biere sind wir alle gleich. Wobei ich schon sagen muss, dass meine Vatertage seinerzeit dergestalt verliefen, dass ich in einen Fahrrad- oder Autositz geschnallt worden bin , um einen saulustigen Tag bei einem Jazz- oder Dixie-Frühschoppen zu verbringen. Saulustig war das. Für den Vater. Wir sehen: Da gab’s noch strenges Regiment und Familienausflug. Alternative: Die Vatertagsvorabendfeier. Am Vatertagsvorabend büchst der Mann unter dem Vorwand eines Konzertbesuches aus. Dort werden vom Mitmenschen weitestgehend unbemerkt sehr viele Hopfenkaltschalten in sehr kurzer Zeit geleert, was ein ordentliches Heimgehen im Anschluss an ein Konzert unmöglich, die Einnahme weitere Getränke jedoch zwingend erforderlich macht, so wie „Käse schließt den Magen“, obwohl der bereits zum Bersten gefüllt ist. Völlig unverschuldet werden dann aus dem einen Absacker circa 17, die Ereignisse überschlagen sich, der arme Mann trudelt hilflos im Sturm des Geschehens und irgendwann nach Hause. Dafür hab dann im Anschluss ich aufs Vaterwohl getrunken. Lieber Papa, wegen dir geht’s mir heut eher so mittel. Nächstes Jahr möchte ich mit dir wieder zum Jazzfrühschoppen, okay? 

Freitag, 19. Mai 2017

200x Dankeschön

„Vor lauter Qual“, hab ich grad in eine Email hineingeschrieben, „dieses sehr weiße Blatt Papier für euch zu befüllen, hab ich ganz vergessen, dass ich mir eigentlich heut für’s 200. Sofa auf die Schulter klopfen wollte.“ Und weiter: „Aber dann klopf ich halt stattdessen euch auf die Schulter, weil ihr immer so ganz arg geduldig seid mit mir und gar nicht pausenlos anrufen müsst und nachfragen, ob denn das Sofa wohl noch kommt. Danke!“ Weil man darf ja nicht vergessen: Die wahre Leistung mit dem allwöchentlichen Kanapee, auf welchigem ich selbst mich rekele und hier und da geschwind mal eine kleine Glosse aus dem Ärmel schüttle, bevor ich mich wieder meinen anderweitigen Kontemplationen zuwende, die erbringen selbstverständlich die Herr- und vor allem Damschaften in der Redaktion. Ich tu mir ja leicht. Ständig springt mich eine Inspiration an, sei’s nachts im Schlaf, sei’s beim heiteren Beisammensein, sei’s bei der Leibesertüchtigung, immerzu ist’s lustig in meinem Kopf, und dann nehm ich den lustigen Gedanken und pack ihn mirnichts, dirnichts, mal eben ins Papier hinein, und kaum eine bis neun Stunden akribischer Formulierkunstarbeit ist das Opus auch schon fertig und dann drück ich einmal auf „Senden“ und huuuuuui fliegt das Sofa einmal quer übers Nürnberg und hinaus aus meiner Verantwortung. Dann lehn ich mich zurück in meinem Massagesessel und stell mir vor, was jetzt da drüben wohl passiert: „Hat jetzt die Wasmeierin schon das Sofa geschickt?“ – „Nein, immer noch nicht.“ – „Aber da ist sie schon, oder?“ – „Ja also ich weiß von nichts anderem.“ – „Und schicken tut sie’s auch?“ – „Hat sie doch bisher immer.“ – „Aber Kreuzbirnbaumundhollerstauden hast du schon  mal auf die Uhr geschaut? Ich ruf jetzt da lieber mal …“ – „Nein besser nicht, wegen noli turbare circulos meos.“ – „Hä?“ – Passt schon. Ach schau, jetzt hat sie was geschickt.“ – „Hat die ein Glück. Schaust du’s dir an?“ – „Bitte nicht schon wieder, ich hab doch erst letzte Woche …“ – „Na gut, aber dann motz nicht wieder, wenn ich die ganzen Logikfehler überseh.“ – „Naa ist schon gut, ich mach das ja auch meistens eher so ‚Augen zu und durch‘!“ – „Echt jetzt? Schlägst du nicht lieber immer jedes Wort, das komisch klingt, im Duden nach?“ – „Bist du wahnsinnig, da kommt doch kein Mensch hinterher. Und die Wasmeierein sagt eh: ‚Wenn ich das Wort mal geschrieben hab, dann gibt’s das ab dem Moment auch.‘ Die Diskussion kannst dir also sparen.“ – „Und am End steht eh ihr Name drüber.“ – „Genau.“ Und so weiter und so fort. Eine schlimme Mühsal, und das nur wegen mir, und das schon seit 200 Wochen. Da sag ich jetzt einmal „Dankeschön“ und … Oha, eine Email: „Liebste Katharina, bearbeite gerade deinen schönen Longboarder-Beitrag, aber a Sofa brauchma scho aa no ...“ Ja ja, ist ja gut. Ist doch erst 16 Uhr … Ein Gläschen auf euer Wohl – und eure Geduld! Kommt ihr mit? 

Freitag, 12. Mai 2017

Mutterleid

Als ich um Weihnachten herum mal erzählt hab von der entfernten Verwandten, die scheint’s das Abstillen ihrer Nachkommenschaft nicht recht verkraftet hat und seitdem sich sorgt, der Nachwuchs könnte verhungern, da hab ich mir hernach einen sauberen Anschiss eingefangen. Weiter darf ich mich nicht äußern, weil die entfernte Verwandte sich erbeten hat, ich möge mit derlei Unverschämtheiten zurückhaltend umgehen, da sie nicht einsehe, warum alle Welt dem Irrtum auferliegen solle, ich sei mit einer Rabenmutter gesegnet. Gut, jetzt muss ich reuig mein Haupt neigen und sagen, ich wusst’s halt nicht besser, bin ich doch schließlich im Thema „Mutterschaft“ tendenziell auf der Nehmer- denn der Geberseite bewandert. „Ich muss immer um sechs aufstehen, auch wenn ich frei hab“, hat unlängst eine Kollegin ins Telefon gelitten. Warum jetzt das, hab ich schlau gefragt, und erfahren, man müsse dem Sohn das Pausenbrot bereiten, sonst verhungere der über den Tag hinweg. „Wie alt ist jetzt der?“ – „18“, hat’s gekleinlautet, und ich beruhigend: „Ach du, ich hab eine entfernte Verwandte, die hat ihrem 30-jährigen Managersohn den Einstandskuchen gebacken und ins Büro hinterhergetragen“, hab ich geplaudert und auch gleich erzählt, dass eben jene Verwandte neulich in größte Not geraten ist wegen einer kleinen Feier, die ich in einer Kneipe ausgerichtet hatte. „Ja und gibt’s dann da was zu essen?“ – „Nein, das ist eine Kneipe.“ – „Ja und bringen die Leute sich dann da was mit?“ – „Nein, das ist eine Kneipe.“ – „Ja und ist denn dann da Platz für ein Buffet oder so?“ – „Nein, das ist eine Kneipe.“ – „Ja aber soll ich dann nicht vielleicht ein bisschen Gulasch …?“ In heißer Liebe entbrannt hab ich Mam… pardon, die entfernte Verwandte wild an mich drücken und busseln müssen. Wegen eh. Und wegen auch ich lern noch dazu, und so beobachte ich mit wissenschaftlichem Interesse mein sich fortpflanzendes Außenrum, bei dem irgendwann anstelle des Gehirns die hormondurchdrungene Superkeit tritt, dass man da jetzt einen Menschen hat, der auf Gedeih und Verderb von einem abhängig ist, und es beginnt ein Kampf zwischen Ratio (Abstillen. Irgendwann.) und Irr(rational), nämlich den Zustand dieser Abhängigkeit bis in alle Ewigkeiten beizubehalten. Da sehen wir schon, wohin das führt und freilich nicht so geht, wegen Zivilisation und allgemeinem Missmut, wenn durch den Schulzaun hindurch statt der Stulle eine Brust gereicht wird. Eh klar, dass der unterdrückte Drang irgendwohin sich kanalisieren muss, und wenn er das in Kuchen, Pausenbroten und Gulasch tut – da freuen wir uns doch sehr. Deswegen, liebe Mama, hast du jetzt noch spitzenmäßige zwei Tage Zeit, dich auf die Kindsspeisung am Sonntag vorzubereiten. Nicht dass du dann in Not gerätst, weil wir da und du nichts zu Essen. Zum Dank geh ich auch nicht aus, sondern bastle dir einen Gutschein für 1x Abspülen. Oder Staubsaugen. Was meinste?  Möchte übrigens darauf hinweisen, dass mir die Geburtsschmerzerfahrung auch nicht fremd ist, ganz im Gegenteil. Hab ich jede Woche. Damit ihr hier und so. So!