Freitag, 20. Dezember 2024

Weihnachtswunder

 

Weihnachten ist die Zeit der Wunder. In der Bibel ereignen sich hier die größten Erstaunlichkeiten, und das will was heißen in diesem fantastischen Buch der Bücher, und bis heute feiern wir hierzulande Wundersames wie sprechende Tiere, jungfräuliche Geburten und Engel. In Tschechien sagen halbierte Äpfel die Zukunft voraus, in Griechenland in Broten versteckte Münzen. In Polen vereinen nicht nur zwölf für die Apostel stehende Gerichte die Menschen am Tisch, sondern auch eine Versöhnungsoblate, und in Spanien hat sich mit „El Gordo“, der traditionellen Weihnachtslotterie, schon für manch einen ein unverhofftes finanzielles Wunder ereignet. Während in den nördlichen Ländern allerlei Wichtel und klandestine Völkchen ihr emsiges, wundersames Schaffen verrichten. Zahlreiche Sagen und Legenden ranken sich um die weihnachtlichen Wunder, die grantige Herzen öffnen und dem Zwiderwurz das Lächeln vielleicht doch ein bisschen lockerer sitzen lassen auf dem verkniffenen Mund, obwohl vielleicht auch Einsamkeit und Verzweiflung dieser Tage umso hartnäckiger sich selbst einladen als ungebetene Gäste, die hernach auf Stühlen kleben und auf Sesseln und Orte mit Schweigen füllen und Beklemmung. Mein großes, größtes Glück und Weihnachtswunder ist darum tönend laut. Es hat fünf Köpfe oder manchmal neun, gelegentlich noch mehr. Mein Weihnachtswunder ist ein Gscheidhaferl, ziemlich alt und grade erst geschlüpft, kann streiten wie die Büchsenmacher und lachen und jauchzen, dass sich die Bäuche krümmen und die Wände gleich mit. Es kann einem auf die Nerven gehen wie sonst kaum etwas auf der Welt und trägt dabei unter jedem Arm ein großes Paket Güte und Freundlichkeit, Loyalität und Verlässlichkeit. Mein Weihnachtswunder ist klug und albern, gebildet und kindisch, es treibt mich in den Wahnsinn und nimmt mich in feste Umarmungen selbst dann, wenn ich mich dagegen wehre. Wie jedes Jahr hat das Weihnachtswunder sich in die nadligen Haare bekommen über Menüfolgen und Zubereitung. Wie jedes Jahr hat es sich beim Thema Baum selbst übertroffen (zwengs Nachhaltigkeit Reaktivierung des ersten jemals hergestellten Kunststoffbaumes nach archäologischer Grabung in Garagen und Kellern, Feststellung der Untauglichkeit desselben aufgrund Mäusebefalls, gottlob in anderem Lager aufgrund Mengenrabatts damals erworbene weitere Exemplare der selben Charge unversehrt, Heilig Abend gerettet). Wie jedes Jahr wird sich mein lärmendes, wuselndes, ganz und gar unerhört auf- und liebreizendes Weihnachtswunder für viele Stunden an einem Tisch einfinden und sich als meine Familie entpuppen, und ich freu mich so sehr. Wenn ihr eine Familie habt, verwandt oder nicht, haltet sie fest. Und wenn ihr Menschen kennt, die niemanden haben zum Festhalten, so ladet sie ein und beschert ihnen ein Wunder. Schwelgt, lacht und liebt! Frohes, fröhliches Fest euch allen!

Freitag, 13. Dezember 2024

Adventstraditionen

 So wie man im Sommer grillen und baden gehen muss, gibt es im Advent Dinge, die unbedingt dazugehören (vgl. Du-Du-Liste, die; oder: Erledigungen, die). Man muss beispielsweise feststellen, dass man immer noch keine ordentlichen Christkindlesmarkt-Schuhe hat. Man muss sich erinnern, dass es einen Trick gab, wie der Adventskranz nicht so schnell nadelt, aber man weiß nicht mehr, welchen. Man muss mit sehr vielen Menschen ausmachen, gemeinsam Plätzchen zu backen, um dann erneut zu bemerken, dass gemeinsam Plätzchen zu essen in Wahrheit doch die schönere Tätigkeit ist. Auch muss man über ein Weihnachtsessen diskutieren und damit zwingend einhergehend die immer gleichen Gespräche über Veganer, Pescetarier, Clean Eater und Flexitarier führen und warum man nicht wie andere Leute auch einfach einmal Würstel mit Kartoffelsalat haben könnte. Man muss fürderhin zu Beginn es Advents „super rechtzeitig“ sehr viele Weihnachtskarten kaufen, um die dann mit jedem abgerissenen Kalenderblatt ein Stück weiter vor sich herzuschieben, um dann im allerletzten Moment, nämlich dann, wenn sogar die Tagesschau über die Überlastung der Post spricht, hastig zu schreiben und persönlich auszuliefern. Und man muss Weihnachtsfilme gucken. Hierbei sind die Präferenzen diskutabel; zum Beispiel findet der Kretin von (m)einem Mitbewohner, Chevy Chase‘ „Schöne Bescherung“ von 1989 sei der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten, derweil ich mich hierbei an die ungefähr schrecklichsten und längsten 90 Minuten meines Lebens erinnern kann, die mich mit Kopfschmerz, Augenweh und bodenloser Verzweiflung malträtiert hatten. „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ ist laut neuester Lesart nicht die erste seichte RomCom, sondern ein frühfeministisches Machwerk aus dem woken Spektrum. Und „Tatsächlich … Liebe“ ist und bleibt derjenige Film, der mein hartes Herz innerhalb fünf Minuten zum Schmelzen bringt und mich, die ich sonst nie auch nur eine Träne vergieße außer beim Zwiebelschneiden, derart aus der Fassung, dass ich eineinhalb Stunden durchheule. Ok das war gelogen, ich heul eigentlich schon bei Katzenbabys in der Werbung. Ganz falsch kann ich nicht liegen, denn selbst der Kretin, den ich dieses Jahr aus „Rache“ für „Schöne Bescherung“ zum Mitschauen zwang, hatte gelegentlich etwas im Auge, und so lagen die zwei ältlichen Leutchen also auf dem Kanapee und weiten vor Mitgefühl, Zorn, Abscheu und vor allem Rührung, während der Adventskranz den Tisch und Mamas Plätzchen das Sofa vollbröselten. In dem Film wird nebst vieler anderer Weisheiten aus dem Leben eine ganz besondere in die Welt gesetzt, die ich sonst in keinem anderen Zusammenhang finden konnte, aber dafür nicht weniger nachahmenswert halte: „at Christmas you tell the truth“. Ich würde das gerne in den Reigen der Adventstraditionen aufnehmen. Was haltet ihr davon? 

Freitag, 6. Dezember 2024

Erledigungen

 Ich hatte kurz mit dem Gedanken geliebäugelt, einfach den Text von neulich noch einmal zu präsentieren aus dem tagesaktuellen Grund, euch hilfsbereit eine Anleitung oder Anregung für den heute Abend bevorstehenden Besuch des Nikolaus zu geben sowie die Frage zur Disposition zu stellen, ob der Krampus eigentlich zeitgemäß und mit heutigen pädagogischen Prinzipien vereinbar ist oder eher nicht so richtig und ob im gottlosen Franken überhaupt ein Nikolaus zu erwarten ist oder ob’s nicht eh wurscht ist, wer da abends klingelt, der Amazon Over-Night-Bote oder ein himmlischer Gesandter, Hauptsache, er rückt irgendwas raus, das sich anfühlt wie Geschenke, und ob so gesehen das Kind von heute eigentlich imstande ist, den Nikolaus als solchen zu erkennen oder ihn nicht eh für eine Art DHL-Zusteller hält und entsprechend einfach nur beim Türe öffnen die Hand ausstreckt nach einem Packerl und die Türe dann sogleich wieder zuwirft noch bevor der Nikolaus sein „Von drauß vom Walde …“ aufgesagt hat, und dann stehen der Nikolaus und der Krampus vor der Tür im Treppenhaus und schauen recht verdutzt, und ob sich da nicht vielleicht eine Art Marktlücke aufmachen tät wo man Nikolaus und Lieferando geschickt kombinieren kann und wie schön das wär, wenn heut Abend kreuz und quer durch die Stadt weißbärtige, rotwehende Nikoläuse mit würfelförmigen Säcken auf dem Rücken durch die Stadt radeln und als Geschenk geschmückte Pizza ausliefern würden. Aber dann bin ich gedanklich irgendwie abgeschwiffen und frag mich jetzt, ob es eigentlich eine tiefere Bedeutung hat, dass im Wort „Klamotte“ die größte Feindin derselben schon mitdrinsteckt und ob es fast beinahe schon prophetisch anmutet, statt „Besorgungen“ zu machen von „Erledigungen“ zu sprechen, weil man genau weiß, dass man hinterher, also wenn man zueende ist mit der Erledigung, fix und fertig ist, sprich: erledigt, und ob entsprechend „Weihnachtserledigungen“ nicht eigentlich ein Pleonasmus ist, weil in beiden Wörtern das selbe Ergebnis steckt irgendwie, und dass ich mich gefreut hab, dass neulich die Nachrichten gesagt haben, die Händler in der Innenstadt wären hochzufrieden mit den Geschäften zur Adventszeit, weil ganz wundersamerweise grad direkt im Umfeld von Weihnachtsmärkten würde sogar ganz besonders spezialviel erledigt, sprich: gekauft, und dann hab ich mich erinnert, wie viel besser das Erledigen doch funktioniert, wenn man ein bis fünf Tässchen Glühwein genossen hat und dann reißt du einfach schwungvoll die nächstbeste Haushaltswarengeschäftetür auf und das halbe Regal gleich mit um und kaufst 20-mal das gleiche Käsemesser oder Topflappen oder was weiß ich, weil es fühlt sich einfach absolut richtig an ... Naja, und dann ist alles ganz anders geworden. 

Freitag, 29. November 2024

Adventskalender

Heute wird es, pünktlich zur staden Zeit, leiser bei mir als letzte Woche. Denn es liegt vor mir ein stiller Adventskalender. Er zeigt den weltallerberühmtesten Markt nebst dessen noch berühmterem Host, dazu Buden, Kinderlein sowie Herren und Frauen und hat, wie jeder anständige Adventskalender, 24 Fensterln, hinter denen sich allerlei Begehrlichkeiten befinden. Im Gegensatz zum weitverbreiteten Standardmodell jedoch keine kalorischen in Form von zu Kerzlein, Englein und Bäumlein gegossene Schokolade zweifelhafter Qualität, bei denen es schon vorgekommen sein soll, dass Menschen in schwachen Momenten wie beispielsweise nach Weihnachtsfeiern oder Glühweinverkostungen sie allesamt auf einen Streich herausgepresst und gierig verschlungen haben und am nächsten Tag nur schwierig erklären konnten, warum am 5.12. eigentlich schon alle Adventstürchen aufgebrochen und geleert worden sind … Ähm, genau, keine kalorischen, sondern solche mit meisterlichen Gewinnen dahinter. Ich weiß das schon, weil ich hatte das Vorjahresmodell ebenfalls daheim und mich 24 Tage lang gewundert, wie es sein kann, dass ich schon wieder nichts gewonnen habe, inklusive Verdachtsäußerungen beim Veranstalter ob eines möglichen Zahlenfehlers auf meinem Exemplar, also wirklich! Jedenfalls war ich über den ganzen Advent hinweg ganz vortrefflich täglich beschäftigt und habe sowohl Vorfreude aufs Fest als auch Zorn sukzessive steigern können. Ich freue mich also auf die kommenden Tage: hinter jedem Türl eine neue Enttäuschung, wie wundervoll! „Aber es ist doch für den guten Zweck!“ ruft man empört und ich sag: Ah geh bitte guter Zweck! Der gute Zweck ist einzig, mich in meinem pathologischen Spätinfantilismus zu bestärken und mir mit liebevoller Hand feinziselierte Geschenkchen, Botschäftchen und Liebesbeweischen in bunte Säcklein einzunähen. Was ich nicht müde werde, zu fordern. Was zur Folge hat, dass sich da jetzt offenbar eine Phalanx des Widerstandes gebildet hat, die mir das Gewünschte unter dem Motto „Jetzt erst recht – nicht!!“ demonstrativ verweigert. Dabei will ich doch gar nicht viel! Gut, im tiefsten Inneren meiner als linksintellektuelle Verzichtsperson verkleideten neoliberalen Kapitalistenseele begrüße ich selbstverständlich die Entwicklungen der letzten Jahre weg vom Schokowürfelchenkalender hin zum Trend, 24 ausgewachsene Großgeschenke im Gesamtgegenwert eines Kleinwagens in ausufernden DIY-Kunstwerken präsentiert zum Advent zu überreichen. Ganz ehrlich: Wenn du so eins übrig hast und nicht weißt wohin – bring’s vorbei, sag ich nicht nein, kein Ding. Aber unter uns: Es reicht mir ja der Thrill, Morgen für Morgen nicht zu wissen, ob mich im Schleifensackerl ein em-Eukal erwartet, ein Teelicht oder ein Mini-Rittersport … Was hab ich jetzt? Nur noch Thrill.  Sollte ich gewinnen: Ich teile nichts! 


Freitag, 22. November 2024

Soundmaschine

 

WAUWAU! … Fanfarengetöse … Jubel … BUUUUURPS! … Vor mir liegt ein kleiner grüner Kasten. Er hat handschmeichelnde Größe, viele kleine gelbe Knöpfe wie ein prächtiges Schifferklavier, nur dass aus diesem wenn man ein bisschen mit Sinn und Verstand darauf herumdrückt, gar herrliche Klänge tönen. Aus meinem Kästchen, da kannst du noch so viel Verstand und Expertise haben, kommt ausschließlich und gemessen an der Winzigkeit des Lausprechers ausgesprochen laut: ein Unton nach dem anderen. Das Kistl kann Klospülen (Toilet Flush) und wie ein Zahnarztbohrer (Dentist) klingen, es kann der traurigste, grusligste Leierkasten sein (Circus) und markerschütternd weinen wie ein Baby (Baby). Es kann garstig lachen (Witch) und gruselige Aliengeräusche machen (Sci-Fi), und es kann einen vor allem stets aufs Neue überraschen, weil die hilfsbereiten Geräuschsbeschriftungen an den kleinen Knöpfen so wenig aussagekräftig sind, dass man sich einfach nicht merken kann, was einen dabei erwartet: Drückt man „Charge“, ertönt ein dröhnender Fanfarenapell, bei „Achooi“ ein markerschütterndes Niesen und bei „Whoopee“ ein prächtiges Flatulat. Ich würde furchtbar gerne behaupten, ich wüsste nicht, wie ich in den Besitz des kleinen Spaßgeräts gekommen bin, doch leider weiß ich es sehr genau. Allein was richtig ist: Ich bin unschuldig. Schuld ist ein Baby! Dieses krümelte vor vielen Monaten auf einem Küchenboden herum, während Erwachsene anständig am Tisch saßen und Konversation betrieben. Diese wurde gelegentlich unterbrochen durch die Beiträge des Kindleins, das seine Zustimmung oder Abneigung zum geäußerten Gesprächsinhalt erstaunlich passend durch heiteren Jubel oder traurige Trompetentöne äußerte. Nach einiger Zeit entdeckten wir unter dem Knaben ein elektronisches Spielgerät, welches von größeren Kindern dort hinterlassen war und im Sinne einer Lernhilfe falsche und richtige Antworten mit einem entsprechenden Laut der Freude oder Enttäuschung quittierte. Ich war hingerissen. Dieses Gerät, befand ich, wollte ich fortan bei allen offiziellen – ach was: bei ALLEN Gesprächen bei mir tragen und mich nurmehr äußern durch Drücken der entsprechenden Knöpfe. „Frau Wasmeier, kommen Sie bitte in mein Büro!“ – „(Knopfdrück) Oh-oh!“ – „Frau Wasmeier, Sie bekommen eine Gehaltserhöhung!“ – „(Knopfdrück) DA-DADA-DAAAA-DA-DAAAAA!“ … Leider durfte ich die Soundmaschine nicht entwenden, und so verließ ich diesen grausamen Haushalt in der traurigen Gewissheit, mich fortan doch nicht lästiger Unterhaltungen durch lustiges Knöpfedrücken entziehen zu können. Bis Post von der Freundin kam: „Schatz, ich habe was für dich gefunden. Viel Spaß damit!“ Seitdem drück ich wann immer es beliebt gelbe Knöpfe statt zu sprechen. Ob ich die Kolumne schon fertig habe? „BUUUUUUUUURPS!“

Freitag, 15. November 2024

Pelzmärtel vs. Nikolaus

Den ersten der vier Endgegner im Jahresgame haben wir also vor ein paar Tagen erfolgreich hinter uns gebracht. Wir haben uns verkleidet, betrunken, gebastelt und furchtbar gefroren, aber was sein muss, muss sein: Karnevalsbeginn! Ach nein Quatsch, das haben wir ja hier gar nicht, aber dafür am gleichen Tag das gleiche Prozedere vollzogen, nur nicht zu Ehren des St. Karneval, sondern des St. Martin, vulgo: Pelzmärtel. Ich als waschechte Arbeitsmigrantin zweiter Generation mit niederbayerisch-katholischem Kulturhintergrund fand eure fränkische Idee vom freundlichen Gutzerlbringer im roten Gewand schon immer prima. Spezialprima schon allein deswegen, weil er knapp vier Wochen vor dem Nikolaus vorbeikommt, im Gegensatz zu diesem seine Gaben still und höflich des Nachts in vor die Tür gestellte Gummistiefel legt (und allein dadurch schon seine außerordentliche Tapferkeit beweist, ich mein, wer versenkt denn freiwillig seine Hand in einen getragenen Gummistiefel?) und dafür noch nicht einmal etwas erwartet. Der Nikolaus derweil: Angstgegner! Und Feigling noch dazu, weil traut er sich im Gegensatz zum lieben Martin nicht alleine unters Volk, sondern zieht gern einmal die Begleitung einer echten Gruselperson vor, die Hörner hat und Glutaugen, Tierfüße und eine Rute, und wehe du warst unartig als Kind, dann ist der Krampus ganz schnell dabei mit einem Schimpfgesicht … Großeltern, Freunde und Familie versammeln sich also am Nikolaustag, so dass dem Kind (mir) direkt klar ist: Jetzt wird’s ernst, und dann klingelt’s und herein kommt ein riesiger Mensch in einem Mordsgewand mit einer meterhohen Haube auf dem Kopf und einem Wahnsinnsspazierstock und dann Flüstern und Stille und schließlich zerrt dich eine Mutterhand unter dem Kanapee hervor, wo du zitternd liegst und panisch dein Gedicht zu memorieren versuchst, das du extra für jetzt hast lernen müssen, weil du weißt: Erst schlägt der Nikolaus im Goldenen Buch die Notizen über deine Artigkeit nach, und o weh, wie gut der immer informiert ist, und dann erfolgt ein kläglicher Besänftigungsversuch lyrischer Natur, darauf bist du vorbereitet. Und dann schiebt man dich in bedrohliche Nähe zu dem Fremden, und noch bevor du den Gedanken „Verrückt, der hat die gleichen Schuhe wie Onkel Uli!“ formulieren hast können, sagst du plötzlich hübsch vernehmlich wie geübt „LIEBER GUTER NIKOLAUS, ZIEH MAL DEINE HOSEN AUS!“ und dann Gelächter und Schimpfen und Tränen und gar kein Krampus aber trotzdem Geschenke … Nicht einfach. Deswegen: Pelzmärtel. Der hat zudem ein Pferd statt teuflischer Sideshow und außerdem im Gegensatz zum Nikolaus, der halt irgendwie Truckerfahrer war oder was mit Limo oder sowas in der Art, eine endscoole Heldenstory.

Freitag, 8. November 2024

Du-Du-Liste digital

 

Vor genau 18 Monaten habe ich euch von der „Du-Du-Liste“ erzählt, die der Mann und ich als großformatiges Poster und niemals schweigende Anklage stillen Vorwurfs in der Wohnung installiert haben, auf dass noch der letzte ruhige Moment des Durchschnaufens auf dem Kanapee empfindlich gestört werde durch die niedergeschriebene Zumutung all sämtlicher zu verrichtender Tätigkeiten, die gemeinhin als „Leben“ betrachtet werden, und deren unverzügliche Ausführung erstaunlich beruhigende Auswirkungen auf den Hausfrieden (mich) hat. Woher ich weiß, dass es genau 18 Monate sind? Naja. Es ist dort zu lesen: „Sommerreifen!“, „Jacken & Schuhe!“ sowie „Balkon!“, wobei das „Sommer“ durchgestrichen und durch „Winter“ ersetzt worden ist. Nachdem wir diese Situation jetzt gerade wieder haben, die Liste an der Badezimmertür aber garantiert seit Monaten niemand mehr angefasst hat. Die Entwicklung war gewissermaßen vorhersehbar und vollzog sich dergestalt, dass erst aufgeschriebene Punkte abgearbeitet worden waren gemäß persönlichem Gusto und Widerwillen, die sehr ungeliebten Aufgaben also erst einmal eine Depriorisierung erfahren mussten. Damit es nicht so auffiel, dass „KELLER AUFRÄUMEN!!!“ zwar ganz oben und rosa angemalt die Liste beherrschte, gewöhnte man sich dann an, Dinge, die man ohnehin hätte tun müssen, zu erledigen, auf die Liste zu schreiben und sie dann im selben Zuge durchzustreichen und stolz die verrichtete Arbeit zu präsentieren: Schau wie fleißig ich bin! Deswegen steht auf der Liste zwar immer noch „KELLER AUFRÄUMEN!!!“, dafür aber ein paar Zeilen weiter unten „Steuer“. Immerhin. So viel also zur Genese der „Du-Du-Liste“, und es rührt mich, dass niemand sie abhängt, sondern das Opus für alle Zeiten als Denkmal des Scheiterns und Ausbleibens organisatorischer Skills an der Türe hängen bleibt. Doch man war ja nicht untätig in der Zeit, sondern hat sein Heil in der Moderne gesucht. Und die Moderne bringt digitale, multifunktionale, gemeinsam zu bearbeitende und noch dazu bunt zu gestaltende Listen im Handy – lauter Eigenschaften, deretwegen einzelne Zugehörige dieses meines Haushaltes dieser Technik umgehend verfallen sind und mich seitdem bedrohen. Lagen früher hier da vereinzelt harmlose Zettelchen herum mit achtlos hingeworfenen Notizen über zu schauende Filme, zu lesende Bücher, zu ordnende Haufen oder zu erledigende Erforderlichkeiten aus der Welt der Erwachsenen (Steuer!), die man hier und da einmal entdeckte, weil sie von einem Windstoß aufgewirbelt wurden und man sich dann für Ausführen oder Ignorieren oder gar Wegschmeißen entscheiden konnte, schreit mich jetzt mein Telefon mehrmals täglich an, um mich auf eine der drei oder siebzehn oder keine Ahnung wie viele Listen aufmerksam zu machen, für die ich in irgendeiner Form zuständig sein soll. Ich hoffe, ihnen widerfährt das gleiche Schicksal wie dem Türenzettel.

Freitag, 1. November 2024

Salopette

 

Einen langen Moment hab ich recht verdutzt geschaut auf ein Fundstück im Elternflur, weil da stand eine sehr knallblaue, sehr unerwartete Sache, die ich partout keinem Hausbewohner zuordnen konnte. „Wem, bittesehr“, hab ich deshalb gefragt, „gehören denn diese irren Gummistiefel?“, und ich war auf viele Antworten gefasst. Doch nicht auf die, die ich bekam: „Mir!“ antwortete, und ich kann’s immer noch kaum glauben, das Muttertier, und durch einen bemühten Ton der Ironie erklang laut und deutlich blanker Stolz: „Ich musste die kaufen, damit wir künftig besser in Pfützen springen können.“, und ich war ein bisschen fassungslos, aber vor allem auch ergriffen. Weil gleichzeitig an dem Tag, an dem ich eine Tante geworden bin, ist jemand anders – ein verrückter Zufall! – zum Großmuttertier gemacht worden. Und mittendrin in dieser komplizierten sipplichen Verstrickung thront ein überaus geliebtes Kind, für dessen Lebensglück sich gleich eine ganze Herde zuständig betrachtet. Und wenn das Kind Pfützen springen möchte, dann springen wir selbstverständlich nicht nur mit, sondern gewissermaßen proaktiv voran. Das ist aber auch kein Schaden, denn von Kindern allgemein und diesem im Speziellen kann man allerlei Hilfreiches und Kluges lernen. Und so auch den Umgang mit den Jahreszeiten. Allem voran mit dem sogenannten „Schmuddelwetter“. Ab einem Alter, das es noch zu definieren gilt, beginnt der Mensch beim ersten herabfallen Blatt, dem ersten Hauch von Nebel und Andeutung eines Regentropfens in ein grundsätzliches Lamento zu verfallen mit sehr viel Igitt und Bäh und überhaupt Pfui Deifi! Es drohen nasse Füße und zerdrückte Frisuren, laufende Nase und kalte Finger, und um den Zustand massiven Missmuts zu unterstreichen, gewandet man sich in schweigender gesellschaftlicher Übereinkunft nur mehr schwarz und grau und legt sich beim Verlassen des Hauses eine grantige Miene zu. Das Kind hingegen: großes Glück! Sieht in fallendem Laub kein schlechtes Omen, sondern große Haufen, in denen man rotgesichtig herumspringen, Dinge finden und Igel vermuten kann. Sieht im frühen Abenddunkel keinen Lebensfeind, sondern eine willkommene Gelegenheit, endlich all die Lichtlein auszutesten, die man übers Jahr gesammelt hat und bald zu Laternen komponiert. Sieht im aufgeweichten regenmatsch kein grauenhaftes Ärgernis, das es weiträumig zu umschiffen gilt, sondern eine willkommene Gelegenheit, herauszufinden, welch große Fontänen man doch mit dem Laufrad produzieren kann und wie dicht die Matschhose nun wirklich ist, ohne die ganz grundsätzlich das Haus nicht mehr verlassen wird. Warum auch? Ich treffe nachher Kind und Omama, meine Gummistiefel hab ich bereitgestellt. Matschhose? Heißt für uns halt anders: „Salopette“, zum Beispiel. Und wenn das nicht nach guter Laune klingt, dann weiß ich auch nicht. Kauf ich sofort!

Freitag, 25. Oktober 2024

Meditation

 „Einatmen – zwo, drei vier – halten – zwo, drei vier – ausatmen – zwo, drei, vier – halten – zwo, drei, vier – einatmen – zwo, drei vier – halten …“ Entspannung ist in aller Munde, so natürlich auch in meinem, denn wir alle sind viel zu angespannt und permanent im Stress. Aus Eu-stress, dem guten, der uns zum rechtzeitigen Fertigstellen des Sonntagskuchens befähigt oder der Abgabe des besten aller Texte noch drei Minuten vor Deadline, wird Di-stress, also der schlechte. Der macht Magengrimmen, schlechte Nächte und am Ende Herzinfarkt, und weil niemand Herzinfarkt möchte, sucht der Mensch sein Heil in der Entspannung. Fündig wird er beim Bergbesteigen oder -hinabfahren, beim Jäten oder Musizieren, im Herabschauenden Hund oder Körbeflechten. Bestenfalls erreicht er einen Flow, in dem er gleichsam einem Jungbrunnen ganz versinkt und später erquickt wieder hervortaucht. Mei, hat das gutgetan. Doch es gibt zahlreiche andere Methoden, die die große Entspannung verheißen: Klangschale, Meditation und Atemschule versprechen den Körper zu beruhigen und den Geist zu erleichtern. Um diese Methode zu ergründen und bestenfalls irgendwann einmal die für mich geeignete zu finden, lag ich unlängst auf einem Boden. Auf eine dicke Matte gebettet wegen der Bequemlichkeit, versehen mit verschiedensten Kissen und Rollen zur angelegentlichen Hochlagerung verschiedener Körperteile und beschwert von einer mächtigen Decke sollte ich liegen und loslassen, anspannen und loslassen und die Gedanken sammeln und loslassen, was für mich ausgesprochen wichtig ist. Denn stets bin ich mit Gedanken so befüllt, dass das loslassen derselben sich für mich höchst schwierig gestaltet, sondern eher das Gegenteil auslöst: Sobald der Geist zur Ruhe kommt und sich nicht aktiv mit irgendwas beschäftigen muss, schaut er einmal nach links und rechts und klatscht dann freudig in die Hände: „Ach herrlich, endlich einmal haben wir alle Zeit und Ruhe der Welt, um alles anständig zu durchdenken. Da fällt mir ein: Hast du bei der Versicherung schon angerufen, um diesen seltsamen Beitrag endlich zu klären? Hast du schon den Termin beim Optiker vereinbart oder möchtest du weiter halbblind durch die Gegend laufen? Was machen wir denn jetzt eigentlich mit dem ungeliebten Fahrrad, wollten wir das nicht längst bei Ebay einstellen? Und wann genau gedenkst du eigentlich das Geschenk für Mutters 70. endlich anzugehen? Aber darüber können wir auch bei Wäscheabnehmen nachdenken. Auf auf!“ und schon ist aus dem befreiten Geist ein emsiger geworden. Also liege ich hier und lenke meine Gedanken auf ein imaginäres Quadrat, dessen Kanten ich abgehen und an ihnen entlang ich atmen kann. Ein, zwo drei vier, aus, zwo drei vier, ein, zwo drapüü … rapüü … Oh, Verzeihung. Scheint geklappt zu haben, bin prompt kurz eingenickt.

Freitag, 18. Oktober 2024

Nahtoderfahrung

 

„Als Nahtoderfahrung […] wird ein breites Spektrum tiefgreifender persönlicher Erfahrungen bis hin zu […] Transzendenzerfahrungen bezeichnet, die von Menschen gemacht werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befunden haben.“ So steht’s geschrieben im digitalen Brockhaus, und darin hab ich nachgeblättert auf der Suche nach einer Erklärung für meine letzte Woche gemachte Erfahrung. Ich habe die Situation in der Tat „er-fahren“, saß ich doch im Moment der allergrößten Furcht in einer Gondel. Bis zu diesem Punkt ähnelt das NTE (s.o.) demjenigen, das ich einst im schönen Gardaland er-fuhr und mich vermutlich zum meistschreienden, vielleicht auch meistausgelachten Gast der Freizeitpark-Attraktion „Raptor“ gemacht hat: Eine grauenhafte Achterbahn, die sehr viel mit kein Boden unter den Füßen, jähen Kurven und steilem Abfall zu tun hat und in der Menschen mit extraterrestrischer Höhenangst (ich) nichts zu suchen haben. Im Gegensatz zur letztwöchig getanen Fahrt hatte diese jedoch einen großen Vorteil: Sie ging derart rasant vonstatten, dass ich mich an Einzelheiten schon beim Verlassen des Sitzes nicht mehr erinnern konnte. Ganz anders jetzt. „Genießen Sie die Fahrt!“ hörte ich eine ferne Stimme rufen nur Sekunden, nachdem mir eine Sitzfläche in die Kniekehlen geschossen und mein Schicksal besiegelt worden war. Ich schwob von dannen, unter mir die Welt sehr klein, vor mir ein Berg sehr hoch und in mir drin der tönende Nachklang von „30 Minuten Fahrt, Entspannung, Ruhe, Genuss“. „Da rauf“ ist der Kufsteiner Stadtberg, ein winzigkleiner Bruder des Wilden Kaisers, für gehschwache Personen ausgestattet mit einem Sessellift, der in zwei Etappen auf 1272 Meter führt und oben mit Einkehr, Spazierwegen und Postkarten-Panorama lockt. Geblendet von solcherlei Versprechen war für mich das perfekte Ausflugsziel identifiziert, und ich schnürte ein Sackerl und begab mich zum Berg. Wo mich die Aussicht auf Aussicht bei Kaiserwetter derart blendete, dass das Wort „Sessellift“ jede Bedeutung verlor. Was es bedeutet, bemerkte ich erst, als ich meinen Körper verließ und über die Gipfel transzendierte: ein windiger Ein-Personen-Sitz mit einem Strohhalm als Sicherung und einer Stahlseilaufhängung, wo man beim Hinaufblick sagt, da hängt jeder Kleiderbügel in meinem Schrank stabiler. Hinaufgeblickt hab ich viel, denn hinunter ging es 5 bis 50 Meter in die Wälder, und dort baumelte ich, während ich mit 2m/s sanft in den sicheren Tod entgegenschaukelte und mir sicher war, wenn nicht im Absturz, dann im Infarkt zu enden … Ich transzendierte. Schwob auf den Gipfel und dort durch eine Postkarte, spazierte, kehrte ein und wieder aus und schaukelte später ganz und gar außerkörperlich den Berg wieder hinab. Fühle mich seitdem weise und erhellt. Der Raptor soll ruhig kommen!

Freitag, 11. Oktober 2024

ALDI Reisen

 

So. Endlich. Diese höchst lästige Urlaubszeit ist weitestgehend überstanden. Es bleibt einem zumindest größtenteils erspart, von Menschen peinlicher Interviews über unentdeckte Ziele, hipste Trends und schwerste jemals getragene Backpacks unterzogen zu werden als auch, von Menschen auf Nachfrage zu deren Verbleib und Wohlergehen mit lästigen Details aus unaussprechlichen Ländern, Vanlife-Romantik und Hostel-Charme behelligt zu werden sowie auch mit den unvermeidlich darauffolgenden Fotodokumentationen auf allen Kanälen – wobei ich die wenn ich’s mir recht überleg doch ganz possierlich finde, reiste ich doch auf diesem Wege unlängst durch Japan, Korsika, Slowenien und Elba gleichzeitig, und dafür war zwar heftige Fingerarbeit notwendig (scrollscrollscroll), nicht aber, den müden Leib mühsam durch die Welt zu schleppen, von Verpassungsangst gepeinigt oder der Sorge, bei der unvermeidlichen Nachbesprechung in ungläubige Gesichter zu blicken, die nicht starr sind vor Beeindruckung, sondern vor Ungläubigkeit: „Waaas, und da warst du NICHT auf dem Dingenshügel und hast nicht im weltberühtem Bummenslokal gesessen? Wer da nicht war, der hat Urlaubshausen nicht richtig gelebt! Schande über dich!“ Ob es sein kann, dass ich Urlaub hasse? Mhmmnein! Jedoch was mir in den letzten Jahren zunehmend ein Graus geworden ist, das ist die Vorbereitung desselben. „Und, wo soll es hingehen?“ hab ich in den Wochen vor Bella Italia zigmal gehört, „habt ihr schon gebucht?“ und ich „NEIN!“ schrie ich „nichts, nada, niente, ich kann das alles nicht!“ Was ich meinte, war: Ich kann mich nicht gut vorab informieren und entscheiden. Welcher Ort, welche Unterkunft, wie wo was? Keine Ahnung, ich war ja noch nie da, und in der Werbung sieht immer alles gut aus und dann fällt man auf sie hinein und dann hat man Werbung versus Reality und alles falsch gemacht und nachher lachen die Menschen einen aus und schauen ungläubig und sagen „Aber wieso seid ihr denn nicht DORT gewesen und habt DA gewohnt, da ist es doch viel schöner?“ Eine schreckliche Vorstellung. FOMO Spezial – Wasmeier Edition! Ich bin eher so Typ ALDI Reisen: Jemand übernimmt die ganze Planung (und ergo auch Verantwortung, zwinkerzwinker) vornweg, ich muss mich nur noch in Auto/ Zug/ Reisebus setzen und dort aussteigen, wo man mir befiehlt und mir ein ausgeklügeltes Ausflugsprogramm kredenzt. Diesem kann ich mich dann wortreich widersetzen, die Reiseleitung „Kretin“ schimpfen und mir mein eigenes elaboriertes Süppchen brauen. Oder ich hatsch halt einfach nur hinterher. Wie als Teenager mit den Eltern, nur in nett. Papamama, fahrt ihr nochmal mit mir weg?

 

 

Freitag, 4. Oktober 2024

Urlaubspfunde

 

Back from Italia möchte ich mich eingedenk Pizza, Pasta, Parmigiano lieber nicht mit einem möglicherweise meisterlich erschlemmten Urlaubspfündchen befassen. Wohl aber mit der Bekämpfung desselben, schließlich ist in nichtmal acht Wochen schon mittendrin in der Vorweihnachtszeit, wo man bekanntlich sich a) unablässig im kleinen Schwarzen mit silbernen Flügelchen hintendran und so kecken Drahtheiligenscheinen unter irgendwelchen Lamettabäumen räkelt und keira-knightley-mäßig lasziv schaut anstatt was anständiges gelernt zu haben (vgl. Dessouswerbung, die) und b) sich hauptberuflich von Bratwurstsemmeln, Selbstgebackenem sowie Feierabendglühwein ernährt – eine Kombination, die einer gewissen metabolischen Vorbereitung bedarf. Ich als Frau der Tat bin also sogleich zu selbiger geschritten und habe mir eine neue Sportmatte gekauft für den wahnsinnig vielen Zuhausesport, den wir jetzt alle dauernd wieder machen, diese daheim aufs Kanapee und mich selbst noch oben daraufgelegt und über eine Strategie gebrainstormt. „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten“, hat mein alter Philosophenspezl und Kriegsführungsspezialist Sunzi gesagt, und der muss es wissen, schließlich hat er sich mit der Methode sehr erfolgreich durchs 6. Jhdt. v. Chr. schlawienert. „A propos Wienerl!“ hab ich mir gedacht und mich mit kleinem Schwungholen seitlich von der Chaiselongue fallen lassen, um von dort aus einmal quer durchs Wohnzimmer pfeilgrad hinüber in die Küche zu rollen und hier mit einem zärtlichen Rumms vor dem Kühlschrank zum Stillstand zu kommen, wohinaus ich mir den Feind geangelt und zwengs des besseren Kennenlernens vorgeknöpft habe. Namentlich eine vorzügliche luftgetrocknete Mailänder Salami mit Knoblauch und Pfeffer, weiters zwingend frisch zu verzehrende Mitbringsel wie handgedrechselte Burrata (nur echt mit Butter und Sahne!), alpenmilchfrische Bockshornkleespezialitäten samt nicht mehr taufrischem, aber noch gut bekömmlichem Panino flankiert von einer winzigen, parmesanenen Kleinigkeit Melanzane, auf die zum krönenden Abschluss ein hauchdünner Ranken köstlichster Salame al Cioccolato folgte sowie ein vielleicht nicht direkt nur dreisterneküchegroßes Häuflein Torta di Ricotta al Limone. Alles in allem habe ich mich dabei nicht nur sehr pudelwohl, sondern nachgerade im besten Sinne biblisch erleuchtet gefühlt: „Liebe deine Feinde!“, heißt es im Buch der Bücher (Matthäus 5,38‒48), das auch direkt die Lösung für möglicherweise auf die Liebe folgende Selbstzweifel nachreicht: „Und tu Gutes denen, die dich hassen!“ Selfcare is the Zauberwort! Das kleine Schwarze gibt’s in größer schließlich auch. Amen.

Freitag, 27. September 2024

Inaktivurlaub

 

Hello from ze Urli! Ich sitze hier und denke angestrengt nach, der Kopf tut schon ein bisschen weh, und nein, das hat gewiss nichts mit einem Wein zu tun oder Spumante. Vermutlich auch nicht dem Aus- und Anblick, dessen ich einfach nicht überdrüssig werde, so sehr ich es auch versuche. Drohen mir die Augen zu schmerzen vom Blick auf Lago, Berge und feine Wolken, drehe ich mich geschwind herum und blicke auf eine pompöse Steilwand nebst moosbewachsenem Sträßchen durch Haine, die sich nicht entscheiden können, ob sie Olivenbäume, Weinreben oder doch nur Maronen und Pfirsiche hervorbringen sollen. Irgendwo hinter dem Massiv singt eine Kirchturmglocke ihr bezauberndes 12-Uhr-Lied, unter mir wirbeln Töpfe den betörenden Duft von Mittagsknoblauch herauf, unddddd ctu93ß4#1qld HUCH! Diese Babykatze, der kleine Tollpatsch … Pardon. So sinne ich also einem Wort hinterher, nämlich ob eigentlich das Gegenteil von Aktivurlaub der Inaktivurlaub ist oder wie man das sonst nennt, und wie mit der Suche nach dem Wort bin ich auch mit der Un- bzw. Tätigkeit an sich überfordert. Aktivurlaub easy: Im Morgengrauen aufstehen, in Wanderhose und Funktionsshirt gehaltvolles Frühstück reinwerken, um spätestens 10 Uhr am Berg aufschlagen, weil Strecke sowohl unwegsam als auch unbekannt, 9km bis zur ersten Einkehr, 17km zurück und zwar zackig, weil das Wetter am Berg und so, man kennt das. Schlammverschmiert irgendwo einkehren, schnelle Speisung unter Gleichgesinnten. Um 21 Uhr im Bett liegen und das spät nach Haus kommende Partyvolk verachten, diese faulen Lumpen. Koma, aufwachen same procedure. Das kann ich. Jetzt also Inaktivurlaub, zu dem ich mich selbst verdonnert habe – und große Ratlosigkeit seit einer Woche, beginnend mit der morgendlichen Klamottenwahl. Wenn ich nachher vielleicht mit einem Gondelchen vielleicht einen Berg hinauffahre, um dort vielleicht ein bisschen zu spazieren und zu laufen, im Anschluss vielleicht noch durch ein Städtchen schlendere und irgendwo ein Abendessen einzunehmen in Erwägung zöge, dann kann ich doch nur drei Wechseloutfits mit mir herumschleppen oder den ganzen Tag falsch gekleidet sein?! Und entweder im wehenden Boho-Chique oben auf dem Berg als übler Dilettant auftreten, der nur des Fotos und Crémants wegen mit der Seilbahn raufgefahren ist statt aus eigener Kraft sich fluchend hochzuschleppen, dafür später passend für Lido und Piazza. Oder oben verschwörerisch zwinkernd in Steigeisen, Kletterhelm und Seilschaft den anderen Aktivlingen Fitness, Aktion, Schweiß und Blut vorzugaukeln (hoffentlich sieht mich keiner beim Verlassen der Gondel!), dafür später am Lido riskieren, dass sich der Boho-Chique beim Aperitivo naserümpfend von mir wegdreht und das Spumanteglas zuhält aus Sorge, ich könnt versehentlich hineinschweißeln … Nein, man hat’s nicht leicht. Hoffentlich kann ich bald wieder nach Hause.

Freitag, 20. September 2024

Urlaubsvorbereitungen

 

Liebe Freundinnen und Freunde, wenn ihr das hier lest, bin ich nicht mehr da. Weil nämlich auf der Strada de Sol (vulgo: A9): pfeilgrad südwärts, Brennero, Pasta, Dolci! Weil wir haben uns gedacht: Hey, jetzt wo bei uns der Spät- und Altweibersommer mit Primatemperaturen und Sepialicht am Start ist, könnten wir doch auch einmal noch einen Urli machen und deswegen haben wir auch extralange gewartet mit der Planung, um sichergehen zu können, dass wir dann auch einen Teil der Welt erwischen, wo gefälligst anständiges Herbstwetter herrscht. Gestern Bestätigungstelefonat mit der sich in der Toskana befindlichen Vorhut: „Und, wie isses?“ – „Super. Seitdem wir in die FeWo umgezogen sind frieren wir nur noch wenig und die ganzen Campingsachen sind fast trocken.“ Frau von Welt (ich) geht natürlich nicht campen, sondern macht sich den Rücken lieber in einem schön weichen Hotelbett kaputt und freut sich auf den allmorgendlichen Thrill, das immer zu knapp bemessene Zeitfenster zum Frühstücksbuffet zu verpassen: täglich ab 6 Uhr hochschrecken, dann irgendwann in tiefen Schlaf verfallen, um 9.55 Uhr im Schlafanzug mit wilder Frisur die letzten Krümel und ein kaltes Ei von der Tafel wehen und mit verquollenem Augenaufschlag um einen Cappuccino betteln. Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt gilt es erst, die Devise „so wenig Gepäck wie möglich“ mit der Durchquerung dreier Klimazonen und der absoluten Unplanbarkeit des Zielortes zu vereinbaren sowie das Wichtigste einer jeden Reise akribisch vorzubereiten: den Reiseproviant. Weil ich als Kind gelernt habe, dass man auf einer Urlaubsautobahn ab 250 km Strecke nur im absoluten sanitären Notfall anhalten darf und es weit und breit nichts zu essen gibt und man nie weiß, in welchen Staus, Wintereinbrüchen oder sonstigen Unwägbarkeiten man über Stunden hilflos gefangen sein wird, dreht sich ein Großteil meiner Vorbereitungen um das Thema „Proviant“. Schinkensemmeln und solche mit Käse, trockene Teilchen als Backup, dazu was Frisches (Apfel-, Karotten- oder Gurkenschnitz), Getränke mit und ohne Geschmack, ausreichende Mengen Trinkwasser, eine feine Auswahl Süßkram aus der Kategorie „nicht schmelzend, nicht bröselnd“, bis man das Gefühl hat: Damit kommst du die nächsten 48 Stunden auf alle Fälle durch. Beruhigt und auch stolz (Herde gerettet!) schlichtet man dann Kühltaschen, Jutebeutel und Tupperware fein uns Auto. Um kurz hinter Hilpoltstein alles wieder hervorzuzerren, die Hälfte des Proviants auf einen Schlag aufzufressen, bis zum Übertreten aller Landesgrenzen pappsatt zu sein, sich am ersten Autogrill sogleich einen schönen landestypischen Urlaubssnack zu gönnen (Die Aussicht! Die gute Autobahnluft!) und die nächsten Tage latschige Semmeln und schrumpelnde Gemüseschnitze überall mit hin zu schleppen. So wird das sein. Ich freu mich sehr!

Freitag, 13. September 2024

Hühnersuppe und Föhn

 

„So hatte ich das mit dem ‚frei atmen können‘ eigentlich gar nicht gemeint“, hab ich gestern Abend geschimpft, und ich fürchte, es hat eher geklungen, als würde ich aus einer Gießkanne sprechen, nämlich so: „HUM PFOH BUI HUGHOH BFAMM I PMOOB“. „Frei atmen zu können“ war mein sehnlichster Wunsch gewesen in den ganzen vergangenen Wochen, in denen wann immer ich das Gesicht zu Tür oder Fenster hinaussteckte mich der dringende Eindruck befiel, es hielte mir jemand einen heißen Föhn direkt ins Gesicht. Das mag ein nettes Gefühl sein im sagen wir mal Januar, wenn es klirrt und kaltet und Menschen nach Ägypten fahren und nach Thailand und halt überall dorthin, wo eine Wärme herrscht, nur man selbst sitzt als einziger armer Wicht daheim und friert weil keine Gelder mehr übrig sind oder keine Urlaubstage. Dann kann man den Föhn holen und sich ins Gesicht föhnen, die Augen schließen und an Ägypten denken oder an Thailand oder halt an da, wo Wärme herrscht. Urlaub des kleinen Mannes, quasi. Es war eigentlich aber sogar eher so wie bei Kaufhof oder Karstadt, vielleicht auch Hertie, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls da, wo du eine Ladentür aufmachst und in dem Moment wirst du von einer heißen Luftfontäne gleichzeitig zu Boden und rückwärts aus dem Ladengeschäft wieder hinausgedrängt und es gelingt dir nur mit großer Kraft und sehr angehaltenem Atem, diese Wand der Willensprüfung zu durchbrechen, anstatt dass du einfach aufgibst und dich auf die Luftwelle legst und von ihr wieder dorthin tragen lässt, woher du mal gekommen bist, und dann liegst du da und denkst dir „war gar nicht so wichtig“ und transust wieder heim. Auf diese Weise habe ich den August und ein bisschen vom September verbracht: Große Pläne, ab zur Haustür, angeföhnt, kurz erstickt, schnell wieder in die Wohnung, erschöpft hinlegen. Nein richtig, ich hab in der Zeit nicht wirklich viel geschafft, eigentlich nichts außer bei jeder Gelegenheit um Atemluft zu bitten. Die hab ich jetzt. „HUM PFOH BUI HUGHOH BFAMM I PMOOB“ tönte also mein Klagen aus der Gießkanne, die in Wahrheit ein riesiges Inhalationsgerät war, in die ich meine Lungen steckte, um den bösen Geist zu vertreiben. Denn wie es sich gehört, bin ich in der Sekunde des Wetterumschwungs einer stattlichen Erkältung anheimgefallen – komisch, hat sich die Temperatur einfach halbiert. „DAS HAST DU JETZT VON DEINEM SCHEIßWUNSCH NACH SCHEIßWETTER!“ tröstet mich ein Freund, und ich kann nichts außer reuig dreinblicken mit blutunterlaufenen Basset-Augen und schuldig nicken. … HAAAAAAAAATSCHI! Oh pardon, jetzt hab ich euch auf die Zeitung genießt, das wollte ich nicht. Am besten ich geh gleich ins Bett. Einmal Hühnersuppe bitte! Und einen Föhn!

Donnerstag, 5. September 2024

Ewiger Sommer

Taufeuchte Schritte, das Gesicht glücksverschmiert. Endlose Flächen der Möglichkeiten. Tausend bunte Abenteuerstifte malen Erinnerungen aus emsigen Morgen und bräsigen Tagen, aus glitzerndem Staunen und kichernden Nächten. Wenn die Luft nach Freiheit riecht und nach Moorseen, nach Unendlichkeit und Schmierdichbitteein, nach Pommesfingern und Waldhöhlen, dann ist wahrscheinlich Sommer. Dann bist du Kind und in den längsten Ferien, die du jemals haben wirst, sechs Wochen Ewigkeit der größte denkbare Zeitraum, nach dem du im besten Fall auf Ameisenstraßen gesurft bist und Hitzewellen geritten hast. Und Erinnerungen gestrickt, die dich begleiten durch die Tage, in denen Sommer nur mehr heißer Asphalt sind und Überstunden, die Kita geschlossen und der Kopf vielleicht auch. Mein Sommer lebt für immer in einem parkgroßen Garten in Niederbayern, umgeben von Kornblumenfeldern ein klarer Blick auf die Berge. Eine Grenze, die zu passieren es ominöse, aber wichtige kleine Heftchen brauchte, nicht weit. Dahinter seepralle Tage mit einer lautbunten Großfamilie, die für immer meine Vorstellung perfekter Badeausflüge in Form gelacht und ohne Lichtschutzfaktor in mein Herz gebrannt haben (Ausführung folgt). Davor das Paradies. Mit einem Birkenwald, zwischen dessen drei Bäumen eine zeltgroße Hängematte zum ewigen Baumeln einlud. Mit Streifzügen durchs Schlaraffenland, das an jedem Zaun und jeder Häuserwand, hinter den Hecken und unter den Bänken dicke Brombeeren bereithielt und pausbäckige Johannisbeeren, die ich vor Omas Marmeladentopf direkt in den Mund hineinrettete. Mit der schönsten Pergolaschaukel, die mich hineinhob ins dichte Grün des Weines, unter dessen Laubdach die Erwachsenen saßen und Erwachsenendinge taten. Mit flackerndem Kaminfeuer und einem riesigen Kochtisch, um den man sitzen und unerhörte Mengen Spaghetti zubereiten konnte. Mit einem farbtriefenden Meer aus Blüten und Blumen, die der Großvater mit der gleichen Sorgfalt pflegte wie meinen blondgewaschenen Kinderkopf, den er mitnahm in die erstaunliche Welt der Salatfelder und Urwälder, zu denen sich Gurken und Bohnen, Tomaten und Zucchini rankend verdichteten. Mit Karl-Valentin-Gedichten zu jedem Anlass und ganz persönlichen nur für mich, die mir das Schlafengehen im geheimnisverstaubten Dachbodenzimmer versüßten, während unten die Erwachsenen die Nacht erhellten und melonengroßgrüne Weinflaschen leerten. Mit winzigen streichelweichen Hasenkindern und einem Stall voll Cousins und Cousinen und einer Luft, die morgens taufeuchte Füße bringt und abends staubige Sohlen, die vor dem Haus sitzend die letzte Wärme aus dem Asphalt saugen und die Sonne über aufgeschlagene Knie hineinschickt in die Seele, die in Erinnerung lächelt und sich feste in die Umarmung des Glücks schmiegt. So lebt mein Sommer. Für immer.

Freitag, 30. August 2024

Einschlafbegleitung

 Ich höre zum Einschlafen derzeit viel Jazz. Das ist sehr angenehm, erinnert mich an meine Kindheit, die ich grob geschätzt durchgehend in Biergärten bei Jazz-Frühschoppen verbracht habe, und mit samtigen Tönen wiegt mich die Trompete in den Schlaf. Das gefällt mir. Ich würde auch zum Einschlafen Jazz hören, wenn es mir nicht gefiele, denn nicht ich wähle die musikalische Einschlafbegleitung, sondern der Nachbar. Und nach meiner Vermutung ist es derselbe Mensch, der das ganze Karree mit Duke Ellington, Ella Fitzgerald oder Miles Davis, manchmal auch mit Debussy, Chopin oder Stravinsky betört, der lauthals schreiend seinen Unmut kundtut, sobald jemand anderes hier zeitgenössische Popmusik auflegt. Denn merke: Es gibt kein Richtiges im Falschen, so auch nicht bei der öffentlichen Musikbeschallung, und wenn wir hier schon den ganzen Tag Schlagerparade und Oldie-Night ertragen müssen, soll sich der Geist abends erholen dürfen. Und das tut er eben gemeinhin bei Jazz und Klassik besser als bei Gabber oder Gangstarap. Das gilt gefälligst für jeden, aus Ende Äpfel, hab ich auch gestern gedacht, als der in der Hitze der Hundstage sirrende Asphalt des mittäglichen Straßenverkehrs von mächtigem Geschepper durchschnitten wurde. Und genau in dem Moment, in dem ich in Erwartung eines tiefergelegten BMWs die klugen Worte „Meine Güte, ihr Volltrottel immer mit eurem beschissenen besten Musikgeschmack, den ihr der ganzen Welt beibringen müsst!“ laut aus dem offenen Fenster denken wollte, überholte mich ein singender Strohhut. An Gesang und Kopfbedeckung befestigt war ein altes Runzelgesicht mit grauem Haar in einer sich sichtlich im Zerfall befindlichen Schrottkiste, die unter dem Italo-Pop-Beschall nur so zitterte. Ich schloss den Mund zu einem Lächeln und freute mich, denn es gibt kein Falsches im Richtigen, und gute Musik darf, nein: muss man nicht nur laut hören, sondern auch mit vollem Körpereinsatz schmettern. Und im Großen und Ganzen macht es einfach mehr her, vielleicht nicht ganz schön, aber dafür schön laut hörbar mitzusingen als das Gesicht nur zum stummen Schrei zu verziehen. Das weiß auch schon der Lieblingszwerg, und so besteigt er das Auto mit Befehlen: „DACH AUF!“ und „KAKADU!“, woraufhin stets eine Lektion musikalische Früherziehung im ganzen Stadtgebiet erfolgt, nämlich dann, wenn drei Generationen Geraldino (Oma, Tante, Kind) im offenen Cabrio tanzen, lauthals singen und irritierten Blicken ein kokettes Winken bescheiden. Sag ich „Kind, können wir einmal auch eine gute Musik hören?“ sagt das Kind „NEIN!“ und beendet die Diskussion. So lern ich mich zu fügen. Vormittags Schlager, nachmittags Geraldino, abends Shirin David und Apache und zum Einschlafen dann, was auch immer der intellektuelle Herr Nachbar wünscht. Aufregen? Viel zu heiß.

Freitag, 23. August 2024

Hot oder Schrott

 Zwei rundliche Personen versuchen, mittels zu Leitersprossen umgewidmeten Schnellspanngurten einen Baum zu erklimmen. Sie scheitern aus den gleichen Gründen, aus denen sie sich später auf dem Boden wälzen und auf ihren kugelrunden Bäuchen wippen. Auch das geht eher daneben, ist jedoch ein heiterer Spaß, denn schließlich befinden wir uns bei … „Hott oder Schrott, die Allestester“, sprach ich ehrfürchtig zum Mann, „da könnte ich sehr gut auch mitmachen“, und er schenkte mir einen (als Augenverdrehen chiffrierten, doch für Eingeweihte und Kenner eindeutigen) liebevollen Blick: „Ja, mein Schatz. Das könntest du“, du ließ den liebevollen Blick schweifen über die zerklüftete Landschaft aus meterhohen Kartonagen, bodenbedeckenden Gebrauchsanleitungen, nachlässig sortierten Stapeln und markierten Katalogseiten. Doch ich erkenne einen Affront, wo einer versteckt ist, und wusste sogleich ein stets vorbereitest Plädoyer zu halten. „Nicht schuldig!“, selbstverständlich, sondern hilf- und wehrloses Opfer der Umstände – das bin ich! Wir erinnern uns: die „orthopädische Befindlichkeit“, die ich vor satten 9 Wochen rapportierte, sich um Genfer Konvention nicht scherte und mich mit Schlafentzug folterte, hatte ihren Ursprung im rechten Schlüsselbein, das welches zum Zerbersten nur einer unachtsamen Sekunde bedurfte, zum Heilen jedoch – naja. Welch zentrale Rolle dieses bislang von mir höchstens in erotischen Zusammenhängen beachtete Knöchlein so gesamtkörperlich betrachtet spielt, wurde mit in den letzten Wochen schmerzlich bewusst. Und während die Menschheit hier einen auf Sommer, Sonne, Kaktus macht, bin ich qua Orthese zum kompakten Rollbraten verschnürt zum Schmoren im eigenen Saft gezwungen. Freibad, Festival, Radlausflug? Mhm nee danke, ich bleib „lieber“ daheim. In Ermangelung jeglicher kultureller wie sozialer Stimuli habe ich ein Kompensationsinstrument entdeckt, das mir bislang völlig fremd war – und heut mein bester Freund ist: hirnloses Internet-Shopping. Ihr hängt im Freibad rum? Ok cool, ich auf Idealo. Ihr geht in den Biergarten? Prima, ich geh online. Der Wetterochs kündet perfektes Ausflugswetter? Mag schon sein, doch der Algorithmus hat für mich andere Pläne, denn mir ist fad und das viele Krankengeld gibt sich auch nicht von alleine aus. Auf diese Weise bin ich jüngst u.a. Besitzerin eines Wespen-Wedlers geworden, der besonders gut im Innenraum nicht funktioniert, einer Strandmatte mit Lehne, die ich alleine nicht aufbauen kann, wiederverwendbarer Wasserbomben, die einen kreischenden Kinderhaufen sehr glücklich und mich pudelnass gemacht haben, sowie eines Handventilators, den ein regionaler Influencer kurz in eine Kamera gehalten hat. Wegen der 27 Paar Luxus-Sneaker droht jedoch bald Ärger: Eine horrende Rechnung möchte bezahlt werden, derweil ich die Schuhe seit vier Wochen noch nichtmal anprobiert habe … Kontrolle übers Leben verloren? Iwo. „Schuld war nur das Schlüsselbe-hein, das war schuld daran!“ 

Freitag, 16. August 2024

Schlagbohrermove

 Bardentreffen, Klassik im Park, Hiphop-Party, Love Parade und Jazz Openair: Es ist ganz klar eine der Hauptzutaten eines gelungenen Sommercocktails, möglichst viele musikalische Veranstaltungen unter freiem Himmel zu besuchen. Und dabei ist es uns meistens ein bisschen egal, ob es aus diesem Himmel grade blitzt und donnert oder afrikanische Gluthitze auf unsere mitteleuropäischen Bleichköpfe knallt. Tanzen im Freien, laute Musik ohne begrenzende Wände – es liegt so ein ganz besonderer Zauber, dieses ganz bestimmte Freiheitsgefühl darin, sich von heißen Rhythmen, sanften Gesängen oder orchestralem Pomp umarmen und hinforttragen zu lassen, eingebettet in die Lieblingsklänge den Kopf in den Urlaub zu träumen und sich vom Bass massieren zu lassen, während der Augustschweiß das Galaoutfit durchnässt und am Firmament die Sternschnuppen kreuzen. Aus diesen Gründen freue ich mich außerordentlich, direkt vor meiner Haustür und damit auch vor allen geöffneten wie geschlossenen Fenstern mein eigenes Schlager- und Oldie-Festival veranstaltet zu wissen. Start: 7 Uhr, Ende gegen 17 Uhr, Eintritt frei, Getränke gerne von zu Hause mitbringen oder direkt vom Küchenfenster aus genießen – so in etwa lauten die außerordentlich lockeren Rahmenbedingungen, und weil’s gar so schön ist, steigt die Party nicht nur wie die sonst üblichen Amateur-Veranstaltungen am Wochenende über ein bis zwei Tage, sondern ist als rauschendes Fest der Musik vor einigen Wochen gestartet und bislang kein Ende in Sicht. Initiator des Events ist ein Bauträger namhafter Größe der Region, dessen exzellente DJs sich tagein, tagaus darum bemühen, die Anwohnerschaft mit phänomenaler Gute-Laune-Mukke für die Baulärmstrapazen der letzten Monate zu entschädigen. SCHEIß DRAUF, MALLORCA IST NUR EINMAL IM JAHR!, AMOI SEG’MA UNS WIEDA, VERDAMMT ICH LIEB DICH oder ANTON AUS TIROL – nach tagelangem Schlagermove sind wir neulich gemeinsam im Best of Oldie-Radio angekommen, das dem schnöden Alltag einen ganz vorzüglichen Soundtrack verleiht. „Girls just wanna have fun“ lautet dann die Begleitmelodie zum Müll runtertragen, „No milk today, my love has gone away“ läutet den Weg zum lästigen Einkauf ein. „Hold the line“ singt es zur Heimkehr nach Prosecco-Frühstück, und lieber „Moonlight Shadow“ als gar kein Schatten. Ich freue mich über diese akustische Kulisse, muss aber zugeben, dass sie im Vergleich zur Dachdecker-Truppe im letzten Jahr eher enttäuschend ist: Bei der in der Musikauswahl federführenden Person muss es sich um einen jungen Vater gehandelt haben, der von Sehnsucht verzehrt oder Ohrwürmern durchbohrt oder beides war. Tagelang brüllten hier „EINS ZWEI DREI IM SAUSESCHRITT“, „ARAMSAMSAM, ARAMSAMSAM“, „FÜNF KLEINE FISCHE, DIE SCHWAMMEN IM MEER“ und andere Evergreens des Kinderliedguts von den Dächern. 

Freitag, 9. August 2024

Olympische Kinderspiele

 Fechten, Boxen, Kraul und Zehnkampf – selten war mein Leben so sportlich, seitdem ich bei den Bundesjugendspielen 1989 nach der zweiten Platzumrundung in akuter Schwäche zu Boden gesunken war und Tante Inge nicht wusste, ob sie Maßnahmen zur Reanimation oder gegen Hyperventilierung ergreifen sollte. Aus dieser Erfahrung speist sich auch meine Erklärung auf die Frage, wie und wann wohl entschieden wird, ob ein Mensch sich künftig dem Hammerwurf oder Stabhochsprung widmet. Ich mutmaße, dass auch mich einst ein Lehrkörper zur Seite nahm und vertrauensvoll riet: „Katharina-Liebes, du sehnst dich zwar nach der Eleganz und Leichtfüßigkeit einer Stufenbarren-Artistin, doch die Natur hat andere Pläne mit dir. Komm, wir lassen die glitzernde Welt der grazilen Luftakrobatik mal links liegen und ich zeige dir, wo deine Heimat qua Physiognomie dereinst liegt: Im Hammerwurf sehe ich eine glänzende Zukunft für dich und deine robuste Statur.“ So oder so ähnlich könnte es sich zugetragen haben, aus Trotz landete ich beim Fußball und geriet zu einer erfolgreichen Rechtsaußenverteidigerin mit strammem Schuss und berüchtigtem Hang zur Blutgrätsche, bis die Natur auch diesem ruhmreichen Gang Einhalt gebot und mir zwei zerstörte Kniescheiben bescherte. Seitdem Sport tendenziell nurmehr passiv, doch sowohl olympischer als auch Wettkampf-Gedanke sind mir erhalten geblieben. „Zwergi!“, rief ich also neulich dem Lieblingskind zu, welches sich trotz glühender Außentemperatur beharrlich weigerte, nebst drei Stück Kuchen auch nur einen einzigen Schluck Wasser zu verzehren, „Wir machen einen Wettkampf! Wer zuerst das Glas ausgetrunken hat! Gib dir keine Mühe, ich gewinne eh!“, und während ich das Glas zum Mund hob und sanft meine Lippen benetzte, soff der Kleine, was das Zeug hielt, um mir nachher mit überlaufenden Augen und hochrotem Gesicht, aber breitem Siegerlächeln das leere Glas zu präsentieren. Seitdem machen wir unser eigenes Olympia – wie’s uns grad gefällt nehmen wir die Disziplinen, wie sie kommen, und eifern um die Wette, soweit es das Motto „Sport mit Dreijährigen“ eben zulässt. Als da wären: Kirschkernweitspucken (Sieger: ich, Preis: Anschiss wegen eingesautem Kindershirt), Wespenfluchtlauf (Sieger: Zwerg, Preis: mehr Eis), Freibadarschbomben (Sieger: Hast du grad gesagt ich hab einen dicken Hintern??), Wetttrödeln (Sieger: guess who …), Zeit-Dümpeln (Abbruch wegen Schiebung, klarer Vorteil Zwerg durch Schwimmweste), Pfützenweitsprung (Sieger: Zwerg, Preis: Anschiss ich wegen eingesauter Kinderhose), Wasserbomben-Contest (Sieger: ich, Preis: weinendes Kind klaubt Plastikreste aus dem Rasen) sowie Indoor-Malen (Sieger: Zwerg, Preis: Wände jetzt frisch geweißelt). Könnt ich ewig weitermachen. Dabeisein ist schließlich alles! 

Freitag, 2. August 2024

Restessen

Fragen, mit denen wir uns gemeinsam übers Sommerloch hieven können: Wer wird neue US-Präsidentin? Wann ist ein Mann ein Mann? Was isst Markus Söder morgen? Und wer ist eigentlich Giovanni Mozzarella? Wir können das aber auch sein lassen und uns stattdessen mit der einen wahren, wichtigen Frage beschäftigen: Warum ist am Ende des Hungers immer noch so viel Grillgut übrig?! Ja richtig, ich schreibe diesen Text mit einem ausgewachsenen vormittäglichen Hungergefühl im Bauch. Leider ist im Kühlschrank nichts vorhanden, was dieses zu stillen vermag. Oder anders: nichts, was auch nur ansatzweise appetitanregend wirkt. Und das, obwohl der Kühlschrank wortwörtlich zum Bersten gefüllt ist. Allerdings mit, naja: Resten. Es gibt ersoffenen Krautsalat und aus der Form geratene Kräuterbutter, kalte Veggiewürste und zu unansehnlichen Fettklumpen erstarrte Käsetaler, es gibt versteinertes Baguette und Nudelsalat (geschüttelt, nicht gerührt), der mich mit milchigen Augen dämlich anglotzt wie Karpfen im Aquarium, nebst phasengetrennter mediterraner Aufstriche, außerdem übermäßig sonnengereiftes bzw. vorgekochtes Gemüse sowie eine tonnenschwere Wassermelone unbekannter Herkunft, nicht zu vergessen eine extra große Flasche Curryketchup (der echte, von Hela), eine XXL-Tube Senf (extrascharf) und, natürlich, das Dreigestirn des Grillabends: Cocktail-, Knoblauch- und Curry-Sauce. Die verschiedenen Getränke (Bieri diversi sowie gemischtes aus der Limo-Theke) mal ganz außen vor gelassen … Wie konnte das passieren? „Wir grillen, aber nur ganz rustikal!“ heißt meistens die Parole, und damit ist gemeint: Bitte mach dir keine Arbeit, aber erwarte auch nicht, dass ich mir welche mache. Sich bodentief durchbiegende Tafeln mit allerlei Salaten, Dips und Mariniertem – nicht mit mir, denn schließlich ist die Zeit stets knapp. Der Schlachtruf lautet „Männergrillen!“, und damit ist klar: Fleisch und Bier, fertig. So war das zumindest mal. Mittlerweile ist aus der präzisen Anordnung eine schwammige Angelegenheit aus Abstinenz, Fleischverdruss und Intoleranzen geworden, weswegen jeder aufgerufen ist, sich selbst zu versorgen – und zwar NUR sich selbst! Doch wenn fünf Personen mit Hunger einkaufen, erwerben sie Lebensmittel für zehn, und weil „da hab ich gedacht dass ich das mal mitbring für alle zum Probieren“ und „davon hab ich paar mehr eingekauft falls das auch jemand mag“ und weil „ich kann bei der Hitze nicht mehr essen als ein halbes Würstel und einen Melonenschnitz“ passiert eben, was passieren muss: der große Überfluss, der jetzt meinen Kühlschrank verstopft sowie vermutlich den vieler anderer ebenfalls. Hunger? Hab ich jetzt eigentlich keinen mehr. Ist eh viel zu heiß.

 

Freitag, 26. Juli 2024

Festessen

Momentan wird sehr viel gefeiert. Wo man auch hinschaut, überall gibt’s ein kleines bis epochales Fest, und so empfinde ich es nur als stimmig, dass auch die Fruchtfliegen sich zu hunderten und abermillionen in meiner Küche eingefunden haben. Hier feiern sie eine rauschendes Fest, lassen die Füße fröhlich baumeln in den Pool aus feinstem Bio-Apfelessig, den die Veranstalterin (ich) ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt habe, nehmen zwischendurch eine kleine Abkühlung im Kühlschrank und tun sich am Buffet in Spülmaschine und Kompost gütlich und laben sich an der Restebar im Glasmüll. Wie seine unmittelbaren Verwandten ist auch der Mensch kein Kostverächter, und so, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, sei das Hauptauswahlkriterium für Besuch oder Fernbleibung eines Festes die vermutete Speisendarbietung. „Gehst du zum Dings?“ – „Naa ich denk nicht, seitdem die vor zwei Jahren bei diesem Ernährungsguru waren und Salzembargo herrscht, ist das nicht mehr auszuhalten.“ Oder „Sehen wir uns eigentlich am Wochenende beim Jubelheini?“ – „Boah nee bloß nicht, wenn ich noch einmal ‚veganer Rollbraten und Naturwein‘ hör kann ich für nichts garantieren!“ Es geht aber auch andersherum, nämlich die gezielte Aufsuchung einer Festivität ungeachtet der Mitgäste und Thematik einzig und allein des Essens wegen: „Pressesommerfest? Also die ganzen Nasen muss ich zwar eigentlich nicht sehen, aber was die Jungs und Mädels von der Kochschule da immer hinzaubern, lass ich mir nicht entgehen!“ ist ein Satz, der natürlich nie so gesagt worden, aber denkbar ist … Und so kam mir dieser Tage ein gar herrlicher Gedanke. Ich stand und wartete, und um mich herum strömten Menschen schwer bepackt mit großen Schüsseln, schweren Schalen und riesigen Platten. „Ach guck!“, sagte ich, „ein Schulfest, wie schön!“ und fragte den Mann, ob wir nicht dorthin zum Abendessen gehen wollen. Seine Frage, ob ich spönne, musste ich verneinen und stattdessen die Vorzüge ausufernder Mutti-Buffets zum schmalen Preis rühmen. „Das merken die doch, dass wir da nicht hingehören!“, so die Sorge, und ich halte das für Unfug. 600 Schüler*innen à 2 Eltern nebst Omaopapatentante – wer soll da schon den Überblick behalten? Und wird man doch angesprochen, antwortet man eben freundlich. Dass man die Mama sei vom kleinen Ludwig, der aufgrund seiner schweren Krätze leider nicht kommen könne. Ob man auch schon von den unhaltbaren hygienischen Zuständen in der Turnhalle gehört habe? Dass man gern wüsste, wer sich das mit der gestrichenen Nachmittagsbetreuung überlegt habe! Dass die Krapfen der Tombola wirklich ganz vorzüglich seien, man nur hoffe, die Schule nicht wie im letzten Jahr von einer Durchfall-Epidemie dahingerafft zu wissen … Ich denke, man kommt da gut durch. Wie viele Schulen gibt’s gleich wieder in der Stadt?

Freitag, 19. Juli 2024

Sommer für daheim

 „Drinnen ist das neue Draußen“ – ein Satz, für den ich früher Freundschaften gekündigt hätte. Ach was, ich hätte mir noch nicht mal die Mühe gemacht, zu kündigen. Ich wäre einfach verschwunden. Handynummer gelöscht, Facebook getrennt, Empfänger unbekannt verzogen, entschuldigen Sie bitte. Da drüben wo die Staubwolke weht, da war doch grad noch … hm, komisch. Tschüssikowski!, hätt ich geschrien, wir sehen uns im nächsten Leben wieder, du seltsamer Drinnenmensch, schönes langweiliges Dasein wünsche ich!, und wäre abgetaucht im Lavarot der flüssigen Straßenbeläge, der heißen Wüstenwinde zwischen glühenden Häuserschluchten und wäre wie der schönste Wüstenwurm hindurchgeglitten durch die Backofenglut. Doch zu meiner großen Überraschung wird der Mensch nicht jünger, so auch ich nicht, und so ertappe ich mich unversehens bei Sätzen wie diesen: „Ich wollte eigentlich ins Bad fahren, aber jetzt hab ich grad versehentlich kurz die Balkontür aufgemacht und hab dann überlegt dass ich lieber doch zu Hause bleiben möchte.“ „Drinnen ist das neue Draußen“ sagt also die Freundin, die mit mir zum Planschen gehen wollten, und beide sind wir erfüllt von gegenseitigem Verständnis und tiefer Verbundenheit: Statt gemeinsam im Freibad am Wüstenwind zu ersticken, sich die Füße auf dem Weg zum Pool am glühenden Beckenboden (haha, „glühender Beckenboden“ – das muss ich mir merken für wenn ich mal Sexromane schreib später!) zu verbrennen und gemeinsam mit 37 anderen Freibadbesuchenden im Schatten des einzigen Baumstammes zu drängen („Ähm, Ihr Fuß ist in meiner Kühltasche!“ – „Oh, und ich hab mich schon gefreut, Entschuldigung!“) verbrachten wir den Nachmittag räumlich getrennt, doch vereint im Messenger jede hübsch daheim auf dem kühlen Kanapee. Das war schön. „Aber das ist doch eh kein Sommer!“ jault man empört um mich herum und beklagt verregnete Biergärten, zerstochene Grillabende und zu kalte Pools. Nun, das ist richtig, und es tut mir freilich leid um die Sommertiere unter euch. Aber ich habe mir Gedanken gemacht und deswegen Tipps für das perfekte Summerfeeling: Setze dich auf dein Sofa. Stelle den Ventilator vor dein Gesicht und hänge den laufenden Föhn davor; versuche, tiefe Atemzüge zu nehmen. Öffne den Ofen, lege Grillfleisch und Käse auf den blanken Rost, stelle auf höchste Stufe und vergiss alles. Öffne die „Autohupen“-App, stelle auf Endlosschleife. Spüre die Aggression. Stelle Eiscreme in die Mikrowelle, beträufle dich damit, verreibe alles mit Sonnencreme. Klebe. Gehe nicht auf deine Toilette, sondern aufs Dixieklo der Baustelle nebenan. Trinke warmes Radler. Verdurste. Sammle Spülwasser, tunke die Füße hinein. Schnuppere am Chlorreiniger. Fühlst du’s schon? Dann noch Juckpulver wahllos verteilen – voilá! Hier ist er, den Hochsommertag für Zuhause. Gern geschehen! 

Freitag, 12. Juli 2024

Fussi ade, Fairplay tut weh

 Da geht sie hin, die Fußballsause, und ich blicke ihr wehmütig hinterher. Ade, sichere Abendbeschäftigung, ciao ciao, garantiertes Gesprächsthema – lass uns nur zurück in unserem schnöden Alltag voller Leere und nurmehr Lamentieren übers Wetter, wo Abende wieder mit Filmen oder gar Gesprächen gefüllt werden müssen und Tage nicht mehr selbstverständlich aufs 18- bzw 21-Uhr-Ziel hin verlebt werden, Haushalte vernachlässigt und Ernährung sowieso. Während es also jetzt nur noch zwei verbliebene Länder gibt, die zur Familienspaltung beitragen („EVIIIIVA ESPANA!!“ – „Ich glaub du spinnst! IT’S COMING HOME, IT’S COMING HOME – FOOTBALL’S COMING HOME!!“ – „Ok, der Verlierer macht den Abwasch!“ – „Und der Gewinner bestimmt das Fernsehprogramm den restlichen Monat. Deal?“ – „Deal!“) bleiben mir persönlich ganz unnationale Fragen und ein Gefühl höggschder Unzufriedenheit zurück. Fragen: Hat es jemals ein Turnier gegeben, bei dem es mehr geregnet hat? Warum schneiden sich mange Kicker Lochmuster in die Socken? Und: Seit wann werden Spielfeldrandinterviews ausschließlich von Models geführt, gibt es da eine eigene Klasse in der Journalist*innenschule oder zieht man die extra aus der Gala ab oder gibt es da ein Casting „Germanys next Topspielerfrau“? Der Mann schimpft mich, diese Frage sei antifeministische Nestbeschmutzung, womit er recht haben könnte. Wende ich mich also den anderen Fragen zu, nämlich: Wo soll das alles eigentlich noch hinführen mit diesem Fußball? Am wahrscheinlichsten erscheint mir nämlich aktuell ein virtuelles Turnier, in dem KI-generierte Gentleman-Spieler regelkonform etwas machen, das so brav ist wie stricken und sich auch höchstens noch als Hintergrundrauschen zu dieser Entspannungstätigkeit eignet. Wo bleibt denn da die Emotion? Nichts passiert mehr. Statt Prügelei auf dem Spielfeld – herrlich: erwachsene Männer schreien und schubsen sich wie beim schönsten Pausenhof-Gerangel – gibt’s höfliche Klassensprecher-Beschwerde und Shakehands. Statt im Taumel der Gefühle vom Leib gerissene Trikots gibt’s verschämt hinter Stoff versteckte Vitalsign-BHs – ob David Beckham derjenige wäre, der er heute ist, wenn wir ihn nicht so oft halbnackt gesehen hätten? Ich weiß es nicht. Statt Handgemenge noch in der fünften Nachspielgeneration über Torlinien- und Abseitsentscheidung gibt’s Fußbälle mit Pulssensor, und statt losbrechendem Torjubelgeschrei, Samba auf dem Rasen und Umarmungen Wildfremder gibt’s lieber erstmal ängstliche Blicke zum Video-Schiri. Statt Flitzer Nahaufnahmen vom Rasen. „Aber dafür konzentriert man sich jetzt auf schönen, technischen Fußball!“, sagt der Mann, und ich gähne herzhaft. Will ich nicht. Ich will Tränen, Blut und Ruud Gullit, der vor meinem inneren Auge Rudi Völler in die Frisur spotzt, als wär es gestern gewesen.

Freitag, 5. Juli 2024

Sommergarderobe

 Ich habe einen Comic in die Hände gekriegt. Eine kleine bunte Zeichnung, ganz simpel, aber sie erfreut mich sehr. Es gibt zwei Bildchen zu sehen. Auf dem oberen ist dreimal dieselbe Frau in unterschiedlichen Klamotten. Sie trägt zu roten Pumps wehende Kleider und neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Sommergarderobe – Erwartungen“. Auf dem zweiten Bild dieselbe Frau dreimal ganz anders: graues Shirt, schwarze Shorts, Schlappen. Überschrift: „Sommergarderobe – tatsächlich“. Seitdem ich diesen Comic entdeckt habe, verschicke ich ihn an nahestehende Personen mit dem Kommentar „ich“. Die Antworten sind deutlich: „Ja. Du.“ Und während ich mit einem Auge die Eindeutigkeit der Reaktionen bestaune, bestaune ich mit dem anderen den sehr großen Karton, der im Wohnzimmer steht und auf seine Öffnung wartet. Ich weiß, was drin ist. Aber nicht, warum. Denn es befinden sich darin wehende Kleider, neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke, die jemand online bestellt hat, nachdem er, also: sie bei strömendem Regen auf dem Kanapee lungernd vielleicht einmal zu oft eine Raffaello- oder Bacardi-Werbung gesehen und sich dabei gedacht hat „Hachz ja, irgendwann kommt er schon, der Sommer, und dann blickst du wieder neidisch auf all die schöne Sommergarderobe. Und dann beginnst du panisch, Klamotten zu suchen, doch leider gibt es dann keine mehr, denn im August, wenn dir auffällt, dass jetzt wirklich Sommer ist, hängt in den Läden schon der Herbst und dann bist du traurig.“ Leider kumuliert in mir drin dieses Unvermögen zum vorausschauenden Shopping höchst problematisch mit selektiver Farbblindheit und totaler Amnesie sowie der irrigen Annahme meines inneren Kindes, immer noch Ronja Räubertochter zu sein und als solche den ganzen Sommer gewappnet für das nächste große Abenteuer zu sein: Man könnte ein Dach erklimmen müssen, man könnte einen Schwimmbadzaun überwinden müssen, man könnte mit dem Fahrrad schnell zu einem Waldfest rasen müssen – alles Dinge, für die sich Kleider und Röcke nunmal nicht gut eignen, so wie Pastell und Weiß nicht, um damit in Fahrradketten hängen zu bleiben, an Flussufern zu sitzen oder sich in Heuberge fallen zu lassen. Dass ich all diese Raffaello- und Bacardi-Gewänder nebst Riemchen-Sandalen in allen erdenkbaren Farben und Formen besitze, vergesse ich schlichtweg immer, denn wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, sehe ich: für sämtliche Eventualitäten praktisches Schwarzgrau sowie bequeme Schlappen, mit denen man notfalls auch eine zehn Stationen umfassende Biergartentour erlatschen könnte statt mit schmerzendem Fuß an einen Barhocker gefesselt zu sein … Was mach ich jetzt mit dem Karton? Ich weiß: öffnen! Vielleicht kommt er ja dieses Jahr, der Bacardi-Moment!

Freitag, 28. Juni 2024

Bibliophilie

Hallo Hilfe! Situation! Ich muss meine Privatbibliothek auflösen, weil „jemand“, der hier einen gewissen Anteil der Miete bezahlt und deswegen gelegentlich Ansprüche auf die bezahlte Fläche erhebt, findet, es sei unzeitgemäß und lebensfeindlich, 20 Kubikmeter Wohnung mit ausgelesenem Papier aus 35 Jahren Leseleben zu besetzen. Und ich finde, dass da vielleicht ein Fünkchen Wahrheit drin ist. In meinem sogenannten Arbeitszimmer, das eigentlich Wasch- und Trockenraum, (deswegen auch) Gewächshaus für Anzuchtsaaten, Werkstatt, Museum, Lager und Transitzone (Dinge, die die Wohnung verlassen sollen, aber das aus irgendwelchen Gründen nicht zeitnah tun) ist, befindet sich eine Bücherwand. Die wäre gerne einmal ein Bücherraum geworden mit meterhohen Decken, Leitern zum lustigen Herumsausen zwischen den Abteilungen und einem rotsamtenen Lesesessel, ist aber aus Gründen auf dem Entwicklungsstatus „Ansammlung von Billys“ stehengeblieben und sammelt dennoch unbefangen weiter und weiter Bücher an, die spätestens seit der letzten Verdichtungsmaßnahme (200 Bücher raus, Effekt = 0) gänzlich unsortiert sind, sich mir aber in luzider Klarheit als papierne Zeitzeugen meines Lebens darstellen: Bei diesem Buch ging es mir gut, bei diesem schlecht, bei diesem war ich in Kroatien, bei jenem im Elternhaus, und hierbei hab ich immer dieses Lied gehört. Doch ich sehe ein, es muss etwas passieren, denn es kommt die Wand bedrohlich näher und der Mitbewohner auch. Jetzt Situation: Aus vier Regalmetern energischen Aussortierens habe ich dank mehrreihiger Aufbewahrung sechs Kubikmeter Bücherstapel generiert, was i.e. einem Zehntel dessen entspricht, was noch bevorsteht, und wenn ich das alles aus der Wohnung entferne, wüsst ich noch nicht einmal, wohin. Man hatte bereits Ideen, von denen mir diejenige am besten gefiel, die einen eigenen Bücherschrank vor dem Haus vorschlug: Da ich oft das Gelesene eilig wieder vergesse, könnte ich mich mit dem Inhalt dieses Schrankes immer wieder selbst neu überraschen und mich freuen über die fremde Person mit dem ausgezeichneten Buchgeschmack. Aber ist das zielführend? Nein. Vielleicht ein Privatflohmarkt? Vorbeikommen und bestens erhaltene Leseware jeglichen Umfangs und Genres durchstöbern und ihr gegen schmales Geld ein neues Zuhause geben, um dort selbst zu lesen oder dem kargen Heim einen intellektuellen Anstrich zu verpassen (individuelle Beratung inklusive, von Fitzek würd ich in dem Fall eher abraten)? „Langenscheidts Handwörterbuch Englisch-Deutsch mit rund 220 000 Stichwörtern auf 1528 Seiten in 20,04kg“ ist aus mir unerfindlichen Gründen offiziell überhaupt nicht mehr zum Kauf verfügbar – für Liebhaber hätt ich's aber hier in garantiert unbenutzt zum Vorzugspreis.

Freitag, 21. Juni 2024

EM? Welche EM?

 Also gut. Fussi. Man (ich) kommt ja doch nicht drum herum. „Bis Donnerstag hat mich das ja alles ziemlich kalt gelassen“, fiebert der Mann mit kugelrunden Fußballaugen, „aber seit dem Eröffnungsspiel am Freitag muss ich sagen: Ich bin EM!“ Somit bin ich leider auch EM, da Tätigkeiten jedweder Art ausschließlich nur noch in den sensiblen Zeiträumen 17 bis 18 Uhr sowie 20 bis 21 Uhr stattfinden können und entsprechend um mich herum eine gewisse hektische Betriebsamkeit herrscht. Kehrt der Mann vom Job nach Hause, stürze ich mich auf ihn und erzähle sprudelnd von meinem ereignisreichen Tag und bemerke mal früher, mal später diesen starren und irgendwie nach innen gekehrten Blick, der hier und da von einem „Mhm“ oder „aha“ unterbrochen wird bis ich merke, dass die Aufmerksamkeit mitnichten auf meinen Bericht sondern den des Sportkommentators im Ohrstöpsel gerichtet ist. Sitzt der Mann still auf dem Balkon und freu ich mich, dass er auch einmal zur Ruhe kommt und schön in einem Buch versinkt, entdecke ich zwischen dem Grün aus Blumenkübeln und Basilikum ein kleines Rechteck mit Rasengrün, auf dem ein Ball herumgezwirbelt wird. Abendessen, Körperpflege, Serie – gerne, aber alles bitte nur bis in der Stunde bis zum dritten Spiel, wenn da nicht längst gerast werden muss zu einem Public Viewing, von dem wir freilich alle wissen, dass es das falsche Wording ist, aber uns doch in den letzten Jahren so wunderbar dran gewöhnt haben und aus unerfindlichen Gründen nur allzu gern in Kauf nehmen, von einem wichtigen Spiel höchstens nur die Hälfte, dafür sehr viel Sonnenschirm, Spaßhüte und Klogänger durchs Bild latschen zu sehen und das viel besser finden als auf dem Kanapee zu fläzen und aufs Klo gehen zu können, wann immer es beliebt und nicht dann, wenn die Warteschlange es erlaubt, um sich so ganz darauf konzentrieren zu können, Männern beim Ballspiel zuzusehen, was im viel beschworenen Sommermärchen 2006 noch den netten Nebeneffekt hatte, in alle Spieler nebst Ersatzbank und Linienrichter verliebt sein zu können, man heute aber nicht umhinkommt sich zu fragen, ob die Knaben denn nicht wenigstens eingeschult sein sollten, bevor sie über Weh und Ach einer Nation entscheiden dürfen. Die sich aber, so scheint es mir, ohnehin grad noch in relativer Zurückhaltung übt. Zumindest hält sich die Zahl der Autos mit lustigen Deutschland-Kostümierungen noch einigermaßen in Grenzen und die sonst um keine Feierlaune verlegene Nachbarschaft hat es bislang geschafft, noch keinen Polizeieinsatz mit Schland-Gesängen und Pyrotechnik auszulösen. Aber das kann ja alles noch kommen. Am Ende bin dann ich selbst EM und führe als an einen LKW geheftete Galionsfigur den „Immerhin erst nach der Vorrunde ausgeschieden, man muss für alles dankbar sein“-Autokorso an. Schallalalalaaa! 

Freitag, 14. Juni 2024

Schlafen wie die Tiere

 Pferde und Giraffen schlafen im Stehen. Pottwale aufrecht im Meer, Nilpferde am Grund ihres Schlammgewässers. Fledermäuse hängen kopfüber, manche Vögel schlafen im Flug und Robben treiben auf dem Wasser. Tiere haben die unterschiedlichsten Gewohnheiten, was ihre Schlafposition angeht und ich gehöre momentan dazu: Ich schlafe im Sitzen, und das ist gar nicht mal so schön. Prinzipiell finde ich Menschen beneidenswert, die immer und überall schlafen können. Opa war so einer: Kaum hingestreckt auf Kanapee oder Picknickdecke erklang aus dem großen Opaleib ein vernehmliches Röcheln, und weder die tobenden Enkel noch die zankende Brut konnte daran etwas ändern. Schreiende Fernseher, ratternde Züge oder gar ein Festival außenrum – auch der Mann ist sehr gut darin, sich seinen Schlaf dann zu holen, wenn er ihn grad nötig hat, und so schnarcht es selig neben mir, derweil ich mit weit aufgerissenen Augen in die Glotze oder durch die Gegend starre. Statt sehr gut zu schlafen kann ich also sehr gut wach sein, und momentan kann ich das besonders gut, weil eine gewisse orthopädische Befindlichkeit in meinem Schulter-Nacken-Bereich es mir schier unmöglich macht, mich hinzulegen – geschweige denn wieder aufzustehen. Um irgendwie zu Schlaf zu kommen habe ich mir also einen Sessel aus Kissen im Bett gebaut, in dem ich nun throne wie die Prinzessin auf der Erbse und gebe ein ganz und gar jämmerliches Bild ab – was ich zufällig genau weiß, da dieses Bild auch den Mann schier zu Tränen rührt, doch nicht so sehr, als dass er nicht auch noch hämisch kichern und ein Foto machen könnte. Gestern im Arztwartezimmer hat es dann plötzlich neben mir geschnarcht: Eine Frau schlief, den Kopf auf die Brust gelegt, den Schlaf der Gerechten, und wieder war ich neidisch, denn trotz dessen sich mein Hirn anfühlte wie frisch lobotomiert war es freilich hellwach. Wie schön wäre es doch, dachte ich, wenn ich bin bisschen mehr Rindvieh sein könnt oder Katze, meinethalben auch die Fledermaus. Dann könnt ich mich in der Tram an die Haltestange hängen und dort baumelnd schlafen bis zur Endstation. Ich könnte mich beim Einkaufen hinabsinken lassen aufs Warenband und erst aufwachen, wenn ich durch den Scanner gezogen werde und dabei piepe. Ich könnte mich in die Pegnitz legen und dort treibend die Stadt durchqueren, bis es mich am Wehr verwirbelt. So aber geht es mir nur wie dem Faultier: Vor Übermüdung bewege ich mich so langsam, dass es nur so aussieht, als schliefe ich beim Gehen und Stehen. Am liebsten wär mir der Westafrikanische Lungenfisch: Der gräbt sich einfach ein, wenn sein Gewässer austrocknet, erstarrt dabei selbst und kehrt mitunter nach Jahren erst wieder ins Leben zurück, wenn außenrum alles gut ist.

Freitag, 7. Juni 2024

Chill doch mal

 Gib die Kontrolle ab! Lass los! Lass es zu! Es kommt ohnehin, wie es kommt! Entspann dich! – Sätze, die ich in den letzten Tagen vergleichsweise oft gehört habe. Und zwar nicht etwa von einer klangschalenumwölkten Meditations-CD „Zen-Buddhismus in drei Tagen“ oder so ähnlich, sondern von: mir selbst. „WAHAHAAS, und sowas AUSGERECHNET von DIHIHIIIIR? Das sahahahahahahgt ja genau die Rihihihichtige!“ sprach der vorbehaltlose Unterstützer in allen Lebenslagen, als ich ihm davon erzählte, und ich stieß den Mann sehr unbuddhistisch vom Kanapee und war beleidigt. Weil: Er hatte recht. Aber ich hatte viel im Park mit den Freundinnen telefoniert, und die erzählten wutschnaubend Geschichten aus ihrem aktuellen Leben, angesichts derer das meinige mir wie der reinste Kommunionsunterricht vorkam. Oder was halt sonst so sehr langweilig ist. „Ich hab nicht die geringste Ahnung, wie das alles gehen soll. Ich versuche mich wirklich in Fatalismus, aber es fällt mir schwer“, sprach die erste und berichtete von Schauspieleinsätzen und Drehtagen, die in Kürze beginnen und ergo Texte erlernt werden sollen, die es nur leider noch nicht gab. „Lass es geschehen, mein Lieb“, sagte ich und dass da doch eh der Wunsch zu mehr Improvisationsraum gewesen sein. Dann: „Ey ich sag’s dir, wenn‘s jetzt noch länger so weitergeht dass das so schlimm ist, dann lass ich das bleiben und dann ist das eben so!“ schimpfte die nächste, und ich frug salbungsvoll: „Schatz, verstehe ich dich richtig, dass du dieses Projekt mit der Auffassung begonnen hast, dass ausgerechnet du, Katharina die Größte, dank deiner eigenen Großartigkeit und unbeugsamen Willenskraft dazu befähigt bist, etwas zu schaffen, woran der Rest der Menschheit seit Jahrhunderten scheitert, nämlich 30 Jahre suchtintensivstes Kettenrauchen durch blanken Willen und deine herrliche Existenz innerhalb von zwei Wochen einfach schadlos abzustreifen, und jetzt nach drei Wochen verwundert und zornig bist, dass das so nicht funktioniert?“ – „JA!“, sagte die Freundin und ich hatte sie sehr lieb und schlenderte weiter durch den Park, um das dritte Telefonat zu führen: „Ganz toll, dieses ‚Elternzeit‘“, hieß es dort. „Eine Person ist super entspannt und die zweite Person reicht demnächst die Scheidung ein!“, schließlich habe die zweite Person auf einmal vier statt drei Kindern zu versorgen, was den Mental Load empfindlich erhöhe statt ihn zu reduzieren, und wenn der Mann noch ein einziges Mal von „Entspann dich doch mal!“ spräche, vergesse sich die Freundin. „Entspann dich doch mal!“ sagte ich hilfsbereit und atmete tief in den Bauch die gute Parkluft, die neuerdings ja noch ein wenig aromatischer ist als sonst. Zusammenhang? Ach Quatsch, das glaub ich nicht. Es muss die Altersmilde sein.

Freitag, 31. Mai 2024

Ökosystem Wohnung

Ich habe neue Bettwäsche gekauft. Das könnte man als alltagsdurchschnittlichen Vorgang ohne jegliche individuelle bis weltpolitische Tragweite und ergo nicht der Rede wert verbuchen. Hätte man (ich) nicht in der jüngeren Vergangenheit gelernt, dass ein wie auch immer gearteter Eingriff ins Ökosystem „Wohnung“ dieses empfindlich ins Wanken bringt und noch der kleinste Flügelschlag ein Erdbeben biblischen Ausmaßes nach sich ziehen kann (vgl. Butterfly-Effekt, der). Gerne würde ich deswegen mit einem anklagenden Finger auf den mitbewohnenden Mann zeigen, jedoch ist dieser bei genauerer Betrachtung zwar oft (qua Geburt) an einer Misere schuld, doch halt nicht immer. Die Schuld liegt stattdessen meist allein im Umstand begründet, nicht in einem ehemaligen Gestüt auf dem Land zu wohnen, auch nicht in einer geerbten Stadtvilla oder sonstig pompös, sondern in einer, nennen wir es: zeitgemäßen urbanen Kompaktwohnung, die dafür das Nonplusultra an Infrastruktur bietet. Und psychologisch auch nur Vorteile bringt, weil sie einen vor dem sinnlosen Ansammeln von Dingen bewahrt durch schlichten Platzmangel. So entsteht ein Circle of Life, in dem manchmal Dinge in die Wohnung wandern, wofür andere aus dieser weichen müssen, dann in den Müll oder Keller wandern, und wenn dieser zu zerbersten droht, unter schweren Mühen, großem Ächzen und manchmal auch Tränen eine mittlere bis schwere Aktion getätigt werden muss. Es gibt deshalb eine sogenannte „Transitzone“ in der Wohnung für Dinge, deren weiterer Verbleib noch zu klären ist, doch das möchte ich einmal separat besprechen. Jetzt geht es ja um Bettwäsche. Wo neue Bettwäsche hineinkommt, droht erstens die Gefahr einer Schlafzimmergesamtumgestaltung („Oh wie schön, dieses wärmende Gelb! Aber das passt ja jetzt gar nicht mehr zum ganzen Rest?!“), vor allem aber muss gemäß der obenstehenden Rahmenbedingungen eine alte hinaus wegen drohender Schrankexplosion, was eine ganz grundsätzliche Durchsicht und Neuordnung des Bestandes zur Folge hat sowie eine existenzielle Fragestellung: „Kannst du“, frug ich den Mann inmitten diverser Vakuumierbeutel, Unterbett- und Oberschrank-Truhen, „mir bitte sagen, wieso wir ELF Kissen im Haus haben?“ Er konnte nicht, jedoch sich auch den Satz nicht verkneifen, es schiene ihm, als habe ich (!) mein (!) Kissen-Game nicht im Griff, weswegen ich den dringenden Wunsch verspürte, allsämtliche Kissen zu ergreifen und damit ein derartiges Game zu veranstalten, dass selbst Frau Holle noch in Hochachtung verfallen wär … Die Problemlösung wurde auf später und die Kissenboxen wieder unters Bett geschoben. Wage vorsichtige Prognose: Das Epizentrum des nächsten, gewaltigen Erbebens wird sich genau dort befinden. Nur der Auslöser bleibt fraglich. Vermutlich ein heruntergefallener Socken oder so.

 

Freitag, 24. Mai 2024

Frühstücksphilosophie

 Ich habe gerade einen Apfel gegessen. Halt nein: erstmal habe ich ihn aufgeschnitten, wie ich das beinahe jeden Morgen mache seit nunmehr 20 Jahren, um ihn gemeinsam mit ein bisschen Banane, Körnern und Milchprodukt zu einem Müsli zu verrühren. Eine Angewohnheit, die aus einer Zeit stammt, als mal im Sommer der Lieblingsdöner ein Problem mit der Kühlung und ich darum mit der Verdauung hatte, was mir ein paar beschauliche Tage im Krankenhaus sowie eine strikte und ausgesprochen effektive Diät aus Obstbrei beschor. One Apple a Day kept the Doctor zwar seitdem leider nicht away, sehr wohl jedoch den Morgenhunger, und während ich also am Apfel herumschnitzte, warf sich mir plötzlich Blattwerk an den Finger, das dort klebte und sich trotz heftigen Wedelns nicht abwerfen ließ, und mich befiel ein kleiner Zorn. „Halte ein!“ sprach da eine innere Stimme zu mir. „Dieses kleine, grünbraune Blättchen war einst eine zarte rosa Blüte, unter der du neulich erst lustwandeltetest und mit der Sonne um die Wette strahltetest, und nun hältst du hier eine Frucht in Händen, die sich nur mithilfe eines winzigen Bienenschubses in einen prachtvollen, rotglänzenden Ball verwandelt hat, der dem Gaumen schmeichelt und dich nährt. Liebe das kleine Blatt, denn es ist nichts anderes als die von dir verehrte Blüte!“ und ich verehrte das Blatt und rührte es ins Müsli wegen Nose-to-Tail und Nachhaltigkeit. Es könnt‘ alles so einfach sein – isses aber nicht, und so betrachtete ich die Banane in meiner anderen Hand und erkannte sie als ausgesprochen diskutables Wesen – und das nicht nur, was den Anbau betrifft sowie den stets staudegewordenen Thrill einer eingereisten Amazonas-Spinne (oder einer plattgetrockneten Eidechse, wie ich sie einmal quer durch eine Küche warf vor Schreck – echt wahr!). Die Banane ist die Politikerin unter den Öbstern: Frisch grün schmeckt sie bitter und macht mehligen Belag im Mund, ist dafür aber voll Gesundheit. Je reifer die Frucht, desto brauner wird sie, und was gekleidet in süßer Gefälligkeit daherkommt, ist in Wahrheit für nicht viel mehr gut als für grauslig pappige Finger und langfristige Schäden an Leib und Seele sowie am Zahnschmelz. Jedoch: In diesem Unzustand lässt sie sich, wir lernten es alle vor gut drei Jahren, hervorragend und gänzlich unpolitisch zu einem Kuchen umarbeiten, den man allerdings „Brot“ nennt und das deshalb im Gegensatz zum Kuchen mit gutem Gewissen in großen Mengen konsumiert werden kann. Wirklich sehr undurchsichtig, dieses „Banane“. Vielleicht künftig Rübe ins Müsli, das erscheint mir ehrlicher. Aber genug jetzt vom Essen. Frühstück ist fertig, und ich muss schließlich noch eine Kolumne schreiben. 

Freitag, 17. Mai 2024

Die rollende Fliegenfalle

 GuMo together! Zum Zeitpunkt meines Schreibens kündigt sich zwar ein ausgesprochen reinigendes Großgewitter an, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass aktuell im urbanen Raum ausgezeichnet viel Flora und Fauna anzutreffen ist. Flora – easy, kriegt selbst der kellerbewohnendste Lebenslustverweigerer mit, weil auch dieser muss gelegentlich atmen und hierzu die Fenster öffnen, um damit nicht nur Sauerstoff, sondern zu gleichen Teilen auch saftig-gelbe Pollen hereinzulassen, die in argloser Unkenntnis des sterilen Sauberraums die Welt besamen und sagen „ja, ich will!“ Ein herrliches Tosen aus Fruchtbarkeit und Liebe, das – hallo Fauna! – unlängst ein Eichhörnchen dazu trieb, seinen Kobel in meinem Haus zu bauen. Doch statt mich selbst als liebevolle Hörnchenmutter, die sich aufopferungsvoll um die kleinen Wesen kümmert, sah ich vor allem ein Tier, das erst als eiliger Spiderman die Hauswand hinab- und später mit den Backen voller Moos wieder hinaufkletterte, um sich oben in einem Fliegennetz derart zu verheddern, dass es beinah gerettet werden musste. Ich bin nicht sicher, ob dieses Tier geeignet ist zur Arterhaltung, aber was weiß ich schon? Ah richtig, weiß ich sehr wohl etwas, nämlich: Ich habe ja diesen neuen Lippenstift, der so farblich harmoniert mit Aperol und Campari und der aus einem müden Bleichgesicht mit wenigen Pinselstrichen ein komplettes Gute-Laune-Makeup zaubern kann. Was er ebenfalls hervorragend kann, ist ein bisschen zu kleben. Nicht störend, aber eben genau so viel, dass ich als Phyto- und Biograph auf zwei Rädern herumflitzen kann und hinterher mit metergenauer Sicherheit bestimmen, wo in Nürnberg welches unsichtbar kleine Lebewesen sich grade gerne aufhält. Radle ich also an einer Birke vorbei oder auch einer Hasel, die sich grade einmal mächtig schüttelt vor Lachen, so hab ich nachher keine roten Lippen mehr, sondern eine samtig-gelbe Schicht auf dem Mund. Mit kleinen Fliegen geht das besonders gut: Hält man den Mund beim Radeln feste geschlossen, so kann man spüren, wie man als rollende Fliegenfalle durch einen Schwarm hindurchgerät, in dem einem die winzigen Tierchen nur so gegen die Lippen prasseln und dort hilflos verfangen. Das ist ein gutes Gimmick für Halloween, nicht aber für den Alltag: „Ähm, Sie haben da …“ Ups, danke. Besonders erstrebenswert erscheint mir aber das Aufsammeln von Pappelsaat, die die Stadt mit feinen Sommerschneeflocken überzieht, weiße Wolken über hässliche Wege legt und in warmer Brise heitere Tänzchen aufs urbane Parkett. Dort einmal mit frisch eingeleimtem Mund geschickt hindurchgepflügt, und schon seh ich aus wie der Weihnachtsmann mit Rauschebart, mindestens aber wie jemand, der ein bisschen zu viel an der Zuckerwatte genascht hat. Bei dem Gedanken krieg ich sofort gute Laune. Ihr auch? 

Freitag, 10. Mai 2024

Elternwoche

„Leute, am Sonntag ist ‚Muttertag ist eine verachtenswerte Kommerzveranstaltung, die nur dazu dient, Blumenhändler reich zu machen und anschließend eine arme Mutter oder Oma, die man das ganze Jahr über nicht mal angerufen hat, kurz zu besuchen und am besten im Rollstuhl um irgendein Gewässer zu schieben, mit Torte zu füttern und wieder abzuhauen, Hauptsache das Gewissen ist wieder eine Zeit lang beruhigt, damit möchte ich nichts zu tun haben. Ich möchte, dass man sich das ganze Jahr über für mich interessiert und sich trifft und nicht an einem willkürlichen festgesetzten Tag, den irgendein Ami mal erfunden hat, plötzlich Gewese gemacht wird!! Aber FALLS am Sonntag jemand zufällig in der Nähe ist, kann man mich gerne besuchen, ich hätte dann eventuell auch einen Kuchen da und abends könnte man ja dann eine Pizza essen gehen oder holen, das wär schon schön, hat aber überhaupt nichts mit diesem Muttertag zu tun, nur wenn wir uns gar nicht sehen täten dann fänd ich das schon schade, aber macht euch bitte keine Umstände extra meinetwegen, ich wollte nur Bescheid geben dass ich auf alle Fälle den ganzen Tag alleine daheim bin und wenn dann spontan jemand vorbei kommt, würde ich auch die Tür aufmachen‘-Tag. Gibt’s schon Pläne?“ So oder so ähnlich könnten WhatsApps und SMS lauten, die im Laufe der Woche zwischen Geschwistern verschickt werden, deren Mütter dank der frühen EMMA emanzipatorisch sozialisiert worden sind und diese kämpferische Haltung wenn nicht übers laufende Jahr hinweg beibehalten, so doch allermindestens einmal jährlich Anfang Mai einnehmen und dazu heftig die lila Fahne schwenken. Muttertag? Nicht mit mir!, und zurück bleiben desorientierte Kinderlein, die Jahr für Jahr nicht wissen, wie sie sich hierzu verhalten sollen, heimlich liebevoll gebastelte Haushaltshilfengutscheine traurig verschwinden lassen und die schönen Blumen schnell dem verdutzten Nachbarn schenken. Zum Glück ist das bei mir nicht der Fall, und ich kann mich Jahr für Jahr ganz dankbar an der Liturgie entlanghangeln, die mir die Discounterlandschaft seit Wochen mittels Postwurfsendung hilfreich bereitstellt: Kaufe pinke Donuts und Fertig-Hugo! Bestelle Blumen! Kaufe rosa „Mutti ist die Beste“-Herzanhänger aus Holz! Kaufe pastellfarbene „Supermum“-Tassen! Kaufe Shopping-Gutschein! Das wird so ein schöner Tag! Leider hab ich mich dieses Jahr im Katalog verblättert und bin ein bisschen durcheinandergekommen. Stehe jetzt mit Grillfleisch, Bollerwagen, Tischkicker und Dosenbier für Sonntag in den Startlöchern, derweil Papa gestern Erdbeerkuchen und Tulpenstrauß zur Landausfahrt bekommen hat … Ich hoff, das geht in Ordnung so. Bitte verratet mich nicht – sonst muss ich doch noch eine SMS an meine Brüder schicken.

Freitag, 3. Mai 2024

Kreuz Schulter Knie

 Es gibt da diesen Comic von Renate Alf: Eine Frau unbekannten Alters steht in Sportklamotten und mit Matte unter dem Arm vor einem kleinen Regal mit Handtüchtern und Erfrischungsgetränken und blickt ratlos auf die beiden Schilder vor ihr an der Wand, die ihr den Weg zu zwei verschiedenen Sportkursen zeigen – welcher, denkt sie angestrengt, ist wohl der richtige für sie? Links geht es zu „Bauch, Beine, Po“, rechts zu „Kreuz, Schultern, Knie“ … „Rechts!“ möchte ich ihr zurufen, „eindeutig rechts!“, denn abgesehen davon, dass ich mich schon immer gewunden habe, „Bauchbeinepo“ zu sagen, weil das so unglaublich dämlich klingt, und gefunden, dass an meinem Körper eigentlich alles drei ausreichend vorhanden ist, ist es mittlerweile so, dass gemäß dem Horst Schlämmer’schen „Ich habe Rücken, Kreislauf, Füße …“ auch von „Kreuz, Schultern, Knie“ wirklich mehr als genug an mir gibt. Das ist natürlich nicht neu, sondern seit dem Beginn des körperlichen Verfalls, der ungefähr in dem Moment eingesetzt hat, als ich so um die 16 war, hat man ja ständig irgendwas. Und spätestens, wenn man merkt, dass einen nicht mehr die Gastronomen und Galeristen der Stadt schon aus der Ferne freudig mit Vornamen rufen, sondern Arzthelferinnen. Dass man manche Freunde nur noch zufällig in Wartezimmern trifft statt auf einem Kneipenfestival, dann … Naja. Man hat es nicht leicht, doch heute bin ich schwer beschädigt. Das liegt nicht zu allen, aber großen Teilen an gestern, also am 1. Mai, den ich erwachsen mit Natur und Wandern statt Steinewerfen und Dosenstechen verbracht habe. Wenn man allerdings die richtigen Leute dabeihat, kann man es durchaus schaffen, auch aus der kürzesten Strecke einen ganztägigen Fünf-Seidlas-Steig zu machen. Ergo: Ich habe Kopf. Füße hab ich außerdem, denn vor lauter Frühlingsfreude und frisch gemachten Sommerfüßen war ich unlängst einen ganzen Tag in offenem Schuhwerk im Einsatz anstatt in einer geschlossenen Formation, deren Nachteil der Schwitzfuß, Vorteil jedoch die orthopädische Sohle ist. Fürderhin habe ich seit Wochen Rücken, nämlich seitdem ich es zustande gebracht habe, mir im Zuge einer schweren Erkältung beim Husten derart die Rippen zu prellen, dass mir mein sicherer Tod vor Augen stand und ich statt durch die Clubs zu ziehen mit dem Taxi Klinik-Hopping betrieb. Zu dieser Prellung hat mir mein Auto ein weiteres Geschenk beschert, indem es sich beim Rückwärtsfahren derart vor einem Grashalm oder einer Ameise erschrak, dass es mit einer Vollbremsung reagieren und mir damit eine verdammte Stauchung unter dem rechten Schulterblatt bescheren musste. Und was sehe ich heute? Ein geschwollenes Augenlied von Größe und Gestalt eines rohen Scampis, das gestern noch „bestimmt nur von den Pollen juckt!“ Das verkrümmt-humpelnde, entstellte Wesen in der Stadt ist also kein ausgebüxter Quasimodo. Sondern nur ich auf dem Weg zum Sport. Kurs? Mal schauen.

Freitag, 26. April 2024

Mallediva

Vor ein paar Wochen habe ich eine Freundin, die Anwältin ist, in eine für sie ungewohnte Situation gebracht. Nämlich ins Schwitzen mittels eines peinlichen Verhörs. Seit vielen Jahren ist es ein Running Gag bei uns, dass sie „immer“, wenn ich mich bei ihr melde, auf den Malediven weilt – was so freilich nicht richtig ist, aber dennoch eine Wahl, die ich nicht nachvollziehen kann. „Was MACHST du da zur Hölle vier Wochen lang, da ist doch NICHTS?“ hab ich gesottert und sie spruch: „Ich setze mich, schau stundenlang aufs Meer und freue mich.“ Ich solle das doch mal ausprobieren, die meditative Wirkung sei nicht zu unterschätzen, man sei im Anschluss sehr befreit und gut durchlüftet und überhaupt ganz leicht. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, blickte schweigend auf eine Pfütze am Wegesrand, versuchte vergeblich, eine meditative Wirkung zu erspüren – und buchte eine Reise, die, wie wir wissen, an sowohl Berg als auch Meer führte, wobei seltsamerweise zweiteres bei den Menschen hinlänglich Verzückung auslöst. „Sauge die Wärme, die Sonne, das Licht in dich auf und lass es in dir leuchten“, wünschte man zum Abschied, und: „Höre dem Meer zu, das mache ich am liebsten. Es kommt so sehr rum, das Meer, deshalb erzählt es ja so viel, wenn man ihm zuhört.“ Rumkommen, erzählen, zuhören – das fand ich gut, und so wollte ich folgsam sein und das mal ausprobieren. Ich setzte mich ans Meer, fror jämmerlich und hörte mich im Kältesturm kaum selbst klagen. Ich setzte mich ans Meer, fror weiter und hörte „Heeeeeeyiii Leute, und jetzt noch lecker Sprizzidrinkidrinki??“ Ich setzte mich ans Meer, versuchte, den unglaublichen Angstschweiß, den man bekommt, wenn man zwei Stunden als Beifahrerin dem Schicksal ausgeliefert ist und siebzehntausend Fahrradfahrer auf 50 cm breiten Serpentinenstraßen mit Gegenverkehr überholt, trocknen zu lassen, aß kalte Pommes, denn der Rest war aus, und hörte „Solangde Salz inna Tasche hast, haste Jeld im Haus. Dat hat schon dat Jerti imma jesacht!“ und „Schau mal Mausi, was ich uns noch zum Schnurpseln eingepackt hab!“ Ich setzte mich ans Meer, hörte ein Flugzeug sowie den sicheren Tod drei Meter über mir und lernte, dass auch Wasserlöschflugzeugpiloten den tiefen Anflug erstmal üben müssen. Ich setzte mich ans Meer, vergrub mich statt ins Buch tief in allen Handtüchern und hörte „DANIEL! GABRIEL! HÖRT SOFORT AUF, MIT SAND ZU WERFEN! KOMMT SOFORT ZURÜCK! AUS DEM WASSER, HAB ICH GESAGT! GABRIEL, HÖR AUF DEINEN BRUDER ZU SCHLAGEN! RUNTER VON DEM BAUM, DANIEL! TOUT DE SUITE!“ Dann ging ich auf den Berg. Ich lief und hörte: nichts. Ein bisschen Tschilp, ein bisschen Mäh. Ein bisschen Dingdong, ein bisschen Flatterbrummelsummserum. So leicht, so luftig. So meditativ. Ich spinn? Ist ok. Lieber Mallediva als Malediven. 

Freitag, 19. April 2024

Decidophobie

 Menschen fliegen in den Urlaub. Ich nicht. Das heißt: Ich schon, aber mich findet man hinterher nicht an der Playa del Sol oder auf der Animationsbühne beim launigen Karaoke-Abend, sondern in einer TV-Dokumentation über verwahrloste Hängengebliebene, die in einer Grotte hausen oder solche, die verstört durch die Straßen der Cité wandern und sich allabendlich ihren Unterschlupf aus vergessenen Handtüchern knüpfen. Nicht lustig? Find ich auch. „Wie sehr zur Hölle kann sich ein einzelner Mensch denn bitte anstellen?“ schütteln nicht nur Freunde und Familie den Kopf über mich, sondern ich selbst gleich mit, nachdem ich mir eine psychopathologische Entscheidungsunfähigkeit diagnostiziert habe. Eine glückliche Fügung hat ergeben, dass sich in meinem gefüllten Kalendarium nämlich diese Woche ein Zeitfenster geöffnet hat. Selbstverständlich bin ich sogleich hineingesprungen, weil man muss die Feste feiern, wie sie fallen, und die Urlaubsmöglichkeiten auch. Dummerweise hab ich mich für einen Ort entschieden, an dem die ganze Welt schon mehrfach, ich hingegen noch nie war. Darum hab ich jetzt plötzlich zwei Bedürfnisse: eins zur Er- und eins zur Nachholung, und beide werden nicht besser davon, dass mir Menschen (jeder schon mal dort gewesen!) gutgemeinte Tipps geben und mich mit Ratschlägen überhäufen einschließlich dem ausgesprochen netten Herren in der Reiseführer-Abteilung eines Buchgeschäftes (vielen Dank nochmal). „ICH KANN MICH EINFACH NICHT ENTSCHEIDEN!!“ weine ich seit Tagen in Telefone, Tastaturen und Gesichter hinein und halt mich selbst dabei kaum aus. „Was kann denn daran so schwer sein?“, sagen sie, „willst du Strand, Berge oder Kultur?“ – „ALLES!“, schrei ich und weine weiter. Das vorläufige Ergebnis der Beratungen lautet darum wie folgt: Ich möchte in den Osten, den Norden, den Süden sowie den Westen und dann natürlich auch das Landesinnere der Insel besuchen. Ich möchte weißen Sandstrand sowie wildes Gebirge, um gleichzeitig wandern und aber auch mal die Seele ins Wasser baumeln lassen zu können. Darüber hinaus möchte ich sowohl abends meine Ruhe in Abgeschiedenheit und Isolation, zugleich aber unbedingt auch das quirlige Gewusel der Hauptstadt, um mich aus meinem Infinity-Pool mit Meerblick bei Bedarf ins kulturelle Treiben zu werfen, um mit indigniertem Blick Sauftouristen links liegen zu lassen und stattdessen sophisticated Kultur zu goutieren, was aber natürlich noch viel besser dort geht, wo der Tourist erst gar nicht hinkommt, es dort nur leider weder Meerblick noch „Ich kümmere mich um gar nichts“-Hotels mit Strandfrühstück gibt. Mit 57 geöffneten Tabs von Anbietern habe ich mittlerweile Bad geputzt, die Wohnung sowie den Keller entstaubt und Sperrmüll weggebracht. Wo das hinführt? Keiner weiß. Ich auch nicht.